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BERICHT/261: Übergangskritik - sozialökologisch versus Grünkapital ... (SB)



Podiumsdiskussion bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin am 4. März 2017 - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Sozial-ökologische Krise und die Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse"
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Von der marxistischen Traditionslinken nicht selten zum bloßen Nebenwiderspruch degradiert, wenn nicht gar pauschal als fünfte Kolonne bürgerlicher Unterwanderung der klassenkämpferischen Linientreue bezichtigt, wird die Frage der ökologischen Krise inzwischen mit Fug und Recht als gleichrangig mit den ökonomischen, sozialen und politischen Katastrophenszenarien eingestuft und diskutiert. War sie lange ein blinder Fleck in der Sichtweise diverser linker Positionen, so galt das umgekehrt mit Blick auf die radikale Linke um so mehr für erhebliche Fraktionen im breiten Spektrum der Umweltbewegung, die sich nicht zuletzt in Reaktion auf das Scheitern gesellschaftsverändernder Ansätze formierte, von deren Kompromißlosigkeit distanzierte und in konsensfähigere Sphären absetzte. Noch immer zu postulieren, daß die ökologischen Herausforderungen erst nach der Überwindung des Kapitalismus zu bewältigen seien, mutet im Lichte realsozialistischer Geschichte nicht minder schicksalsergeben wie die vage Hoffnung auf systemkompatible grüne Lösungsansätze an.

Im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen oszilliert das sozialökologisch konnotierte Ringen um innovative theoretische Entwürfe und wirkmächtige Handlungsoptionen, unablässig getrieben von den sich schließenden Zeitfenstern für die Abwendung unumkehrbarer klimatischer Umbrüche und sozialer Verwerfungen. Was aus eurozentrierter Sicht wie eine verbliebene Frist von wenigen Jahrzehnten anmuten mag, innerhalb derer bestimmte Zielvorgaben erfüllt werden müssen, stellt sich in wachsenden Regionen des globalen Südens längst als unabweisliche Zerstörung der notdürftigsten Überlebensvoraussetzungen für Millionen von Menschen dar.

Sollte der Kapitalismus, wie wir ihn kennen, tatsächlich am Ende sein, steht zu befürchten, daß seine Sachwalter und vorrangigen Nutznießer schneller und rückhaltloser als seine Gegner die entsprechenden Konsequenzen ziehen, um ihre Interessen zu sichern und fortzuschreiben. Ob dies ein modifiziertes Akkumulationsregime auf fossilistischer Grundlage, ein grüner Kapitalismus oder gar eine bislang ungekannte Verfügungsgewalt jenseits der Charakteristika profitmaximierenden Wirtschaftens sein könnte, ist keine akademische, sondern eine geradezu existentielle Frage. In der Menschheitgeschichte haben sich die Sturmtruppen einer neuen Epoche zumeist als die Türöffner eines produktiveren ökonomisch-politischen Systems erwiesen, das die alte Herrschaft stürzte, um eine neue zu errichten. Wer sich auf die Fahne geschrieben hat, mit dieser Entwicklungslogik zu brechen, dürfte gut beraten sein, die sozial-ökologischen Entwürfe kritisch auf ihre Tauglichkeit für die eine oder andere Seite abzuklopfen.


Bei der Moderation - Foto: © 2017 by Schattenblick

Tadzio Müller
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Zur Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse

Bei der Konferenz "Am Sterbebett des Kapitalismus? - Kapital, Krise, Kritik", die das Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Helle Panke e.V. am 3. und 4. März in Berlin veranstaltet haben, stand ein Panel unter dem Thema "Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen. Sozial-ökologische Krise und die Theorie gesellschaftlicher Naturverhältnisse". Unter Moderation von Tadzio Müller (Referent für Klimagerechtigkeit und Energiedemokratie der RLS) diskutierten Hendrik Sander (Interventionistische Linke) und Markus Wissen (Professor für sozialökologische Transformation an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) auf dem Podium und mit dem Publikum.

Wie Tadzio Müller als Leitlinie hervorhob, müsse sich die Linke der fundamentalen Herausforderung dieser sozial-ökologischen Krise stellen. Auf seine Eingangsfrage, wie man die gegenwärtige Phase aus einer linken Perspektive benennen und beschreiben könne, ging zunächst Markus Wissen ein. Er hat gemeinsam mit Ulrich Brand in ihrem Buch "Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus" [1] in dieser Diskussion ein profiliertes Zeichen gesetzt. Die Diagnoseversuche, führte er aus, bewegten sich auf sehr unterschiedlichen Zeitskalen. In der jüngeren ökologischen Debatte nehme der Begriff des Anthropozäns großen Raum ein. Dieser Sichtweise zufolge befinden wir uns mittlerweile in einem neuen Erdzeitalter, in dem die Menschheit zu einer prägenden geophysikalischen Kraft geworden ist. Eine vom Menschen unberührte Natur gebe es heute kaum mehr, der Verlust der biologischen Vielfalt, Klimawandel, radioaktive Niederschlag, ökologische Fußabdruck von Megacities oder die Bergbauaktivitäten zeugten von einer tiefgreifenden Transformation.

Der Begriff "Anthropozän" sei jedoch ambivalent: Er trage zwar dem Umstand Rechnung, daß Natur vom Menschen gemacht ist, bringe aber nicht zur Sprache, wer auf welche Art und Weise Natur produziert. Wenn vom Menschen oder der Menschheit die Rede sei, naturalisiere die Debatte gesellschaftliche Verhältnisse. Aus dieser Verkürzung ließen sich lediglich geringfügige Veränderungen des politischen und sozialen Status quo ableiten, nämlich marktförmige und technische Lösungsvorschläge wie Geoengineering. Man habe es gewissermaßen mit einer Verbindung von apokalyptischem Denken und dem Festhalten an den herrschenden Verhältnissen zu tun.

In der ökomarxistischen Debatte sei demgegenüber der Begriff des Kapitalozäns eingeführt, dem zufolge im Kapitalismus Menschen so auf Natur einwirken, daß dies in die ökologische Krise mündet. Der Referent schlug jedoch eine noch engere Zeitskala vor, da die Denkweise des Kapitalozäns bestimmte zusammenbruchstheoretische Implikationen habe. Dem Kapitalismus kämen bestimmte Voraussetzungen abhanden, die er brauche, um weiter existieren zu können. Wir wüßten jedoch nicht, ob sich die aktuelle Krise womöglich als ein Jungbrunnen des Kapitalismus erweist, der in Gestalt eines neuen Akkumulationsregimes gestärkt daraus hervorgehen könnte. Dieser Ansatz speise sich eher aus der Regulationstheorie, die von einer bestimmten Abfolge kapitalistischer Akkumulationsregime und Entwicklungsweisen ausgehe, ohne ein mögliches Ende des Kapitalismus auszuschließen.

Muß man demnach, wie Tadzio Müller als Zwischenfrage einwarf, von der kapitalistischen Etappenfolge Fordismus, Keynesianismus, Interregnum, Neoliberalismus, Interregnum und 2020 grüner Kapitalismus ausgehen? Hendrik Sander, der mit seiner Arbeit "Auf dem Weg zum grünen Kapitalismus? Die Energiewende nach Fukushima" [2] auf diesem Gebiet geforscht und publiziert hat, hob hervor, daß es sich dabei um eine mögliche, aber keineswegs zwangsläufige und definitiv zu prognostizierende Entwicklung handle. Seit der noch immer anhaltenden Krise von 2007/2008 diskutiere auch der politische Mainstream, ob Ansätze unter den Stichworten Green Economy oder Green New Deal ein Lösungspotential bergen könnten. Solche Elemente tauchten in den Konjunkturprogrammen verschiedener Staaten auf. Wenngleich diese Konzepte weder zu einer Lösung der ökonomischen noch der ökologischen Krise führten, könnten sie doch zur Herausbildung eines grünen Kapitalismus beitragen. Dies wäre ein neues hegemoniales Projekt, in dem eine ökologische Modernisierung der Wirtschaft und Gesellschaft zu einem zentralen Entwicklungsmotor würde, aber die gesellschaftlichen Widersprüche nur temporär bearbeitet, nicht aber grundlegend gelöst würden.

In der Kontroverse, ob ein solches Szenario plausibel sei oder nicht, könnte die Klärung der Frage Hinweise liefern, ob es schlagkräftige gesellschaftliche Akteure gibt, die eine ökologische Modernisierung als Krisenstrategie implizit oder explizit vorantreiben. Die deutsche Energiepolitik im Bereich der Stromerzeugung weise eine Kehrtwende der Laufzeitverlängerung zum Ausstieg nach Fukushima auf. Ein graues Energieprojekt wäre das klassische, fossilistische, konzernbasierte Projekt. Ein grünes Projekt würde alle Akteure zusammenfassen, die zumindest eine Veränderung dieser Form der Naturausbeutung anstreben, und reichte von der Anti-Atom-Bewegung bis zum Windanlagenunternehmen. Es ließen sich jedoch keine substantiellen Kräfte in Deutschland ausmachen, die eine ökologische Modernisierung im Energiebereich forcieren. Die Bundesregierung versuche, den Übergang so zu gestalten, daß sich die Machtverhältnisse nicht grundlegend ändern. Dies sei eine Keimform des grünen Kapitalismus zumindest in den Grenzen der Energiepolitik, die eine stärkere Dynamik auslösen könnte. Grüner Kapitalismus wäre ein mögliches Szenario, doch dominiere vorerst der fossilistische Kapitalismus mit einigen grünen Elementen, so der Referent.


Auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Hendrik Sander
Foto: © 2017 by Schattenblick


Ökologische Klassenpolitik gefordert

Wie Tadzio Müller zu bedenken gab, habe ab 2008 der Eindruck vorgeherrscht, daß auch die ökologischen Krisen dramatisch zunehmen und Gegenmaßnahmen auf der Tagesordnung stünden. Heute schienen diese zivilisationsbedrohenden Krisen in der gesellschaftlichen Debatte kaum noch präsent zu sein. Hendrik Sander teilte diese Einschätzung und erinnerte seinerseits daran, daß die ökologische Krise zwischen 2009 und 2011 im Mittelpunkt sozialer Auseinandersetzungen gestanden und sich die Frage verdichtet habe, wie die Gesellschaft weiterzuentwickeln sei. Angela Merkel habe Einwände aufgegriffen, integriert und auf diese Weise nicht unmaßgeblich dazu beigetragen, die ökologische Frage wieder in den Hintergrund zu drängen. Inzwischen habe sich der Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Auseinandersetzungen zur Flüchtlingsfrage verschoben. Dennoch bleibe die ökologische Frage weiterhin in den drei Polen der aktuellen Kräftekonstellation präsent. Das neoliberale Projekt dominiere mit Austerität, aber auch der Verteidigung liberal-demokratischer Errungenschaften, und stehe für ein Mitte-oben-Bündnis. Den rechten Pol vereine die Bekämpfung von Flüchtlingen, der Rückzug in den nationalen Wohlfahrtsstaat und eine breite Basis von abgehängten Milieus bis zu konservativen Eliten. Dem müßte eigentlich als dritter Pol ein emanzipatorisches Projekt mit universellen Menschenrechten, globaler Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie gegenüberstehen, dem man die Linkspartei, die Gewerkschaften und als Basis eher besser gebildete, urbane Milieus zuordnen könnte, so der Referent. Alle Akteure bezögen sich in irgendeiner Form auf ein grünes Projekt, wobei es insbesondere Überschneidungen zwischen dem neoliberalen und dem solidarischen Pol gebe. Einerseits drängten Akteure der ökologischen Modernisierung auf einen grünen Kapitalismus, der mit neoliberalen Paradigmen konform gehen könnte, andererseits forderten Umweltverbände und Klimabewegung eine sozial-ökologische Transformation. Selbst bei den Rechten gebe es mitunter Bezüge zu ökologischen Fragen, jedoch eher auf instrumentelle Weise wie etwa beim Heimatschutz. Dem stünden Angriffe auf das Klimacamp in der Lausitz oder die Leugnung des Klimawandels in Teilen der AfD gegenüber.

Liegt die Annahme dieser drei Pole nicht quer zu der These, daß hierzulande, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, alle Profiteure einer imperialen Lebensweise sind, wandte sich Tadzio Müller an Markus Wissen. Dieser verwies zunächst auf Stephan Lessenichs Buch "Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihre Kosten" [3]. Darin sei von einer Gesellschaft die Rede, die in hohem Maße auf einer Verlagerung ökologischer Kosten in andere Teile der Welt gründe. Unsere Gesellschaft beruhe darauf, daß sie Ressourceninputs aus unentgeltlichen oder sehr schlecht bezahlten Vorleistungen von Arbeitskräften aus dem globalen Süden bezieht und Schadstoffe an diesen zurückschicken kann. Lessenichs Analyse fehle allerdings die Klassendimension. Demgegenüber hierarchisiere der Ansatz der imperialen Lebensweise auch im globalen Norden. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hätten die ärmsten 45 Prozent der Welt lediglich 7 Prozent der CO2-Emissionen verursacht, die reichsten 7 Prozent jedoch 25 Prozent. Es stelle sich auch im nationalen Maßstab so dar, daß diejenigen, die am meisten verdienen, auch am meisten zur Produktion von Schadstoffen beitragen. Daher zeichne sich eine linke Herangehensweise an die ökologische Krise dadurch aus, diese in zweierlei Hinsicht als soziale Frage zu begreifen: Zum einen sei die Verantwortung für die ökologische Krise ungleich verteilt. Zum anderen gelte das auch für die Folgen. So zeige das Beispiel des Hurrikans "Katrina", daß in New Orleans vor allem die tieferliegenden Viertel mit schwarzer Bevölkerung betroffen waren. Erforderlich sei eine ökologische Klassenpolitik, so der Referent.


Ausstieg aus der Braunkohle und Konversion

Tadzio Müller brachte als weiteren Gesichtspunkt die Frage des Ausstiegs aus der Braunkohle und der Konversion in die Diskussion ein. Deutschland müsse auch im globalen Interesse rasch aus dem schmutzigsten aller Energieträger aussteigen, den es mehr als jedes andere Land einsetze. Sei es der Ansatz linker Politik, mit dem Ausstieg bis 2045 zu warten, oder müsse sie 2025 fordern, um für Menschen in anderen Teilen der Welt gerechte Politik zu machen? Und was passiert mit den Arbeitskräften in der Lausitz und im Rheinischen Revier?

Hendrik Sander erklärte einen schnellen Ausstieg für unverzichtbar und berief sich dabei auf Studien, die das bis 2025 für möglich hielten. Allerdings werde das nicht ohne eine massive Umverteilung von oben nach unten möglich sein. Wie Markus Wissen warnte, funktioniere eine Konversion in diesem Fall nicht ohne weiteres. Bestimmte Formen der Extraktion könnten nicht konvertiert werden, da sich beispielsweise die Riesenbagger nicht in sinnvollere Maschinen verwandeln ließen. Es werde also zu einer Abwicklung kommen, die auf drei Ebenen zu diskutieren sei: Die erste sei der Betrieb, die zweite die umgebende Community und die dritte die breitere Öffentlichkeit. Auf allen drei Ebenen müßten demokratische Verfahren entwickelt werden, die darüber entscheiden, was in einem Betrieb passieren kann und was nicht. Auf rein betrieblicher Ebene werde sich in den Braunkohlerevieren nicht viel tun, da mit Blick auf die vorhandenen Produktionsmittel und Kompetenzen kaum Alternativen zu sehen seien. Auch die Community hänge in hohem Maße von der Braunkohleförderung ab. Daher sei die breitere Öffentlichkeit als erste gefordert. Es gehe um eine Umverteilung, um spezifische Formen der Förderung dieser Regionen, damit der Strukturwandel dort so gemeistert werden könne, daß alle davon profitierten. Die anderen Ebenen führten wahrscheinlich zu nichts, weil der Widerstand zu groß sei und von der konservativsten aller Gewerkschaften, der IG BCE, unterstützt werde.


Auf dem Podium - Foto: © 2017 by Schattenblick

Markus Wissen
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Doppelte Transformation contra imperiale Lebensweise?

In der Diskussion mit dem Publikum führte Hendrik Sander weiter aus, daß "grüner Kapitalismus" eine analytische Kategorie bei der Untersuchung sei, welche Entwicklung der Kapitalismus nehmen könnte. Dieser habe sich historisch als sehr überlebensfähig erwiesen und neue Felder der Akkumulation erschlossen. Man könnte beispielsweise den Agrotreibstoff in Brasilien als eine Form der Herausbildung eines grünen Kapitalismus beschreiben. Dessen Durchsetzung wäre indessen gleichbedeutend damit, daß weite Teile des Produktionssektors und der relevanten Kapitalfraktionen in den ökologischen Umbau einbezogen sind. Was den Ausstieg aus der Braunkohle betreffe, seien die Interessen des globalen Südens so essentiell, daß sie Vorrang vor jenen in den Braunkohlerevieren hätten. Dennoch müsse die Klimabewegung Konzepte entwickeln, wie der sozial-ökologische Umbau konkret vor sich gehen könnte. Erforderlich sei eine kurzfristige Kompensation der Betroffenen, bevor langfristige Strategien des Strukturwandels greifen.

Nach Auffassung Markus Wissens entspringt die ökologische Krise zwar der kapitalistischen Produktionsweise, doch könne sie doch zumindest selektiv in deren Rahmen bearbeitet werden. Denkbar wäre eine umfassende Umstellung auf erneuerbare Energien im Kontext eines grünen Kapitalismus, wovon natürlich keine Lösung der ökologischen Krise zu erwarten wäre, weil auch erneuerbare Energien auf Ressourcenvorleistungen beruhen. So müßte ein Elektroauto zehn Jahre fahren, bevor die bei seiner Herstellung anfallenden CO2-Emissionen kompensiert sind. Zudem müßte die Infrastruktur massiv ausgebaut werden, um alle Elektroautos mit sauberem Strom zu betreiben. Das gehe mit neuen Externalitäten und sozialen wie auch ökologischen Kosten einher, die wiederum auf andere Klassen und Weltregionen übertragen würden. Seines Erachtens hätten auch die weltweiten Flüchtlingsbewegungen mit einer Krise der imperialen Lebensweise zu tun. Bestimmte Formen der Externalisierung seien an ihre Grenzen gestoßen. Immer mehr Länder erheben sich auf ein industrialisiertes Niveau und bedienen sich ihrerseits einer Externalisierung. So betreibe China Land Grabbing und den Zugriff auf andere Ressourcen in Afrika. Die gesamte Klimapolitik sei Ausdruck von ökoimperialen Spannungen, eine Konkurrenz um die Senken, die CO2 absorbieren.

Man könne von zwei verschiedenen Projekten befristeter Stabilisierung ausgehen: Das eine sei der Versuch, die imperiale Lebensweise, die aufgrund ihrer globalen Attraktivität und Ausbreitung zunehmend ihre eigenen Funktionsvoraussetzungen untergrabe, dadurch zu stabilisieren, daß sie räumlich exklusiv gehalten wird. Das sei das rechte Projekt einer Stabilisierung gegen diejenigen, die nicht länger bereit sind, die Kosten dieser Lebensweise zu tragen, nach einem besseren Leben streben und sich auf den Weg in den globalen Norden machen. Es sei zugleich eine Absicherung gegen die Aufsteiger wie China, Indien oder Brasilien. Das andere Projekt wäre das einer ökologischen Modernisierung der imperialen Lebensweise, das auf erneuerbare Energien setzt. Es würde neue ökologische Kosten verursachen, die es zu externalisieren gilt. Hier stelle sich die Frage der Suffizienz: Man könne nicht das gesamte gegenwärtige Energieniveau auf erneuerbare Energien umstellen. Daher gelte es zu prüfen, welche Aktivitäten, die Energie verbrauchen, für ein gutes Leben notwendig sind. Das könne weder der Markt noch eine staatliche Autorität beantworten, das müsse demokratisch entschieden werden. Der Begriff der doppelten Transformation - im Kapitalismus und darüber hinaus - ziele auf eine Verständigung über Forderungen ab, die einerseits konkret sind und andererseits über die bestehende Form der kapitalistischen Vergesellschaftung hinausweisen.


Fußnoten:

[1] Ulrich Brand, Markus Wissen: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur in Zeiten des globalen Kapitalismus, oekom verlag München 2017, ISBN 978-3-86581-843-0

[2] Hendrik Sander: Auf dem Weg zum grünen Kapitalismus? Die Energiewende nach Fukushima, bertz-fischer verlag 2016, ISBN 978-3-86505-801-0

[3] Stephan Lessenich: Neben uns die Sintflut. Die Externalisierungsgesellschaft und ihre Kosten, Hanser Verlag Berlin 2016, ISBN 978-3-446-25295-0


Beiträge zur Konferenz "Am Sterbebett des Kapitalismus?" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/257: Übergangskritik - den Kapitalismus entschärfen ... (SB)
BERICHT/258: Übergangskritik - der umbautheoretische Konsens ... (SB)
BERICHT/259: Übergangskritik - Besinnung auf soziale Tugenden ... (SB)
INTERVIEW/340: Übergangskritik - Wandlungsthesen ...    Michael Brie im Gespräch (SB)
INTERVIEW/341: Übergangskritik - Die Spielart der Fronten ...    Franziska Wiethold im Gespräch (SB)
INTERVIEW/342: Übergangskritik - der Geschichte verbunden ...    Alexandra Wischnewski im Gespräch (SB)

5. April 2017


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