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BERICHT/012: Nach dem Gaza-Krieg - wohin steuert der Nahe Osten? (SB)


Vortrag von Prof. Dr. Moshe Zuckermann
am 25. Februar 2009 im Bremer Überseemuseum


Auf Einladung der Nahost-Initiative im Bremer Friedensforum und des Bremer Informationszentrums für Menschenrechte und Entwicklung (BIZ) hielt der israelische Historiker Moshe Zuckermann einen Vortrag mit anschließender Diskussion zum Thema "Nach dem Gaza-Krieg - wohin steuert der Nahe Osten?" im Bremer Überseemuseum. Unter den etwa 200 Besuchern der Veranstaltung nahmen auch die Redakteure des Schattenblicks die Gelegenheit wahr, die Ausführungen dieses Kritikers der israelischen Regierungspolitik zu verfolgen.

Der israelische Soziologe und Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv wurde 1949 als Sohn deutsch-jüdischer Holocaust-Überlebender in Israel geboren. Er kehrte mit seinen Eltern 1960 nach Deutschland zurück, wo sich die Familie in Frankfurt am Main niederließ. Dort besuchte der junge Zuckermann das Goethe-Gymnasium und wuchs mit dem klassischen Bildungserbe auf. Er erhielt ausführliche Unterweisung in Musiktheorie, er komponierte und widmete sich der Malerei. Schon als Schüler befaßte sich Zuckermann mit Adorno, auf dessen Schaffen er sich bis heute bezieht. Im Alter von 21 Jahren emigrierte er endgültig nach Israel. An der Universität von Tel Aviv studierte er Geschichte, Soziologie und Politologie, worauf er 1988 bei Saul Friedländer promovierte und seit 1990 Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften am Cohn Institute for the History and Philosophy of Science and Ideas der Universität Tel Aviv lehrt. Von Februar 2000 bis 2005 leitete er zudem das dortige Institut für Deutsche Geschichte. Im Wintersemester 2006/2007 lehrte er als Gastprofessor an der Universität Luzern.

In Deutschland ist Moshe Zuckermann als politischer Publizist und Autor zahlreicher Bücher bekanntgeworden, die sich vorrangig mit Israel, dem Nahen Osten und dem deutsch-jüdischen Verhältnis beschäftigen. Als Wissenschaftler, der sich dem Erbe der klassischen Frankfurter Schule verpflichtet fühlt, hat er indessen nicht nur zahlreiche Arbeiten zur Kritischen Theorie publiziert, sondern mit seinen Veröffentlichungen ein breites Themenspektrum abgedeckt.

Arn Strohmeyer führt in den Abend ein - © 2009 by Schattenblick

Arn Strohmeyer führt in den Abend ein
© 2009 by Schattenblick


Im Vortragssaal des Bremer Überseemuseums trat Prof. Dr. Zuckermann nach einer Einführung des Journalisten und Autoren Arn Strohmeyer für das Bremer Friedensforum vor ein Publikum aller Altersgruppen, das von einer Schulklasse bis hin zur älteren Generation reichte. Die angesichts des regen Interesses dichtgedrängten Reihen mußten durch zusätzlich herbeigeholte Sitzgelegenheiten erweitert werden, dennoch hatten einige Zuhörer das Pech, dem Vortrag stehend lauschen zu müssen. Das war insofern nicht weiter tragisch, als der Referent selbst darauf verzichtete, Platz zu nehmen, und der Dringlichkeit seiner Worte durch einen auch körperlich bewegten Vortragsstil Ausdruck verlieh.

So wandte er sich in freier Rede an seine Zuhörer, um sie zuerst in wesentliche Aspekte der jüngsten Entwicklung des Nahostkonflikts einzuführen, um daraufhin darzulegen, wie sich die Lage aus Perspektive eines israelischen Zionisten strukturell darstellt. Wer von ihm hoffnungsvolle Botschaften und naheliegende Lösungen erwartet haben mochte, sah sich auf fruchtbare Weise ernüchtert: "Für jede Art von Hoffnung sind Sie verantwortlich, nicht ich!", warnte Moshe Zuckermann eingangs seine Zuhörer, womit er die Ernsthaftigkeit seines Anliegens unterstrich und zugleich Kontakt mit dem Publikum nahm.

Während der Präsidentschaft George W. Bushs, so führte Zuckermann aus, hätten die USA in so hohem Maße auf jede eigenständige Einflußnahme im Nahen Osten verzichtet, wie dies beispiellos in den Beziehungen Israels mit seinem wichtigsten Verbündeten gewesen sei. Daraus resultierte eine Gleichschaltung zwischen Bush und Sharon, vor allem aber eine acht Jahre währende Stagnation ohne jeden Fortschritt im Nahostkonflikt. Der Zusammenbruch des Oslo-Prozesses mündete in die zweite Intifada, die im Gegensatz zur ersten militarisiert wurde und letztlich Ehud Barak die Gelegenheit gab, das Konstrukt zu etablieren, es gebe auf Seiten der Palästinenser keinen Gesprächspartner.


 © 2009 by Schattenblick

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Eine fatale Folge der Stagnation wie auch der weithin akzeptierten Auffassung, mit den Palästinensern lasse sich nicht verhandeln, war der Zerfall der zionistischen Linken, die sich in einem solchen Ausmaß verflüchtigte, daß Arbeitspartei und Meretz bei den jüngsten Knesset-Wahlen katastrophale Stimmenverluste hinnehmen mußten. Unterdessen trat der fundamentalistische Islam als neuer Faktor in Erscheinung, wobei die Verbindung zwischen Hisbollah und Hamas mit dem Iran, die Zuckermann als verlängerten Arm Teherans einstuft, maßgeblich dazu beitrug, daß schließlich beiderseits Verhandlungsunwilligkeit das Feld beherrschte und die Sicherheitsfrage alle anderen Aspekte in den Hintergrund drängt.

Wie Moshe Zuckermann betonte, setze er als Marxist keine Hoffnung auf Barack Obama, zumal er nun wirklich kein Freund von Euphorie sei. Allerdings wolle er nicht völlig ausschließen, daß eine neue US-Politik in verschiedenen Weltregionen neue Koordinaten setze, die sich im Nahostkonflikt als nutzbar erweisen.

Im zweiten Teil des Vortrags ging Zuckermann auf das Dilemma Israels ein, dem er sich nicht moralisierend, sondern unter Darlegung begründeter struktureller Zusammenhänge näherte. Er lud seine Zuhörer dazu ein, die Perspektive israelischer Zionisten einzunehmen, um auf diese Weise die innere Logik der festgefahrenen Lage zu verstehen. Warum brach der Gaza-Krieg aus? In Israel wurde zumeist der Wahlkampf angeführt, da alle Parteien versuchten, aus einer Eskalation Kapital zu schlagen, deren militärischer Ausgang von vornherein klar war. Zwar sei die Sicherheitsfrage vorgehalten worden, doch hätten alle gewußt, daß es um die Wahlen ging. Da sich alle bellizistisch gaben, resultierte daraus der hohlste Wahlkampf aller Zeiten ohne jede inhaltliche Frage, wenn man einmal von der Sicherheit absieht. Und auch die wurde über den Fetischcharakter der Sicherheitsfähigkeit führender Politiker abgehandelt.


 © 2009 by Schattenblick

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Hinzu kam als weiterer Kriegsgrund der Versuch, das Fiasko des zweiten Libanonkriegs zu kompensieren und das israelische Abschreckungspotential wieder in Kraft zu setzen. Vor allem aber blieb es ein Krieg wegen des Wahlkampfs und ein Wahlkampf wegen des Kriegs, woraus sich das Wahlergebnis ableiten läßt. Von einem Rechtsruck wollte Zuckermann dabei nicht sprechen, da sich seiner Auffassung nach beim Urnengang lediglich etwas manifestiert hat, das bereits vorhanden war.

Wie konnte es dazu kommen, daß ein Politiker wie Netanjahu einen Lieberman braucht, um seine Mehrheit zu etablieren, der am äußeren Flügel rechtsradikale Ultras und Faschisten angehören, während die Arbeiterpartei auf dreizehn und die Meretz auf drei Mandate geschrumpft ist? Dies geschah wohlgemerkt mit Unterstützung eines großen Teils der israelischen Bevölkerung. Nicht weil die Rechte dies geschafft hat, sondern in Folge des Zusammenbruchs der zionistischen Linken sei es soweit gekommen, schlug Zuckermann als These vor, die er in der Folge begründete. Arbeitspartei, Meretz und Kadima seien austauschbar geworden, und so wählte der Linkszionismus teilweise eben selbst die Kadima, von der wiederum Wähler zum Likud wechselten. Da in den Kategorien links und rechts eine Gesinnungspositionierung im Nahostkonflikt keine Rolle mehr spiele, greife Fluidität um sich.

Warum verhält es sich so? Es herrscht eine Ausweglosigkeit vor, die es auf dem Wege einer Strukturanalyse zu entschlüsseln gilt. Aus zionistischer Perspektive ist die Lage total verfahren. Dabei könnte Israel als Staat durchaus die Entscheidung treffen, den Konflikt beizulegen, indem ein Minimalkonsens des Oslo-Abkommens umgesetzt wird. Das würde unter anderem bedeuten, aus den besetzten Gebieten abzuziehen, die Siedlungen aufzulösen, Jerusalem zur Hauptstadt zweier Staaten zu erklären, die Flüchtlingsfrage in Angriff zu nehmen und ein Rückkehrrecht zumindest formal anzuerkennen. Würde dies tatsächlich auf den Weg gebracht, käme es jedoch zu einer beispiellosen Situation, da der Abzug aus dem Gazastreifen ein Kinderspiel im Vergleich mit einem Abzug aus dem Westjordanland sei. Selbst wenn sich viele Siedler fügten, bliebe ein Kern religiöser Hardliner, der eher sterben als abziehen würde. Die kampferprobten Siedler sprechen in diesen Zusammenhang stets von einem Bruderkrieg, da es erstmals zu einem innerisraelischen Waffengang käme.

Eine alternative Option, wie sie vor Lieberman längst andere vorgeschlagen hatten, wäre ein regelrechter Bevölkerungstransfer, den Zuckermann jedoch für unmöglich hält. Davon abgesehen, daß dies viele Israelis nicht zulassen würden, brächte es die arabischen Staaten in ungeheuren Zugzwang gegenüber ihrer Bevölkerung und wäre zudem keine Möglichkeit, die Zustimmung in Washington fände.

In der politischen Praxis scheidet ein Rückzug Israels aus den Palästinensergebieten ebenso aus wie eine komplette Umsiedlung der dort lebenden Bevölkerung. Dabei behauptet der linke Flügel, daß es sich um eine irreversible Entwicklung handelt, und versucht dies damit zu belegen, daß sich in der Zeit der Verhandlungen während der 1990er Jahre die Zahl der Siedler von 100.000 auf 200.000 verdoppelt hat. Die rechten Ultras fügen dem hinzu, daß diese Entwicklung nicht nur unumkehrbar, sondern von Gott gewollt sei, wofür sie Bibelsprüche anführen, die ein ewiges Gewaltverhältnis zu rechtfertigen scheinen. Damit bliebe als dritte Möglichkeit ein Ausharren der Palästinenser übrig, das zur objektiven Entstehung einer binationalen Struktur führt. In zehn bis fünfzehn Jahren wären die Juden eine Minorität in ihrem Staat, eine Aussicht, die unter dem Titel "demographische Zeitbombe" eine erhebliche Rolle in der innerisraelischen Debatte um das Verhältnis zu den arabischen Bürgern Israels wie den Palästinensern spielt.

Folglich müßte entweder ein Apartheidstaat proklamiert oder das zionistische Projekt für beendet erklärt werden. Wie Zuckermann hervorhebt, sei das keine normative Aussage, sondern eine Analyse der vorhandenen Möglichkeiten. Aus zionistischer Perspektive gleiche das allerdings einer Wahl zwischen Pest und Cholera, woraus sich die vorherrschende Stagnation erklärt. In einer Vogel-Strauß-Politik sucht man Zeit zu gewinnen, ohne dabei über eine akzeptable Perspektive zu verfügen.

Wie Zuckermann weiter ausführt, hätte Sharon die Palästinenser am liebsten nach Jordanien verfrachtet. Als er an die Macht kam, lähmte er Arafat, die Fatah und die Autonomiebehörde durch eine Strategie der inneren Spaltung. Wie man damals die Hamas zur Schwächung der Fatah aufgebaut habe, schreite man immer weiter von Idiotie zu Idiotie. Dabei liege auf der Hand, daß Israel stets so überlegen und die Gegenseite stets so schwach sei, daß nur die Israelis über die Mittel verfügen, eine Lösung des Konflikts herbeizuführen. Die Palästinenser mögen noch so viele Fehler machen, es sind die Fehler der Schwachen, die ebensowenig wie ihre Versuche, sich gegenüber den Besatzern zu behaupten, von entscheidender Bedeutung sind, so das Urteil Zuckermanns.

Will Israel als zionistischer Staat überleben, kommt dieser um die Räumung nicht herum, die wiederum vom rechten Spektrum keinesfalls mitgetragen wird und zum Bürgerkrieg führen würde. Da auch die dritte Möglichkeit in Gestalt der demographischen Zwangsläufigkeit aus jüdischer Perspektive nicht akzeptabel ist, läuft dieses Dilemma auf eine konföderale Struktur hinaus. Ohnehin, führte Zuckermann als letztes Argument seines Vortrags an, ließen sich fundamentale Fragen der Region wie etwa das Wasserproblem nur von den Staaten gemeinsam lösen, wenn man überleben wolle. Wann wird man das endlich begreifen?

Moshe Zuckermann im Dialog mit dem Publikum - © 2009 by Schattenblick

Moshe Zuckermann im Dialog mit dem Publikum
© 2009 by Schattenblick


Moshe Zuckermann wurde nach diesem weit über die vieldiskutierten aktuellen Ereignisse und Befindlichkeiten auf das zugrundeliegende strukturelle Gefüge hinausgreifenden Vortrag mit dem verdienten Beifall bedacht. Nachdem er ohne Skript einen ebenso intensiv vorgetragenen wie inhaltlich substantiellen Beitrag zum tieferen Verständnis des Nahostkonflikts geleistet hatte, ging er ohne Unterbrechung dazu über, in der folgenden Stunde dezidiert und pointiert auf mehr als ein Dutzend Fragen aus dem Publikum einzugehen, bis ihm die näherrückende Abfahrtzeit seines Zuges im benachbarten Hauptbahnhof ein Ende aufnötigte. Der eigens dafür aufgebotene Moderator erwies sich mit seiner umständlichen Verfahrensweise, Fragen erst einmal zu sammeln, bald als für den direkten Dialog zwischen Publikum und Referent eher hinderlich.

Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die vom Ansatz her breitgestreuten Redebeiträge verschiedener Zuhörer und Antworten Zuckermanns im einzelnen wiederzugeben. Um unseren Lesern dennoch zu veranschaulichen, wie zugewandt, sachbezogen und positioniert Moshe Zuckermann auf diese Fragen und Äußerungen einging, möchten wir anhand zweier ausgewählter Beispiele illustrieren, was er auf die heftigen Anwürfe seitens jener Stimmen aus dem Publikum erwiderte, die nach eigenem Bekunden die Sache Israels gegen ihn zu vertreten meinten.

Moshe Zuckermann sieht sich bekanntlich seit Jahren sowohl in seiner Heimat als auch in Deutschland heftigen Angriffen ausgesetzt, die ihn einer israelfeindlichen Haltung und eines verwerflichen Paktierens mit den ärgsten Feinden des Landes bezichtigen. Daher war es aufschlußreich mitzuerleben, wie überzeugend er die Vorwürfe auf Grundlage seiner fundierten Sachkenntnis mit schlagenden Argumenten zu entkräften verstand.

Ein Diskussionsteilnehmer war der Überzeugung, Israel habe acht Jahre lang unter terroristischen Raketenangriffen aus dem Gazastreifen gelitten und dies zuletzt mit einem gerechtfertigten Gegenangriff beantwortet. Wenn man jahrelang Raketen aus einem dichtbesiedelten Gebiet auf ein Nachbarland abschieße, müsse man sich nicht wundern, wenn dies eines Tages erwidert werde. Man solle doch einmal die Bewohner Sderots fragen, was sie von dem unablässigen Raketenbeschuß halten.

Ihm gab Zuckermann den Rat, genau zu untersuchen, was in diesen acht Jahren geschehen und auf Grund welcher Entwicklung es zu dem Raketenbeschuß gekommen ist. Dabei stelle sich doch die Frage, was Israel dazu beigetragen hat, denn man dürfe ja nicht vergessen, welche Anschläge auf den Gazastreifen verübt wurden, die unmittelbar zu der Eskalation führten. "Und in Sderot war ich, glauben Sie mir, schon öfter als Sie in ihrem ganzen Leben", entkräftete er den Vorwurf von deutscher Seite, er ignoriere die Verhältnisse in den betroffenen israelischen Städten. Man dürfe nicht ausblenden, welche Situation Israel im Laufe von 40 Jahren und besonders in den letzten acht Jahren strukturell herbeigeführt hat. Man könne doch Ursache und Wirkung nicht trennen, wenn man zu angemessenen Aussagen kommen wolle. Die Hamas sei nicht aus dem Nirgendwo entstanden, sondern als Folge des Umgangs mit der PLO. Wenn man das nicht begreife, komme man zu diesem rein formalen Aspekt eines Beschusses aus dem Ausland, den man schließlich erwidert habe. "Wissen Sie, diesen Quatsch glaubt man ja schon in Israel nicht mehr." Wollte Israel eine Situation herstellen, in der der Beschuß aus dem Gazastreifen endet? "Meine Antwort ist nein", fuhr Zuckermann fort, denn man habe den Gazastreifen immer weiter eingeschnürt und abgewürgt, bis es zur Explosion kommen mußte. Berücksichtige man das nicht, rede man einer Regierung das Wort, die diesen Zustand über Jahre herbeigeführt hat.

Eine andere Diskussionsteilnehmerin, die sich als "proisraelisch" vorstellte, erhob die plakative Forderung, Israel brauche Freunde in aller Welt. Der Referent solle bekennen, ob er "den Terroristen" recht gebe oder Israel. Auch solle man die "ägyptischen Beduinen" für ihre Waffenschiebereien mit der Hamas zur Verantwortung ziehen.

Angesichts aufbrausenden Protests unter den Zuhörern beruhigte Zuckermann die Gemüter mit den Worten, er wolle so sachlich wie möglich antworten. "Die Ägypter haben ihre Beduinen und die Israelis haben ihre Beduinen - das sollten Sie wissen", stellte er im Nebenlauf klar, um dann zum Kern des Problems vorzustoßen. Es gehe doch um die Frage, wer oder was proisraelisch ist. Für Lieberman zu sein, halte er beispielsweise nicht dafür. Man müsse doch differenzieren, über welches Israel man spreche. Die palästinensische Gesellschaft sei noch in den siebziger Jahren die säkularste unter allen arabischen Kollektivitäten im Nahem Osten gewesen. "Ist der Fundamentalismus aus dem Nichts gekommen oder haben 40 Jahre israelische Besatzung etwas damit zu tun?" Die Besatzung werde mit unterschiedlichen Mitteln beantwortet, manchmal mit juristischen, manchmal mit diplomatischen und manchmal mit dem Mittel der Guerilla. "Aber das Machtverhältnis ist prinzipiell jenes, daß Israel die Palästinenser knechtet. Das muß die Ausgangslage für Ihre Frage sein, inwieweit Sie dann noch israelfreundlich sein können. Was heißt für Sie proisraelisch? Der Gedanke des Judenstaates? Ja, doch unter welchen Bedingungen? Ich habe heute abend versucht, ein Dilemma aus israelisch- theoretischer Perspektive darzustellen. Das kann doch nicht weggewischt werden, denn es geht um Realitäten, von denen ich hier gesprochen habe. Die Tatsache, daß Sie sich mit Israel prinzipiell solidarisieren, ist schön und gut, wissen Sie, ich lebe in dem Land!"

Diese mitten aus der Diskussion herausgegriffene Antwort auf seine deutschen Kritiker bietet ein bezeichnendes Bild von der Unversöhnlichkeit, mit der das Thema des Nahostkonflikts in der Bundesrepublik üblicherweise debattiert wird. Der Abend mit Moshe Zuckermann bot demgegenüber die Gelegenheit zu erleben, wie man sich dem Problem auf analytisch klare und rationale Weise zuwenden kann, ohne aus dem Auge zu verlieren, daß es dabei um die Schicksale von Menschen geht, die in einem langwierigen Konflikt auf immer grausamere Weise vermeintlich unentwirrbar miteinander verstrickt sind. Die im Publikum zu vernehmenden Klagen über die ideologische Einseitigkeit, mit der das Thema in Politik und Medien der Bundesrepublik überlicherweise abgehandelt wird, wies Zuckermann ebenso an ihre Urheber als das Problem ihres eigenen Landes zurück, als er die vermeintlichen, besonders eifrigen Freunde Israels aus ihren überspannten Vorstellungen von der angeblich allumfassenden Bedrohung des Landes auf den Boden des realen Kräftesverhältnisses zwischen den Konfliktparteien zurückholte.

Veranstaltungsort Überseemuseum in Bremen - © 2009 by Schattenblick

Veranstaltungsort Überseemuseum in Bremen
© 2009 by Schattenblick

27. Februar 2009