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USA/1238: Obama entsendet Nationalgarde an die Grenze zu Mexiko (SB)


Primat der Sicherheitspolitik zementiert das Regime der Abschottung


Nach Lesart der Historiker geht der Grenzschutz im Südwesten der USA auf einen Texas Ranger namens Jeff Milton zurück, der zu der Meute gehört haben soll, die Geronimo nach jahrelanger Jagd zur Strecke brachte. Widerwärtig genug, einen solchen Mann als Helden zu verklären, stilisierte man ihn überdies zum einsamen Reiter hoch, der in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in unermüdlicher Wacht an der jungen Grenze zu Mexiko patrouillierte, dem man einen riesigen Teil seines früheren Territoriums geraubt hatte. Eine 1948 erschienene Biographie Jeff Miltons trug denn auch den programmatischen Untertitel "A Good Man With a Gun", womit die Ausrottung der Ureinwohner und der Landraub großen Stils als wesentlichste Leistungen amerikanischen Pioniergeistes gefeiert wurden.

Diesen Texas Ranger als Urvater aller Grenzschützer vorzuhalten, mag zwar wie alle Geschichtsschreibung eine mehr oder weniger willkürliche Interpretation sein, doch ist ihr Symbolgehalt immerhin recht aufschlußreich, was den grundsätzlichen Charakter der territorialen Abgrenzung betrifft. Im Zuge ihrer Expansion haben die späteren Vereinigten Staaten Völker verdrängt und vernichtet und somit ihr Wachstum aus diesem Blutfluß und Raub genährt. Es bleibt indessen Wesensmerkmal allen Eigentums, seine räuberische Herkunft zu unterschlagen und vergessen zu machen, worauf dieser gewaltsam angeeignete Besitzstand zu einem schützenswerten Gut erklärt und verteidigt wird.

Bezeichnenderweise erschöpft sich die Kontroverse um die Abschottung der Grenzen zumeist in der Debatte, ob man das eigene Land als Garant des erreichten Besitzstands und Lebensstils rigoros verteidigen und versiegeln oder dem anbrandenden Elendsheer gewisse Almosen gönnen sollte. In beiden Fällen wird die grundsätzliche Verbindung zwischen ausbeutungsgenerierter Not und daraus genährtem Wohlstand nicht in der Konsequenz gezogen, daß man sich mit dem Migranten als einer wesentlichen Source des eigenen Überlebens konfrontiert.

Als der damalige Chef des US-Grenzschutzes, David V. Aguilar, im Frühjahr 2006 vor dem Kongreß für höhere Haushaltsmittel warb, formulierte er das Selbstverständnis seiner Behörde mit folgenden Worten: "Der Zusammenhang zwischen unserem Auftrag nach dem 11. September und unserer traditionellen Funktion ist eindeutig und klar. Terroristen und Gewaltverbrecher können auf den Schmuggelrouten illegaler Migranten in die Vereinigten Staaten eindringen und uns Schaden zufügen." Diese Praxis, Einwanderung in einem Atemzug mit "Terrorgefahr" und Bandenkriminalität zu nennen, hatte System. Wenngleich es keine glaubwürdig belegten Fälle über die Südgrenze eingedrungener Anschlagsplaner gab, wurde diese nicht existente Bedrohung als zentraler Hebel zur Rechtfertigung des verschärften Grenzregimes angesetzt.

Einwanderung wurde nicht länger vorrangig als soziale Frage, sondern als Sicherheitsrisiko behandelt. Diese veränderte Definition war folgenschwer, entsorgte sie doch die Erwägung, ob und in welchem Ausmaß reiche Gesellschaften wie die der USA in der Pflicht stehen, arbeitsuchenden Menschen aus armen Ländern Lohn und Brot zu gewähren. Gab es im sozialen Kontext gute und nachvollziehbare Gründe der Migration, so wurden diese systematisch ausgeblendet, wenn man die Ankömmlinge vordringlich als Gefahrenpotential einstufte, das abzuwehren selbstverständliches Recht, ja sogar Pflicht der Regierung zum Schutz der Bürger sei.

Unter der Bush-Administration schritt die Militarisierung der US-amerikanischen Gesellschaft auch an der Südgrenze mit Riesenschritten voran. Der damalige nationale Sicherheitsberater Stephen J. Hadley erklärte, der Präsident unternehme alles, was in seiner Macht stehe, um die Grenze zu sichern, denn genau das erwarte das amerikanische Volk von ihm. Im Rahmen der Operation "Jump Start" nahmen im Juni 2006 in vier Bundesstaaten die ersten Kontingente der Nationalgarde ihre Arbeit auf, die Präsident Bush zur Unterstützung des Grenzschutzes entsandt hatte. Vordergründig ging es dabei um eine Überbrückung der Zeit, die für Einstellung und Schulung im Rahmen der personellen Aufstockung des regulären Dienstes benötigt wurde. Strategisch handelte es sich jedoch um die Ausweitung militärischer Präsenz im Kontext der Einwanderungspolitik wie auch deren Akzeptanz in der Bevölkerung.

Um Einwände aus dem Feld zu schlagen, betonte man ein ums andere Mal, daß die Nationalgardisten in der Regel unbewaffnet tätig seien und keine hoheitlichen Funktionen wie Festnahmen oder Inhaftierungen ausübten. Das bleibe allein Aufgabe des Grenzschutzes, der dafür zuständig und ausgebildet sei. Die Hilfstruppe schob Dienst an den Monitoren der Überwachungskameras, baute Straßen, errichtete Sperrzäune oder stellte Beobachtungsposten und entlastete so das Stammpersonal in den Bundesstaaten Kalifornien, Arizona, Texas und New Mexiko, das sich verstärkt dem Patrouillendienst widmen konnte.

Da sich unter den Migranten rasch herumgesprochen hatte, welche Grenzabschnitte mit Truppen der Nationalgarde verstärkt wurden, wich der Hauptstrom nach Norden umgehend auf andere Routen aus. Das galt um so mehr für die Schleuser und Drogenkuriere, die das Geschehen nördlich der Grenze nicht minder aufmerksam durch ihre Ferngläser sondierten, Erkundigungen einholten und entsprechende Konsequenzen zogen. Leidtragende waren wie immer die Arbeitsmigranten, die noch gefährlichere Wege nehmen und noch höhere Preise für die Schleuser bezahlen mußten als zuvor.

Die befristete Stationierung der rund 6.000 Nationalgardisten an der Grenze zu Mexiko löste im Nachbarland zwangsläufig Besorgnis aus. Beschwichtigend versicherte George W. Bush seinem Amtskollegen Vicente Fox in einem Telefongespräch, man plane keine Militarisierung der Grenze und wolle die Soldaten nur für einen begrenzten Zeitraum zur Verstärkung der Grenzpatrouillen einsetzen. Wie aus dem Weißen Haus ohne den geringsten Anflug von Ironie verlautete, habe der Präsident unterstrichen, daß die Vereinigten Staaten dem Nachbarn Mexiko in Freundschaft verbunden seien. Der mexikanische Staatschef verlieh in diesem Gespräch erneut seiner Überzeugung Ausdruck, daß eine umfassende Einwanderungsreform das beste Mittel sei, um das Problem der illegalen Migration zu bewältigen.

Fox hatte dieses Thema bei seinem Amtsantritt zum Kernstück seiner Agenda gemacht, doch biß er nach dem 11. September 2001 bei den USA mit der Forderung auf Granit, das Millionenheer seiner Landsleute, die ohne gültige Papiere im Nachbarland lebten und arbeiteten, zu legalisieren. Als die Bush-Administration dazu überging, die Grenze noch stärker abzuschotten, und keinerlei Anstalten machte, den Status der Migranten aufzubessern, kühlte das diplomatische Klima zwischen den Nachbarländern merklich ab. Dennoch blieb Vicente Fox seinem Wunsch nach verstärkter Zusammenarbeit mit den USA treu und unterstützte die Mehrzahl der Maßnahmen zur Verstärkung des Grenzschutzes auf US-amerikanischer Seite, was ihm im eigenen Land wie auch in Lateinamerika insgesamt weithin übelgenommen wurde.

Vor wenigen Tagen gab die US-Regierung bekannt, daß nun zum zweiten Mal binnen weniger Jahre die Nationalgarde an der Grenze zu Mexiko eingesetzt wird. Die Pläne der Obama-Administration sehen vor, bis zu 1.200 Soldaten der Reservetruppe nach Bedarf zu entsenden, um den Schmuggel von Drogen und Waffen zu bekämpfen und die irreguläre Einwanderung zu unterbinden. Die mexikanische Regierung des konservativen Präsidenten Felipe Calderón begrüßte diese Maßnahme als Unterstützung im Kampf gegen die Drogenkartelle, deren Aufrüstung mit Waffen aus den USA zu den Hauptproblemen seines Landes zähle. Natürlich mahnte die mexikanische Regierung an, daß sich der Einsatz der Nationalgarde nicht vorrangig gegen Einwanderer ohne offizielle Papiere richten dürfe, doch mutete diese Anmerkung eher wie ein obligatorisches Feigenblatt an, das den fortgeschrittenen Konsens im sicherheitspolitischen Schulterschluß kaschieren sollte.

Im parteipolitischen Gezänk zwischen Regierung und Opposition gilt die Maßnahme Obamas als Konzession an die Republikaner, mit der er deren Blockade einer Reform der Einwanderungspolitik aufzuweichen hofft. Manchen Vertretern des erzkonservativen Lagers wie dem Senator des Bundesstaates Arizona, John McCain, geht die geplante Mobilisierung jedoch nicht weit genug. Dieser fordert die Entsendung von 6.000 Soldaten wie seinerzeit unter Bush und hält die finanzielle Bemittelung des Grenzschutzes, die der Präsident aufgestockt hat, für unzureichend. Dessen ungeachtet zeichnet sich auch auf dem Feld verschärfter Grenzsicherung ab, daß Obama den eingeschlagenen Kurs seines Amtsvorgängers ungebrochen fortsetzt und das Primat der Sicherheitspolitik in der Einwanderungsfrage perfektioniert.

Im Kontext des von den USA im Rahmen der Merida-Initiative subventionierten "Antidrogenkriegs" der mexikanischen Regierung, dem seit 2006 mehr als 22.700 Menschen zum Opfer gefallen sind, verfestigt sich das Grenzregime mehr denn je zur Abschottung der Demarkationslinie, die das in Mexiko aufgestaute Heer der Armutsmigration von den Fleischtöpfen fernhalten soll. Während Felipe Calderón mit 50.000 Soldaten den Hexenkessel aufheizt, in dem die soziale Frage bis zur Unkenntlichkeit verrührt und die aufbrodelnde Hungerrevolte verkocht werden soll, sorgt Barack Obama mit seinen Nationalgardisten dafür, daß diese Brühe nicht ins Land der Tapferen und Freien herüberschwappt.

3. Juni 2010