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BERICHT/018: "Mit Krieg ist kein Frieden zu machen - Bundeswehr raus aus Afghanistan!" (SB)


Veranstaltung der Partei Die Linke gegen den deutschen Kriegseinsatz in Afghanistan am 15. September 2009 in Hamburg

Podium mit Jan van Aken, Norman Paech, Heike Sudmann, Matin Baraki - © 2009 by Schattenblick

Podium mit Jan van Aken, Norman Paech, Heike Sudmann, Matin Baraki
© 2009 by Schattenblick

Imperialistische Kriege und Besatzungsregimes alter und neuer Couleur bedienen sich der Doktrin einer grundsätzlichen Unterlegenheit des Gegners auf jedem Gebiet. Das beginnt bei der militärischen Kalkulation der beiderseitigen Schlachtopfer, materiellen Aufwände und mutmaßlichen Dauer der Kampagne und endet nicht vor einer fundamentalen Diffamierung des Gegners bis hin zu seiner Entmenschlichung, die jedes Zwangsmittel rechtfertigt, ihn zu sanktionieren oder zu bekehren. Es gehört zu den wesentlichen Voraussetzungen und tragenden Elementen bellizistischer Okkupation, daß der Aggressor eine Überlegenheit auf allen erdenklichen Feldern für sich reklamiert, welche die Motive und Ziele seiner Zwangsherrschaft verschleiert und die Züchtigung des Opfers zu einem erzieherischen Akt im Dienst der Höherentwicklung und Zivilisierung erklärt.

Will man in diesem Zusammenhang von Propaganda sprechen, so gilt zu berücksichtigen, daß die tiefgreifende Beeinflussung, mit der wir es heute zu tun haben, weit über die Sphäre einer Indoktrination hinausreicht, die mit relativ geringem Aufwand als solche zu erkennen und zu unterlaufen wäre. Man muß inzwischen von Denkkontrolle ausgehen, die kaum noch zu identifizieren ist, da die von ihr transportierten und implantierten Inhalte den Charakter unhinterfragbarer Axiome angenommen haben. So wird man im Lager der Kriegsgegner sicher darin übereinstimmen, daß militärische Interventionen jenen "Terror" hervorbringen und mehren, den zu bekämpfen sie vorgeben, wie Krieg grundsätzlich ungeeignet sei, den "Terror" aus der Welt zu schaffen. Wie dieses geläufige Beispiel zeigt, wird der Terrorbegriff zumeist beiderseits unreflektiert verwendet, als handle es sich um eine abschließend definierte Größe und nicht um einen konzeptionellen Kampfbegriff zur Delegitimierung radikalen Widerstands und zur Entmenschlichung seiner Akteure.

Das hierzulande gängige Bild von Afghanistan und seinen Bewohnern speist sich in aller Regel nur zu einem geringen Teil aus persönlichen Begegnungen mit Afghanen, Reisen an den Hindukusch oder fundierten Studien. Geprägt von jahrelanger Kriegspropaganda kreist eine fiktive Vorstellungswelt um ein wildes, rückständiges, borniertes und kulturloses Volk, dem man auf die eine oder andere Weise auf die Sprünge helfen muß. Selbst Skeptikern, die ein Ende der Intervention für geboten erachten, da sie die erklärten Kriegsziele für unerreichbar halten, geht die Phrase zumeist problemlos über die Lippen, daß "die Taliban" im Falle eines Abzugs der Alliierten die Herrschaft übernehmen und die Entwicklung rudimentärer Ansätze einer Demokratisierung und Modernisierung auf Null zurückwerfen würden. Eines eklatanten Mangels jeglicher Sachkenntnis ungeachtet, glaubt in den westlichen Gesellschaften heutzutage jeder zu wissen, wie es um Afghanistan im allgemeinen und die Taliban im besonderen bestellt ist, und sei es nur in Gestalt der Stammtischparole, daß fanatische Gotteskrieger ja wohl das letzte seien, was sich ein aufgeklärter Mensch wünschen kann, und folglich die Afghanen Narren, auf einen solchen faulen Zauber hereinzufallen.

Mag eine derartige Verortung des Bösen an sich auch wie ein Rückfall in längst überwunden geglaubte Epochen menschheitsgeschichtlicher Auseinandersetzungen unter dem Banner von Kreuz und Kirche oder schlichtweg als ein verblassendes Erbe der fundamentalistisch inspirierten Bush-Ära erscheinen, so greift sie doch auf fundamentale Suprematiereflexe zurück, die jenseits aller Psychologismen um so wirkmächtiger die Grundüberzeugungen dominieren. Wir sind besser als die Afghanen, lautet das Credo der westlichen Welt. Im Bewußtsein eigener Größe erschöpft sich die Pseudokontroverse im Kreisen um die Frage, auf welche Weise man dies einem solch hinterwäldlerischen Menschenschlag am besten klarmachen könnte, um ihn an den Segnungen unserer Errungenschaften partizipieren zu lassen. Diese bornierte Haltung ist kein Privileg einer Heerschar durch Boulevardmedien generierter Vulgärstrategen, sie zieht sich vielmehr tief hinein in die Reihen der Kriegsgegner.

Ohne die in mehr als einer Hinsicht anregende Zusammenkunft in der "Kaffeewelt" im Hamburger Stadtteil St.Georg unzulässig auf ein einziges Thema zu verkürzen, läßt sich doch als besondere Würze dieser Begegnung hervorheben, daß die Verhältnisse unter dem Besatzungsregime und die Sichtweise der davon betroffenen Menschen dank engagierter und kompetenter Einlassungen afghanischer Kritiker westlichen Dominanzstrebens deutlich an Profil gewannen. Auch wenn es für Teile der hiesigen Friedensbewegung verstörend sein mag, sich mit sachkundigen und kompromißlosen Gegnern hegemonialer Überformung und Unterjochung zu konfrontieren, sollte dies mit Blick auf das Erringen unabweislicher Positionen im Streit gegen die Kriege der neuen Weltordnung unverzichtbar sein.

So legitim und notwendig es gerade in Zeiten des Wahlkampfs ist, sich mit einem Thema in der Öffentlichkeit zu präsentieren, das die Kompetenz der eigenen Partei im Unterschied zur Konkurrenz hervorhebt, ließ die Debatte in ihren stärksten Momenten doch das Werben um Wählerstimmen erfreulicherweise hinter sich zurück. Dann bot sich die Gelegenheit, tiefer in die Materie einzudringen, die argumentativen Waffen zu schärfen und nicht zuletzt unüberprüfte Vorannahmen zur Diskussion zu stellen. Wie lebhaft sich Rede und Gegenrede entfalteten, zeigte der Umstand, daß man trotz der großzügig bemessenen Zeitspanne für die Kurzvorträge der drei Referenten und die Fragen und Stellungnahmen im Publikum sicher noch Stunden länger debattiert hätte, als dies die organisatorischen Umstände erlaubten.

© 2009 by Schattenblick

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Wie die argumentative Präsenz des afghanischen Politikwissenschaftlers Dr. Matin Baraki eindrucksvoll unterstrich, sprechen Sachkompetenz und persönliches Engagement so unmittelbar für sich, daß die Sphäre politischer Schlagworte und Parolen demgegenüber ebenso abgestanden schmeckt wie das Werben um Zustimmung oder Appelle hinsichtlich unterstellter Gemeinsamkeiten. Nicht, daß der Abend mit letzteren überfrachtet gewesen wäre, doch wo ein in parteipolitischen Zugewinn übersetzter Ertrag anklang, wie dies der Spitzenkandidat der Hamburger Linkspartei, Dr. Jan van Aken, nicht verhehlen konnte, spürte man sofort: Das Bündnis der Kriegsgegner bedarf einer ausgiebigen und fortgesetzten inneren Diskussion nicht minder wie einer gemeinsamen Front im Kampf um den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

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Gleich im allerersten Redebeitrag aus dem Publikum brachte eine Afghanin auf den Punkt, was man als Quintessenz des Abends bezeichnen könnte: Wir wollen eure Demokratie nicht. Was würdet ihr denn tun, wenn man euch angreift? Laßt uns bitte in Ruhe! Es geht also nicht nur um die Soldaten der Bundeswehr oder der NATO-Staaten, sondern grundsätzlich um die vom Westen angestrebte Okkupation durch ein politisches und ökonomisches System. Die Zurückweisung jeglicher Einmischung ist von zentraler Bedeutung, da sie die Intervention umfassend thematisiert und verwirft, während sich die vielzitierte Doppelstrategie, Truppen abzuziehen, aber die Einflußnahme auf dem zivilen Sektor zu verstärken, fragen lassen muß, ob sie nicht auf dem Schleichweg erreichen will, was Brachialgewalt angesichts des wachsenden Widerstands nicht durchzusetzen vermag.

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Wie Matin Baraki klarstellte, kann Afghanistan auf eine lange und nicht zuletzt politische Kultur zurückblicken, in der die 55 Völkerschaften des Landes durchaus miteinander auskamen und eine basisdemokratische Willensbildung pflegten. Was man heute als westliche Demokratie in Kabul erlebe, sei von Korruption, Zerstörung, massiver Manipulation der Besatzungsmächte, Prostitution und diversen anderen Verwerfungen charakterisiert. Als die Übergangsregierung auf der Petersberger Konferenz aus dem Boden gestampft wurde, geschah dies in einem Akt US-amerikanischer Willkür, die eine pseudodemokratisch legitimierte Marionette installierte, die in der Folge durch die NATO gestützt werden mußte. Was den Afghanen als Demokratie verkauft wurde, war amerikanisches Theater, das mit Millionen von Dollars subventioniert wurde. Das Land wurde nicht aufgebaut, sondern mit militärischen und wirtschaftlichen Mitteln zerstört, wobei sich das Karzai-Regime mit willfährigen Kräften umgab und Kritiker drangsalierte. Daß die Afghanen diese Demokratie ablehnen, liegt auf der Hand.

Wenn hier um der schnellen Rede willen von "den Afghanen" gesprochen wird, soll damit nicht vernachlässigt werden, daß es im Land selbst wie auch unter den Exilanten mannigfaltige Interessen und Meinungen gibt. Obgleich bei dieser Veranstaltung in der Minderheit, waren im Saal doch einige Stimmen zu hören, die sich für eine weitere westliche Intervention verwendeten, da andernfalls das Chaos überhand nehme. Wie man sich denken kann, kam es darüber zu Kontroversen, die jedoch durch das praktizierte Verfahren der Fragensammlung gebremst wurden. Moderatorin Heike Sudmann, Bundestagskandidatin der Linkspartei, hatte alle Hände voll zu tun, diesen Sack Flöhe der Wortmeldungen und wiederkehrenden Bitten um kurze Zwischenbemerkungen außer der Reihe zu hüten.

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In drei Runden kamen die aus dem Publikum angemeldeten Stimmen zu Wort, wobei es sich wie immer in solchen Fällen um einen Wildwuchs aus Fragen und Stellungnahmen handelte, die thematisch und zeitlich ins Kraut zu schießen drohten. Die Referenten konnten nicht umhin, das eine in Gestalt einer Antwort herauszugreifen und das andere zu übergehen, weshalb an dieser Stelle nur angerissen werden kann, wie breit und vielfältig die Palette der Äußerungen war. Diese reichte vom Mohnanbau, den Taliban und der Folter über die Akzeptanz deutscher Soldaten, Rückzugsstrategien und Widerstandsgruppen bis hin zur Rolle der evangelischen Kirche und der Forderung nach einem Abbruch der juristischen Zusammenarbeit mit den USA. Viele Teilnehmer mögen an dieser Stelle reklamieren, daß sie sich mit ihrem Wortbeitrag in dieser Auflistung nicht wiederfinden, was andererseits unterstreicht, wie groß der Diskussionsbedarf unter den Kriegsgegnern ist.

© 2009 by Schattenblick

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Prof. Dr. Norman Paech, Völkerrechtler und Außenpolitischer Sprecher der Linkspartei im Bundestag, gab in seinem Vortrag unter anderem darüber Aufschluß, warum sich Verteidigungsminister Franz-Josef Jung hartnäckig weigert, dem Offensichtlichen zum Trotz nicht von Krieg zu sprechen. Handelte es sich wie behauptet um einen Verteidigungsfall, so sieht das Grundgesetz auch dafür eine Reihe besonderer Maßnahmen wie die Beteiligung des Parlaments an der Entscheidung und das Aussetzen von Wahlen vor. Folglich müsse die Realität des Krieges auch aus gesetzlichen Gründen geleugnet werden. Ein acht Jahre währender Verteidungskrieg in einem fernen Land heble bundesdeutsches Recht und Völkerrecht so weitgehend aus, daß juristische Kategorien außer Kraft gesetzt werden. Seit Washington die Transformation Afghanistans in eine moderne Gesellschaft 1978/79 gewaltsam verhindert hat, herrscht ein durch äußere Mächte implantierter Krieg, der Zöglinge der USA wie die Mujahedin, die Taliban und Al Qaida hervorgebracht hat. Spätestens seit dem jüngsten Massaker im Norden setzen deutsche Truppen die zugrundeliegenden geostategischen Interessen mit derselben Brutalität durch, die man bislang den US-Amerikanern zur Last gelegt hat.

© 2009 by Schattenblick

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Dem fügte Dr. Jan van Aken als dritter Referent hinzu, daß die Behauptung, man bekämpfe in Afghanistan den Terror, ebenso haltlos wie jene des Wiederaufbaus ist. Erstere ziehe angebliche Zusammenhänge zur Begründung heran, die nicht existieren, während im zweiten Fall das ungeheure Ausmaß der Zerstörung anzuführen sei, das jeden Ansatz eines Aufbaus in den Schatten stelle: Im Krieg kann nicht aufgebaut werden. Das Primat des Friedens, wie es noch Anfang der 1990er Jahre Konsens in der deutschen Politik gewesen sei, müsse wiederhergestellt werden.

Mit seinem Schlagwort "Terror erzeugt Terror" setzte Jan van Aken jedoch Angriffskrieg und Widerstand auf eine Weise gleich, die seine Positionierung auf die eines zivilen Administrators reduzierte, der den Militärs ein besser geeignetes Verfahren der Regulation vor Augen führen möchte. Seine Aussage, daß nach einem Abzug aller ausländischen Truppen wieder ein "Talibanregime" herrschen würde, ließ Norman Paech nicht unwidersprochen stehen. Zuvor hatte Matin Baraki bereits ausgeführt, daß nach UN-Angaben 2200 verschiedene Gruppen in Afghanistan kämpfen, weshalb die Bezeichnung des wachsenden Widerstands als "Taliban" von der Sache her falsch und eine gezielte Irreführung sei.

Van Akens Modell einer zivilen Konfliktlösung ohne Krieg, für die er die Biowaffeninspektion im Irak von 2002 als positives Beispiel anführte, abstrahierte vollends von den diesem Verfahren zugrundeliegenden Machtverhältnissen. Waffeninspektionen sind im Kanon miteinander verzahnter Sanktionsinstrumente Vorstufen eines Angriffskriegs und somit integraler Bestandteil eines Systems globaler Herrschaftssicherung im Dienst der Führungsmächte, die potentielle Gegner präventiv ihrer Wehrfähigkeit berauben oder Interventionsvorwände inszenieren. Sie zu friedensstiftenden Maßnahmen in Konfliktfällen zu erklären, stellt gerade im Beispiel des Irak ihre tatsächliche Funktion auf den Kopf. Wer dies für eine zu krasse Sichtweise hält, dem sei die Frage gestellt, wieso Länder des Südens niemals in die Lage geraten, die über Atomwaffen verfügenden Industriestaaten des Nordens mit entsprechenden Kontrollen und Sanktionen zur Abrüstung zu zwingen.

Auch van Akens Einlassung zu den Ressourcenkriegen, gegen die er als eine erste Sofortmaßnahme eine Reduzierung des Verbrauchs nach dem Muster der Greenpeace-Kampagne für coltanfreie Handys, die zur Beilegung des Konflikts im Kongo beitragen sollte, empfahl, weist ihn als Parteigänger weltadministrativer Verfügungsinteressen aus. Bei Coltan handelt es sich um ein insbesondere von der Rüstungsindustrie benötigtes Metall. Daher führen Konsumentenkampagnen gegen Hersteller von Mobiltelefonen allenfalls deren Umstellung auf andere Rohstoffe herbei, lösen jedoch nicht die Problematik, die um die Ausbeutung eines essentiellen Minerals wie Coltan entsteht. Kriegerische Konflikte in Ländern wie dem wegen seiner zahlreichen Bodenschätze umkämpften Kongo stehen von vornherein unter dem Zwang einer neokolonialen Strategie, die sich nicht durch Nachfragekorrekturen beheben läßt, sondern der die grundsätzliche politische und soziale Stärkung der subalternen Bevölkerungen dieser Staaten entgegengestellt werden müßte.

Die auf Krieg oder Frieden verkürzte Widerspruchslage leugnet den Umstand, daß sich die Innovation weltweiter Verfügungsgewalt beider Zustände wechselweise bedient und auf Grundlage überlegener Waffengewalt ihr Regime mit militärischen, wirtschaftlichen und administrativen Mitteln durchsetzt. Der antikolonialistische Kampf beginnt mit der Vertreibung ausländischer Truppen, doch vergißt er nicht die Präsenz des Aggressors in der Ökonomie und Bürokratie. Von Geostrategen aufgezwungene Verlaufsformen weltweiter Herrschaftssicherung als vollendete Tatsachen hinzunehmen und Afghanistan zu einem schwerkranken Patienten zu erklären, an dessen Therapie man sich in Konkurrenz zum bellizistischen Ansatz beteiligen müsse, hieße die gezielte Entmenschlichung der Afghanen mit demselben Zynismus fortzusetzen. Wie der Blick des Soldaten durch das Visier nur noch "Taliban" zu erkennen vermag, bemißt die Perspektive des Administrators seine "Klientel" nach zählbaren Einheiten im Rahmen eines Zuteilungssystems. Daher kann der sofortige Abzug aller ausländischen Truppen aus Afghanistan nur ein unverzichtbarer erster Schritt sein, dem die vollständige Entfernung sämtlicher fremdbestimmter Zugriffsstrukturen auf dem Fuße folgen muß.

© 2009 by Schattenblick

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17. September 2009