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USA/1261: Friedenaktivisten werden als Terrorhelfer verfolgt (SB)


Friedenaktivisten werden als Terrorhelfer verfolgt

Behörden reagieren auf Kritik an US-Außenpolitik immer nervöser


Trotz des offiziellen Abzugs der "Kampftruppen" aus dem Irak stecken die USA dort mit 50.000 Soldaten und in Afghanistan mit 110.000 in langwierigen Kriegen fest, deren Ende noch nicht absehbar ist. Der Militäreinsatz im Mesopotamien und am Hindukusch kostet die wirtschaftlich schwächelnden USA eine Menge Geld, das man zu Hause besser nutzen könnte, zum Beispiel für die Erneuerung der veralteten Infrastruktur - vom kräftigen Zuwachs der Staatsverschuldung ganz zu schweigen. Die Unfähigkeit der Streitkräfte der USA und ihrer NATO-Verbündeten, trotz nunmehr neun Jahren Krieg in Afghanistan die ständig stärker werdenden Taliban zu besiegen, hat hinter den Kulissen in Washington eine politische Krise ausgelöst, deren Ausmaß der berühmte Journalist Bob Woodward mit seinem jüngsten Buch, "Obama's Wars", vor wenigen Tagen publik machte. Präsident Barack Obama und sein Vizepräsident Joseph Biden hätten längst die meisten Soldaten aus Afghanistan abgezogen und wären dazu übergegangen, den "Antiterrorkrieg" gegen Al Kaida per CIA-Drohnenangriffe und Einsätze der Spezialstreitkräfte zu führen, wäre da nicht die US-Generalität um den Vorsitzenden der Vereinigten Stabschefs, Admiral Michael Mullen, und den früheren CENTCOM-Chef General David Petraeus, die, von den beiden wichtigsten Kriegsfalken im Kabinett, Verteidigungsminister Robert Gates und Außenministerin Hillary Clinton, unterstützt, auf dem Schlachtfeld Af-Pak - Pentagonsprech für Afghanistan-Pakistan - auf massive Truppenaufstockung und Kriegseskalation gesetzt haben.

Angesichts dieser verzwickten Lage liegen die Nerven blank. Wegen Obamas Unfähigkeit, die Überdehnung des US-Militärimperiums im Ausland nennenswert zurückzufahren und im Inland für wirtschaftlichen Aufschwung zu sorgen, droht den Demokraten bei den Zwischenwahlen für den Kongreß im November eine schwere Niederlage. Aus Enttäuschung wollen viele Wähler der Demokraten laut Umfragen dem Urnengang fernbleiben. Bei der Republikanern sieht es anders aus. Sie erfreuen sich durch die rechtslastige washingtonkritische Tea-Party-Bewegung neuer Impulse. Gut möglich, daß es den Republikanern um die neue Galionsfigur Sarah Palin, der ehemaligen Gouverneurin von Alaska und "running mate" John McCains bei der Präsidentenwahl 2008, bei entsprechender Mobilisierung ihrer Wählerschaft gelingen wird, die Mehrheit nicht nur im Repräsentantenhaus, sondern auch noch im Senat zu erobern.

Ungeachtet des Ausgangs der Neuvergebung aller Sitze im Repräsentantenhaus und eines Drittels der Sitze im Senat sowie der Frage, ob Obama die Wiederwahl zum Präsidenten 2012 schafft oder nicht, ist in den USA die Suche nach den Schuldigen für die wirtschaftliche Misere des Landes und die militärische Schmach in Afghanistan längst ausgebrochen. Gemäß der über Jahre von den Republikanern und konservativen Teilen der Medien zum herrschenden Konsens erhobenen Dolchstoßlegende, die US-Streitkräfte hätten den Vietnamkrieg gewonnen, wäre ihnen an der Heimatfront die Friedensbewegung nicht in den Rücken gefallen, kann diese Suche nur zu dem einen Ergebnis führen: die Kriegsgegner leisten Amerikas Feinden - diversen "Terrororganisationen" und "Schurkenstaaten" wie dem Iran und Nordkorea - durch ihre Dauerkritik an der Außen- und Sicherheitspolitik Washingtons wichtige Hilfe im "Kampf um die Köpfe". Ihnen müßte das Handwerk gelegt werden, wollte Amerika den Krieg an der Heimatfront - laut Möchtegern-Meisterstrategen wie Petraeus und dem früheren Pentagonchef Donald Rumsfeld der wichtigste Kriegsschauplatz überhaupt - gewinnen.

Wie frühere Skandale um die polizeiliche Ausspähung von Kriegsgegnern in Pittsburgh und Philadelphia zeigen, hatte unter George W. Bush im Verborgenen die Kriminalisierung der Friedensbewegung längst begonnen. Unter Obama wird nun diese Diskriminierung offener und unverhohlener fortgesetzt, wie die jüngsten Razzien in Minneapolis und Chicago - letzteres Heimatstadt des ersten schwarzen Präsidenten Amerikas - demonstrieren. Um sieben Uhr morgens Ortszeit des 24. September haben schwerbewaffnete Mitglieder der Joint Terrorism Task Force (JTTF) des FBI in Minneapolis sechs und in Chicago zwei Wohnungen langjähriger und bekannter Friedensaktivisten gestürmt, unter Verweis auf einen Durchsuchungsbefehl die Inneneinrichtung auf den Kopf gestellt und anschließend alles an Fotos, Computerdateien und Schriftmaterial, was sie finden konnten, mitgenommen. Zur Begründung der Aktion hieß es, man sei auf der Suche nach "Beweisen für Aktivitäten bezüglich der materiellen Unterstützung des Terrorismus" bzw. "für Verbindungen zu terroristischen Gruppen" wie der kolumbianischen Rebellenarmee FARC, der palästinensischen PLFP und Hamas-Bewegung sowie der schiitisch- libanesischen Hisb Allah.

Zu den Gruppen, deren Mitglieder das martialische Eindringen der Staatsgewalt in das eigene Zuhause erleben mußten, gehörten in Minneapolis die marxistisch-leninistische Freedom Road Socialist Organization (FRSO) und das Twin Cities Antiwar Committee sowie in Chicago das Arab American Action Network (AAAN) und die Palestine Solidarity Group. Mehrere der Betroffenen haben eine Vorladung zum Erscheinen vor einer Grand Jury am 5. Oktober erhalten. Gut möglich, daß ihnen Reisen in die besetzten Gebiete Palästinas bzw. nach Kolumbien und Treffen oder Gespräche mit linken Aktivisten vor Ort oder sogar Geldüberweisungen an irgendwelche muslimischen Wohltätigkeitsorganisationen als "materielle Unterstützung" des "Terrorismus" zur Last gelegt werden. Die Razzien in Minneapolis und Chicago sind als eindeutige Einschüchterungsmaßnahme und Kampfansage des FBI an die Adresse der US-Friedensbewegung zu bewerten. Nicht zufällig erfolgten sie nur vier Tage nach Erscheinen eines 209seitigen Berichtes, in dem der FBI-Generalinspekteur Glenn Fine die illegale Ausspähung von Kriegsgegnern und die Vertuschung derselben - unter anderem durch Belügen des Kongresses im Jahr 2006 - heftig kritisiert hatte.

In einer am 25. September bei HuffingtonPost.com erschienenen Stellungnahme hat die ehemalige FBI-Spezialagentin Coleen Rowley, deren Versuche nach der Verhaftung Zacarias Moussaouis am 16. August 2001 in der Nähe von Minneapolis mehr über den sonderbaren französisch-marokkanischen Flugschüler zu erfahren, um einen eventuellen Anschlag auf das New Yorker World Trade Center zu verhindern, von den Vorgesetzten in Washington bekanntlich blockiert wurden, die Razzienwelle gegen die Friedensbewegung als eine "Schande" bezeichnet. Rowley erläuterte das den Razzien zugrundeliegenden Denken auf der Seite der Behördenvertreter unter Verweis auf Äußerungen des Sprechers des California Anti-Terrorism Information Center (CATIC), Mike Van Winkle, aus dem Jahr 2003. Damals hatte Van Winkle die Ausspähung von Friedensaktivisten wie folgt begründet: "Es ist einfach, die Verbindung herzustellen, daß man, wenn eine Gruppe gegen einen Krieg protestiert, bei dem es sich um den Kampf gegen den internationalen Terrorismus handelt, dort mit einem Terroranschlag rechnen muß. Man könnte fast argumentieren, daß ein Protest dagegen [den Antiterrorkrieg] eine terroristische Handlung ist." Auf die Razzien von Minneapolis und Chicago dürften weitere folgen. Schließlich wollen Amerikas Militärs und ihre Freunde in Washington dem Kriegspfad weiter folgen.

27. September 2010