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NAHOST/1705: Jemen - US-imperiale Eigeninteressen ... (SB)


Jemen - US-imperiale Eigeninteressen ...


Im Jemen deutet sich eine drastische Eskalation des Kriegs an. Am 9. März meldete die Onlinezeitung Middle East Monitor die Landung einer ersten Einheit von US-Marineinfanteristen auf der Insel Sokotra, die dort angeblich Patriot-Abwehrraketenbatterien aufstellen sollten. Am 10. März behauptete die Sanaa Post, welche den die jemenitische Hauptstadt kontrollierenden Huthi-Rebellen nahesteht, 450 amerikanische und britische Soldaten wären in Aden gelandet. Die Hafenmetropole am Indischen Ozean wird seit Beginn des Krieges vor fünf Jahren gemeinsam von südlichen Separatisten, Anhängern des Noch-"Interimspräsidenten" Hadi sowie Truppen aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) kontrolliert, wobei letztere bereits 2019 mit dem Abzug begonnen haben. Als Quelle der brisanten Informationen über die Landung regulärer angloamerikanischer Truppen in Aden gab die Sanaa Post Fadi Al Murshidi, Sprecher des Südlichen Übergangsrates (Southern Transitional Council - STC), an.

Seit 2018 beschweren sich die Anwohner von Sokotra, die von der Fläche her etwa eineinhalb mal so groß wie das Saarland ist, über die schleichende Besatzung durch die Emirater. Zu vereinzelten Protestaktionen der einheimischen Bevölkerung dagegen ist es in der Hauptstadt Hadibu gekommen. Die Truppen des VAE haben den Vorwand der Teilnahme an der von Saudi-Arabien angeführten Anti-Huthi-Strafexpedition genutzt, um auf Sokotra eine Reihe von Militäranlagen - vornehmlich Seehäfen und Flugplätze - zu errichten. Alles deutet darauf hin, daß die Emirater beabsichtigen, die gebirgige Insel dauerhaft zu besetzen. Schließlich liegt Sokotra strategisch günstig am Horn von Afrika vor Bab Al Mandab, eine Meeresstraße, die Rotes Meer und Indischen Ozean verbindet. Von dort aus liegen für Kampfjets, Bomber und Drohnen ganz Ostafrika sowie die Arabische Halbinsel in Reichweite. Vielleicht spielen die Amerikaner mit dem Gedanken, ihren Stützpunkt auf Diego Garcia, die zur britischen Kronkolonie der Chagos Inseln, einer Reihe von tiefliegenden Atollen in der Westhälfte des Indischen Ozeans, gehört und die mit Sicherheit durch den Meeresanstieg infolge des Klimawandels akut bedroht ist, nach Sokotra zu verlegen.

Der besagte Bericht des Middle East Monitor bestätigt die Vermutung hinsichtlich der langfristigen Pläne der Emirater. Dort heißt es zum Thema Sokotra wörtlich: "Laut unseren Quellen hat der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman am 21. Dezember vergangenen Jahres der von den Vereinten Nationen anerkannten Regierung des im Exil lebenden Präsidenten Abd Rabbu Mansur Hadi befohlen, die ganze Insel den VAE für eine Frist von 95 Jahren zu verpachten." Sehr viel Widerstand dürfte Hadi der königlichen Anordnung nicht entgegengebracht haben, denn Jemens vermeintliches Staatsoberhaupt lebt seit Jahren als Staatsgast Saudi-Arabiens in einer Luxusvilla in Riad mehr oder weniger unter Hausarrest. Ihm dürfte zudem nicht entgangen sein, wie MbS mit Untertanen, die dem saudischen Thronfolger absoluten Gehorsam verweigern, umspringt - siehe die Festsetzung und Folter Hunderter saudische Prinzen und Geschäftsleute im Ritz Carlton im Oktober 2017, die vorübergehende Festnahme des libanesischen Premierministers Saad Hariri bei derselben Aktion und vor allem die grausame Abschlachtung des Washington-Post-Kolumnisten Jamal Khashoggi genau ein Jahr später im saudischen Konsulat zu Istanbul.

Was den Einsatz amerikanischer und britischer Truppen in Aden betrifft, so dürfte dies mit einer Reihe von militärischen Rückschlägen zu tun haben, welche die Hadi-Truppen und ihre saudischen Verbündeten in den letzten Wochen verzeichnen mußten. Die Huthis schicken sich an, das Gouvernement Marib, wo das meiste der jemenitischen Ölvorkommen vergraben liegt, an sich zu reißen. Vor kurzem haben sie erstmals einen saudischen Kampfjet abgeschossen. Am 9. März sind sie in den Südwesten Saudi-Arabiens eingedrungen und haben sich dort schwere Kämpfe mit den Streitkräften, welche die Grenze sicherstellen, geliefert. Hinzu kommen regelmäßige Angriffe auf Teile der kritischen Infrastruktur wie zivile Flughäfen, Ölraffinerien und Verladestationen mittels Drohnen und Raketen.

Seit langen ist die saudische Luftwaffe bestrebt, durch Bombenabwürfe die Waffenlager der Huthis und vor allem deren Produktionsstätten für Raketen und Drohnen zu zerstören. Offenbar gelingt dies deshalb nicht, weil es sich hier um unterirdische Anlagen handelt. Im März 2019 hatte die in London erscheinende, regierungsnahe Zeitung Mail on Sunday exklusiv von der Anwesenheit britischer Spezialstreitkräfte, Mitglieder des Special Boat Regiment (SBS), Schwesterorganisation des berüchtigten Special Airforce Regiment (SAS), im Nordjemen berichtet. In den Artikel hieß es, zusammen mit saudischen Kameraden würden die SBS-Elitekämpfer "hinter feindlicher Linie" versuchen, die Rüstungsschmiede der schiitischen Ansarullah-Bewegung in der Hauptstadt Sanaa und Umgebung aufzuspüren und zu vernichten. Dem Vorstoß ist offenbar nicht allzuviel Erfolg beschieden gewesen, wie der spektakuläre, kombinierte Drohnen- und Raketenangriff der Huthis auf die zwei wichtigsten Raffinerien Saudi-Arabiens im vergangenen September zeigt. Nun scheinen Riads Freunde in London und Washington dem Problem mit noch mehr militärischer Macht zu Leibe rücken zu wollen.

13. März 2020


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