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USA/1425: Washington-Teheran - neuer Streit mit alten Fronten ... (SB)


Washington-Teheran - neuer Streit mit alten Fronten ...


Ungeachtet aller zwischenzeitlichen Einigungen im Irak wie die Installierung des neuen Premierministers Mustafa Al Khadimi oder die Verlängerung der Suspendierung der Sanktionen gegen Bagdad wegen des Kaufs iranischen Erdgases zwecks lebenswichtiger Stromerzeugung im Zweistromland spitzt sich die Konfrontation zwischen den USA und dem Iran wieder zu. Aktuell befinden sich fünf vollbeladene iranische Öltanker auf dem Weg nach Venezuela. Vor kurzem hat die kleine Flotte den Suezkanal passiert und sie erreicht in Kürze den Nordatlantik. Die USA drohen damit, die von der Regierung von Nicolás Maduro in Caracas dringend benötigte Öllieferung mit einem geschätzten Wert von 45,5 Millionen Dollar zu stoppen, und haben zu diesem Zweck bereits mehrere Kriegsschiffe vor der venezolanischen Küste postiert. Wegen der möglichen "illegalen" Kaperung seiner Handelsschiffe durch die US-Kriegsmarine hat am 16. Mai die Regierung des Irans den Schweizer Botschafter, der als Nachrichtenüberbringer Washingtons in Teheran fungiert, einbestellt, dagegen protestiert und ihrerseits mit Vergeltungsmaßnahmen gedroht. Gleichzeitig schickte Außenminister Mohammed Dschawad Sarif einen Protestbrief an UN-Generalsekretär António Guterres.

Auch vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York steht demnächst eine heftige Konfrontation zwischen den Vertretern der USA und des Irans an. Nach dem Atomabkommen, das Sarif über Jahre mit Barack Obamas Außenminister John Kerry ausgehandelt hat und das 2015 der Iran, die USA, die anderen vier UN-Vetomächte China, Frankreich, Großbritannien und Rußland sowie Deutschland unterzeichnet haben, sollen am 18. Oktober die UN-Sanktionen gegen den Kauf und Verkauf konventioneller Waffen durch Teheran aufgehoben werden. Bekanntlich hat US-Präsident Donald Trump mit lautem Getöse im Mai 2018 den Rücktritt der USA vom Atomabkommen mit dem Iran verkündet. Nach und nach traten die US-Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft und richten seitdem schwere Schäden in der Volkswirtschaft der Islamischen Republik an. Doch bis heute ist das eigentliche Ziel der Trumpschen Politik des "maximalen Drucks" gegenüber Teheran, nämlich der Zusammenbruch des "Mullah-Regimes" in Teheran, ausgeblieben.

Als Reaktion auf die einseitige Aktion der USA haben die Iraner gemäß des Prinzips der Gegenseitigkeit ihrerseits die im Abkommen vorgesehene Möglichkeit wahrgenommen, die ihnen auferlegte Begrenzung der Urananreicherung zu überschreiten. Es handelte sich um keinen ernstzunehmenden Schritt in Richtung Atombombenbau, sondern um eine ausgewogene Maßnahme, die beim erneuten Beitritt der USA zu dem internationalen Vertrag sofort rückgängig gemacht werden soll. Wegen des vermeintlichen "Verstoßes" der Iraner gegen das Atomabkommen wollen die USA demnächst im UN-Sicherheitsrat erzwingen, daß das Waffenembargo nicht, wie vorgesehen, am 18. Oktober, aufgehoben wird. Doch wie soll das gehen? Die USA erkennen das Atomabkommen seit zwei Jahren nicht an. Bei jeder Gelegenheit verspottet Trump, der große Geschäftsmann, die Vereinbarung, weil von Obama erzielt, als "schlechtesten Deal aller Zeiten".

Um den Willen Washingtons durchsetzen zu können, spielt sich Trumps stets aggressiv auftretender Außenminister Mike Pompeo als Winkeladvokat in Sachen Völkerrecht auf und behauptet allen Ernstes, die USA mögen zwar vom Atomabkommen zurückgetreten sein, doch seien sie in dem Dokument als Unterzeichnerstaat aufgeführt und genössen deshalb alle in dem Papier gewährten Rechte und Ansprüche des Vertrags. Demnach dürfen die USA als Unterzeichnerstaat nach dem Atomabkommen und der dazugehörigen UN-Resolution 2231 eigenhändig die Verlängerung des Waffenembargos gegen den Iran verfügen, ohne daß die anderen vier ständigen Mitgliedsstaaten des höchsten politischen Gremiums dies mit ihrer Vetomacht verhindern können. Große Unterstützung für diese an Arroganz kaum zu überbietende Position bekommt die Trump-Administration vom Kongreß in Washington. In dem ansonsten so zerstrittenen Repräsentantenhaus und Senat haben nach wochenlanger Bearbeitung durch das übermächtige American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) fast alle Demokraten und Republikaner eine Resolution unterzeichnet, in der das vermeintliche Schreckensszenario eines Auslaufens des UN-Waffenembargos in den grellsten Farben gemalt und Pompeo zum Einsatz aller Mittel, dies zu verhindern, aufgefordert wird.

Wie sich Deutschland, Frankreich und Großbritannien in dem sich abzeichnenden Streit positionieren werden ist noch nicht offiziell bekannt. Man kann davon ausgehen, daß die einstigen EU-3 - seit dem Brexit am 31. Januar ist die Bezeichnung Geschichte - dem NATO-Verbündeten USA keine Hindernisse in den Weg legen werden. Bei China und Rußland dagegen sieht es ganz anders aus. Am 12. Mai hat Rußlands UN-Botschafter Wassili Nebensja das Ansinnen Washingtons, das Waffenembargo gegen den Iran allein wieder in Kraft setzen zu wollen, als "lachhaft" bezeichnet. Die USA "gehören dem Vertrag nicht mehr an"; folglich stünde es ihnen nicht zu, von irgendwelchen Paragraphen des Vertrags Gebrauch zu machen, so Nebensja. Am 14. Mai hat die UN-Vertretung in New York eine Erklärung abgegeben, in der sie betonte, die USA hätten nach dem Austritt aus dem Atomabkommen ihr Mitbestimmungsrecht an dessen Einhaltung oder Umsetzung verwirkt.

Der provokante Vorstoß Washingtons in Hinblick auf das Atomabkommen richtet sich unmittelbar gegen den Iran, doch dahinter steckt ein weiterer gezielter Angriff der USA auf den Multilateralismus und das Prinzip der internationalen Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen. In welch gefährliche Richtung die USA und mit ihnen ihre NATO-Partner unterwegs sind, läßt sich anhand jüngster Äußerungen des konservativen britischen Politikers Tobias Ellwood ablesen. Vor dem Hintergrund des Streits der USA mit China um Huawei, 5G-Ausbau sowie die Bekämpfung der Covid-19-Pandemie plädierte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Parlament zu London für eine vollständige Abkehr des "Westens" von den Vereinten Nationen zugunsten einer engeren wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der Five-Eyes-Allianz (Großbritannien, USA, Kanada, Australien und Neuseeland) mit Deutschland, Frankreich, Japan, Südkorea und Indien. Die Ausführungen Elwoods, die am 15. Mai im Guardian erschienen, kommen einer indirekten Kriegserklärung an die Adresse der Russen, der Chinesen und mit ihnen der restlichen Menschheit im globalen Süden gleich:

Zur Zeit scheint es international kein Forum oder keine Organisation zu geben, worin die Chinesen oder die Russen nicht von ihrem Veto Gebrauch machen können und wo es uns erlaubt ist, die sehr hohen Standards, die Parameter, denen, wenn es nach uns ginge, andere Nationen folgen sollten, vorzuschreiben. ... Mit der Schaffung einer Five-Eyes-Plus-Allianz könnten wir diese Standards vorgeben und die Vereinten Nationen, die Welthandelsorganisation und andere Organisationen umgehen. Diese Organisationen sind inzwischen aufgrund des offenen und subtilen Einflusses von Ländern wie China, das einen ganz anderen Satz an Ideologien verfolgt, korrumpiert und lahmgelegt worden.

So formuliert man die längst überwunden geglaubte, rassistische Lehre von der "Bürde des weißen Mannes" für das 21. Jahrhundert neu.

19. Mai 2020


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