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USA/1234: Obamas Atomsicherheitsgipfel richtet sich gegen Iran (SB)


Obamas Atomsicherheitsgipfel richtet sich gegen Iran

Die USA sind einzig um den Erhalt ihres Supermachtstatus besorgt


Der jüngste Friedensnobelpreisträger und amtierende US-Präsident Barack Obama hat 46 Staats- und Regierungschefs zum großen zweitägigen Atomsicherseitsgipfel in Washington am 12. und am 13. April eingeladen, und bis auf einen sind alle gekommen. Ferngeblieben ist lediglich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu. Der Grund dafür ist einfach. Nimmt man die offiziellen Verlautbarungen der US-Regierung wörtlich, dann sollen der Washingtoner Mammutgipfel wie zuvor die Veröffentlichung der neuen Nukleardoktrin des Pentagons am 6. April und die Unterzeichnung des Neuen START-Abkommens zur Reduzierung der amerikanischen und russischen Kernwaffenarsenale durch Obama und seinen Amtskollegen Dmitri Medwedew am 8. April in Prag sowie die für Mai geplante, internationale Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrages dazu dienen, den Iran diplomatisch zu isolieren und dermaßen unter Druck zu setzen, daß Teheran im sogenannten Atomstreit kleinbeigibt. Nicht wenige Länder, darunter die Türkei, die im Atomstreit zu vermitteln versucht, finden das ungerecht und wollten auf Obamas großem PR-Gipfel Israels Atomwaffen thematisieren. Damit es in Washington zu keinerlei Gleichsetzung der von Israels realexistierendem Kernwaffenarsenal ausgehenden Gefahr mit der Bedrohung, die aus den angeblichen Bemühungen der Iraner um die Entwicklung solcher Kriegsgeräte resultiert, kommt, hat der Likud-Chef entschieden, zu Hause zu bleiben.

Wie sehr der Washingtoner Gipfel im Zeichen der Eskalationsstrategie der USA gegenüber dem "Mullahregime" steht, kann man am breiten Raum erkennen, den Politik und Medien im Westen der Frage zukommen lassen, ob die Teilnahme des chinesischen Präsidenten Hu Jintao als Signal gewertet werden dürfe, daß Peking endlich bereit ist, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auf sein Veto zu verzichten und die von der Obama-Regierung geforderten, "schweren" Sanktionen gegen den Iran mitzutragen. Nach dem neunzigminütigen Vieraugengespräch zwischen Obama und Hu am 12. April deutete das Weiße Haus an, Peking habe sich der Position Washingtons angenähert. Aus der chinesischen Delegation dagegen war zu hören, man sei in der Iranfrage zur Teilnahme an der Diskussion mit den anderen Vetomächten des UN-Sicherheitsrats plus Deutschland lediglich bereit, halte Sanktionen nach wie vor für keine gute Idee und plädiere deshalb für eine Verhandlungslösung.

Die Chinesen, wie übrigens auch die Russen, stehen Sanktionen skeptisch gegenüber, weil die Chancen, daß auf diesem Weg die Regierung in Teheran zur Kapitulation gegenüber seinen Erzfeind bewegt werden kann, gleich null sind. Die Iraner weisen die Unterstellung, hinter ihrem zivilen Kernenergieprogramm bastelten sie heimlich an der Atombombe, als böswillige Behauptung zurück. Und da die Inspekteure der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA) bei ihren Kontrollbesuchen im Iran bis heute keine Abzweigung irgendwelchen Spaltmaterials zu militärischen Zwecken haben feststellen können, beharrt Teheran auf dem Recht der Islamischen Republik als Unterzeichnerstaat des Nichtverbreitungsvertrages auf die Beherrschung des kompletten nuklearen Kreislaufes und lehnt auch deshalb die vor allem von den USA geforderte Einstellung der Urananreicherung kategorisch ab. Vor diesem Hintergrund befürchtet man in Moskau und Peking, daß Sanktionen die Konfrontation am Persischen Golf verschärfen und, sollten sie nicht den gewünschten Effekt erzielen, die USA aus Gründen der Glaubwürdigkeit zu einem Waffengang verleiten könnten.

Die Position, welche die Obama-Regierung mit der neuen Nuklear Posture Review (NPR) eingenommen hat, läßt diese Befürchtungen real erscheinen. In der neuen Doktrin wird der Iran als einziges Land ausdrücklich genannt, gegen das einen Atomangriff durchzuführen, die USA bereit wären, obwohl es selbst über keine Nuklearwaffen verfügt. Zur Begründung wird behauptet, das Verhalten des Irans im Atomstreit verstoße gegen die Verpflichtungen Teherans nach dem Nicht-Verbreitungsvertrag. Die Dreistigkeit der Amerikaner muß man bewundern, verstoßen sie doch seit Jahren durch die Weigerung, ihrer eigenen Verpflichtung nachzukommen, nämlich für die Abschaffung ihres Nukleararsenals zu sorgen, gegen dasselbe Abkommen und zwar in weit größeren Ausmaß als die Iraner. Wegen der jüngsten offenen Drohung der USA mit einem Nuklearangriff hat Teheran eine formelle Protestnote an die Adresse der Vereinten Nationen in New York gerichtet und eine Verurteilung Washingtons durch die "internationale Gemeinschaft" gefordert.

Nach der Veröffentlichung der NPR und der Unterzeichnung des Neuen START-Vertrages, der die Reduzierung der amerikanischen und russischen Bestände an Atomsprengköpfen um 30 Prozent auf jeweils 1550 und die der Trägersysteme - strategische Bomberflugzeuge sowie land- und seegestützte, ballistische Raketen - auf jeweils 800 vorschreibt, lobten viele Kommentatoren die Friedensbemühungen Obamas und seine Abkehr von der unilateralistischen Cowboy-Politik seines Vorgängers George W. Bush. Weit nüchterner beurteilte Stephen M. Walt die neue US-Atomwaffenpolitik. In einem Beitrag, der am 6. April auf der Website der Zeitschrift Foreign Policy erschienen ist, hat der angesehene Professor für Internationale Beziehungen an der John F. Kennedy School of Government der Universität Harvard die Nuclear Posture Review als "Nukleare PR" abgewertet. Vor allem die Ankündigung der Obama-Regierung, kein Land - außer den Iran - mit Atombomben anzugreifen, das nicht über solche Waffen verfügt, tat Walt als "im Grunde genommen bedeutungslos" ab und erläuterte seine Schlußfolgerung so:

Unabhängig davon, was die US-Regierung in Bezug auf ihre nukleare Strategie erklärt, kann kein potentieller Gegner mit Zuversicht annehmen, daß die USA im Falle einer Krise oder eines Krieges an ihrer erklärten Politik festhalten werden. Gehörten Sie der Führung eines Landes an, die mit dem Gedanken spielte, einen großen konventionellen Angriff auf einen wichtigen Verbündeten oder ein wichtiges Interesse der USA zu starten, oder den Einsatz von chemischen oder biologischen Waffen in einer Situation erwägen würde, in der die Vereinigten Staaten verwickelt sein könnten, kämen Sie zu dem Schluß, daß man es gefahrlos tun könnte, nur weil Obama 2010 erklärt hatte, die USA würden in einer solchen Situation Atomwaffen nicht benutzen? Natürlich würden Sie das nicht tun, denn es hindert nichts die USA daran, ihre Meinung zu ändern. Sie müßten sich Sorgen machen, die Vereinigten Staaten würden entscheiden, daß die Interessen, die auf dem Spiel stünden, es wert wären, atomar zu drohen und vielleicht sogar eine Nuklearwaffe einzusetzen, und daß es keine Rolle spielte, was in der posture review stand oder Politiker irgendwelchen Journalisten erklärt hätten.

Es dauerte nur wenige Tage, bis US-Außenministerin Hillary Clinton, die zusammen mit Verteidigungsminister Robert Gates als profiliertester Kriegsfalke der Obama-Regierung gilt, bei einem Gang durch die wichtigsten allsonntäglichen Politrunden des US-Fernsehens die Richtigkeit von Walts Einschätzung bewies. In der CBS-Sendung "Face the Nation" entlarvte sie mit folgendem Satz die neue Selbstbeschränkung der USA hinsichtlich des Einsatzes von Atomwaffen als Mogelpackung: "Wenn bewiesen werden könnte, daß ein Anschlag mit biologischen Waffen gegen uns von einem feindlichen Staat ausginge, dann zählten keine Wetten mehr." Bei einem Auftritt in der ABC-Sendung "This Week" verwies sie auf die fünf Milliarden Dollar, welche Washington allein dieses Jahr für die Instandsetzung des US-Atomwaffenarsenals ausgeben wird, und machte sich für dessen Erhalt stark: "Wir werden, ... wie wir es immer gewesen sind, stärker als jeder andere auf der Welt sein, mit einem Vielfachen dessen an Kernwaffen, was überhaupt nötig ist."

Wie Eli Saslow am 13. April in der Washington Post unter der Überschrift "Top officials stress country's nuclear strength" erklärte, dienten die Äußerungen der ehemaligen First Lady und ähnliche Zusicherungen des Ex-CIA-Chefs Gates dazu, die Hardliner auf dem Kapitol, ohne deren Unterstützung Obama im Senat die erforderliche Zweidrittelmehrheit für die Ratifizierung des Neuen Start-Vertrages und des Atomwaffenteststoppabkommens nicht werde zustande bekommen können, zu besänftigen. Wie die "Amerika über alles"-Fraktion im Kongreß tickt, läßt sich Stellungnahmen entnehmen, die am nämlichen Sonntag, in einer anderen Politsendungen, in diesem Fall war es "Fox News Sunday", der ehemalige demokratische und heute unabhängige Senator Joe Lieberman aus Massachusetts und der republikanische Senator Lamar Alexander abgaben.

Lieberman erklärte, Obama würde die nötigen neun republikanischen Stimmen für die Ratifizierung des Neuen START-Vertrages nur zusammenbekommen, wenn er konkrete Schritte zur Modernisierung des US-Atomwaffenarsenals einleite und zudem erkläre, daß die Vorbehalte Rußlands gegenüber dem umstrittenen Raketenabwehrsystem des Pentagons für Washington "inakzeptabel" seien. Täte Obama letzteres, würden sich die Russen eventuell gänzlich vom Neuen START-Abkommen zurückziehen, was auch der Kalte-Krieger Lieberman ganz genau weiß. Alexander gab sich seinerseits gelassen ob der Verringerung des amerikanischen Atomsprengkopfarsenals mit dem flappsigen Spruch: "Schauen Sie mal, selbst bei einer Reduktion der Anzahl der einsatzbereiten Nuklearwaffen auf 1500 haben wir genug, um alle Welt ins Jenseits zu befördern, sollte wir uns dazu entschließen." Selbst wenn Obama alle Atomwaffen tatsächlich abschaffen wollte, würden die Clintons, Gates', Liebermans und Alexanders dieser Welt dafür sorgen, daß er sein Ziel nicht verwirklicht.

13. April 2010