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BERICHT/001: Vortragsreise Mahmood Mamdanis Hamburg 23. Mai 2007 (SB)


Vortrag Mahmood Mamdanis in Hamburg am 23. Mai 2007

Mahmood Mamdani

Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Bezichtigung und Selektion waren stets wirksame Herrschaftstechniken, und sie sind es im Umgang westlicher Staaten mit Minderheiten, an denen gesellschaftliche Widerspruchslagen abgearbeitet werden können, ohne die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, bis heute. "Guter Moslem, böser Moslem" hat der Politikwissenschaftler und Anthropologe Mahmood Mamdani sein letztes Jahr auf deutsch bei der Edition Nautilus erschienenes Buch über "Amerika und die Wurzeln des Terrors" betitelt. Darin fördert der an der Columbia University in New York lehrende und in den USA wie Uganda lebende Mamdani die politischen und geostrategischen Motive zu Tage, die sich hinter der These der führenden US-Kulturwissenschaftler Bernard Lewis und Samuel Huntington über einen globalen Kampf zwischen Zivilisationen und dabei vor allem zwischen christlicher und islamischer Welt verbergen.

Mamdani hat dieser Tage eine Reihe von Vorträgen in Deutschland gehalten und war nach Besuchen in Berlin und München am 23. Mai in Hamburg zu Gast. Im Stadtteilzentrum Kölibri am Hein-Köllisch-Platz, einem inmitten von St. Pauli gelegenen und für die im Rotlichtviertel und Hafengebiet herrschende Hektik erstaunlich idyllischen Flecken, stellte Mamdani sein Buch im Rahmen einer Veranstaltung vor, die das Zentrum in Zusammenarbeit mit dem Nautilus Verlag, der Werkstatt 3 und dem Eine-Welt-Netzwerk organisiert hatte. Die Leiterin des Stadteilzentrums, Claudia Leitsch, teilte dem Publikum in ihren einleitenden Worten zudem mit, daß die Veranstaltung durch die Landeszentrale für politische Bildung der Freien und Hansestadt Hamburg gefördert wurde.

Man hatte also nicht an Aufwand gespart, um den Vortrag eines der wichtigen Exponenten der Debatte um den sogenannten "Clash of Civilizations", hierzulande meist als "Kampf der Kulturen" bezeichnet, möglich zu machen. Die Zahl von 50 bis 60 Zuhörern, die sich in dem Veranstaltungssaal des Zentrums einfanden, kann daher nur als bescheiden bezeichnet werden. Man möchte meinen, daß es angesichts des in der Linken geführten Streits um den Stellenwert des politischen Islam im Kontext emanzipatorischer Bewegungen und antiimperialistischer Kämpfe wie des demagogischen Umgangs herrschender Kräfte mit dem Fremden, das heute vor allem unter den in Europa lebenden Anhängern des Islam verortet wird, ein massives Interesse an Aufklärung über die Hintergründe dieses - nach Maßgabe US-amerikanischer Neokonservativer - Weltkriegs geben müßte.

Offensichtlich hat man nicht nur gesamtgesellschaftlich eher Interesse an der Bestätigung desjenigen, was man ohnehin glaubt und was der Boulevard der Bevölkerung tagtäglich aufs Neue einhämmert. Wenn Mamdani erklärt, wie die Differenzierung in gute und böse Muslime insbesondere seit dem 11. September 2001 als Waffe der Propaganda und Kriegführung eingesetzt wird, dann kann man hierzulande deren praktische Anwendung studieren. Weit entfernt davon, die Lektion der Vernichtung der europäischen Juden durch Nazideutschland zu beherzigen, wird mit Muslimen auf eine Weise umgegangen, die, handelte es sich bei den Opfern dieser Diffamierung um Juden, sofort einen Aufschrei der Empörung erschallen ließe. Allein diesen Vergleich anzustellen und etwa an die Anfänge der Judenverfolgung in Deutschland zu erinnern, um auf den bedrohlichen Charakter antiislamischer Entwicklungen zu verweisen, wird, als enthalte nicht jede rassistische Diffamierung den Keim genozidaler Eskalation, in selbstgerechter Empörung als Affront zurückgewiesen.

Aufklärer wie Mamdani, der als Huntington-Schüler womöglich ein auch in seiner persönlichen Geschichte begründetes Interesse daran hat, die Kulturkampfthesen des Harvard-Professors zu widerlegen, gleichen daher Rufern in der Wüste einer Gesinnung, deren mentale Unwirtlichkeit eine militärische wie ökonomische Kriegführung ins Werk setzt, die auf ganz körperliche Weise auf die Hungernden und Verdurstenden in den Ländern des Südens übergreift. Dabei vertritt Mamdani mit der These, daß es sich beim politischen Islam um ein durch den europäischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts entstandenes und durch den Kalten Krieg erstarktes Phänomen handelt, das internen Konflikten der westlichen Welt geschuldet sei, keine revolutionäre Ideologie, sondern eine geschichtswissenschaftlich solide abgestützte Theorie.

Der Vietnamkrieg, an dessen konzeptioneller Planung Huntington als US-Regierungsberater direkt beteiligt war, hat für Mamdani zentralen Stellenwert, weil die USA dort hätten lernen müssen, daß der Kampf gegen den Nationalismus auf militärische Weise nicht zu gewinnen ist, und weil sich im eigenen Land eine Opposition gegen den Krieg formiert hatte, die es ratsamer erscheinen ließ, künftige Konflikte durch andere Kräfte ausfechten zu lassen. Auch heute müßten die USA wieder einsehen, daß man nicht einfach fremdes Territorium besetzen kann, ohne das Aufkommen nationaler Widerstandsbewegungen zu provozieren.

Die sich aus dem Gewaltproblem der westlichen Moderne ergebenden Reaktionen in der muslimischen Welt widersprechen der Behauptung der Kulturkämpfer, der politische Islam, den er vom religiösen Fundamentalismus scharf abgrenzt, sei nicht nur vor-, sondern antimodern, diametral. Mamdani weist anhand wichtiger Vordenker des politischen Islam wie Jamal al-Din al-Afghani, Abdul A'la Mawdudi und Sayyid Qutb nach, daß es gerade die Avantgarde der intellektuellen Moderne Pakistans, Ägyptens und des Irans ist, die die Prinzipien einer sich religiöser Doktrinen bedienenden, teils mehr auf staatliche Autorität, teils mehr auf gesellschaftliche Basis setzenden Ideologie formulieren. Die von westlichen Kulturkämpfern produzierte Verallgemeinerung einer generellen islamischen Rückständigkeit und ihre Differenzierung in eine apolitische Glaubenslehre und eine politische Gewaltbotschaft können demgegenüber als reprojektive Sichtweisen eines durch den christlichen Fundamentalismus geprägten Verständnisses von politischer Religiosität verstanden werden.

Der auf den wesentlichen Inhalt des Buches kondensierte und auf englisch gehaltene Vortrag Mamdanis wurde von der Übersetzerin Cornelia Kerth ins Deutsche übertragen. Sie meisterte die angesichts der Komplexität der Ausführungen nicht leicht zu bewältigende Aufgabe zwar bravourös, doch der zweisprachige Charakter der Veranstaltung erschwerte das Zustandekommen einer Diskussion erheblich. So scheiterte der Versuch, die Aufmerksamkeit, mit der Mamdanis Ausführungen verfolgt wurden, in einer Diskussion nutzbringend zur Anwendung zu bringen, leider an der Sperrigkeit des Prozedere. Allerdings scheint eine Buchpräsentation auch nicht unbedingt der geeignete Ort zu sein, ein politisches Anliegen zu verfolgen und zu artikulieren.

Hanna Mittelstädt, Mahmood Mamdani und Lutz Schulenburg

Immerhin ging Mamdani auf mehrere Fragen des Publikums ein und bezog auch zu der politischen Ausrichtung der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah Stellung. Auf die Frage, wo er diese Gruppierungen in der von ihm dem politischen Islam zugrundegelegten Differenzierung in staats- und gesellschaftszentrierte Richtungen zuordnete, attestierte er beiden Parteien, sich zu gesellschaftlich relevanten Kräften entwickelt zu haben, da sie sich für politische Allianzen mit säkularen und nichtislamischen Kräften öffneten. Er betonte allerdings dabei, daß Hamas wie Hisbollah in einem multikulturellen Kontext entstanden seien, der diese Tendenz begünstige.

Um nach gut zwei Stunden zum Ende zu kommen, empfahl Moderatorin Claudia Leitsch den Erwerb des Buches "Guter Moslem, böser Moslem", da sich natürlich zu jeder einzelnen Frage ein eigener Abend abhalten ließe. Dennoch kann ein Buch, das im englischen Original bereits vor drei Jahren erschien, nur bedingt Aufschluß über Entwicklungen und Probleme geben, die in dieser Zeit eskaliert sind. Für die Lage im Irak wäre etwa Mamdanis Stellungnahme zum Verhältnis zwischen Sunniten und Schiiten sowie der Behauptung, dort finde ein konfessioneller Bürgerkrieg statt, von höchstem Interesse gewesen. Auch die byzantischen Machtverhältnisse im Iran zu erläutern, wäre vor dem Hintergrund, daß Präsident Mahmud Ahmadinejad keinen klerikalen Hintergrund hat und als Kandidat der verarmten Iraner an die Macht gelangt ist, während der mächtigste Mann in der Islamischen Republik, Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei, vor allem die Interessen der Oligarchie vertritt, spannend gewesen.

Schließlich hätte man aus dem Munde Mamdanis, der sich als Experte für die USA vorstellte, gerne etwas zu dem Einfluß des christlichen Zionismus auf die Washingtoner Regierungspolitik erfahren. Diese einflußreiche evangelikale Strömung repräsentiert den Prototyp des religiösen Fundamentalismus, der hierzulande fast ausschließlich mit islamischen Organisationen und Parteien assoziiert wird. Auch die Frage zu erörtern, warum Intellektuelle in den USA so wenig Interesse daran zu haben scheinen, die Frage zu erörtern, wie es zur massiven Unterstützung der Politik Israels durch die USA trotz sich daraus ergebender Nachteile für die US-Außenpolitik kommt, wäre für das Publikum von Gewinn gewesen. Schließlich gibt es durchaus Grund zu der Annahme, daß sich unter US-Bürgern bereits eine Art informeller Zensur durchgesetzt hat, haben neokonservative Politiker doch mit massiven Mitteln versucht, kritische Professoren an US-Hochschulen mundtot zu machen.

Nicht zuletzt hätte Mamdani sicherlich viel zum Konflikt um Darfur zu sagen gehabt, wurde ihm doch vorgeworfen, mit seinen Ansichten einer Art arabischer Suprematie zu frönen. All das mußte auf der Strecke einer Veranstaltung bleiben, die als Rahmen für eine engagierte Debatte einfach überfrachtet gewesen wäre. So mündete der Abend in Mamdanis Aufforderung, zur praktischen Arbeit überzugehen, etwa im Rahmen einer Friedensbewegung, deren Stärkung nicht nur in den USA not täte. Dabei stehe die Frage des Islam nicht einmal im Mittelpunkt, da die Kriege im Nahen und Mittleren Osten vor allem um Ressourcen und nicht um Ideologien geführt würden. Die Länder der Region befänden sich in einer so tiefen Krise, daß sie als Gegner der USA einfach nicht ernst zu nehmen wären.

Zum Schluß stellte Mamdani fest, daß es Zeit für das Auftreten neuer Kräfte wäre. Er forderte Muslime wie Nichtmuslime auf, sich füreinander zu öffnen und Allianzen zu schmieden, anstatt sich zu isolieren. Dies ist in einem politischen Sinne gemeint und daher allen ans Herz gelegt, die sich unter doktrinären und ideologischen Vorwänden spalten lassen, um die Arbeit der Herren des Krieges und des Kapitals zu erleichtern.

25. Mai 2007


Fotos mit freundlicher Genehmigung von Thomas Immanuel Steinberg (© by tofoto)
Text von MA-Verlag, RedaktionSCHATTENBLICK


Hinweis:
Eine ausführliche Rezension des Buchs "Guter Moslem, böser Moslem" von Mahmood Mamdani finden Sie unter Schattenblick -> Infopool -> Buch -> Sachbuch
REZENSION/334: Mahmood Mamdani - Guter Moslem, böser Moslem (Politik)