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BERICHT/251: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - haften oder nicht haften ... (2) (SB)


Herrschaftsinstrument Menschenrecht

Veranstaltung zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte am 27. September 2016 in Berlin



Die Genannten nebeneinander an Tischen sitzend - Foto: © 2016 by Schattenblick

Julia Duchrow, Ferdinand Muggenthaler, Bärbel Kofler und Johannes Merck (v.l.n.r.)
Foto: © 2016 by Schattenblick

In der Menschenrechtsrhetorik wurde bislang ein Rechtsverständnis vorgehalten, demzufolge die Menschenrechte als Abwehrrechte gegenüber staatlicher Gewalt fungierten. Unternehmen standen, wenn überhaupt, nur mittelbar in der Pflicht. Dies könnte sich ändern, ginge es nach den Absichten der Initiatoren und Befürwortern des sogenannten UN-Treaty-Prozesses [1]. Die Idee, große oder gleich alle Unternehmen menschenrechtlich in die Pflicht zu nehmen, täuscht allerdings eine im Grundsatz intakte Scheinwelt vor, in der der Status Quo kapitalistischer Wertschöpfung, Konsumption und Distribution als menschenrechtskompatibel definiert wird und die bestehenden Eigentumsverhältnisse unangetastet bleiben.

Menschenrechtsvergehen fangen in dieser Lesart erst bei zugespitzt katastrophalen Extremfällen an, die als zu korrigierende Ausnahmen einer ansonsten akzeptablen globalen Ordnung kommuniziert werden. Eine Katastrophe, die auf diese Weise instrumentalisiert wurde, hatte sich am 24. April 2013 in Bangladesh ereignet. Ein Fabrikhochhaus in der Nähe der Hauptstadt Dhaka stürzte ein, etwa 1.200 Menschen starben. Fünf Fabriken, die dort nähen ließen, produzierten für deutsche Textilunternehmen. [2] Für einen kurzen Moment drohte das Bild einer schönen neuen Welt zu zerreißen. So viele Tote, tödliche Produktionsbedingungen in weiter Ferne, aber doch in einem direkten Zusammenhang zur eigenen Wirtschaft, waren Grund und Anlaß genug für gegenregulatorische Maßnahmen.

Der Einsturz der Rana-Plaza-Textilfabrik, so war zu vernehmen, habe bei einigen Branchenvertretern zu einem Umdenken geführt. In Deutschland schlossen sich mehr als 100 Firmen und Verbände einem Bündnis für faire Löhne und mehr Arbeitsschutz bei der Produktion im Ausland an. Gemeinsam mit Politik und Zivilgesellschaft sollten die Sozial- und Umweltstandards in der Produktions- und Lieferkette verbessert werden. [2] Die gegenüber dem Textilbündnis laut gewordene Kritik, es setze nur auf freiwillige Unternehmensverpflichtungen, stieß zunächst nur auf ein geringes Echo; inzwischen hat es allerdings ganz den Anschein, als wäre auch von Unternehmerseite die Idee einer diesbezüglichen Verbindlichkeit als nützlich erkannt worden.

Die Ideen, daß Unternehmen für die gesellschaftlichen Folgen ihres Handelns haftbar gemacht und ganz allgemein eine soziale und ökologische Verantwortung übernehmen sollten, ist weitaus älter als der katastrophale Fabrikeinsturz in Bangladesh. Corporate Social Responsibility (CSR), zu deutsch soziale Unternehmensverantwortung, lautet der Begriff, der sich dafür bereits eingebürgert hat. Die Europäische Kommission definierte CSR 2001 als "Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren." [3] Seit langem allerdings werden die angeblich altruistischen Motive in Frage gestellt, weil, so die Begründung, die unternehmerische Verantwortung mittel- und langfristig zur Steigerung des unternehmerischen Erfolgs beitrage.


Menschenrechtsengagierte Unternehmen im UN-Treaty-Prozeß

Am 27. September fand in Berlin eine von mehreren Nichtregierungsorganisationen veranstaltete Podiumsdiskussion statt zum Thema: "Der Treaty-Prozeß bei den Vereinten Nationen - Brauchen wir ein internationales Abkommen für Wirtschaft und Menschenrechte?" [1]. An ihr nahm unter Moderation von Ferdinand Muggenthaler, dem Amerika-Referenten der Rosa-Luxemburg-Stiftung, neben Dr. Julia Duchrow, der Referatsleiterin Menschenrechte und Frieden bei Brot für die Welt und Dr. Bärbel Kofler, der Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe, mit Dr. Johannes Merck auch der Direktor für Soziale Unternehmensverantwortung bei der Otto Group teil, einer weltweit tätigen Handels- und Dienstleistungsgruppe mit rund 50.000 Mitarbeitern, die in den Bereichen Einzelhandel, Finanzdienstleistungen und Service tätig ist und im Geschäftsjahr 2015/16 12 Milliarden Euro Umsatz erzielte. Unternehmerische Verantwortung (Corporate Responsibility, CR) und Nachhaltigkeit sind nach eigenen Angaben in der Otto Group Chefsache. [4]

Für oberflächliche PR-Aktionen der Wirtschaft bürgerte sich schnell der Begriff "Social Washing" ein. Die christliche Initiative Romero, Gründungsmitglied der internationalen Kampagne für Saubere Kleidung, wies beispielsweise in einer eigenen Studie nach, daß Plantagenarbeiter in Südamerika nach wie vor kaum Lohn bekämen, in menschenunwürdigen Unterkünften lebten und von häufigen Fabrikunfällen und Pestiziden am Arbeitsplatz bedroht seien. Eine Initiative, all das zu beseitigen, gäbe es Romero zufolge nicht. Dr. Johannes Merck bestritt in einer Rundfunkreportage zum Thema "Deutsche Firmen in Entwicklungsländern - Menschenrechte als PR-Thema" im September 2015 keineswegs, daß es dieses Greenwashing- oder Socialwashing-Phänomen gäbe, was ihm zufolge sehr mißlich sei, "weil es auf diese Art und Weise immer wieder zu Vertrauensverlusten beim Konsumenten kommt, und das verzerrt letztendlich den Markt." [5]

Auf der Berliner Veranstaltung zum UN-Treaty sprach Johannes Merck auf die Frage, ob ein verbindliches UN-Abkommen eine historische Errungenschaft oder doch ein nutzloses Papier wäre, das, wie er es nannte, Marktversagen an. Der Markt müsse reguliert werden, wenn er nicht das täte, was vom ihm erwartet werde, nämlich eine in ökologischer wie sozialer Hinsicht nachhaltige Wirtschaft zu organisieren. Gängigen wirtschaftstheoretischen Modellvorstellungen entspricht das eigentlich nicht. Ihnen zufolge trügen Wettbewerbsdruck und Wirtschaftsfreiheit zu hoher Produktivität und Wohlstand bei, weshalb der Staat das Privateigentum an Produktionsmitteln garantieren und den Wettbewerb sichern müsse. [6] Auch wenn das Marktmodell, wie in jüngerer Zeit geschehen, über das Konzept der sozialen Marktwirtschaft hinaus mit weiteren Attributen versehen wird, indem von einer ökosozialen, nachhaltigen oder humanen Marktwirtschaft die Rede ist, bleibt es doch dabei, daß ihre Voraussetzungen nicht in Frage gestellt werden - ganz zu schweigen von der Frage, ob sie überhaupt zu regulieren imstande ist, was sie vorgibt regulieren zu können.


J. Merck in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Johannes Merck
Foto: © 2016 by Schattenblick


Ein teures Vergnügen

Er könne für die Otto Group, wie Johannes Merck auf der Veranstaltung erklärte, aber auch als Vertreter der deutschen Textilwirtschaft sagen, daß die Verantwortung gegenüber den Lieferanten auf der ersten Ebene schon sehr stark praktiziert werde. Die Otto Group sei einer der größeren, aber keiner der ganz großen Akteure in diesem Bereich. Die Konzerngruppe habe 5000 Lieferanten. Würde man diese Zahl mit 5 oder 10 multiplizieren, um die Zahl der Vorlieferanten abzuschätzen, ergäbe das schnell 25.000 bis 50.000 Zulieferbetriebe. In eine solche Komplexität, so erklärte er, käme er als einzelner Akteur beim besten Willen nicht hinein. Wenn Sie mich jetzt in die Haftung nehmen wollten, weil es in Vietnam einen Spinnereibetrieb gibt, in dem eine bestimmte Bevölkerungsminderheit diskriminiert wird, würde ich sagen, daß mich das natürlich empört, so Merck. Aber wie solle er wissen, ob der mit seinem Garn einen Lieferanten beliefert, der einen Stoff produziert, der wiederum von einer Färberei gefärbt wird, die wiederum einen meiner Vorlieferanten, der den Zuschnitt macht, beliefert, der dann einen meiner 5000 Lieferanten beliefert?

Wenn ich das alles wissen wollte, müßte ich einen erheblichen Aufwand betreiben, so Merck, was die Unternehmen natürlich schrecke, denn das koste Geld. In Sachen Menschenrechte Transparenz in der gesamten Wertschöpfungskette herzustellen und die Sorgfaltspflichten zu gewährleisten, sei ein teures Vergnügen, müsse doch diese Riesenkomplexität durch entsprechende Systeme durchdrungen werden. Das sei technisch natürlich möglich und würde auch funktionieren, wenn der Druck auf ein Unternehmen nur groß genug sei und es ums nackte Überleben gehe. Bei dieser enormen Komplexität stünde ein Unternehmen, ob freiwillig oder nicht, vor der Schwierigkeit, den Handlungsrahmen seiner Möglichkeiten abzustecken.

Eine Situation herzustellen, in der alle Unternehmen dieselben Pflichten hätten, wäre nicht nur wünschenswert, sondern aus Wettbewerbsgründen geboten, damit es nicht zu Wettbewerbsverzerrungen oder nicht-tarifären Handelshemmnissen komme. Die Chancen, so etwas global durchzusetzen, seien jedoch sehr, sehr gering. Werde mit der gesetzlichen Keule gedroht, also einer rechtsverbindlichen Verpflichtung, würde das die Unternehmen nicht besonders erschrecken, so Merck, denn die würden sich ja fragen, wer will das denn wie durchsetzen?

Gegen ein Gesetz, das der Wirtschaft einen vernünftigen wettbewerblichen Rahmen gäbe, würde jedoch kaum jemand etwas einzuwenden haben. Unternehmen seien an einem vernünftigen Marktgeschehen interessiert. Werde der Markt so reguliert, daß ein Unternehmen, das in menschenrechtlicher Hinsicht etwas täte, keine Nachteile gegenüber einem anderen hätte, bei dem das nicht der Fall sei, würde dies niemanden in der Wirtschaft schrecken. Doch wie ist das konkret zu verstehen? Soll hier der Staat einspringen? Da die Erfüllung der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten in der Komplexität der Produktions- und Lieferketten, wie Merck erläutert hatte, ein "teures Vergnügen" sei, wäre die Forderung, die Allgemeinheit sollte Kompensationszahlungen an menschenrechtsaktive Unternehmen leisten, nur folgerichtig.

Natürlich gäbe es Kleinbauern in der Agrarwirtschaft Afrikas, so fuhr Johannes Merck fort, die menschenrechtlich unter extrem prekären Verhältnissen lebten. Doch ist das noch "my cup of tea"? Wenn wir über Menschenrechte sprechen, wüßte er gern, inwieweit das für ihn immer noch ein Handlungsfeld sei. Das alles zu regulieren, halte er für ausgeschlossen. Wenn es um Regulierung und Verbindlichkeit gehen soll, müsse irgendwo eine Grenze gezogen werden, damit Unternehmen sich darauf einstellen und sagen können, das hier ist meine Sorgfaltspflicht, der kann ich auch nachgehen. Würden ökologische und soziale Aspekte für das Überleben eines Unternehmens dieselbe Rolle spielen wie ökomomische, würde der Markt das ja auch regulieren. Das sei aber nicht der Fall, weil es auf der Nachfrageseite nicht klappen würde. Den Konsumenten sei dies leider nichts wert - was nicht als Konsumentenschelte gemeint sei -, und so müsse für dieses Marktversagen eine Ersatzlösung geschaffen werden.


Kritik an Markt und Marktversagen

Aus den Publikum erhoben sich in der anschließenden Diskussion gegenüber dieser unternehmerischen Sichtweise und Positionierung kritische Stimmen. Ein Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung erklärte, er verstünde die ganze Debatte nicht, weil der Markt selbstverständlich "versage", wenn es um etwas anderes als den Profit gehe, denn das allein sei seine Funktion; und da sei auch die Grenze der Wirtschaft, der daraus insofern auch überhaupt kein Vorwurf zu machen sei. Wenn es um Menschen- und Frauenrechte gehe, um ökologische und soziale Fragen, sei das nur über Gesetze zu machen. Die skeptische Frage eines Attac-Mitglieds, wie sich denn ein mögliches UN-Abkommen zu Wirtschaft und Menschenrechten zu den vorhandenen Handels- und Investitionsschutzabkommen stellen würde, deutete ein weiteres Problemfeld an.

Bezugnehmend auf die Schattenblick-Frage, welches Interesse die Bundesregierung, da der Standort Deutschland über zwei Konkurrenzvorteile verfüge, nämlich den Niedriglohnsektor, also die Ausbeutung im Innern, und die sogenannten Wertschöpfungsketten, also die Ausbeutung nach außen, daran haben könnte, die deutschen Exportvorteile zu Lasten anderer Staaten und Menschen zu regulieren, meldete sich Johannes Merck zu Wort. "Wir sind ja eine wertegetriebene Gesellschaft", so erläuterte er. Ginge es nach rein ökonomischer Logik, so hätten wir keine Interessen, was nicht stimme, denn wir wollten doch "eine globale Gesellschaft organisieren, in der das Wirtschaften nicht auf Kosten der Menschen und nicht auf Kosten der Natur geht". Diesem sozialen und gesellschaftlichen Konsens sollten wir, so der Direktor der Otto Group für Soziale Unternehmensverantwortung, auch von hier aus als Wertmaßstab zu folgen versuchen.

Da bleibt mehr als ein schaler Nachgeschmack zurück. Sollte es den Repräsentanten großer Unternehmen gelingen, sich an die Spitze von Initiativen, Bestrebungen und Bewegungen zu setzen, die die soziale Frage auf die Tagesordnung bringen wollen und die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse kritisieren, kann eine wirksame Gegenposition, deren Akteure nicht davor zurückschrecken, die Macht- und Gewaltfrage zu stellen, kaum noch formuliert werden. Wird der Menschenrechtsdiskurs auf Unternehmen ausgeweitet, vorgeblich im Interesse der vielen Menschen, die durch das sogenannte unternehmerische Handeln beeinträchtigt und geschädigt werden, würde das Feld möglicher Proteste und Gegenbewegungen mehr noch als bisher kontaminiert und besetzt werden; immer vorausgesetzt, daß sich große Bevölkerungsteile tatsächlich in einer so prekären Frage fundamental täuschen ließen.


Futuristisch anmutende, weiße Innenwände mit einer Statue und zwei Teilnehmern - Foto: © 2016 by Schattenblick

Blick ins Innere des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung e.V. in Berlin
Foto: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Siehe auch die bisherigen Berichte zu der Veranstaltung im Schattenblick unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/245: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (1) (SB)
BERICHT/246: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (2) (SB)
BERICHT/250: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - haften oder nicht haften ... (1) (SB)

[2] http://www.3sat.de/page/?source=/boerse/magazin/182068/index.html

[3] Grünbuch Europäische Rahmenbedingungen für die soziale Verantwortung der Unternehmen. (PDF; 198 kB) KOM (2001) 366 endgültig, Brüssel 2001

[4] http://www.ottogroup.com/de/verantwortung/Nachhaltige-Unternehmensfuehrung/CR-Organisation.php

[5] http://www.deutschlandradiokultur.de/deutsche-firmen-in-entwicklungslaendern-menschenrechte-als.1278.de.html?dram:article_id=330846

[6] http://www.wirtschaftslehre.ch/wisys/mindmap_ws3-85.htm


Weitere Beiträge zur Veranstaltung zum UN-Treaty im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/245: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (1) (SB)
BERICHT/246: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - ein Abwasch und los ... (2) (SB)
BERICHT/250: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - haften oder nicht haften ... (1) (SB)
INTERVIEW/324: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - Regulation unvermeidlich    ... Jens Martens im Gespräch (SB)
INTERVIEW/326: Lebens- oder Wirtschaftsrecht - Fairplay ...    Julia Duchrow im Gespräch (SB)


4. November 2016


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