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USA/1228: Obama legt endlich seine Af-Pak-Strategie vor (SB)


Obama legt endlich seine Af-Pak-Strategie vor

Widersprüchliche Zielsetzung soll wahre Strategie verbergen


Nach monatelangen Beratungen hat Barack Obama in einer am gestrigen Abend landesweit im Fernsehen ausgestrahlten Rede, die er vor der Kulisse der berühmten Offiziersschmiede West Point im Bundesstaat New York hielt, die Strategie seiner Regierung für den Krieg in Afghanistan vorgelegt. Demnach soll bis zum kommenden Sommer die Zahl der in Afghanistan stationierten US-Soldaten von derzeit 71.000 um weitere 30.000 erhöht werden (Wie das Mammutunternehmen logistisch bewältigt werden soll, weiß derzeit niemand). Gleichzeitig kündigte Obama bereits für Juli 2011 den Beginn des Abzugs amerikanischer Streitkräfte aus Afghanistan und für Juli 2013 dessen Vollzug an. Nach Angaben des US-Präsidenten soll die als befristet geltende Truppenaufstockung dazu dienen, den derzeitigen Vormarsch der Taliban zu stoppen und die afghanische Armee und Polizei soweit auf Vordermann zu bringen - auf jeweils 240.000 und 160.000 Mann bis Oktober 2013 -, daß diese für die Sicherheit im eigenen Land sorgen und dadurch die ausländischen Streitkräfte - darunter rund 40.000 Soldaten aus befreundeten NATO-Staaten - wieder abziehen können.

Der Zeitpunkt für den Abzugsbeginn richtet sich eher nach politischen als nach militärischen Gesichtspunkten. 2012 möchte Obama für eine zweite Amtszeit wiedergewählt werden; im Sommer 2011 beginnt bereits der Präsidentschaftswahlkampf. Mit Bildern des Abzugs der ersten US-Soldaten aus Afghanistan - nach Beendigung einer erfolgreichen Mission, wohlgemerkt - will sich Obama den demokratischen Stammwählern, die seit langem ein Ende der US-Kriege am Hindukusch und im Irak fordern, und gemäßigten republikanischen Wählern, denen Amerikas Führungsrolle in der Welt über alles geht, empfehlen. Doch der angekündigte Abzug aus Afghanistan dürfte sich genauso als Hütchenspiel wie der aus dem Irak erweisen. Pentagon und Weißes Haus beabsichtigen, in beiden Ländern auf Jahrzehnte hinaus Stützpunkte mit Zehntausenden Soldaten und privaten Militärdienstleistern zu unterhalten. Als Vorwand dafür soll die Ausbildung der einheimischen Streitkräfte sowie deren Unterweisung in den Gebrauch und die Wartung amerikanischer High-Tech-Waffen - Kampflugzeuge, Kampfhubschrauber usw. - herhalten.

In seiner Rede erklärte Obama, wäre der Einsatz in Afghanistan für die nationale Sicherheit der USA nicht zwingend erforderlich, würde er Amerikas Soldaten gleich morgen abziehen. Dies ist natürlich Nonsens. Selbst wenn das Al-Kaida-"Netzwerk", wie von Obama behauptet, den nächsten Großanschlag gegen die USA plant, muß es nicht zwingend vom Hindukusch aus geschehen, sondern könnte von praktisch jedem beliebigen Ort auf der Welt ausgehen, zumal sich US-Militärangaben zufolge höchstens eine Handvoll Anhänger Osama Bin Ladens in Afghanistan aufhält. Inwieweit die Offensive der pakistanischen Streitkräfte gegen Taliban-Ziele im Grenzgebiet zu Afghanistan die Sicherheit Amerikas verbessern soll, bleibt auch schleierhaft, denn allen Berichten zufolge halten sich Mullah Mohammed Omar und die Führung der afghanischen Taliban in Quetta, der Hauptstadt der südwestpakistanischen Provinz Belutschistan bzw. in der Hafenstadt Karatschi am Indischen Ozean auf. Wie man anhand der empörten Reaktion der pakistanischen Bevölkerung sehen kann, trägt die Ausweitung des Afghanistankrieges eher dazu bei, das südliche Nachbarland, das bekanntlich über Atomwaffen verfügt, zu destabilisieren.

Nach allen bisherigen Erfahrungen dürfte die Entsendung weiterer US-Soldaten nach Afghanistan dafür sorgen, den Krieg dort eskalieren zu lassen, statt ihn zu beenden. Folglich handelt es sich in erster Linie um eine kosmetische Maßnahme. Obama demonstriert Stärke und Entschlossenheit, während vor Ort die Generäle David Petraeus und Stanley McChrystal versuchen mit Zuckerbrot und Peitsche die Aufständischen dazu zu bringen, den Kampf aufzugeben, damit anschließend Weißes Haus und Pentagon ab dem Sommer 2011 den großen Sieg oder zumindest die Wende zum Besseren verkünden können. Das heißt, "gemäßigte" Taliban sollen mit Geld und amtlichen Posten in den politischen Prozeß eingebunden werden, während McChrystals Spezialstreitkräfte Jagd auf alle Uneinsichtigen machen und diese sowie sonstige Besatzungsgegner liquidieren.

Im Grunde genommen ist das, was McChrystal und Petraeus in Afghanistan planen, eine Wiederauflage des berüchtigten Phoenix-Programms in Vietnam, das Tausende einfache Zivilisten, die in den Verdacht der Zusammenarbeit mit dem Vietkong geraten waren, das Leben kostete. Innerhalb militaristischer Kreise Amerikas glaubt man, daß man mit dem Phoenix-Programm Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre auf dem besten Weg war, den Krieg in Vietnam zu gewinnen, bis die Friedensbewegung und wankelmütige Politiker im Kongreß dem US-Militär in den Rücken fielen. In den kommenden Wochen und Monaten dürften die Afghanen und die Menschen im pakistanischen Grenzgebiet für die Langlebigkeit der amerikanischen Dolchstoßlegende teuer bezahlen. Ob sich die Taliban davon beeindrucken lassen, ist eine andere Frage. Eher dürfte man erwarten, daß die Brutalität der McChrystal-Aufstandsbekämpfungstaktiken noch mehr junge Afghanen in die Arme der Taliban treiben werden.

2. Dezember 2009