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USA/1420: Washington - Trumps Präsidialdrohung nah an der Wirklichkeit ... (SB)


Washington - Trumps Präsidialdrohung nah an der Wirklichkeit ...


"Wenn jemand Präsident der Vereinigten Staaten ist, ist seine Autorität total. Und so muß es auch sein". Mit dieser kategorischen Feststellung machte Donald Trump am 13. April einem turbulenten Meinungsaustausch mit einer Journalistin während der Pressekonferenz im Weißen Haus ein abruptes Ende und löste gleichzeitig eine heftige öffentliche Kontroverse über die Gewaltenteilung in den USA und die Macht des Präsidenten in Krisenzeiten aus. Anlaß zu der umstrittenen Aussage war der anhaltende Streit darüber, ob und wann das durch die Corona-Virus-Epidemie stark beeinträchtigte Alltagsleben in den USA zur "Normalität" zurückkehren kann und ob es Trump oder die Gouverneure der einzelnen Bundesstaaten seien, welche die Schulen wieder öffnen und die diversen Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung von Covid-19 lockern können.

Vor allem die Gouverneure der von Demokraten regierten Bundesstaaten an der Ost- und Westküste wie Kalifornien, Washington, New York und New Jersey widersprachen Trump aufs Heftigste, warfen ihm Amtsanmaßung sowie offensichtliche Unkenntnis der Verfassung vor. Andrew Cuomo, Gouverneur von New York, sprach Trump die Fähigkeit ab, die richtige Entscheidung in bezug auf den optimalen Zeitpunkt zum Wiederhochfahren der Wirtschaft zu treffen. Trumps Herunterspielen der Pandemiegefahr im Januar und Februar habe die Lage verschlimmert; hätten die Gouverneure auf grünes Licht aus Washington gewartet und nicht selbst frühzeitig den Ausnahmezustand in ihren eigenen Bundesstaaten verhängt, wären viel mehr Menschen gestorben, so Cuomo. Im Fernsehen und in der Presse nahmen renommierte Staatsrechtler wie Prof. Jonathan Turley von der George Washington University an Trumps eigenwilliger Auslegung der präsidialen Machtbefugnisse Anstoß.

Leider unterschätzen die selbsternannten Verteidiger der Verfassung vor dem Trumpschen Übergriff die Macht des Faktischen. Seit den Tagen Ronald Reagans arbeiten neokonservative Kreise in Justizwesen und Politik der USA unablässig daran, die Macht des Präsidenten zuungunsten des Kongresses auszubauen, seine Entscheidungsgewalt über alle Bedenken seitens Repräsentantenhaus und Senat zu stellen. Die Hauptverfechter der umstrittenen Theorie von der "Unitary Executive" gehören der Juristenvereinigung Federalist Society an. Unter der Führung von Antonin Scalia, damals Richter am Obersten Gerichtshof der USA, haben ab 2001 die Anhänger der präsidialen Macht den Schock der Flugzeuganschläge vom 11. September als einmalige Gelegenheit zu einer enormen Erweiterung staatlicher Verfügungsgewalt ausgiebig genutzt.

Zwecks Bekämpfung von "Terrorismus" oder der Verbreitung von "Massenvernichtungswaffen" war ab jenen Tag, "der die Welt veränderte", der republikanischen Regierung von George W. Bush und ihren Rechtsberatern keine Maßnahme zu extrem, sei es der illegale Angriffskrieg wie 2003 der angloamerikanischer Einfall in den Irak, um Saddam Hussein zu stürzen, oder die Verschleppung und Folter von zu "illegalen Kombattanten" erklärten "mutmaßlichen Terroristen". Statt den autoritären Staat wieder einzufangen, hat ihn ab 2009 der Demokrat Barack Obama legitimiert. Statt "Terroristen" fangen und einkerkern zu lassen, hat der erste schwarze Präsident im Weißen Haus sie per Drohnenangriff der CIA umbringen lassen, selbst wenn ihr Recht auf Leben als US-Bürger durch die amerikanische Verfassung geschützt war. Dies geschah im Jemen im September 2011 dem "Haßprediger" Anwar Al Awlaki und zwei Wochen später seinem unschuldigen 16jährigen Sohn Abdulrahman Al Awlaki.

Seit Trump im Januar 2017 ins Weiße Haus eingezogen ist, tritt er praktisch jeden Tag die US-Verfassung mit Füßen. Den Eid, den er bei der Amtseinführung als Präsident geleistet hat, nämlich sie zu schützen, hat für den windigen Bauunternehmer aus New York offenbar nicht mehr Gewicht als alle anderen Erklärungen, die er abgibt, um ihnen schon im nächsten Atemzug zu widersprechen, sie zu leugnen oder gar zu behaupten, sie niemals gemacht zu haben. Bis heute weigert sich Trump gegen alle Gesetze und Gepflogenheiten, seine Steuerunterlagen offenzulegen. An die Regeln zur Trennung von Amt und Geschäftsinteressen hält er sich nicht im geringsten, sondern drängt sogar die verschiedenen Behörden wie zum Beispiel den Secret Service zur Nutzung seiner Hotels bei der Unterbringung ihrer Bediensteten.

In der Russiagate-Affäre hat er Mitarbeitern des Weißen Hauses den Auftritt vor Anhörungen von Repräsentantenhaus und Senat verboten. Als ihm 2017 nach der Entlassung von FBI-Chef James Comey der Vorwurf der Behinderung der Justiz gemacht wurde, antworte Trump ganz im Sinne des französischen Sonnenkönigs Ludwig XIV. - "L'etat c'est moi" - er könne die Justiz nicht behindern, da er selbst deren oberster staatlicher Vertreter sei. Unterstützung für diese selbstherrliche Position erfuhr Trump noch am 4. April 2020 von einem Bundesberufungsgericht in Washington, dessen Richter der Federalist Society zugerechnet werden. Trump behauptet, bei der Vergabe der Mittel aus dem vor kurzem vom Kongreß bewilligten zwei Billionen Dollar schweren Hilfspaket zur Rettung der US-Wirtschaft vor den schwersten Folgen der Corona-Virus-Krise sei seine Administration der Legislative keinerlei Rechenschaft schuldig. Ganz im Sinne der Geheimhaltung hat der Präsident den ihm treu ergebenen Rechtsanwalt Brian Miller mit der "Aufsicht" über die Verwendung der gigantischen Geldsummen beauftragt. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Am 15. April drohte Trump damit, beide Häuser des Kongresses in die Zwangspause zu schicken, damit er den Widerstand der Demokraten im Repräsentantenhaus und Senat umgehen kann, um zahlreiche Richterposten mit konservativen Kandidaten zu besetzen, auf die er sich schon länger mit Mitch McConnell, dem republikanischen Mehrheitsführer im Senat, verständigt hatte. Seit 2017 ist für Trump und die Republikaner eine vordringliche Angelegenheit, alle freiwerdenden Richterposten mit Mitgliedern der Federalist Society zu besetzen. Auf diese Weise wollen die Republikaner ihre Macht im Staate auf Jahrzehnte hinaus festigen und wichtige Fortschritte aus der Ära der Frauenemanzipation und der Bürgerrechtsbewegung - Recht auf Abtreibung, gleiches Wahlrecht für alle - kippen. Darüber hinaus hat Trump am 13. März wegen des Coronavirus erstmals in der Geschichte der USA den nationalen Notstand ausgerufen. Wie Militärexperte William Arkin am 18. März bei Newsweek.com dezidiert erläuterte, erwachsen daraus geheime Sondereinsatzregeln für das Militär zur Aufstandsbekämpfung, Einrichtung von Lagern, Gewährleistung der Einsatzfähigkeit des US-Atomwaffenarsenals u. v. m., über die die meisten Teilnehmer der aktuellen Diskussion "Trump gegen die Gouverneure" noch nicht einmal nachgedacht haben. Nicht umsonst drängt dieser Tage Justizminister William Barr auf die Aussetzung des Rechts auf richterliche Haftprüfung - Habeas Corpus -, solange die Covid-19-Epidemie in den USA wütet.

16. April 2020


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