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WELTORDNUNG/594: Hunger - der eigentliche Krieg gegen die Armen (SB)


Mehr Hunger, weniger Spenden

WFP-Bilanz 2009


Konsequent betrachtet erfüllen Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm (WFP) im Rahmen der globaladministrativen Regulation eine Feigenblattfunktion und tragen auf ihre Weise zur Sicherung, Stabilisierung und damit Qualifizierung der Verfügungsgewalt bei. Das schließt nicht aus, daß durch die Verteilung von Nahrung Menschenleben gerettet werden, aber zugleich verschleiert "humanitäre Hilfe" fundamentale, Tag für Tag von neuem verteidigte Widersprüche wie den zwischen den wohlhabenden Staaten des Nordens und den verarmten Ländern des Südens oder den innerhalb der Gesellschaften.

Niemandem ist zu wünschen, daß er Hunger leidet, doch das festzustellen bedeutet nicht, die Funktion der Hungerhilfe mit einem Tabu zu belegen. Das WFP leistet weltweit die meiste Hungerhilfe, es erreicht aber nur etwa zehn Prozent der Bedürftigen - vorausgesetzt, es wird mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet. Das scheint in diesem Jahr nicht gegeben. Während die Zahl der Hungernden auf rund eine Milliarde gestiegen ist, verzeichnet das WFP den niedrigsten Spendenstand seit 20 Jahren, wie es in einer Pressemitteilung am Mittwoch bekanntgab. [1]

Diese Unterorganisation der Vereinten Nationen hat für 2009 um Spenden in Höhe von 6,7 Mrd. Dollar gebeten, bislang aber nur Zusagen in Höhe von 2,7 Mrd. Dollar erhalten. Wie gesagt, selbst wenn das WFP seine Spendenvorstellung erfüllt bekäme, erreichte es neun von zehn Hungernden NICHT. Daraus kann abgeleitet werden, daß die internationale Staatengemeinschaft die Organisation nicht gegründet hat, um den Hunger in der Welt ein für allemal zu beseitigen, sondern um den Eindruck zu erwecken, es werde etwas gegen ihn unternommen.

Diese Absicht läßt sich auch daran erkennen, daß das WFP genötigt wird, Jahr für Jahr von neuem um Spenden zu bitten. Dadurch werden langfristige Projekte, in denen sich womöglich systemisch mit der Hungerlage auseinandergesetzt und nach dauerhaften Lösungen gesucht würde, weitgehend unterbunden.

Das WFP nahm 1963 seine Arbeit auf. Nach Jahrzehnten der Hungerhilfe steht fest, daß eine Beseitigung des Hungers, so sie denn überhaupt möglich wäre und es sich bei der Behauptung, die produzierte Lebensmittelmenge reiche, um alle Menschen satt zu machen, um keine Täuschung handelt, nicht erwünscht ist.

Die offizielle Geschichtsschreibung bezeichnet die Phase vom Ende des Zweiten Weltkriegs an bis zum Jugoslawienkrieg als Zeit des Friedens in Europa. Das trifft nicht zu. Der Krieg trägt lediglich ein anderes Gesicht, er findet bis heute tagtäglich dort statt, wo Menschen Nahrung vorenthalten wird - innerhalb der eigenen Gesellschaft, mehr noch im Verhältnis der Länder des Nordens zu denen des Südens. Das hat nichts mit Schicksal, aber alles mit Interessen zu tun. In der vorherrschenden Weltordnung bilden Hunger und Armut von vielen die Voraussetzung für Überleben und Wohlstand der wenigen.


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Anmerkungen:

[1] "World food aid at 20-year low, 1 billion hungry", Reuters, 16. September 2009
http://www.newsdaily.com/stories/tre58f1mj-us-food-wfp/

16. September 2009