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BERICHT/006: Interview mit dem Militärhistoriker Gwynne Dyer (SB)


Ende September befand sich der kanadische Militärhistoriker Gwynne Dyer in der Bundesrepublik, um sein im Campus-Verlag veröffentlichtes Buch "Nach Irak und Afghanistan" zu präsentieren. Anläßlich dessen wurde dem Schattenblick die Möglichkeit gewährt, mit dem freien Journalisten, Filmautoren und Dozenten, dessen Kolumnen zur internationalen Politik in 45 Ländern veröffentlicht werden, ein Gespräch zu führen.

Stefan Kroll, Gwynne Dyer, Riocard O'Tiarnaigh - © 2008 by Schattenblick
von links: Stefan Kroll, Gwynne Dyer, Riocard O'Tiarnaigh
© 2008 by Schattenblick


Schattenblick: Dr. Dyer, wenn man auf das Verhalten Großbritanniens zurückblickt, das zwei Weltkriege führte, um sein globales Imperium zu bewahren und dadurch erst recht seinen Niedergang zu bewirken, müßte man dann nicht annehmen, daß die USA bereit wären, aus demselben Grund den Dritten Weltkrieg zu führen, und verkörpert der globale Antiterrorkrieg nicht vielleicht den Versuch Washingtons, einen solchen Krieg unter den eigenen Bedingungen und an Schauplätzen und zu Zeitpunkten der eigenen Wahl zu führen?

Gwynne Dyer: Nein. Ich glaube, daß die Amerikaner sich bereits seit langem, weit vor den aktuellen Turbulenzen im Finanzwesen, große Sorgen wegen ihres sinkenden Status unter den Großmächten machen. In absoluten Zahlen betrachtet befinden sie sich nicht im Niedergang. Es ist vielmehr so, daß vor allem China und Indien schneller wachsen und dadurch der Status der einzigen Supermacht, den die Amerikaner seit rund 20 Jahren innehaben und an dem sie sehr großes Gefallen finden, gefährdet ist. So glaube ich, daß dies ein wichtiges Motiv in bezug auf den Eimarsch in den Irak, der lange vor dem 11. September auf der Tagesordnung stand, war. Aber sind sie bereit, deshalb den Dritten Weltkrieg zu führen? Das bezweifle ich.

Zwischen dem amerikanischen Imperium und dem British Empire gibt es einen fundamentalen Unterschied. Das amerikanische Imperium ist ein informelles Gebilde. Es beinhaltet nicht den Besitz ganzer Länder und die Notwendigkeit, sie mit Gewalt zu unterdrücken. Amerikanische Soldaten stehen in rund 80 Ländern, aber sie sind dort nicht präsent, um das jeweilige Land zu unterdrücken. Es verhält sich nicht so wie damals bei der britischen Armee in Indien. Es handelt sich um ein informelles Imperium. Es handelt sich um ein Imperium, das ebensosehr durch wirtschaftliche, finanzielle und andere Hebel wie durch militärische Macht aufrechterhalten wird. Ich meine daher, daß es auch verschiedene Möglichkeiten gibt, es zu verteidigen. Ich glaube nicht, daß der Antiterrorkrieg den Versuch darstellt, einen anderen Typus von Dritten Weltkrieg zu führen. Ich halte den Antiterrorkrieg für verrückt, aber das bedeutet nicht, daß er eigentlich einem anderen Zweck dient.

Meiner Ansicht nach war der Einmarsch in den Irak, bei dem es natürlich nicht um die Bekämpfung von Terroristen ging, Teil eines Versuchs, Amerika als unanfechtbare militärische Supermacht neu einzuführen. Insbesondere unter den Republikanern herrschte die Ansicht vor, daß Bill Clinton es in acht Jahren versäumt hatte, die Macht der USA auf eine Weise zur Geltung zu bringen, daß die restliche Welt in ausreichendem Maße davon beeindruckt war. Sie waren der Meinung, ein Ziel auswählen zu müssen, es anzugreifen und zu zerstören, um allen klarzumachen, wozu sie willens und in der Lage wären, sollte sich jemand ihnen widersetzen, um auf diesem Wege die Pax Americana neu zu begründen. Deswegen stand der Einmarsch in den Irak bereits Ende der neunziger Jahre auf dem Programm. Doch ich glaube nicht, daß sie den Antiterrorkrieg, der schließlich den öffentlichen Vorwand für die Irakinvasion lieferte, planten. Dabei handelte es sich eher um eine inkohärente, etwas dumme Reaktion auf den 11. September als um einen Plan der imperialen Bestandssicherung.

SB: Gleichzeitig jedoch lieferte der Antiterrorkrieg den Amerikanern den Vorwand für Stützpunkte in Zentralasien.

GD: Das stimmt, aber wofür sollten sie gut sein?

SB: Einkreisung Chinas, Eindämmung Chinas und Rußlands?

GD: China einzudämmen gehört in der Tat zu den großen Zielen der USA. In Washington verwenden sie dafür den wunderschönen Begriff "congagement". Auf der einen Seite bauen sie den Kontakt zu den Chinesen aus und versuchen, sie mit Süßholzraspeln dazu zu bringen, sich artig zu benehmen, doch für den Fall, daß das nicht funktioniert, wird China eingekreist und abgeriegelt, damit China tut, was die Amerikaner sagen. Es gehört seit einiger Zeit zu den wichtigsten Unternehmungen der USA, ihre Alliierten in Asien in eine aggressivere Position gegenüber China zu manövrieren. So wird Druck auf die Japaner ausgeübt, ihre Verfassung zu ändern, um Truppen in Auslandseinsätze entsenden zu können, zudem versucht man, neue Alliierte zu rekrutieren, dabei denkt man in erster Linie an Indien. Doch Truppen in Zentralasien tragen nicht wirklich zur Eindämmung bei, da dort nicht das chinesische Kernland liegt. Man ist viel zu weit entfernt von den wichtigen Regionen Chinas.

SB: Zu einem anderen Thema - in welchem Ausmaß wird langfristige Militärplanung vom Klimawandel, von drohender Ressourcenknappheit und Umweltzerstörung beeinflußt?

GD: Ich denke, insbesondere das Pentagon interessiert sich immer mehr für die militärischen Implikationen des Klimawandels. Auch das britische Verteidigungsministerium holt meiner Meinung nach in diesem Bereich rasch auf. Anderswo ist dies weniger der Fall, obwohl die Russen fasziniert sind vom Klimawandel in der Arktis und den Möglichkeiten, die ihnen vermeintlich dadurch eröffnet werden, was den Zugang zu Kohlenwasserstoffen - Öl, Gas - am arktischen Meeresboden betrifft, der ihnen bisher wegen des Eises verwehrt war. So beauftragt das US-Militär, das nach wie vor unter George W. Bush arbeitet, dessen Politik zur Folge hatte, daß man bis vor kurzem in Washington nicht laut über Klimawandel sprechen durfte, seit anderthalb Jahren Think Tanks, die auf Aufträge des Pentagons angewiesen sind, mit sogenannten unabhängigen Studien über die strategischen Implikationen des Klimawandels.

Anhand dieser Berichte, die nun allmählich an die Öffentlichkeit gelangen, kann man ermessen, wie das Militär seine Rolle in einer sich schnell verändernden Welt begreift, die von Flüchtlingsströmen durchzogen ist, in der sich Staatsgrenzen verschieben, weil die Küsten teilweise unter Wasser liegen, so daß man darüber streiten kann, wo die Seegrenze inzwischen verläuft, und in der es vor allem um die Kontrolle über Gebiete geht, in denen der Klimawandel ein erhöhtes Konfliktpotential produziert. Über diesen Zusammenhang bestehen keine Zweifel.

Man braucht sich nur vorzustellen, daß es zwischen den Amerikanern, den Russen und den Kanadiern zu keiner Einigung über den Verlauf der Staatengrenzen am arktischen Meeresboden käme. Tatsächlich haben sie sich bisher nicht einigen können. Sie haben nicht einmal Einigung über den Mechanismus erzielen können, nach dem über solche Dinge entschieden werden soll. Einige von ihnen ziehen eine Aufteilung nach dem Modell eines in Stücke geschnittenen Kuchens vor, andere wollen Wirtschaftszonen unter dem internationalen Seerecht etablieren. Kommt es zu keiner Einigung, dann könnte es in fünf bis zehn Jahren zu Zusammenstößen auf hoher See kommen, weil eine Partei in einem Territorium Bohrungen vornimmt, obwohl ihr dies nach Meinung der anderen Partei nicht zusteht. Als ich vor kurzem in Moskau war, habe ich mit einer Reihe von Leuten über dieses Thema geredet. Sie legten in bezug auf ihre Seerechte - wie sie sie verstanden - und deren Bedrohung durch die USA eine ziemlich aggressive Haltung an den Tag. Anhand solcher Meinungsverschiedenheiten können sich Leute mit der richtigen, besser gesagt der falschen Mentalität unversehens in eine konfrontative Position hineinsteigern.

Ein anderes Beispiel, das ich für noch beängstigender halte, ist die Tatsache, daß wir wahrscheinlich nicht weiter als 15 Jahre von dem Zeitpunkt entfernt sind, an dem die Flüsse, die im Himalaja entspringen und die Regionen am Unterlauf im Sommer versorgen, nicht mehr viel Wasser führen werden. Sobald die Gletscher schmelzen - derzeit büßen sie ihre Substanz mit einer Rate von sieben Prozent pro Jahr ein, was bedeutet, daß sie in zehn Jahren über die Hälfte ihrer Masse verloren haben werden -, wird das Wasser dort oben nicht mehr gespeichert und die Menge, die abschmilzt und die Flüsse im Sommer füllt, wenn die Ernte heranwächst, wird sich dramatisch verringern. Wenn der Indus, der Ganges, der Bramaputra, der Saluen, der Mekong und der Huanghe [der Gelbe Fluß], wenn alle diese Flüsse von Pakistan bis zum Osten Chinas im Sommer kein Wasser mehr führen, dann hat man ein Problem, bei dem es sich insbesondere zwischen Indien und Pakistan um den potentiellen Auslöser eines Krieges handelt. Pakistan hängt vollkommen vom Indus ab. Es ist eine Wüste mit einem Fluß, der durch seine Mitte verläuft - wie Ägypten.

SB: Die Wasserfrage ist auch eine potentielle Quelle von Spannungen zwischen Indien und China.

GD: In geringerem Ausmaß, obwohl die Chinesen oben auf dem tibetischen Hochplateau einen Damm am Bramaputra bauen, was eventuell bedeutet, daß dessen Lauf nach Ostindien und Bangladesh in eine andere Richtung verlegt wird. Dies sollte man nicht überbewerten. Die Chinesen sind sich sehr wohl bewußt, daß sie ein Problem hätten, würden sie den Zufluß zu sehr beschneiden. Man kann den Fluß eindämmen und daraus Wasserkraft gewinnen, ohne den Fluß zu unterbrechen, sobald sich der Stausee gefüllt hat. Diese Angelegenheit ist den Chinesen nicht so wichtig, als daß sie darüber einen Krieg mit Indien provozieren wollten.

Im Fall Pakistan und Indien sieht das anders aus. Fünf der sechs Zweige des Indus-Systems speisen sich im Himalaja und fließen dann durch von Indien kontrolliertes Territorium, bevor sie Pakistan erreichen. Über die Aufteilung des Wassers gibt es ein Abkommen aus dem Jahr 1960, als die Flüsse noch voll waren. In der Vergangenheit hat der Indus immer das Meer erreicht. Indien hat das Wasser vorher nicht abgezweigt. Heute erreicht der Indus das Meer in der Regel nicht mehr. Heute breitet sich das Salzwasser bis zu vierzig Meilen flußaufwärts aus und vernichtet die Ernten. Also ist kein Wasser mehr übrig. Und wenn der Pegel des Flusses unterhalb der Menge absinkt, welche beide Seiten abzweigen dürfen - übrigens geht das meiste Wasser, rund 80 Prozent, an Pakistan -, dann fangen die Menschen in Pakistan an zu verhungern. Dies wird vor allem zu einem Problem, wenn man 15 Jahre in die Zukunft blickt und sich fragt, wie die weltweite Nahrungsmittellage aussehen wird, nachdem die Erderwärmung die landwirtschaftliche Produktion in Mitleidenschaft gezogen hat. In 15 Jahren könnte es keine Getreidereserven, nicht einmal einen internationalen Getreidehandel mehr geben. Man kann sich keinen Weg aus der Krise erkaufen, wenn man sich nicht einmal ernähren kann. Was also macht Pakistan, wenn Indien darauf beharrt, seinen Anteil des Wassers abzuführen?

SB: Dr. Dyer, diese Frage ist für die deutsche Öffentlichkeit von besonderer Relevanz. In den nächsten Tagen kommt es im Bundestag zu einer Debatte über die Verlängerung des Afghanistanmandats der Bundeswehr. Wie ist Ihre Meinung dazu?

GD: Nun, ich weiß, wie die Abstimmung ausgehen wird, doch ich bin der Meinung, daß die Resolution zur Mandatsverlängerung nicht verabschiedet werden soll. Nach meinem Dafürhalten sollte Deutschland überlegen, seine Truppen so schnell wie möglich heimzuholen. Das sollten alle anderen auch. In Afghanistan sind wir Teil des Problems, nicht der Lösung. Darüber hinaus ist die deutsche Position von enormer Heuchelei gekennzeichnet: "Wir schicken Truppen, aber sie dürfen nicht kämpfen." Nun, wenn dem so ist, warum hat man nicht einfach ein Bauunternehmen geschickt? Warum hat man die Armee überhaupt entsandt?

SB: Wir haben eine Frage zu einem ganz anderen Thema. Der Libanonkrieg im Jahr 2006 wird allgemein als Niederlage Israels bewertet. Glauben Sie tatsächlich, daß dies mit den militärischen Fähigkeiten der Hisbollah-Miliz zu tun hatte oder war es eine Folge der fehlenden Bereitschaft der Israelis, größere Verluste unter ihren Soldaten zu akzeptieren?

GD: Es hatte mit beiden Aspekten zu tun. Die Israelis hatten den Krieg mehrere Jahre lang geplant. Sie nutzten die Entführung der Soldaten als Vorwand, um den Krieg vom Zaun zu brechen. Aber geplant war er seit mehreren Jahren. Das ist nicht nur meine Meinung, sondern dies kam während der Untersuchung der Winograd-Kommission in Israel heraus. Mangelnde Vorbereitung war nicht das Problem. Sie hatten drei Wochen Artillerie- und Luftbombardements geplant, auf die eine Bodeninvasion folgen sollte. Und sie erwarteten natürlich, daß die Bombardierung bis dahin ihren Zweck erfüllt hätte. Doch dies war nicht der Fall, da die Hisbollah die Verlegung ihrer Truppen viel schlauer organisierte, als es die Israelis erwartet hatten. Sie beließ sie nicht an den Stellen, die die Israelis kannten, so daß die dreiwöchige Bombardierung nicht dazu führte, die Truppen der Hisbollah in den vielen Höhlen und Schützenlöchern des Südlibanons zu eliminieren. Als die Israelis dann am Boden einmarschierten, verloren sie viele Soldaten. Ich glaube, die Zahl ihrer Gefallenen lag bei 119. Die Hisbollah verlor inklusive der Opfer der Bombardierung nur rund 300 Männer. Das sind keine Zahlen, die die Israelis gewohnt sind.

SB: Sie glauben also nicht, daß die Israelis die Hisbollah hätten bezwingen können, wenn sie bereit gewesen wären, ein paar tausend Gefallene in den eigenen Reihen zu akzeptieren?

GD: Dazu waren sie nicht bereit, und die israelische Öffentlichkeit hätte recht gehabt, so etwas nicht zuzulassen. Mit diesem Krieg sollte erreicht werden, das, was sie Abschreckung nennen, wiederherzustellen. Hier geht es nicht um nukleare Abschreckung. Wir wissen, daß Israel über Atomwaffen verfügt, die die ultimative Abschreckung darstellen. Doch wenn man in Israel von Abschreckung spricht, meint man damit, daß die Araber wissen sollen, daß jedesmal, wenn sie einen Israeli töten, 10 oder 50 oder 100 Araber sterben werden. Sie wollten demonstrieren, daß so etwas geschieht, wenn man sich ihnen in den Weg stellt bzw. wenn man sie angreift. Das hat der Libanonkrieg nicht vermocht. Er hat das Gegenteil demonstriert. Und tausend Gefallene hinzunehmen hätte diese Demonstration, daß es so nicht funktioniert, nur noch deutlicher gemacht. Also hatte es keinen Sinn, weiterzumachen.

SB: Für wie effektiv halten Sie als Militärhistoriker Guerillakriegstaktiken in bezug auf die moderne netzwerkzentrische Kriegführung?

GD: Ich denke, daß die Guerilla immer gewinnen wird, wenn sie sich auf ihrem eigenen Territorium befindet. In einem Guerillakrieg verfügt die reguläre Armee nur über eine begrenzte Anzahl von Soldaten, die von weit her in ein fremdes Land entsandt werden müssen. Die Guerilla hat eine unerschöpfliche Quelle von Achtzehnjährigen, die in ihrem eigenen Land kämpfen. Also hilft es nicht, viele von ihnen umzubringen, denn ihre Zahl nimmt dadurch nur noch zu. Je mehr man von ihnen tötet, um so wahrscheinlicher wird man andere dazu ermutigen, sich ebenfalls am Kampf zu beteiligen. Die europäischen Großmächte und die Amerikaner haben diese Lehre aus schmerzhaften Erfahrungen von Algerien bis Vietnam ziehen müssen. Daran hat sich nichts geändert. Wenn man bei einem Krieg in Übersee nicht innerhalb eines Zeitrahmens von drei bis fünf Jahren einen Sieg herbeiführen kann, dann führt das dazu, daß die Bevölkerung daheim des Krieges überdrüssig wird, ihm ihre Unterstützung entzieht, dann muß man die Truppen nach Hause holen.

SB: In einem Ihrer jüngeren Artikel schrieben Sie, daß Israel für die USA keinen strategischen Aktivposten mehr darstellt. Könnten Sie das erläutern?

GD: Israel wurde in den sechziger Jahren zum Alliierten der USA. Davor war sein wichtigster Waffenlieferant Frankreich. Die Tatsache, daß es zu einem Alliierten Amerikas wurde, war für die USA von großem Vorteil, denn zu jener Zeit hatte die Sowjetunion in dem Nahen Osten Fuß gefaßt und war Bündnisse mit einer Anzahl arabischer Ländern eingegangen. Dies markierte eine Veränderung der sowjetischen Nahostpolitik. Die Sowjetunion hatte Israel 1948 als einer der ersten Staaten anerkannt, dachte man in Moskau doch: "Nun, die meisten Leute dort kommen von hier, und sie haben eine stark nach links tendierende Regierung. Sie sollten unsere Freunde sein."

Doch die Dinge entwickelten sich anders. Gegen Ende der fünfziger Jahre belieferte die Sowjetunion Ägypten und Syrien mit Waffen. Damals war der Nahe Osten ein Nullsummenspiel. Was immer die Sowjets kontrollierten, darüber hatte der Westen keine Kontrolle und keinen Zugang dazu - und umgekehrt. Und deshalb machten die USA Israel, das inzwischen zur führenden Militärmacht der Region aufgestiegen war, zu ihrem Verbündeten und ihrer regionalen Operationsbasis, was im Kontext des Kalten Krieges sehr nützlich war. Bis 1989 war Israel ein strategischer Aktivposten. Keine Sowjetunion, kein Nullsummenspiel im Nahen Osten, keine russischen Truppen in der Region - man braucht Israel nicht mehr als Aktivposten. Wogegen dann? Alle arabische Länder, die es umgeben, mit Ausnahme Syriens, sind mit den USA befreundet. Wie also hilft Israel? Es macht alles, was Washington mit den Arabern macht, nur noch komplizierter.

SB: Meint Israel es ernst mit dem Friedensangebot an Syrien oder versucht es lediglich, Damaskus und Teheran zu entzweien?

GD: Letzteres, denke ich. Ich glaube, daß Israel sehr gerne Frieden mit Syrien hätte, doch ich vermute, daß sie der syrischen Regierung nicht zutrauen, lange genug zu überleben, um die Golanhöhen aufzugeben. Die Berechnungen der Israelis hinsichtlich der Zukunft der Regierungen in den umgebenden arabischen Ländern haben sich verändert. In den letzten sieben Jahren ist es in der arabischen Welt zu einer starken Radikalisierung gekommen, die größtenteils auf die Kriege im Irak und in Afghanistan zurückzuführen ist. Die Amerikaner haben viele Moslems getötet. Aus welchem Grund auch immer dies geschah, Araber schmerzt diese Tatsache. Daher die Radikalisierung. Es besteht die ernsthafte Möglichkeit, daß in den kommenden Jahren islamistische Gruppen in einem oder mehreren arabischen Ländern, einschließlich der Nachbarn Israels, an die Macht gelangen werden.

Die Moslem-Bruderschaft würde die Wahlen in Ägypten morgen gewinnen, wenn diese frei und fair wären. Die größte Bedrohung des syrischen Regimes stellen die Islamisten dar: junge, arbeitslose Leute vom Lande, die durch das, was im Irak passiert und durch die Flüchtlinge aus dem Irak, die in das Land hineingeströmt sind, radikalisiert werden. Was wäre, wenn die Israelis Frieden mit den Syrern schlössen und ihnen die Golanhöhen zurückgäben - und 18 Monate später käme es zum Aufstand, [Präsident Baschar] Al Assad würde gestürzt und in Damaskus gelangten Islamisten an die Macht? Das wäre kein guter Deal.

Von daher glaube ich nicht, daß man es in Israel für realistisch erachtet, Frieden mit seinen Nachbarn zu schließen. Tatsächlich ist man in Israel sehr viel mehr darüber besorgt, daß die bereits bestehenden Friedensabkommen mit Jordanien und Ägypten aufgekündigt werden könnten. Was den Abschluß eines Friedens mit den Palästinensern betrifft, so stellt sich die Frage, welche Palästinenser denn gemeint sind: diejenigen auf der Westbank oder diejenigen im Gazastreifen? Das gleiche Problem. Im Gazastreifen haben die Islamisten bereits die Macht übernommen.

Gwynne Dyer, Riocard O'Tiarnaigh - © 2008 by Schattenblick
Gwynne Dyer, Riocard O'Tiarnaigh
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SB: Laut Pressemeldungen aus der Region haben US-Spezialstreitkräfte einen Stützpunkt in Tarbella, 20 Kilometer von Islamabad entfernt, offenbar mit dem Ziel bezogen, gegen Taliban und Al Kaida in der Nordwestgrenzprovinz und in den Federally Administered Tribal Areas den Kampf aufzunehmen. Gleichzeitig berichtet das Wall Street Journal, daß die Taliban ihre erste Winteroffensive seit 2001 planen und zu einer zunehmenden Gefahr für die durch Pakistan verlaufenden Nachschublinien der NATO werden. Wie sehen Sie die kurz- bis mittelfristige Entwicklung des Afghanistankrieges?

GD: Militärisch können die Amerikaner in Afghanistan nicht verlieren. Sie können Soldaten verlieren. Vor kurzem haben sie einen ganzen Außenposten verlorengeben müssen. Man hat es mit einer klassischen Guerillakriegssituation zu tun. Die Taliban können ihnen Verluste beibringen, doch sie können keine Schlachten gewinnen. Das brauchen sie allerdings auch nicht. Sie müssen sich einfach nur lang genug behaupten. Doch es ist ausgeschlossen, daß die Taliban die Amerikaner aus irgendeinem nennenswerten Teil Afghanistans militärisch herausdrängen könnten. Sind die Amerikaner bereit, die Verluste, die nicht allzu hoch sein werden, hinzunehmen, dann können sie bleiben. Droht ihnen irgendwo eine Niederlage, brauchen sie lediglich Luftunterstützung anzufordern. Also werden die Amerikaner bleiben, solange sie bereit sind, das Geld aufzubringen und die Verluste hinzunehmen. Allmählich wird das Geld zum Thema. Solche Kriege kosten viel Geld, und dieser Tage wird in Washington das Geld immer knapper, aus Gründen, die wir alle kennen. Doch militärisch können sie nicht verlieren. Meiner Ansicht nach werden sie einen Weg finden, den Abzug einzuleiten, insbesondere wenn Barack Obama der neuen Administration vorsteht, ungeachtet der Erklärungen, die er derzeit über die Aufstockung der Truppen in Afghanistan abgibt.

SB: Kürzlich haben Sie einen Artikel unter dem Titel "Attack Pakistan" verfaßt. Können Sie sich vorstellen, daß die USA den Afghanistankrieg nach Pakistan gezielt ausweiten werden, um das Land zu destabilisieren, den Bau der Iran-Pakistan-Indien-Pipeline zu torpedieren, den Bau eines chinesischen Marinehafens in Gwajar zu verhindern und vielleicht sogar die pakistanischen Atomwaffen zu beschlagnahmen?

GD: Wenn sie das beabsichtigen, dann sind sie verrückt. Keines dieser Ziele ist erreichbar. Destabilisiert man Pakistan, treibt man es nicht in die Hände der Amerikaner, sondern man treibt es in die Hände der Islamisten, von denen die pakistanische Armee durchsetzt ist. Es handelt sich um die einzige Armee in der muslimischen Welt, in der es Generäle gibt, die Islamisten sind. Dies geht auf General Zia [Ul Hak] in den achtziger Jahren zurück. Davor wurden die Islamisten immer aussortiert, bevor sie den Rang eines Majors erreichten, denn man will solche Leute nicht in den oberen Rängen haben. Nun, Zia hat die Islamisten befördert, und jetzt sind sie Generäle und befördern ihrerseits Personen, die Islamisten sind. In der Tat ist die pakistanische Armee potentiell eine islamistische Streitmacht. Die Islamisten dort mögen eine Minderheit darstellen, aber sie sind inzwischen eine bedeutende Minderheit innerhalb des Offizierskorps. Wenn man Pakistan destabilisiert, dann wird die Armee die Macht übernehmen. Welcher Teil der Armee? Interessante Frage. Stellen Sie sich wirklich vor, man könnte dort hineingehen und die pakistanischen Atomwaffen außer Gefecht setzen? Ich meine, ich würde Sie in eine Irrenanstalt einweisen lassen, wenn ich Sie so etwas sagen hörte und Sie eine Uniform trügen. Ich meine, das ist doch verrückt.

SB: Nun, das sind Befürchtungen, die von pakistanischen Analytikern und Kommentatoren ernsthaft diskutiert werden. Deshalb erwähnen wir sie.

GD: Ich weiß. Aber man darf nicht vergessen, daß alle in der Region paranoid sind und zu Verschwörungstheorien neigen. Ich kann mir nicht ernsthaft vorstellen, daß das die Pläne der Amerikaner sind. Das Problem der Amerikaner ist nicht, daß sie monströse Hasardeuraktionen im Sinne haben, sondern daß sie gar keinen Plan haben. Das ist das Problem. Sie wissen nicht wirklich, wie ihre Strategie aussieht. Nehmen wir zum Beispiel die Angriffe der letzten Monate, bei denen die amerikanischen Streitkräfte die Grenze Pakistans verletzten. Welchen strategischen Hintergrund sollte dies haben? Damit beendet man nicht die Nutzung der Grenzprovinzen als Rückzugsgebiet der Taliban. Man kann dort nicht alle töten, und alle dort unterstützen die Taliban.

SB: Balkanisierung?

GD: Nun, dann hätte man eine unabhängige Nordwestgrenzprovinz, die von den Paschtunen verwaltet wird, welche die Nachbarn und Verwandten der Paschtunen sind, die auf der anderen Seite der Grenze in Afghanistan die Taliban unterstützen. Hat man seine Position verbessert? Will man wirklich die derzeitige pakistanische Regierung, so schlimm sie sein mag, stürzen?

SB: Nun, sie haben General Musharraf aus dem Amt gedrängt.

GD: Eigentlich haben sie ihn bis zur allerletzten Stunde verteidigt.

SB: Denken Sie das wirklich?

GD: Aber ja. Ich meine, die Töne aus Washington änderten sich drei Tage bevor er das Amt verließ. Davor zielten die ganzen diplomatischen Bemühungen darauf ab, Musharraf im Amt zu halten, trotz der Tatsache, daß es Wahlen gegeben hatte und es Leute im Parlament und in der Regierung gab, die ihn loswerden wollten. Doch die Amerikaner versuchten alles, was sie konnten, um ihn zu halten.

SB: In welchem Ausmaß hat Amerikas Atomdeal - auch genannt strategische Allianz - mit Indien das pakistanische Militär gegen Washington aufgebracht und die Gefahr eines Krieges zwischen Indien und Pakistan erhöht?

GD: Das ist eine gute Frage. Ich denke, die Pakistaner sind über den Versuch der USA, Indien als Alliierten zu gewinnen, sehr, sehr erzürnt. Und es ist ein sehr grundlegender Versuch gewesen. Die diplomatischen und politischen Bemühungen, die darin investiert wurden, sind enorm. Den US-Kongreß dazu zu bringen, Indien das Testen von Atomwaffen zu vergeben und ihm Nukleartechnologie zu verkaufen, verlangte der Bush-Administration eine zweijährige Kampagne ab, die immer noch nicht beendet ist. Den Amerikanern ist es sehr ernst damit, Indien als Verbündeten zu gewinnen. Natürlich hängt es vor allem mit China zusammen, aber die Pakistaner sind darüber nicht glücklich.

Amerikanische Flugstaffeln waren in Indien monatelang stationiert. Ich habe sie in Agra gesehen. Die Inder ließen US-Spezialstreitkräfte sogar in Ladakh, direkt an der chinesischen Grenze, operieren. Im Rahmen der umfassenden Zusammenarbeit wurden zum Beispiel gemeinsame Manöver im Arabischen Meer, direkt vor der pakistanischen Küste, abgehalten. Die Pakistaner sind darüber sehr unglücklich, doch sie haben gute Geheimdienstleute in Washington und Neu-Delhi. Sie sind auf diesem Feld sehr versiert. Und sie wissen, daß das Ganze noch nicht unter Dach und Fach ist. Tatsächlich stockt der Deal sowohl im Kongreß als auch in der Lok Sabha in Neu-Delhi. Die US-Regierung hat versucht, ihre Seite des Deals durchzudrücken. Sie scheiterte, stellte das Projekt ein und nahm es dann doch wieder auf. Bis heute hat sie damit keinen Erfolg gehabt. Also haben die Pakistaner - ich meine jetzt die Militärs, die gescheiten Leute, die solche Dinge verfolgen - sich entschieden, nicht in Panik zu verfallen, bis es Grund zur Panik gibt. Und dieser Deal ist noch nicht besiegelt. Doch gleichzeitig sind sie wirklich sehr unglücklich über die ganzen Bemühungen.

Gwynne Dyer - © 2008 by Schattenblick
Gwynne Dyer
© 2008 by Schattenblick


SB: In einem Artikel, den Sie 2002 zum Thema der Medien und des Terrorismus schrieben, ...

GD: Gott im Himmel, Sie können nicht von mir erwarten, daß ich mich soweit zurückerinnere! (lacht)

SB: ... verwiesen Sie auf Verdächtigungen, daß die Hochhausanschläge in Rußland im September 1999 das Werk der russischen Geheimdienste waren, um einen Vorwand für einen neuen Krieg in Tschetschenien zu liefern. Wie sieht Ihre Meinung zu den Mutmaßungen, daß der 11. September unmöglich das alleinige Werk von 19 Arabern mit Teppichmessern gewesen sein kann, aus?

GD: Ich denke, es handelt sich um unterschiedliche Situationen. Auf der einen Seite reden wir vom FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, die zur Zeit des Machttransfers von Boris Jelzin zu Wladimir Putin im Auftrag der russischen Regierung den notwendigen Vorwand für einen zweiten Krieg in Tschetschenien liefern will. Zu diesem Zeitpunkt war Putin in Rußland praktisch unbekannt. Er war ein relativ namenloser Bürokrat, der plötzlich irgendwie zu großer Macht befördert worden war. Niemand kannte seinen Namen, und dennoch sollte er in rund drei Monaten eine Wahl gewinnen. Sie brauchten also einen Krieg. Sie brauchten einen Held. Sie brauchten irgend etwas. Also gibt es eine rationale Erklärung - wenn auch eine ziemlich häßliche - für diesen Krieg, für den sie einen Vorwand brauchten. Der Grund, warum ich dieses Argument bringe, ist, daß es einen rauchenden Colt gibt, nämlich im Keller des vierten mehrstöckigen Wohnhauses in Ryazan.

SB: Wo man die Säcke fand ...

GD: Wo man die Säcke fand und FSB-Agenten herumliefen ...

SB: Und man sagte, es handelte sich lediglich um eine Übung ...

GD: Natürlich, es war doch nur eine Übung. Das glaube ich vielleicht an einem anderen Tag, aber nicht heute. Also es gab ein klares Motiv, und es gibt auch stichhaltige Beweise, daß der FSB darin verwickelt war. Viele, viele Russen glauben dies. Doch das bedeutet nichts. Ich glaube es, weil es Beweise gibt.

SB: Uns ging es um die Parallelität zum 9/11 und zum Vorwand für die Amerikaner, Pläne für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert zu realisieren, die bereits vorlagen und in denen auf ein "neues Pearl Harbor" und "ein katalysierendes Ereignis" verwiesen wurde.

GD: Ich weiß, ich habe ebenfalls die Dokumente wie die Defense Planning Guidance [von Paul Wolfowitz und I. Lewis Libby 1992 im Auftrag des damaligen US-Verteidigungsministers Dick Cheney verfaßt] und all die anderen gelesen. Nun, es gibt hier eine große Verschwörungstheorie und eine kleine Verschwörungstheorie. Okay? Schaut man sich den Film Loose Change an, kennt man die große Verschwörungstheorie.

SB: MIHOP [Make It Happen On Purpose] im Vergleich zu LIHOP [Let It Happen On Purpose]

GD: Genau. Mir fällt es sehr schwer, die große Verschwörungstheorie zu akzeptieren, denn sie setzt die Beteiligung von mindestens zehntausend Menschen voraus. Nun jedes Geheimnis, das von zehn Leuten geteilt wird, ist kein Geheimnis mehr. Und ein Geheimnis, das von zehntausend Leuten gehalten wird? Für sieben Jahre? Und niemand hat ausgepackt?

SB: Das Manhattan-Projekt?

GD: Es wurde nicht zehn oder sieben Jahre geheimgehalten ...

SB: Nein, aber über mehrere Jahre von mehreren tausend Beteiligten ...

GD: Ja, ich weiß, aber hier ist der springende Punkt. Aus Sicht eines jeden Amerikaners war das Manhattan-Projekt ein patriotisches Unterfangen im Dienste der Kriegführung. 9/11 ist kein patriotisches Unterfangen im Dienst der Kriegführung. Es ist ein Komplott, tausende Amerikaner für zweifelhafte politische Zwecke zu töten. Also sind die Fälle anders gelagert. Darüber hinaus reden wir von viel mehr Leuten über einen längeren Zeitraum. Hinzu kommt, daß wir glauben sollen, daß keiner von ihnen sich betrunken und geplappert hat; daß keine Frau sich von ihrem Mann getrennt und ausgepackt hat; daß kein Mann seine Frau eingeweiht hat; daß niemand sich entschied, plötzlich reich zu werden, indem er DAS BUCH schreibt. Sieben Jahre lang? Ich glaube es halt nicht. Also die große Verschwörungstheorie finde ich extrem unplausibel.

Doch befassen wir uns mit der Mini-Theorie. Ihr zufolge hätte man im Vorfeld über nachrichtendienstliche Erkenntnisse verfügt, daß irgend etwas passieren würde, so daß man einfach beschlossen hat, es geschehen zu lassen, weil es den eigenen Zwecken dient. Okay, nun haben wir es nicht mehr mit zehntausend Beteiligten zu tun. Alles, was wir haben, sind die Leiter der US-Nachrichtendienste - George Tenet, der Chef der CIA, der Chef der Defense Intelligence Agency, der Chef der National Security Agency und all die anderen - und der Nationale Sicherheitsrat plus diverse Mitglieder der Bush-Administration. Was nun passiert, wenn die Information unten hereinkommt: "Hey, es gibt einen Haufen Araber, die das Fliegen lernen, doch sie interessieren sich nicht fürs Landen!"

SB: (lacht)

GD: "Das ist verdächtig."

SB: "Und wir haben einen von ihnen in Minneapolis festgenommen!" (lacht)

GD: Das ist richtig. Also die Information kommt unten herein, und der diensttuende Offizier in dem fraglichen der 15 Geheimdienste sagt sich: "Das sieht komisch aus". Was passiert als nächstes? Die Information wird an die nächsthöhere Ebene weitergereicht und von dort an die nächsthöhere und so weiter hinauf. Das heißt, selbst innerhalb dieses einen Geheimdienstes sind bereits drei, vier, fünf Personen eingeweiht, sobald die Information die Spitze erreicht hat. Jetzt kontaktiert der Chef dieses Geheimdienstes all die anderen Geheimdienste und fragt: "Haben sie irgend etwas, was dies hier bestätigen kann?" Inzwischen gibt es nun 15 Geheimdienstchefs, die alle an dem Geheimnis beteiligt sind. Als nächstes geht es an den National Security Council, wo man dem Außenminister und seinem Stellvertreter, der Nationalen Sicherheitsberaterin und ihrem Stellvertreter, dem Verteidigungsminister und seinem Stellvertreter, dem Vizepräsidenten und seinem Stellvertreter und ein paar anderen Leuten die Verdachtsmomente vorlegt. Und Condoleezza Rice sagt: "Wissen Sie, ich glaube, die Sache ist echt. Ich meine, wir sollten sie geschehen lassen." Und all die anderen Leute um den Tisch herum, die wissen, daß es andere Leute gibt, die nicht im Zimmer sind und die über die Information Bescheid wissen, sagen: "Gute Idee, Condi. Lassen Sie uns die Sache durchziehen." Nun, was hat man gerade getan? Man hat Hochverrat begangen und sich des Massenmords an amerikanischen Bürgern schuldig gemacht. Und niemand in diesem Zimmer geht auf Toilette und greift zum Handy? Ich meine, es handelt sich hier um eine spontane Entscheidung. Ist man dabei - in welchem Fall man sich einer Tat, auf die die Todesstrafe steht, schuldig gemacht hat - oder läßt man die ganze Sache gleich auffliegen? Ich kann nicht glauben, daß es so passiert ist.

SB: Dr. Dyer, vielen Dank für das Interview.

Das Gespräch führten Stefan Kroll und Riocard O'Tiarnaigh.

7. Oktober 2008