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NAHOST/1711: Jemen - unversöhnlich und katastrophenträchtig ... (SB)


Jemen - unversöhnlich und katastrophenträchtig ...


Am 26. März jährte sich zum fünften Mal der Krieg im Jemen, der Hunderttausende das Leben gekostet und im Armenhaus Arabiens die schwerste humanitäre Krise auf Erden angerichtet hat. Ziel der von der Armee Saudi-Arabiens angeführten Operation Entscheidender Sturm ist es gewesen, die Vorherrschaft der schiitischen Huthi-Rebellen zu beenden und dem "Interimspräsidenten" Abd Rabbu Mansur Hadi wieder zur Macht zu verhelfen. Fünf Jahre und Milliarden von Dollar später sind die Saudis blamiert und der Krieg ist für sie nicht zu gewinnen. Zwar hat man mit Hilfe von Al-Kaida-nahen Gruppen und südlichen Separatisten weite Teile des Südens und Ostens einschließlich der strategisch enorm wichtigen Hafenstadt Aden "befreit", dennoch kontrollieren die Huthis die gebirgige Nordwesthälfte des Landes, darunter auch die Hauptstadt Sanaa, und lassen sich von dort partout nicht vertreiben. Im Gegenteil sind die Huthis, die im Gouvernement Marib, das lange Zeit unter der Kontrolle Hadi-freundlicher Kräfte stand und wo die wichtigsten Ölvorkommen des Jemens liegen, auf dem Vormarsch.

Bei schweren Kämpfen im nördlichen Gouvernement Al Jauf haben die Huthis im Februar erstmals einen saudischen Kampfjet vom Typ Tornado abgeschossen. Zur Vergeltung haben die Saudis ein Dorf in der Nähe der Absturzstelle der Maschine aus der Luft mit Bomben und Raketen angegriffen und dabei 31 Zivilisten massakriert. Nichtsdestotrotz haben die Huthis, die sich Ansarullah-Bewegung nennen, vor wenigen Tagen mit den einheimischen Gegnern in Al Jauf einen Gefangenenaustausch durchgeführt. Vor diesem Hintergrund hat Ansarullah-Chef Abdul Malik Al Huthi zum fünften Jahrestags des Kriegsbeginns erstmals publik gemacht, daß einer der beiden Piloten des abgeschossenen Tornados den Absturz überlebt hatte, und angeboten, diesen im Austausch gegen mehrere Palästinenser in saudischen Gefängnissen freizulassen.

Bei den inhaftierten Palästinensern handelt es sich um mutmaßliche Anhänger der Hamas-Bewegung, die bekanntlich seit 2006 trotz - oder vielleicht gerade wegen - der israelischen Abriegelung im Gazastreifen die Regierung stellt. Auf das Angebot, mittels dessen die Huthis indirekt die in der arabischen Welt umstrittene, inoffizielle Allianz des De-Facto-Machthabers in Saudi-Arabien, des designierten Thronfolgers und Kronprinzen Mohammed Bin Salman, mit den Administrationen Benjamin Netanjahus in Israel und Donald Trumps in den USA hervorheben konnten, ging Riad mit keinem Wort ein. Angeblich führen Huthis und Saudis seit Monaten unter Vermittlung von Oman inoffizielle Friedensgespräche, bei denen jedoch bislang kein Durchbruch erzielt werden konnte. Um so heftiger geht der Krieg, insbesondere in Hudeida an der Küste des Roten Meeres, in Marib und Al Jauf, um die belagerte Stadt Taiz sowie an der Südwestgrenze Saudi-Arabiens unvermindert weiter.

Am 28. März haben die Huthis Riad sowie Dschazan, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im saudischen Südwesten unweit der Grenze zum Jemen, mit jeweils einer ballistischen Rakete angegriffen. Die Saudis behaupten, die beiden Raketen mit dem eigenen Luftabwehrsystem abgefangen zu haben, ohne daß diese nennenswerte Schäden anrichten konnten. Zur Vergeltung hat die saudische Luftwaffe am 30. März "militärische Ziele" in Sanaa attackiert. Dabei gingen mehrere Bomben und Raketen auf die Reitschule am Präsidentenpalast nieder und töteten 70 Pferde und einen Wachmann. Die schrecklichen Fersehbilder der toten und verstümmelten Pferde von Sanaa haben den Sinkflug des Ansehens Saudi-Arabiens in der islamischen Welt nur noch weiter beschleunigt.

Dafür bekommen die Saudis von ihren Verbündeten in den USA neue und grausige Schützenhilfe. Am 27. März erklärte das Außenministerium in Washington die sofortige Einstellung jeder finanziellen Unterstützung aller internationalen Hilfsorganisationen, die in dem von den Huthis kontrollierten Nordwesten des Jemens tätig sind. Die Summe der eingefrorenen Gelder liegt bei mindestens 200 Millionen Dollar, und die spektakuläre Maßnahme kommt ausgerechnet zu einer Zeit, in der eine Ausbreitung des neuartigen Corona-Virus im Jemen befürchtet wird. Experten gehen davon aus, daß COVID-19 im Jemen, wo 20 Millionen der 30 Millionen Einwohner unter Hunger leiden und auf humanitäre Hilfe von außen zum Überleben angewiesen sind, zahlreichen geschwächten Menschen den Tod bringen wird. Die meisten Jemeniten haben aufgrund der seit Jahren anhaltenden systematischen Bombardierung der zivilen Infrastruktur durch die saudische Luftwaffe ohnehin keinen Zugang zu sauberem Wasser, sei es zum Trinken oder zum Waschen. Es fehlt ihnen also an der grundlegendsten aller Voraussetzungen, um sich im Sinne der Hygiene gegen die Covid-19-Epidemie zur Wehr setzen zu können. Völlig zutreffend hat am 31. März Marcus Montgomery vom Arab Center in Washington beim Gastkommentar für den Blog The New Arab die unmenschliche Entscheidung des Hauses Mike Pompeos als "Todesurteil für Tausende" bezeichnet.

2. April 2020


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