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BERICHT/171: Quo vadis NATO? - Geld oder Leben, Teil 3 (SB)


Zivilklausel gegen Hochschulpolitik im Dienste des Krieges

Forum "Militärforschung an Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen und das Recht" auf dem Bremer Kongreß "Quo vadis NATO? - Herausforderungen für Demokratie und Recht" am 28. April 2013


U.S. Air Force Boeing B-52F-70-BW Stratofortress des 320th Bomb Wing wirft 340-kg-Bomben ab - Foto: By USAF [Public domain], via Wikimedia Commons

Flächenbombardement im Vietnamkrieg
Foto: By USAF [Public domain], via Wikimedia Commons

Die von der Bundesregierung beschlossene und vom Verteidigungs- und Außenministerium finanzierte Stiftungsprofessur für "Internationale Beziehungen und Völkerrecht" an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn ist einem Politiker des Kalten Krieges gewidmet, dessen Wirken emblematisch sein könnte für die künftige Ausrichtung deutscher Außenpolitik. Das lassen zumindest Äußerungen wie die des Verteidigungsministers Thomas de Maizière, für den der Namensgeber Henry Kissinger "einer der großartigsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts und ein brillanter Wissenschaftler" ist, oder des Außenministers Guido Westerwelle, demzufolge es "für Deutschland ein großes Glück" sei, "einen solchen Freund zu haben" [1], ahnen.

Der 90jährige Begründer des Beratungsunternehmens Kissinger Associates, eine der ersten Adressen des internationalen Politik-, Strategie- und Investment-Consulting, ist für die unter seiner Verantwortung als Nationaler Sicherheitsberater und Außenminister der USA vollzogene imperialistische Realpolitik so berühmt wie berüchtigt. Der Militärputsch in Chile, die Unterstützung der Junta in Argentinien, die in Osttimor und Bangladesh unter US-amerikanischer Aufsicht verübten Massaker, die Bombardierung neutraler Staaten wie Kambodscha und Laos - man sollte lieber nicht gespannt darauf sein, sondern sich Sorgen darum machen, wie sich sein machiavellistisches Credo auf die in seinem Namen unterrichteten Studierenden auswirkt.

Die im April in Bremen geführte Diskussion um die Zivilklauselbewegung wirkt da fast schon wie ein Anachronismus, und die Verfechter der Abwehr rüstungsindustrieller und militärpolitischer Hochschulforschung haben einen dementsprechend schweren Stand. Der abschließende Teil der Berichterstattung und Auswertung der Quo-vadis-NATO?-Konferenz mündet in die offene Frage, ob der zivilgesellschaftliche Widerstand gegen Krieg und Militarismus entwickelt genug ist, um den immer unverhohlener in Erscheinung tretenden politischen Willen, Deutschland und die NATO kriegsbereit zu machen, entschieden kontern zu können.

Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Sören Böhrnsen
Foto: © 2013 by Schattenblick

Dual Use und andere Ambivalenzen

Der Referent und Hochschulaktivist Sören Böhrnsen schilderte seine persönlichen Erfahrungen mit der Zivilklausel in Bremen und zog im Vortrag aus aktueller Sicht Folgerungen aus der im akademischen Bereich kontrovers geführten Debatte um das Thema Militarisierung der Gesellschaft. Allerdings bewertete er die rechtlichen Zusammenhänge anders als seine beiden Vorredner. Ziel der Zivilklausel ist, Wissenschaft und Forschung eine zivile Ausrichtung zu geben. Sie greift jedenfalls weiter, wie der Referent betonte, als eine Friedensklausel, die auch Forschung für sogenannte friedliche Themen, zum Beispiel eine Friedenssicherungsmission der Bundeswehr nach Afghanistan, abdecken würde. Böhrnsen betonte, daß der Beschluß des Akademischen Senats von 1986, eine Zivilklausel in Reaktion auf die Einführung des neuen Fachbereichs Weltraumtechnik zu erlassen, jede Beteiligung von Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung ablehnte und die Mitglieder der Universität aufforderte, Forschungsthemen als auch Drittmittel zurückzuweisen, die Rüstungszwecken dienen könnten. Der Senatsbeschluß richtete sich vor allem gegen die im Bereich der Weltraumforschung geltende Geheimhaltungspflicht, wodurch die Kosten der Forschung als auch die Gefahren durch die Entwicklung von Weltraumwaffen der Öffentlichkeit entzogen werden sollten, so Böhrnsen.

Ferner legte der Referent dar, daß die Frage, wem die zivilmilitärische Forschung letzten Endes dient, nicht klar zu beantworten ist, denn nicht immer stehen das Verteidigungsministerium oder andere staatliche Stellen als Hauptauftraggeber hinter einem Forschungsprojekt. Seines Erachtens kommt der Großteil der Militärforschung an Universitäten und Hochschulen, die über Drittmittel finanziert wird, der exportorientierten Rüstungsindustrie zugute. In Bremen betreffe dies den Raumfahrtkonzern OHB, der unter anderem Satellitenprojekte betreibt.

Daß in Bremen zwischenzeitlich wieder über die Abschaffung der Zivilklausel diskutiert wurde, hatte seinen Auslöser in der von OHB mit Hauptsitz in Bremen 2011 eingerichteten, auf zehn Jahre befristeten Stiftungsprofessur, für die das Rüstungsunternehmen von der Universität einen Preis erhielt. Die Stiftung war jedoch insgeheim mit einer Forderung befrachtet. Die Sache flog auf, als im Bremer Weserkurier ein Interview mit dem Vorstandsvorsitzenden von OHB, Marco Fuchs, abgedruckt wurde, in dem die Bremer Hochschule aufgefordert wurde, ihre Klausel zu ändern, da der Luftfahrtkonzern ansonsten die Stiftungsprofessur wieder zurückziehen würde. Damit war eine Grenze überschritten. Nach heftigen Studentenprotesten und nachdem auch einige Professoren ihren Unmut bekundeten, entschied sich die Universitätsleitung 2012 für die Beibehaltung der Zivilklausel. Daraufhin lenkte OHB ein, erklärte, mißverstanden worden zu sein, da von einer Drohung nie die Rede gewesen sei, und sicherte die Bemittelung der Professur trotz der Klausel zu.

Böhrnsen räumte ein, daß in Deutschland nur wenige Hochschulen und Universitäten eine Zivilklausel hätten, auch wenn es eine breite Zustimmung unter den Studierenden dafür gibt. Bei Urabstimmungen votierten 70 bis 80 Prozent der Studentenschaft für eine Einführung, was ein Erfolg aber nur auf dem Papier war. Bisher haperte es oft an der Umsetzung. Dennoch verwahrte sich Böhrnsen vor der vielfach kolportierten Anschuldigung, die Befürworter einer Zivilklausel seien bloße Schwarzweißseher. Vielmehr sei man sich der Dual-Use-Problematik durchaus bewußt. So habe sich Bremen zu einer Selbstbindung verpflichtet, die die Annahme von Fördermitteln mit einem Rüstungshintergrund verbiete.

Der Referent plädierte dafür, daß Forschung und Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Eindringlich forderte er darüber hinaus, daß sich Universitäten nicht zu einer Geheimhaltung verpflichten, wie sie nicht nur im Rüstungsbereich üblich sei. Überhaupt sei der öffentliche Diskurs das Sesam-öffne-dich für die Umsetzung einer Zivilklausel. Hilfreich sei es zudem, eine Art Ethikkommission einzusetzen, die sich mit der Frage auseinandersetzt, woher die Forschungsgelder kommen und welchem Zweck sie dienen, was vor allem für die Grundlagenforschung wichtig sei. Der Aktivist warnte indes vor prinzipiellen Ausschließungskriterien. Vielmehr müsse ein Diskussionsprozeß einsetzen, der die ganze Bandbreite der Universitätsforschung erfasse. So gebe es jenseits der Universitäten bereits politische Initiativen, eine Zivilklausel in Hochschulgesetzen einzubringen, was über eine Selbstverpflichtung hinausginge.

Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Gerhard Stuby
Foto: © 2013 by Schattenblick

Wissenschaftsfreiheit neoliberal gewendet

Über die verfassungsrechtlichen Implikationen und allgemeinrechtliche Lage referierten zum Abschluß Professor Dr. Gerhard Stuby aus Bremen und Dr. Jürgen Lüthje, ehemaliger Präsident der Universität Hamburg.

Stuby ist mit der Bremer Zivilklausel vertraut, war er doch einer derjenigen gewesen, die ihre Einführung seinerzeit 1986 mitangestoßen hatten. Zwar sei die Zivilklausel keine Erfindung der Bremer Universität gewesen, doch habe das Bremer Modell durchaus Vorbildcharakter gehabt, zumal in einer Zeit, als die Zivilklauselbewegung wie ein Gespenst in Deutschland umging und als Bedrohung des Artikels 5 Abs. 3 im Grundgesetz über die garantierte Wissenschaftsfreiheit aufgefaßt wurde.

Dabei konterkarierte er insbesondere die Äußerungen des Marburger Professors Hans-Detlef Horn, der in einem Aufsatz vom Oktober 2012, der in der auflagenstärksten hochschul- und wissenschaftspolitischen Zeitschrift Deutschlands "Forschung und Lehre" veröffentlicht wurde [2], die Bremer Zivilklausel als "Friedensextremismus" und die Bildungsanstalt selbst als "Tendenzuniversität" apostrophierte. "Die alte Friedensbewegung formiert sich hier zu einer neuen 'Zivilklausel-Bewegung', vereint im antimilitaristischen Reflex gegen eine Wiederkunft von 'Kriegs- oder Rüstungsforschung' an deutschen Hochschulen." So degradierte Horn den Widerstand gegen Militarismus und Krieg zu einem sinnentleerten Automatismus und schreckte nicht davor zurück, die Friedensbewegung dem Verdacht auszusetzen, sie stehe außerhalb des Grundgesetzes: "Indem das Grundgesetz das friedliche Zusammenleben der Menschen in der Welt zu einer Maxime der deutschen Staatlichkeit erhebt, fordert es nicht einen 'Friedensextremismus' nach Art eines imperialistischen Pazifismus."

Stuby hob hervor, daß verschiedene Universitäten und Hochschulen vom Bremer Beispiel ausgehend die Einführung einer Zivilklausel in Erwägung zögen, um sicherzustellen, daß ihre akademische Forschung nur friedliche Ziele verfolge. Das Grundgesetz legitimiert die Bildung der Bundeswehr, aber nur als Verteidigungsarmee, wie Stuby nachdrücklich erläuterte, und nicht im Sinne der neuen NATO-Strategie. Aufgrund der Verfassungslage sei es daher schwierig, zwischen Angriffs-und Verteidigungsmitteln bzw. ziviler und militärischer Nutzung zu unterscheiden. Daher sei die parlamentarische Kontrolle von ausschlaggebender Bedeutung. Aus diesem Grund betont das Bundesverfassungsgericht auch immer wieder den Parlamentsvorbehalt. Dem Gesetzgeber obliege die Aufgabe, den Zuständigkeitsbereich eines Grundrechtes wie den der Wissenschaftsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 3 zu bestimmen, während das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich eines Grundrechts festlegt. Voraussetzung sei, so Stuby, daß das Individualgrundrecht des einzelnen Hochschullehrers bezüglich seiner Wissenschaftsfreiheit gewahrt bleibe.

Stuby verwies in diesem Zusammenhang auf Erhard Denninger, der der Friedensfinalität des Grundgesetzes, die völkerrechtlich erst durch den 1990 abgeschlossenen Zwei-plus-Vier-Vertrag abgesichert wurde, in der Abwägung zu anderen Verfassungsgütern einen hohen Rang einräumt. Der grundgesetzliche Primat der Landesverteidigung bezieht sich, wie Stuby unterstrich, jedoch nur auf den Verteidigungsfall, während die neue geostrategische Ausrichtung der NATO mit ihrer Terrorbekämpfung an jedem Ort der Welt davon ebenso auszuschließen sei wie humanitäre Interventionen zur Durchsetzung der Menschenrechte.

Zur Dual-Use-Problematik erklärte Stuby, daß sich zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen ebensowenig wie zwischen Zivil- und Militärtechnik eine relevante Trennlinie ziehen lasse. Wenn der gesamtgesellschaftliche Forschritt Horn zufolge von Wissenschaft und Forschung abhänge, dürfte ihre Ausgestaltung nicht der Wirtschaft überlassen, sondern müßte zumindest parlamentarisch kontrolliert werden, so Stuby. Abschließend verteidigte er eine Universitätssatzung, die ihre Mittel auf friedliche Zwecke beschränkt und im selben Zuge militärische Forschung exkludiert, sobald diese in einem Verfahren offengelegt sei. Solange an über 400 anderen Universitäten und Hochschulen weiter militärisch geforscht würde, wäre die Pluralität nicht gefährdet.

Im Vortrag - Foto: © 2013 by Schattenblick

Jürgen Lüthje, Gerhard Stuby
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Von der Durchlässigkeit verfassungsrechtlicher Normen

Jürgen Lüthje nahm das Auditorium auf einen geschichtlichen Exkurs zur Rechtsdiskussion um die Wissenschaftsfreiheit mit. Schon in der Weimarer Reichsverfassung habe es eine Freiheitsgarantie für die Wissenschaften gegeben, die allerdings anders als im Grundgesetz der Bundesrepublik noch eine Klausel enthielt, die der kultur- und sozialstaatlichen Zielsetzung des Gemeinwesens einen besonderen Stellenwert einräumte. Erstmals seien die Garantien zur Wissenschaftsfreiheit bereits 1848 diskutiert worden. Auch erinnerte Lüthje daran, daß die Vorarbeiten zur Bremer Landesverfassung nach 1945 einen Gesetzesvorbehalt und eine Anwendungskontrolle der Wissenschaftsfreiheit erwogen hätten. Lüthje zitierte daraus die Formulierung: "Der Mensch steht höher als Technik und Maschine. Zum Schutz der menschlichen Persönlichkeit und des menschlichen Zusammenlebens kann durch Gesetz die Benutzung wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen unter staatliche Aufsicht und Lenkung gestellt sowie beschränkt und untersagt werden." [3] Demzufolge sei in der deutschen Rechtstradition die Möglichkeit begrenzter Beschränkung der Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse zumindest nicht undenkbar gewesen.

Die aktuelle Diskussion um die Zivilklausel oder eine Friedensverpflichtung von Hochschulen, um der Friedensfinalität des staatlichen Gemeinwesens zu entsprechen und damit einhergehend die Beschränkung militärischer Forschung anzuordnen, seien laut Lüthje nur unterschiedliche Ausprägungen des Versuchs, die Verantwortung der Wissenschaft für das friedliche Zusammenleben der Menschen und Völker zu betonen. Daher dürfe man die Debatte nicht isoliert betrachten, sondern müsse sie als Teil des Komplexes Gesamtverantwortung der Wissenschaft für ihren Prozeß und die Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse sehen.

Die Anwendung militärischer Forschung in bezug auf die gesellschaftlichen Auswirkungen müsse ihm zufolge nicht zwingend katastrophaler sein als die potentielle Rückwirkung wissenschaftlicher Erkenntnisse auf das Ökosystem oder das menschliche Sozialsystem. Insofern würde eine in ihrem Grundsatz nur auf die Rechtmäßigkeit der Zivilklausel beschränkte Diskussion zu kurz greifen. Gleiches gelte für die militärische Forschung, die seiner Ansicht nach durchaus zu legitimen Verteidigungszwecken betrieben werden könne, beispielsweise, um im Sinne des Cyberwar Eingriffe in die Informatiksysteme, von denen eine Gesellschaft heutzutage existentiell abhängt, zu verhindern. Auch wenn darüber Erkenntnisse für einen Mißbrauch gewonnen würden, wäre die Forschung weiterhin legitim und unverzichtbar.

Als Beispiel für ein notwendiges Verantwortungsbewußtsein führte Lüthje die Forscher an, die die Kernspaltung entdeckten. Auch sie hätten sich, als sie die enorme Zerstörungskraft der Kernspaltung erkannten, fragen müssen, ob sie ihr Wissen lieber geheimhalten. Allerdings hätte die Freisetzung der Atomenergie auch anderswo auf der Welt erzielt werden können. Von daher sei es durchaus legitim, über dieses Wissen selbst zu verfügen. Anhand dieser Beispiele führte Lüthje aus, daß die Frage einer Beschränkung und Verantwortung wissenschaftlicher Forschung nicht auf der Basis einer binären Ja-Nein-Logik beantwortet werden könne, weil sich darin moralische, ethnische und rechtliche Dilemmata aufbauen, die weder ein klares Ja noch ein klares Nein kennen.

Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen in Artikel 5, Abs. 3 des Grundgesetzes, der ein individuelles Freiheitsrecht für alle wissenschaftlich Tätigen garantiert, legte Lüthje dahingehend aus, daß sie den Gegenstand, die Methoden und die Fragestellung der Forschung wie die Freiheit der Erkenntnisse des Anwendungspotentials umfassen, nicht aber ihre Anwendung selbst.

Sobald die aus Forschung gewonnenen Erkenntnisse den wissenschaftlichen Raum überschreiten, greifen sie in die gesellschaftliche Praxis mit unvermeidlichen Folgen für andere Rechtsgüter ein. Sobald dies geschehe, werde die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht anders behandelt als die Anwendung traditionellen Wissens. Nur bis zur Schwelle der Anwendungsmöglichkeiten reiche Lüthje zufolge die Garantie der Wissenschaftsfreiheit, die auch die Freiheit zu publizieren einschließe. Allerdings hat ein Wissenschaftler auch das Recht, seine Erkenntnisse nicht zu veröffentlichen, wenn er der Meinung ist, daß sie eine zu große Gefahr für die Gesellschaft darstellen.

Neben dem Individualrecht garantiert Artikel 5, Abs. 3 der Institution der Hochschulen auch eine satzungsmäßige Selbstverwaltung in Hinsicht auf wissenschaftlich relevante Angelegenheiten. Lüthje führte weiterhin aus, daß Eingriffe in das Individualrecht eine gesetzliche Grundlage erforderlich machen, die allerdings auch vorsehen kann, daß ein Teil der wissenschaftsrelevanten Fragen in die Selbstverwaltung der Universitäten übergehen kann. Daraus folge im positiven Sinne die Einforderung einer Friedensverpflichtung wissenschaftlicher Arbeit und im negativen Sinne die Beschränkung oder der Ausschluß bestimmter militärischer Forschungsaktivitäten.

Lüthje vertrat mit Blick auf die Dual-Use-Problematik die Ansicht, daß eine repressive Regelungsstrategie erfolglos wäre und zudem Konsequenzen auf andere Verfassungsgüter von gleichem Rang habe. So sei das Überleben der Menschheit nicht weniger bedeutsam als das friedliche Zusammenleben der Menschen. Daher müsse man sich sorgfältig überlegen, welche Türen man aufschlage, um Freiheitsbeschränkungen den Weg zu öffnen. Seine Empfehlung lautete daher, die Verantwortung für die Verwendung wissenschaftlicher Ergebnisse dem Wissenschaftsdiskurs selbst abzufordern, weil eine Friedensverpflichtung und damit ein repressives Verbot militärischer Forschung an Hochschulen und Universitäten sich zwischen sozialer und bindend rechtlicher Norm bewegt. Der Referent sprach sich daher für die Entwicklung von Leitbildern in den Universitäten aus, um über eine körperschaftliche Verständigung gemeinsam verfolgte positive Ziele zu definieren, was die schwierige Problematik der Friedensfinalität von Wissenschaft auf praktischem Wege umgehen würde. Dies sei jedenfalls besser als der Versuch, über Repression und Sanktionen gleichsam Grenzen zu setzen, bei deren praktischer Anwendung man zu fast unlösbaren Fragestellungen kommt.

Jürgen Lüthje, Gerhard Stuby - Foto: © 2013 by Schattenblick

Im Disput
Foto: © 2013 by Schattenblick

Offiziere im Einsatz an der ideologischen Front

Die anschließende Diskussion zwischen Podium und Auditorium verlief lebhaft bis ambivalent. Sie spiegelte jedenfalls die gesellschaftliche Kontroverse in all ihren Bezügen wider. Ein sich als Oberleutnant der Reserve zu erkennen gebender Zuhörer bestritt das unter anderem von Böhrnsen propagierte Öffentlichkeitsprinzip, da selbst eine Zivilverpflichtung nicht verhindert, daß die aus der Universitätsforschung gewonnenen Erkenntnisse für militärische Forscher von Nutzen sein könnten. So gab er unumwunden zu, daß diese Veranstaltung "meiner Bildung dient, und was ich hier mitnehme, werde ich militärisch verwerten".

Ein Redakteuer der Online-Zeitung Schattenblick erinnerte an die materiellen Grundlagen jeder Art von Forschung. Die Problematik des Dual Use verschleiere seiner Ansicht nach lediglich die vielseitigen Facetten der Rüstungsforschung in ihrer gesellschaftlichen Einbindung. Überhaupt sei zu hinterfragen, welche Rolle die Wissenschaften für die Kapitalinteressen und als bildungspolitisches Herrschaftsinstrument spielten. So sei die geplante Gründung einer Hochschule auf dem Gelände des Rüstungskonzerns EADS in München, wo mehr als 60 Millionen Euro Forschungsmittel aus privatwirtschaftlicher Kasse bereitgestellt werden, geradezu entlarvend. Angesichts der Drittmittelabhängigkeit könne von einer Forschungsfreiheit im engeren Sinne nicht die Rede sein. Der Schattenblick-Redakteur machte im weiteren auf das grundsätzliche Mißverhältnis gesellschaftlicher Art, das an dieser Stelle gleichrangig adressiert werden müßte, aufmerksam. Studierende müßten gegen die Lockmittel der Rüstungsindustrie schon sehr gefeit sein, da von der Rüstungsindustrie alimentierte Professuren mit ungleich mehr Stellen und Mitteln ausgestattet seien, als es etwa bei der Forschung im sozialwissenschaftlichen Bereich der Fall wäre.

Kristina Vogt, Vorsitzende der Linksfraktion in der Bürgerschaft, forderte, eine Zivilklausel im Bremer Hochschulgesetz zu verankern, da die Selbstverpflichtung der Zivilklausel der Uni Bremen zum Teil unterlaufen worden sei. Ferner erklärte sie, daß ihr Antrag in der Bürgerschaft, die Abwägung zwischen Wissenschaftsfreiheit und Dual Use mit einer gesetzlich verpflichtenden Zivilklausel zu gewährleisten, abgelehnt worden sei. Außerdem plädierte sie für die Einrichtung einer Forschungsstelle, die sich mit den ethischen und gesellschaftlichen Fragen der Dual-Use-Problematik befaßt. So sei im Bremer Hochschulgesetz vorgesehen, daß Drittmittel für Forschung zeitnah transparent gemacht werden müssen. Eine rechtsverbindliche Zivilklausel für die Bremer Hochschulen könnte helfen, die Diskussion um die Wissenschaftsfreiheit inneruniversitär und an den Hochschulen zu führen.

Ein Student aus der Konfliktforschung regte ein Anwendungsverbot für akademische Forschungsergebnisse bzw. eine Lizenzvergabe für Produkte mit problematischem Nutzen wie im Open Source-Bereich an, während ein Hochschullehrer für Informatik an der Universität Bremen bemängelte, daß viele Lehranstalten von der Politik gedrängt würden, wehrtechnisch relevante Profile zu bilden, um an Fördermittel heranzukommen. Bedauerlich sei ferner, daß ein Verstoß gegen die Zivilklausel, bei der an der Nachrichtenübertragung von Kampfbombern zu Bodenstationen geforscht wurde, erst durch Journalisten aufgedeckt werden mußte. Ein anderer Zuhörer kritisierte die Unterscheidung zwischen Inklusion und Exklusion als irreführend, weil es seiner Ansicht nach eher um die Frage ginge, ob an Krieg und Zerstörung oder an der Zukunftsfähigkeit ziviler Gesellschaften geforscht werden soll. Ihm zufolge sei es unsinnig, in Afghanistan zu prüfen, ob die Bundeswehr Akzeptanzen in der afghanischen Bevölkerung erfährt. Interessant war zudem der Ansatz eines Konfliktforschers, der darauf hinwies, daß Waffenforschung und Militärforschung prinzipiell nicht dasselbe seien. So gäbe es Waffen, die durchaus für das Militär wichtig und nützlich sind, aber andererseits auch Waffen, die außerhalb des Militärbereichs angewendet und erforscht werden wie zum Beispiel Biowaffen, die aus wirtschaftspolitischen Motiven zum Landraub verwendet werden, was bei der Diskussion um universitäre Forschung seiner Ansicht nach nicht berücksichtigt werde.

Ein anderer Offizier der Bundeswehr, der derzeit in einer wissenschaftlichen Tätigkeit am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg arbeitet, erklärte sich in völliger Übereinkunft mit den Ausführungen Lüthjes. Gönnerhaft sprach er denjenigen, die sich vehement für eine Zivilklausel einsetzten, zwar den guten Willen nicht ab. Allerdings, so der Bundeswehroffizier, beruhe die Idee auf der gravierenden Fehleinschätzung eines vermeintlichen Gegensatzes zwischen Frieden einerseits und Militär und Rüstung andererseits. So dürfe eine Friedensverpflichtung nicht verhindern, daß die Streitkräfte, die den Frieden sichern oder gegebenenfalls wiederherstellen, gut ausgerüstet sind, um ihren Auftrag zu erfüllen. So unterstellte er Stuby gar Verfassungsfeindlichkeit, da dieser offenbar nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehe, das nach Artikel 87 a vorsehe, daß der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufzustellen habe.

Stuby zeigte sich von der Anschuldigung irritiert. So könne er nicht nachvollziehen, daß seine Darstellung der Problematik als verfassungswidrig eingestuft werde. Ihm sei es lediglich um die Einführung eines kontrollierenden Verfahrens gegangen, mit dem überprüft werden könne, ob in einem Dual-Use-Forschungsprozeß die Schwelle zur rein militärischen Forschung überschritten sei. In einem solchen Fall hätte die Universität dann das Recht, diese Art der Forschung zu exkludieren.

Podium und Publikum der Arbeitsgruppe - Foto: © 2013 by Schattenblick

Forum "Militärforschung an Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen und das Recht"
Foto: © 2013 by Schattenblick

Positionierung tut not

Wie die Dual-Use-Problematik und der Verweis auf andere Wissenschaftsfelder mit potentiell zerstörerischen Folgewirkungen zeigen, ist gegen eine Verwendung von Forschungsergebnissen, die zu Lasten bestimmter Menschen geht, kein regulatorisches Kraut gewachsen. So können geologische Erkenntnisse für operative Formen der Ressourcensicherung genutzt werden, die zu den erklärten internationalen Einsatzzielen der Bundeswehr gehören, Anthropologen beackern das Human Terrain zur Befriedung und Einbindung von Bevölkerungen militärisch eroberter Staaten, und die psychologische Betreuung traumatisierter Folteropfer wurde in den USA per Reverse Engineering in regelrechte Folterforschung umgewidmet. Die in mehreren Vorträgen aufscheinenden Ambivalenzen in der Abwägung, wie weit Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit vor dem Hintergrund einer dadurch ermöglichten Unterdrückung wertvoller Erkenntnisse gehen dürfe, als auch die mehrfach zu vernehmende Warnung vor einer prinzipiell antimilitaristischen Positionierung der Zivilklauselbewegung illustrieren das Dilemma eines Wissenschaftsbetriebs, der nicht nur von der Bemittelung durch privatwirtschaftliche Interessen abhängig, sondern integrales Element auf kapitalistischer Vergesellschaftung beruhender Staatlichkeit ist.

Von daher kann die kritische Überprüfung der Inhalte von Forschung und Lehre auf ihre potentiell zerstörerischen Folgewirkungen unterhalb der Schwelle fundamentaler Gesellschaftskritik nicht mehr erbringen als ein notdürftiges Manövrieren in bloßer Reaktion auf realpolitische Imperative. Diese drängen im Rahmen des nationalen wie EU-europäischen Krisenmanagements auf die weitere Militarisierung von Staat und Gesellschaft, wie an anderer Stelle auf der Quo-vadis-NATO?-Konferenz ausführlich dargelegt wurde. Die Antwort auf diese Frage zu antizipieren, um in die gesellschaftliche Offensive gegen Krieg und Vernichtung zu kommen, wäre das mindeste, um die herrschenden Gewaltverhältnisse auch im Hochschulbetrieb klar beim Namen zu nennen und zum Anlaß der Überwindung menschenfeindlicher wie naturzerstörender Technologieentwicklung zu nehmen. Da dies aus Gründen opportunistischer Indifferenz und materieller Abhängigkeit ohne eine antikapitalistische und radikalökologische Perspektive nicht möglich sein wird, werden kleine Reformschritte den in der Bundesrepublik mit massenmedialer wie institutioneller Macht vorangetriebenen Marsch in neue Kriege bestenfalls verzögern und schlimmstenfalls durch die Absorption möglichen Widerstands begünstigen.

So ist auch die auf der Konferenz aufgeworfene Frage nach dem Recht nicht zu beantworten ohne Blick auf eine realpolitische Entwicklung, die sich kaum mehr an die verfassungs- und völkerrechtlichen Voraussetzungen staatlicher Herrschafts- und Gewaltausübung zurückbinden läßt. Wie die NSA-Spähaffäre und die per bewaffneter Drohne vollzogene Praxis "extralegaler Hinrichtungen" belegen, befinden sich deren Urheber keineswegs in einer Rechtfertigungsnot, die Handhabe zur Einstellung dieser Staatspraktiken böte. Vielmehr erwächst aus dem angewandten Dezisionismus geostrategischer Dominanz die selbstevidente Transformation der Ausnahme von der Regel in den regelhaften Ausnahmezustand. Was lange vor dem 11. September 2001 an innovativen Formen exekutiver Ermächtigung in Erscheinung trat, nimmt zwölf Jahre nach dieser nur scheinbaren Zäsur Konturen einer generalisierten Notstandsordnung an, die der Krise des Kapitals bestenfalls als Vorwand bedarf, um wirkmächtigere Formen antidemokratischer Herrschaft zu etablieren. Deren Implementierung findet längst statt, und die dagegen errichteten Brandmauern können nicht halten, weil sie von ihren Erbauern selbst demontiert werden.


Fußnoten:

[1] http://www.welt.de/regionales/koeln/article121525913/Streit-um-Kissinger-Professur-der-Bundesregierung.html

[2] http://www.forschung-und-lehre.de/wordpress/?p=11806

[3] http://www.bundesrecht24.de/cgi-bin/lexsoft/bundesrecht24.cgi?chosenIndex=0708&highlighting=off&xid=168877,15&uxz=15363030&a1=0708&c1=1&c2=05&c3=12&c4=1211

SB-Berichte auf Kongreßwebseite:
http://www.ialana.de/arbeitsfelder/frieden-durch-recht/dokumente-des-nato-kongresses-april-2013-in-bremen/578-liste-der-kongressveranstaltungen

Alle Beiträge zum Kongreß "Quo vadis NATO?" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/148: Quo vadis NATO? - sowohl als auch ... (SB)
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5. November 2013