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USA/1239: Kongreß verteidigt Israels Angriff auf Freedom Flotilla (SB)


Kongreß verteidigt Israels Angriff auf Freedom Flotilla

Israel-Lobby beherrscht Amerikas Diskussion um Mittelmeer-Massaker


In Europa sind die offiziellen Reaktionen auf den Überfall der israelischen Marine auf einen mit Hilfsgütern für die Menschen im Gazastreifen beladenen Schiffskonvoi am 31. Mai in internationalen Gewässern im östlichen Mittelmeer einhellig gewesen. Während der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan, aus dessem Land acht der neun Todesopfer stammten, von "Staatsterrorismus" sprach, bezeichnete selbst David Cameron, der neue konservative Premierminister Großbritanniens, der als als pro-israelisch gilt, das Vorgehen des unter dem Befehl von Verteidigungsminister General a. D. Ehud Barak stehenden Spezialkommandos als "völlig inakzeptabel". Die Position der US-Regierung hob sich jedoch von der der anderen NATO-Staaten durch ihre Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten Tel Avivs deutlich ab. Präsident Barack Obama brachte lediglich sein Bedauern über das "Blutvergießen" zum Ausdruck, enthielt sich jedoch gleichzeitig jeder Kritik am israelischen Verbündeten. Vor dem Hintergrund der von Ankara einberufenen Krisensitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in der Nacht vom 31. Mai auf den 1. Juni rief die US-Außenministerin Hillary Clinton zu allgemeiner Besonnenheit auf und räumte dabei ein, Israels Erstürmung der sogenannten Freiheitsflottille hätte die Obama-Administration in eine "sehr schwierige Position" gebracht.

Die Schwierigkeiten vom Weißen Haus und State Department erstrecken sich nicht allein auf das außenpolitische Problem, wie man die Gemüter der Westeuropäer beruhigen und für eine Aussöhnung zwischen dem NATO-Verbündeten Türkei und Israel sorgen kann, sondern haben auch eine bedeutende innenpolitische Dimension. Auf dem Kapitol, wo die große Mehrheit der Kongreßabgeordneten und Senatoren auf die Interessen der finanzkräftigen zionistischen Lobby stets Rücksicht nimmt, lösten die Nachrichten vom Massaker im Mittelmeer, wie nicht anders zu erwarten gewesen wäre, eine Welle der Solidarität mit Israel und dessen leidgeprüften Marinesoldaten aus. Im November stehen alle Sitze im Repräsentantenhaus und ein Drittel der Senatorenposten zur Wahl. Folglich boten die Ereignisse um den Gaza-Schiffskonvoi den oppositionellen Republikanern eine gute Gelegenheit, durch Treuebekenntnissen zur Waffenbruderschaft Israel-USA den Spendenfluß aus zionistischen Kreisen anzukurbeln, während die Demokraten dem in nichts nachstehen wollten. Einige Beispiele der zahlreichen pro- israelischen Erklärungen amerikanischer Politiker sollten genügen.

In einer ersten Stellungnahme behauptete am 31. Mai Sten Hoyer, Führer der demokratischen Mehrheitsfraktion im Repräsentantenhaus, die Israelis hätten lediglich "völlig zurecht von ihrem Recht" auf Selbstverteidigung Gebrauch gemacht, für das Blutvergießen an Bord der türkischen Fähre Mavi Marmara seien "Extremisten" verantwortlich gewesen, die "auf eine gewaltätige Konfrontation aus gewesen" seien. Die Obama-Regierung und der Kongreß seien "entschlossen", eine Verurteilung Israels durch den UN-Sicherheitsrat zu verhindern. Auch für Gary Ackerman, den demokratischen Vorsitzenden des außenpolitischen Ausschusses des Repräsentantenhauses, trugen die Friedensaktivisten für den Tod ihrer neun Gesinnungsgenossen "die alleinige Schuld und Verantwortung". Die Organisatoren des Schiffskonvois hätten eine "Provokaktion", von der die palästinensische Hamas profitieren sollte, herbeiführen wollen, um "Israels Existenzrecht zu delegitimieren". Die israelischen Marinestreitkräfte seien "in rechtlicher Mission" unterwegs gewesen, um "Israels und Ägyptens legitime Abriegelung des von Terroristen kontrollierten Gazas" aufrechtzuerhalten, so Ackerman.

Ihrerseits verstiegen sich die Republikaner zu der abstrusen Behauptung, Obama sei dafür verantwortlich, daß die Israelis in eine für sie pr-technisch ungünstige Notwehrsituation geraten waren. In dem er die Regierung Benjamin Netanjahus unter Druck setze, Frieden mit den Palästinensern zu machen, hätte er die Gegner Israels - in diesem Fall die Free-Gaza-Bewegung zu ihrer Abenteuerreise - ermutigt. Diese These setzte John McCain, Obamas Gegner bei der Präsidentenwahl, der im Herbst seinen Senatorenposten verteidigen muß, bei einem Auftritt am 1. Juni im nationalkonservativen Nachrichtensender Fox News in die Welt. Darüber hinaus warf McCain Obama vor, Amerikas vermeintlich wichtigsten Verbündeten in der aktuellen Kontroverse um die Free-Gaza-Flottille nicht energisch genug verteidigt zu haben. "Tatsache ist, daß diese Nation [früher] Israel zur Seite stand. Und nun sind die Leute rund um die Welt, einschließlich der Feinde Israels, nicht mehr so sicher, ob das noch gilt", so der ehemalige Marineflieger des Vietnamkrieges.

So seltsam, wie es auch klingen mag, das Weiße Haus sah sich offenbar genötigt, sich gegen dererlei Humbug zu verteidigen. Auf der täglichen Pressekonferenz stellte am 1. Juni der Obama-Sprecher Robin Gibbs, nach eigenen Angaben wie er es bereits "unzählige Male getan" hat, "ganz klar" fest, daß "die Vereinigten Staaten und Israel eine Vertrauensbeziehung" haben, daß "Israel ein wichtiger Verbündeter" ist, daß die USA seine "Sicherheit enorm unterstützen", und daß sich "daran nichts ändern" wird. Um eventuelle Restzweifel an der Verbundenheit der Obama-Regierung mit Israel auszuräumen, gab am 2. Juni Vizepräsident Joseph Biden, der von sich bebauptet, man müsse nicht zwingend jüdischen Glaubens sein, um ein überzeugter Zionist sein zu können, dem Fernsehsender PBS ein bemerkenswertes Interview, in dem er gegenüber dem Moderator Charlie Rose erklärte, die Friedensaktivisten hätten die humanitären Güter im israelischen Ashdod zum Weitertransport nach Gaza aufgeben können; er verstehe ganz und gar nicht, warum überhaupt so "eine große Sache" um die Abriegelung des palästinensischen Gebietes gemacht werde.

An den Dauersolidaritätsbekundungen aus Washington für das angeblich zu Unrecht von der übrigen Welt kritisierte Israel wird die Nachricht, daß sich unter den neun Getöteten des Free-Gaza-Schiffskonvois ein neunzehnjähriger US-Bürger türkischer Abstammung namens Furkan Dogan befand, der durch vier Kopfschüsse und einen Schuß in die Brust umgebracht wurde, nichts ändern. Bereits am dritten Tag des Sechstagekrieges im Jahre 1967 haben die israelischen Streitkräfte das US-Spionageschiff Liberty vor der Mittelmeerküste Sinais angegriffen, 34 Besatzungsmitglieder getötet und 171 verletzt. Von der NSA abgefangene Funksprüche belegen, daß die Israelis wußten, daß es sich um ein amerikanisches Schiff handelte. Sie wollten die Liberty vermutlich versenken, um den Angriff den Ägyptern in die Schuhe zu schieben. Ein letzter Notruf der Liberty, der die 6. US-Flotte im Mittelmeer doch noch erreichte, hat diesen Plan zunichte gemacht und die Israelis dazu veranlaßt, den Angriff abzubrechen. Später behaupteten sie, sie hätten die Liberty trotz ihrer riesigen US-Flagge mit einem ägyptischen Truppentransporter verwechselt. Mit der Hilfe des Weißen Hauses Lyndon B. Johnstons, dem Pentagon Robert McNamaras und dem damals demokratisch dominierten Kongreß kamen sie mit dieser Notlüge durch.

4. Juni 2010