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SOZIALES/2092: Hartz-IV-Empfänger von Lebensmittelverteuerung empfindlich getroffen (SB)


Kräftiger Anstieg der Lebensmittelpreise in Deutschland

Preissteigerung würde Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes um fünf Euro schlucken


Indem die Regierung den Hartz-IV-Regelsatz um lediglich fünf Euro anheben will, beweist sie, welcher Klientel sie sich verpflichtet fühlt und welcher nicht. Zur befristeten Rettung von angeblich systemrelevanten Banken werden kurzerhand Hunderte Milliarden Euro Schulden aufgenommen, wohingegen die das System stützende Bevölkerung auf Schmalkost gesetzt wird. Millionen Bundesbürger sollen mit einer Erhöhung des Armutsverwaltungssatzes von 359 Euro um lediglich fünf Euro abgespeist werden. Das würde nicht einmal reichen, um die Preissteigerung bei Lebensmitteln in den letzten beiden Jahren zu kompensieren. Wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag mitteilte, sind die Preise für Nahrungsmittel im vergangenen Jahr "kräftig gestiegen". [1] Sie legten im Dezember 2010 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 3,6 Prozent zu.

Was bedeutet das für die 4,8 Millionen Erwachsenen, die "Grundsicherung für Arbeitssuchende" erhalten, die sogenannten Hartz-IV-Empfänger? Sie bekommen die Teuerung sehr viel empfindlicher zu spüren als Haushalte mit Durchschnittseinkommen, da für Lebensmittel ein vergleichsweise hoher Anteil an den Einkünften ausgegeben werden muß. Zwar wurde die Teuerungsrate bei der Festlegung des Regelsatzes berücksichtigt, aber diese Angleichung beruht auf einer Einkommens- und Verbrauchsstichprobe aus dem Jahre 2008. Abgesehen von diversen Kniffen, mit denen der Regelsatz hierbei heruntergerechnet wurde, bedeutet das, daß die erheblichen Preissteigerungen für Lebensmitteln in den letzten beiden Jahre nicht berücksichtigt wurden. Mit anderen Worten, von den sowieso knapp bemessenen 128,64 Euro, die ein erwachsener Hartz-IV-Empfänger für Lebensmittel erhält, müssen Abstriche gemacht werden. Die fünf Euro, die der Regelsatz insgesamt nach Ansicht der Bundesarbeitsministerin von der Leyen erhöht werden soll, werden durch die Verteuerung allein nur der Lebensmittel aufgezehrt.

In diesem Jahr müssen sich die Verbraucher sogar auf noch höhere Ausgaben für Lebensmittel einstellen. Das sagte der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), Jürgen Abraham, auf der Eröffnungspressekonferenz der Internationalen Grünen Woche in Berlin. [2] Seiner Ankündigung ist zu entnehmen, daß die Lebensmittelkonzerne einen Teil der Preissteigerung von Agrarrohstoffen, die innerhalb des vergangenen Jahres um 40 Prozent teurer geworden sind, auf die Verbraucher abwälzen werden. Auch der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Gerd Sonnleitner, kündigte Preissteigerungen bzw. umgekehrt das Ende preiswerter Lebensmittel an.

Wenn diese beiden gut verdienenden Funktionsträger von moderaten Preissteigerungen sprechen, dann gehen sie von ihrem eigenen Geldbeutel oder zumindest dem des Durchschnittsverdieners aus. Für die Millionen Hartz-IV-Empfänger dagegen muß "moderat" mit "empfindlich" übersetzt werden. Ähnlich wie vor rund drei Jahren als unmittelbare Folge der Preisexplosion bei Grundnahrungsmitteln weltweit binnen kürzester Frist 100 Millionen Menschen zusätzlich dem Hunger überantwortet wurden, da sie einen großen Teil ihrer knappen Einnahmen für Essen ausgeben müssen, geraten auch Hartz-IV-Empfänger in Bedrängnis. Damit soll nicht behauptet werden, daß sie sich auf dem extrem niedrigen Versorgungsniveau der Hungernden in den Ländern des Südens bewegen, doch im Verhältnis zur übrigen Bevölkerung schlagen auch bei ihnen die Kosten für Lebensmittel besonders gravierend zu Buche.

Im Vermittlungsausschuß von Bundestag und Bundesrat, der sich zur Zeit mit der Hartz-IV-Reform befaßt, herrscht Stillstand. Beide Seiten können sich nicht einigen. Das liegt nicht an der tiefen Sorge der Oppositionsparteien um die "Hartzer", sondern am Superwahljahr 2011. Die SPD blockiert im Bundesrat die schwarz-gelben Pläne, um bei den Wählerinnen und Wählern verlorengegangenes Terrain wiederzugewinnen. Doch die haben womöglich nicht vergessen, daß unter SPD-Kanzler Schröder und seinem grünen Vize Fischer Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zusammengelegt wurden und die Agenda 2010 den Grundstein für die tendenzielle Verarmung und Drangsalierung großer Bevölkerungsteile, wie sie von der heutigen Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP weiter vorangetrieben wird, gelegt hat.

Mit der K-Frage versuchen diese Parteien unisono mit den ihnen verbundenen Mainstreammedien die Partei Die Linke, die eine erhebliche Aufstockung des Regelsatzes fordert, als angeblich nicht wählbar zu diskreditieren, weil beispielsweise einmal ein Stalin im Namen des Kommunismus eine Blutspur hinterlassen hat. Diese Permanentbezichtigung einer Partei, die zumindest den programmatischen Anspruch erhebt, sich für die Einkommensschwächsten der Gesellschaft einzusetzen, ist durchsichtig ... und zugleich so einfältig, daß es in der heutigen sarrazinierten Gesellschaft, in der der Sozialrassismus die Mitte der Gesellschaft erreicht hat, genauer gesagt, in der sich die bürgerliche Mitte keine Hemmungen mehr auferlegt, das auszusprechen, was bislang in ihrem Inneren geschlummert hat, selbst bei den potentiellen Opfern dieser Politik verfangen könnte.


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Quellen:
[1] "Preise für Nahrungsmittel 2010 gestiegen", Statistisches
Bundesamt (Destatis), Pressemitteilung Nr. 026, 20. Januar 2011

http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2011/01/PD11__026__611,templateId=renderPrint.psml

[2] "Ernährungsindustrie erwartet teurere Lebensmittel", Die Welt, 20. Januar 2011
http://www.welt.de/print/die_welt/wirtschaft/article12254894/Ernaehrungsindustrie-erwartet-teurere-Lebensmittel.html

20. Januar 2011