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WELTORDNUNG/595: Welternährungsgipfel - Verfügungsgewalt wird vertieft (SB)


Globale Mangeladministration

Beim Welternährungsgipfel sollen die Weichen zur Verbreiterung und Vertiefung ordnungspolitischer Strukturen gestellt werden


Eine wachsende Zahl an Menschen muß regelmäßig hungern. Die als offiziell gehandelten Angaben der FAO (Food and Agricultural Organization) der Vereinten Nationen besagen, daß gegenwärtig mehr als eine Milliarde Menschen nicht genügend zu essen hat. Mindestens eine weitere Milliarde hungert zumindest zeitweilig.

Vor neun Jahren hatten Vertreter der Industriestaaten und der Nicht-Industriestaaten (die als Entwicklungsländer diffamiert werden, als seien sie rückständig) einen Pakt geschlossen, demzufolge das Hungerproblem bis zum Jahre 2015 nicht vollständig gelöst zu werden braucht. Das von den Staats- und Regierungschefs beschlossene "Millenniumsziel" lautet vielmehr, daß die Hälfte der zum damaligen Zeitpunkt Hungernden weiterhin zum Hunger verdammt sei, was umgekehrt bedeutet, daß nur ein Teil der Menschen, die im Jahre 2015 nicht genügend zu essen haben werden, Nahrung erhalten solle.

Diese Zielbestimmung geht auf die Befürchtung der Satten zurück, daß ihnen von den Hungernden Ungemach droht, sollte der eklatante gesellschaftliche Widerspruch transparent werden. Tatsächlich geschah dies anflugweise sieben Jahre darauf. In rund drei Dutzend Ländern brachen Unruhen aus und Regierungen wurden gestürzt oder mußten zurücktreten, nachdem die Preise für Getreide und Lebensmittel global scharf anzogen. Zwar war der Preisexplosion eine allmähliche Steigerung vorausgegangen, aber plötzlich trafen zwei wesentliche Einflüsse zeitlich zusammen: Aufgrund des rasanten Preisanstiegs bei Erdöl und angesichts der Endlichkeit dieser Ressource legten die Hochverbrauchsländer von Treibstoffen, allen voran die USA und die EU-Mitglieder, fest, daß der Anteil von Agrosprit (Ethanol und Biodiesel) am Treibstoffverbrauch in den nächsten Jahren Schritt für Schritt gesteigert werde.

Dieses typische Lenkungsinstrument der Politik zeigte schnelle Erfolge. Beispielsweise lieferten die Maisbauern in den USA ihre Ernte immer seltener bei den Saatguthändlern ab, sondern wandten sich den Destillerien zu, die wie Pilze aus dem Boden schossen und den Farmern attraktive Abnehmerpreise boten. In anderen Ländern kam es zu einer ähnlichen Entwicklung, so daß ein Teil der Grundnahrungsmittel für Mensch und Tier nicht mehr zum Verzehr verarbeitet wurde, sondern zu Treibstoff.

Als annähernd zeitgleich das globale Finanzkapital nach einer sicheren Anlagemöglichkeit suchte und in Getreide und andere Nahrungsmittel sowie landwirtschaftliche Fläche investierte - denn aus der Sicht des Investors verspricht die existentielle Not aufgrund des Nahrungsmangels ein gutes Geschäft -, schnellten die Preise nach oben und warfen binnen eines Jahres mehr als 100 Millionen Menschen in Existenznot. Das brachte das Faß zum Überlaufen. Die Einwohner Haitis, die ihre vor Hunger kneifenden Mägen bereits mit getrockneten Lehmfladen zu täuschen versuchten, um sich nicht selbst zu verzehren, gingen auf die Straße und stürzten ihre Regierung. In Mexiko, Kamerun und der Elfenbeinküste, in der Ukraine, Indonesien und Ägypten und vielen Ländern mehr zeigte sich ein ähnliches Bild. In fast allen Fällen obsiegten allerdings die Sicherheitskräfte, die teils mit scharfer Munition auf die Aufständischen schossen, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. "Öffentliche Ordnung" bedeutete, daß ein Teil der Bevölkerung Hunger leidet, ein anderer nicht, aber daß dieser Teil das Mißverhältnis mit Gewalt verteidigt.

Die Unterzeichner der Millenniumsziele hatten also ihrer Meinung nach gut daran getan, den Eindruck zu erwecken, sie seien für die Hungerleider die richtigen Ansprechpartner, um den Nahrungsmangel in der Welt zu beseitigen. Real stieg die Zahl der Hungernden unermüdlich an. 2008 analysierte selbst die Weltbank vermeintlich selbstkritisch ihre Politik und forderte entschiedene Maßnahmen gegen diese Entwicklung. Nicht der tägliche Hungertod von etwa hunderttausend Menschen hatte die Finanzexperten zu der Erkenntnis gebracht, daß das Kleinbauerntum global vernachlässigt worden war, sondern die zahlreich ausbrechenden Aufstände derjenigen, die noch genügend Kraft dafür besaßen. Auch während der Hochzeit der von der Weltbank mitgetragenen Strukturanpassungsprogramme zur angeblichen Armutsminderung starben täglich bis zu hunderttausend Menschen mangels Nahrung, ohne daß dies ähnliche Sorgen bei der Weltbank und der internationalen Gemeinschaft ausgelöst hätte.

Auf dem Welternährungsgipfel vom 16. bis 18. November 2009 in Rom, der unter dem hochtrabenden Titel "How to Feed the World in 2050" veranstaltet wird und zu dem rund 60 Staats- und Regierungschef sowie weitere Regierungsvertreter angereist sind, wird an die bisherige Verelendungspolitik angeknüpft. Beispielsweise wird in dem zur Beschlußfassung vorgelegten Entwurf [1] erklärt, daß sich die Unterzeichner verpflichten, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Zunahme der Zahl der Menschen, die an Hunger, Mangelernährung und Nahrungsunsicherheit leiden, unverzüglich zu stoppen und signifikant zu reduzieren. Alle "Anstrengungen" zur Erfüllung der Millennium-Entwicklungsziele sollten erneut verstärkt werden.

Welche Anstrengungen? Anders gesagt: Wer so sehr von seinen Anstrengungen eingenommen ist, braucht sich um das Naheliegendere nicht zu kümmern. Wie sonst wäre zu erklären, daß ausgerechnet die FAO, aber auch die Weltbank, eine distanzierte Haltung gegenüber dem Weltagrarbericht der IAASTD (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development) [2] einnehmen? Beide Organisationen haben an dem Bericht, in den die Expertise von vielen hundert Agrarexperten weltweit eingeflossen ist, mitgewirkt. Und doch erhält er nicht ihre Unterstützung. Denn die IAASTD-Fachleute haben sich für grundlegende Reformen des Agrarsektors ausgesprochen, die der weiteren Kapitalisierung und Profitmaximierung entgegenstehen. Das hat die Weltkonzerne, die große Teile der globalen Nahrungsproduktion kontrollieren, ziemlich verärgert.

Im Weltagrarbericht wird keine zweite Grüne Revolution gefordert, sondern Reformen zur Stärkung der Subsistenzbauern und eine Verringerung des Dünger- und Pestizideinsatzes. Zudem wurde der sogenannten Grünen Gentechnik als vermeintliche Heilsbringerin eine entschiedene Absage erteilt. Mit diesen und weiteren gut begründeten Empfehlungen haben sich die Autoren des Weltagrarberichts bei den globalen Biotech- und Agrokonzernen keine Freunde gemacht. Auch nicht bei der Weltbank und der FAO.

Es fällt auf, daß die FAO in der Abschlußerklärung mehrere Initiativen namentlich nennt, die angeblich gute Arbeit leisteten - Accra Agenda for Action, das Comprehensive African Agriculture Development Programme (CAADP) im Rahmen der New Partnership for Africa´s Development (NEPAD), die Initiative "Latin America and the Caribbean Without Hunger 2025", ASEAN Integrated Food Security Framework, die "Riyadh Declaration to Enhance Arab Cooperation to Face World Food Crises", das "L´Aquila" Joint Statement on Global Food Security vom Juli 2009 sowie die International Conference on Agrarian Reform and Rural Development (ICARRD) -, doch ausgerechnet der Weltagrarbericht, der höchsten Ansprüchen genügt und machbare Empfehlungen im Kampf gegen den Hunger abgibt, bleibt unerwähnt.

Wenn jetzt auf dem Welternährungsgipfel von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon über den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi bis zu Papst Benedikt XVI. Tränen vergossen werden über die ach so vielen Hungertoten, dann handelt es sich um Krokodilstränen. Die abschließende Plenarsitzung der IAASTD in Johannesburg fand vor eineinhalb Jahren statt. Wenn es der Weltbank und der FAO, Italien oder dem Vatikan ein ernsthaftes Anliegen gewesen wäre, einen anderen Kurs einzuschlagen als den, der seit Jahrzehnten, aber insbesondere seit der Verabschiedung der Millenniumsziele zu immer mehr Hungertoten und in Armut lebenden Menschen geführt hat, hätten sie den Empfehlungen aus dem Weltagrarbericht ihre rückhaltlose Unterstützung zukommen lassen müssen.

Statt dessen lesen wir in dem Entwurf zur Abschlußerklärung des Welternährungsgipfels, daß die vorhandenen Weltordnungsstrukturen verbessert werden sollen. Es sei "wichtig", die "globale Regierung" zu stärken, aufbauend auf "bestehende Institutionen", und funktionierende Partnerschaften zu unterstützen, heißt es. In dem Entwurf wird sich für "offene Märkte" ausgesprochen, da sie angeblich ein wesentlicher Bestandteil zur Erfüllung einer weltweiten Nahrungssicherheit sind.

Bekanntlich rufen auch die führenden Wirtschaftsmächte USA und Europäische Union nach "offenen Märkten", meinen damit aber, daß die Nicht-Industrieländer ihre Handelsschranken fallen lassen sollen, während sie selbst ihre Einfuhrbeschränkungen beibehalten. Im Ergebnis würde das zum Beispiel bedeuten, daß die Regierungen der Nicht-Industriestaaten weitere Gemeingüter (Boden, Wasser) auf den Markt werfen, damit die kapitalstarken Investoren ihre Schnäppchenjagd abhalten können. Es bedeutet außerdem eine fortgesetzte Exportorientierung der lokalen Landwirtschaft, während gleichzeitig die Bevölkerung auf Nahrungshilfe angewiesen ist. Sehr krass wird dies an Äthiopien erkennbar, das mit Lebensmittel- und Biospritkonzernen umfangreiche Pachtverträge über Ackerflächen abschließt, obwohl sich sechs bis zehn Millionen Einwohner nicht ausreichend ernähren können und auf Unterstützung angewiesen sind.

Kleinbauern sollen laut dem Entwurf zum Abschlußbericht des Welternährungsgipfels nach den Maßgaben der Welthandelsorganisation WTO dabei unterstützt werden, "ihre Produktivität zu steigern", um auf den Weltmärkten "konkurrenzfähiger" zu werden. Welch eine Perversion! Da ringen hunderte Millionen Menschen mit dem Hungertod, und die FAO will die Produktivität von Kleinbauern steigern, damit sie ihre Ware auf dem hart umgekämpften Weltmarkt anbieten. Konkurrenz bedeutet notwendigerweise, daß es einige schaffen, viele aber auf der Strecke bleiben. So setzt sich die Not systemimmanent fort.

Sich auf Bestehendes zu stützen, wie es in der vorgesehenen Abschlußerklärung des Welternährungsgipfels getan wird, bedeutet anscheinend, daß keine neuen politischen Konzepte zugelassen werden sollen, auch wenn sie womöglich die Chance böten, der nicht zu leugnenden allgemeinen Verarmung und Hungerentwicklung in der Welt wirksam entgegenzutreten. Mit anderen Worten, die FAO betreibt eine Politik der Bestandssicherung und verliert deshalb - ungeachtet vorhandener interner Meinungsverschiedenheiten - den Rest an Glaubwürdigkeit.

Was nutzt den Hungernden in der Welt ein "Recht auf Nahrung", wenn diejenigen, die das Recht vergeben, es selbst sind, die es massiv hintertreiben? Mehr noch, die ein vitales Interesse daran haben, daß das Recht niemals ernsthaft eingeklagt werden kann, müßte ihnen dann eine andere Rolle als die des Richters zufallen. Dann kämen sie selbst auf die Anklagebank. Streng genommen stellt selbst das Recht auf Nahrung eine Waffe in der Hand des Stärkeren dar, um die unter Nahrungsmangel leidenden Menschen weiter in Schach halten zu können. Denn aus der Sicht der vorherrschenden Kräfte gilt es unter allen Umständen zu verhindern, daß sich die Hungernden dieser Welt von jeglicher Hoffnung, daß es eine Adresse für ihr Anliegen gibt, emanzipieren. Das Resultat einer Befreiung könnte sich als vernichtend für die Weltordnung und ihre Sachwalter erweisen. Um es dazu nicht kommen zu lassen, werden Welternährungsgipfel veranstaltet. Auf denen werden dann wohlfeil klingende Verheißungen und Absichtserklärungen ventiliert, die man fast wortgetreu schon vor Jahrzehnten zur Zeit der Grünen Revolution vernommen hat. Auch damals sollte der Hunger in der Welt beseitigt werden. Das Versprechen wird immer wieder aufgefrischt.

Indem sich die FAO als Sprachrohr der internationalen Staatengemeinschaft vermeintliche Sorgen um die Nahrungsversorgung der Weltbevölkerung bis 2050 macht, braucht sie sich nicht um den näherliegenden Hunger von heute und morgen zu kümmern. Wer nun glaubt, daß sich die politischen Entscheidungsträger in der Defensive befinden und nur noch angsterstarrt auf potentielle Konfliktherde blicken, sitzt einem verbreiteten Irrtum auf. Wenn solch einer Großveranstaltung wie dem Welternährungsgipfel eine Bedeutung zukommt, dann die, daß damit jene Absichten, Maßnahmen und Resultate verschleiert werden, welche in offensiver Weise zu einer Weltordnung beitragen, die unumstößlicher denn je befestigt werden soll, so daß auch zwei, drei oder noch mehr Milliarden Menschen Hunger leiden können, ohne daß die Gefahr einer fundamentalen Infragestellung dieser Mangeladministration aufkommt.

Sollte es eines Tages so weit sein, daß die Staats- und Regierungschefs unumwunden zugeben, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen gar nicht genügend Nahrung für alle produziert wird und Nahrung noch so gerecht verteilt werden könne, sie nicht für die gesamte Menschheit reiche, dann wäre das ein Indiz dafür, daß die Verfügungsgewalt bereits so weit und tiefgreifend entwickelt ist, daß die vorherrschende Ordnung womöglich von niemanden mehr von unten nach oben zu durchbrechen, geschweige denn insgesamt zu stürzen ist. Für die Privilegierten wäre es höchst bedrohlich, sollte sich die Erkenntnis allgemein durchsetzen, daß es unter den bestehenden Produktionsverhältnissen nicht genügend zu verteilen gibt und es ausschließlich eine Frage der Gewalt ist, ob jemand verhungert oder nicht.


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Anmerkungen:

[1] DECLARATION OF THE WORLD SUMMIT ON FOOD SECURITY
World Summit on Food Security Rome, 16. - 18. November 2009
http://www.fao.org/fileadmin/templates/wsfs/Summit/Docs/Declaration/WSFS09_Draft_Declaration.pdf

[2] Weltagrarbericht. Synthesebericht.
International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development (IAASTD)
http://hup.sub.uni- hamburg.de/opus/volltexte/2009/94/pdf/HamburgUP_IAASTD_Synthesebericht.pdf

16. November 2009