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BERICHT/042: Antirep2010 - Will Potter zu "Green Scare" in den USA (SB)


Öko- und Tierrechtsaktivisten in den USA unter "Terrorismus"- Verdacht

Vortrag am 9. Oktober 2010 an der Universität Hamburg


Spätestens seit den Flugzeuganschlägen vom 11. September 2001 sieht die US-Politelite Amerika im "globalen Antiterrorkrieg" gegen die Kräfte des "islamischen Extremismus" oder, wie der Schriftsteller Benjamin Barber es bereits 1995 in seinem gleichnamigen Bestseller titulierte, im Kampf "Jihad versus McWorld". Vor diesem Hintergrund ist eingehende Kritik am bestehendem kapitalistischen System der USA unerwünscht, weshalb sich dort seit einigen Jahren die radikaleren Teile der Ökologie- und Tierrechtsbewegungen dem Vorwurf des "Terrorismus" ausgesetzt sehen. Über die neue "Green Scare" in den USA, quasi eine Wiederauflage der "Red Scare" der McCarthy-Ära, bei der heute die Umwelt- und Tierrechtsbewegten anstelle der gottlosen Kommunisten am Pranger stehen, referierte mit viel Witz und Esprit auf dem Antirepressionskongreß in Hamburg der amerikanische Journalist Will Potter.

Will Potter in der Nahaufnahme - © 2010 by Schattenblick

Will Potter
© 2010 by Schattenblick
Bezeichnend ist für den in Texas aufgewachsenen, inzwischen in Washington D. C. lebenden Potter, daß diejenigen, die den Vorwurf des "Terrorismus" gegen andere erheben, diesen Begriff selten genau definieren. Das ist Absicht. Im Grunde genommen gehe es bei der Verwendung dieses Schlagworts um die Diffamierung bzw. Dämonisierung der Gegner, bei denen es sich häufig um Menschen handelt, die sich einfach gegen ausländische militärische Intervention oder einheimische staatliche Repression zur Wehr setzen oder sich für soziale Veränderung und eine Beschneidung der Macht der Großkonzerne stark machen. Allein in den USA gibt es um die 20 verschiedene Definitionen des Wortes "Terrorismus", je nachdem welche staatliche Behörde es verwendet. Die meisten Länder haben ihre eigene Definition, während es auf der Ebene der Vereinten Nationen keine gibt, weil sich die Mitgliedsstaaten trotz jahrelangen Bemühens darauf nicht einigen konnten.

Angesichts der unübersichtlichen semantischen Lage hob Potter drei Aspekte des "Terrorismus" hervor, die seiner Meinung nach in den meisten Definitionen wiederzufinden sind. Beim ersten Aspekt handelt es sich um die Anwendung oder Androhung von Gewalt seitens nicht-staatlicher Akteure mit dem Ziel, einer politischen Forderung Nachdruck zu verleihen. In den USA, aber nicht nur dort, haben in den letzten Jahren staatliche Stellen die Definition von Gewalt auf Handlungen ausgeweitet, die früher nicht als Gewalt betrachtet wurden, weil der Sachschaden minimal war oder weil keinem Menschen körperlich geschadet wurde, wie beispielweise das Einwerfen von Fenstern oder die Durchführung von Tierbefreiungsaktionen. In diesem Zusammenhang brachte Potter ein Zitat, in dem sich der berühmte Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King jun. ganz klar gegen eine Gleichsetzung von Gewalt gegen Personen mit jener gegen Privateigentum verwahrte. Während die meisten Menschen unter "Terrorismus" Gewalt gegen Personen verstehen, schließen die meisten staatlichen Definitionen inzwischen die Beschädigung oder Zerstörung von Privateigentum in ihre Definition ein. Hinzu kommt, daß "Terrorismus" stets als etwas definiert wird, dessen sich lediglich nicht-staatliche Akteure bedienen. Aus der herkömmlichen Perspektive scheint es per se so etwas wie einen "Staatsterrorismus" nicht zu geben. Also ist es das Wesen des Begriffs "Terrorismus", daß damit stets Gewalt gegen die herrschende Ordnung und nicht im Namen derselben gemeint ist, selbst wenn letztere mindestens so brutal, wenn nicht sogar um ein Vielfaches brutaler ausfällt.

Der zweite Aspekt des "Terrorismus" besteht in der Absicht, Furcht oder Angst bei der Zivilbevölkerung auszulösen. Hauptziele sind nicht diejenigen, die einen Anschlag wie den des 11. September 2001 in den USA mit dem Leben bezahlen, sondern all die Überlebenden, die denken, sie hätten zu den Opfern einer solchen Schreckenstat gehören können und sich deshalb Sorgen machen. Daraus leitet sich der dritte Aspekt, nämlich der Wunsch der Täter, mittels Beeinflussung der öffentlichen Meinung politische Veränderung in Form von Entscheidungen der staatlichen Legislative oder Exekutive herbeizuführen, ab. Potter fügte diesen drei Aspekten einen vierten hinzu, der nicht zuletzt deshalb wichtig sei, weil er praktisch vorausgesetzt und deshalb verschwiegen werde. Der "Terrorismus" bestehe aus Handlungen, welche die drei erstgenannten Aspekte aufweisen und sich gegen die bestehende Ordnung richten.

Will Potter vor der Leinwand - © 2010 by Schattenblick

Will Potter erläutert die Definition des Begriffs Terrorismus © 2010 by Schattenblick

Zum Beleg seiner These verwies Potter auf den Fall der Hutaree Militia, einer schwerbewaffneten christlich-fundamentalistischen Gruppierung in Michigan, deren Mitglieder im vergangenen Frühjahr wegen des Plans, tödliche Anschläge auf Behörden, Polizisten und amerikanische Muslime durchzuführen, um in den USA einen Massenaufstand gegen die "sozialistische" Regierung Barack Obamas auszulösen, festgenommen wurden. Obwohl die Aktivitäten der Hutaree-Milizionäre die bereits erwähnten drei Kriterien des "Terrorismus" erfüllten, wurden diese seitens des Justizministeriums, des FBI und der Konzernmedien niemals als mutmaßliche "Terroristen" oder "Terrorverdächtige", sondern stets als gewaltbereite Kriminelle bezeichnet. Potter führte den Fall des Joe Stack an, der im vergangenen Februar aus Protest ein Kleinflugzeug in das Finanzministerium in Austin, Texas, steuerte und dabei sich selbst und einen Beamten tötete. Auch dieser Selbstmordanschlag wurde weder von den Justizbehörden noch von den Medien in den USA als "terroristischer" Akt gedeutet. Das gleiche gilt für Michael Contreras, der in der Wahlnacht im November 2008 zusammen mit zwei Freunden in New Jersey aus Verärgerung über den Sieg Barack Obamas mit Eisenstangen auf schwarze Menschen losging. Obwohl sie einige Opfer krankenhausreif schlugen und eines sogar wegen der Kopfverletzung ins Koma fiel, wurden Contreras und Konsorten - wie das in den USA bei rassistisch motivierten Gewalttaten häufig der Fall ist - lediglich als brutale Kriminelle, nicht aber als "Terroristen" behandelt, so Potter.

In den Listen des FBI, des Justizministeriums und des Heimatschutzministeriums in Washington bezüglich potentieller oder tatsächlicher "Terroristen" tauchen rechtslastige politische Straftäter oder Gruppierungen gar nicht erst auf. Und das obwohl auf deren Konto der Oklahoma-Anschlag 1996, der Rohrbombenanschlag 1998 auf das olympische Dorf in Atlanta, zahlreiche Angriffe auf Abtreibungskliniken und Überfälle auf die dort tätigen Ärzte gehen. In welchem Ausmaß die Behörden in den USA auf dem rechten Auge blind sind, führte Potter an einem Kontrastbeispiel vor. Während für den Leiter des Heimatschutzministeriums im Bundesstaat Pennsylvania Timothy McVeigh, der Haupttäter beim Oklahoma-Anschlag und damit Hauptverantwortliche für den bis zum 11. September 2001 größten Massenmord der amerikanischen Justizgeschichte "kein Terrorist" ist, stellen radikale Umweltschützer aus Sicht von John Lewis, dem früheren für die Terrorbekämpfung zuständigen Stellvertretenden FBI-Direktor, die "größte inländische Terrorbedrohung" der Vereinigten Staaten von Amerika dar.

Will Potter gestikuliert mit den Händen - © 2010 by Schattenblick

Der Referent sorgt für Klarstellung
© 2010 by Schattenblick

Für diesen kuriosen, wie zugleich bedenklichen Umstand versuchte Potter eine Erklärung zu präsentieren. Zu diesem Zweck bemühte er sich um einen Vergleich zwischen der heutigen Situation und der während der Ära des McCarthyismus der 40er und 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, erstens weil die Parallele seines Erachtens unübersehbar ist, und zweitens, weil jeder, auch wenn er nichts über die aktuellen sozialen Bewegungen weiß, soviel mitbekommen hat, daß die damalige "Red Scare" ("Rote Bedrohung") eine schändliche Episode für den amerikanischen Rechtsstaat war. Potter erinnerte an die drei Methoden, mit denen damals Angst vor dem Kommunismus und seinen tatsächlichen oder nur mutmaßlichen Anhängern geschürt wurde: erstens durch Gesetze, mittels derer Menschen linker Gesinnung zur Bedrohung der nationalen Sicherheit erklärt wurden; zweitens durch strafrechtliche Verfolgung, bei der Menschen wegen des Verdachts auf Spionage für eine ausländische Macht drangsaliert wurden; und drittens durch extralegale Methoden wie das Lancieren von boshaften Gerüchten oder die Verhängung von Berufsverboten wie zum Beispiel in der US-Filmindustrie.

Was die gesetzliche Ebene betrifft, so haben sich die US-Justiz- und Polizeibehörden 2006 erfolgreich für die Verabschiedung des Animal Enterprise Terrorism Act stark gemacht, um Tierrechtsaktivisten als "Terroristen" verfolgen zu können. Damals haben laut Potter FBI-Mitarbeiter und Vertreter des Justizministeriums glatt gelogen, als sie vor dem Kongreß erklärten, sie benötigten eine stärkere gesetzliche Grundlage, um den "Terroristen" der Tierrechtsbewegung das Handwerk zu legen. Denn zur gleichen Zeit schleppten die Behörden die "SHAC 7" durch die Gerichte und ließen diese als "Terrorunterstützer" verurteilen, nur weil die Gruppe auf ihrer Website Informationen über die Aktivitäten verschiedener Tierbefreier veröffentlicht hatte. Nach dem neuen Gesetz kann praktisch jede Art des Protests gegen die industrielle Verwertung von Tieren - und sei es nur die Verteilung von Handzetteln - als "Terrorismus" ausgelegt werden.

Mit dem Animal Enterprise Terrorism Act wird das im ersten Zusatz der US-Verfassung verbriefte Recht auf Meinungsfreiheit zugunsten der Geschäftsinteressen einzelner Großunternehmen geopfert. In diesem Zusammenhang nannte Potter unter anderem die Pharmakonzerne Pfizer und Glaxo, Smith, Klein, die Interessensvertretungen The Fur Farmers Coalition und The National Cattlemens Beef Association sowie die Universität von Kalifornien, gegen die damals wegen der Verwendung von Tieren zu Versuchszwecken demonstriert wurde, als diejenigen, die nicht öffentlich, sondern in heimlicher Lobbyarbeit auf dem Kapitol die Verabschiedung des Gesetzes durchgesetzt hatten - unter anderem durch die Verteilung von politischen Spendengeldern an einzelne Politiker. Parallel zu dieser bedrohlichen Entwicklung auf Bundesebene haben in den letzten Jahren zahlreiche Bundesstaaten eigene Gesetze verabschiedet, die jede Art der "materiellen Unterstützung" von radikalen Tierbefreiern, und sei es allein durch eine Solidaritätserklärung im Internet, in den Rang einer "terroristischen" Straftat erheben.

Anhand des Falls der "SHAC 7" erläuterte Potter die strafrechtliche Ebene der Repression von Tierrechtlern in den USA. Die Gruppe hatte sich der internationalen Kampagne gegen Huntington Life Sciences, eines der weltweit größten Tierversuchsunternehmen mit Labors in Großbritannien und dem US-Bundesstaat New Jersey, dessen Arbeiten - in der Regel Produkttests - täglich rund 500 Tiere das Leben kosten, angeschlossen. Die Kampagne hieß folglich "Stop Huntington Animal Cruelty" - daher das Akronym SHAC - und sie war so effektiv, daß sie den Konzern fast in den Konkurs trieb. Zum Erfolg trug die Veröffentlichung von Bildern und Videoaufnahmen bei, die Tierrechtsaktivisten heimlich in den Labors von Huntington gemacht hatten und die von schwerster Tierquälerei zeugten, sowie der Boykottaufruf und Protestaktionen gegen alle Unternehmen, die bei Huntington Forschungsaufträge durchführen ließen oder mit ihm überhaupt geschäftliche Verbindungen unterhielten.

Bei den Protestaktionen kam es hin und wieder zu Straftaten, meistens Sachbeschädigung, doch niemals zu Gewalt gegen Personen. Statt gegen diejenigen ernsthaft zu ermitteln, die sich solcher Vergehen schuldig gemacht haben, knüpften sich die Behörden die "SHAC 7" vor, welche die Kampagne gegen Huntington durch eine Informationsseite im Internet öffentlich unterstützten. Die "SHAC 7" haben selbst niemals Straftaten wie einen Einbruch in einem Labor oder das Inbrandsetzen eines Autos begangen, sondern lediglich auf ihrer Website Informationen über die Aktivitäten von Tieraktivisten und die Namen, Adressen und Telefonnummern von Huntington-Managern und deren Geschäftskontakten veröffentlicht sowie sich mit den Tierbefreiern solidarisch erklärt. Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden galt diese publizistische Arbeit als Teil einer "terroristischen" Verschwörung, weswegen die "SHAC 7" für schuldig befunden und zu Haftstrafen zwischen einem und sieben Jahren verurteilt wurden.

Potter führte das drastische Vorgehen gegen die "SHAC 7" darauf zurück, daß die Gruppe eine Brücke zwischen den radikalen Tierbefreiern und den friedlichen Tierrechtsaktivisten geschlagen hatte, und bezeichnete es als eine vom Staat und den Großkonzernen eröffnete "neue Front im Antiterrorkrieg". Jene "neue Front" haben laut Potter Ende September Friedensaktivisten in Chicago und Michigan zu spüren bekommen, als schwerbewaffnete FBI-Beamte in den frühen Morgenstunden ihre Wohnungen gestürmt, sie auf den Kopf gestellt, Computer, Bücher, Notizen, Bilder beschlagnahmt, die Betroffenen stundenlang verhört und ihnen schließlich beim Weggehen eine Vorladung vor eine Grand Jury wegen des Verdachts der "materiellen Unterstützung" regierungskritischer Organisationen in Lateinamerika und im Nahen Osten, die auf der "Terrorliste" des US-Außenministeriums stehen, zugestellt haben. Genauso wie bei den "SHAC 7" oder Daniel McGowan, einem Mitglied der Earth Liberation Front (ELF), das wegen mehrerer Brandanschläge auf Großbauvorhaben in den Rocky Mountains zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, behaupten die Behörden in Bezug auf die erwähnten Kriegsgegner im Mittleren Westen der USA, wegen ihrer Verbindungen zu linken Aktivisten im Ausland seien sie Teil einer "internationalen Verschwörung".

Blick auf den gutbesuchten Saal - © 2010 by Schattenblick

Das Publikum verfolgt aufmerksam die Erläuterungen des Amerikaners
© 2010 by Schattenblick

Unter dem Oberbegriff des "scaremongering" ("Angstschüren") erläuterte Potter das extralegale dritte Element der aktuellen Bekämpfung sozialer Bewegungen in den USA. Er zeigte eine einseitige Anzeige, die vor kurzem für enorm viel Geld bei der New York Times, der Washington Post und USA Today geschaltet worden war und auf der ein mit einer Gesichtsmaske vermummter, angeblicher Tierrechtsaktivist unter der Überschrift "I control Wall Street" zu sehen war. Zentrale Aussage der Anzeige war die Behauptung, durch Gewalt und ihre Androhung schränke die Tierrechtsbewegung auf unzulässige Weise die unternehmerische Freiheit in den USA ein. Potter machte sich über die Werbeleute, die sich das Bild ausgedacht hatten, und ihre durchsichtigen Absichten lustig, denn auf dem Foto trägt der Finsterling neben der schwarzen Skimaske und einer Eisenstange in der Hand auch noch eine schwarze Lederjacke - was für einen Tierrechtsaktivisten undenkbar wäre. Die Anzeige erschien, als die "SHAC 7" vor Gericht standen und der Animal Enterprise Terrorism Act im Kongreß debattiert wurde. Doch es sollte damit nicht nur Druck auf die Kongreßabgeordneten und Senatoren in Washington ausgeübt, sondern auch unter den einfachen Zeitungslesern Angst geschürt werden. In der Anzeige wird die Behauptung aufgestellt, die Tierrechtsaktivisten verhinderten die Erforschung neuer lebenswichtiger Medikamente und könnten schließlich nachts bei jedem einbrechen und randalieren. In den letzten vier Jahren sind ähnlich reißerische Anzeigen anläßlich lokaler Protestaktionen von Tierrechtlern in der Regionalpresse erschienen oder als Handzettel verteilt worden.

Welch beängstigtendes Ausmaß die Hetzkampagne der Industrie gegen die Tierrechtsbewegung inzwischen erreicht hat, zeigt die Reaktion auf den 2006 erschienenen Kinderfilm "Hoot", bei dem es um die Bemühungen einer Gruppe Jugendlicher geht, den Lebensraum einer seltenen Eulenart vor der Bebauung durch einen korrupten Immobilienmakler zu retten. Um ihr Ziel zu erreichen, machen die Filmhelden allerlei Unfug. Sie kippen zum Beispiel nachts die Klohäuschen der Bauarbeiter um. Nichtsdestoweniger zogen Gruppen wie das Center for Consumer Freedom gegen den Streifen zu Felde und bezeichneten ihn als "soft-core eco-terrorism for kids". Die Werbekampagne gegen "Hoot", die in den Medien beträchtliche Resonanz hervorrief, hat mit Sicherheit dazu beigetragen, daß der Film an den Kinokassen ein regelrechter Flop war. Eine ähnliche Kampagne gab es, als ebenfalls 2006 die Kinoversion des in den USA als Klassiker geltenden Kinderromans "Charlotte's Web" über die Rettung des Lebens eines zum Schlachten freigegebenen Ferkels durch eine Spinne erschien. In Anzeigen warnten Industriegruppen Eltern vor dem Film, weil er "Öko-Extremismus" propagiere und Kinder auf die Idee bringen könnte, sich gegen den Verzehr von Fleisch und anderen Tierprodukten zu wenden.

Potter erinnerte in diesem Zusammenhang an den großen Ärger, den sich vor einigen Jahren die Country-Sängerin Carrie Unterwood einhandelte, als sie einen Spendenaufruf zugunsten der Humane Society, vergleichbar dem Deutschen Tierschutzbund, startete. Underwood, die bekennende Vegetarierin ist, wurde seitens derselben Industriegruppen vorgeworfen, Werbung für eine "terroristische Vereinigung" zu machen. In Anzeigen wurde - natürlich über mehrere Ecken - eine Verbindung zwischen dem Vorsitzenden der Humane Society und den "SHAC 7" hergestellt. Für allgemeine Erheiterung sorgte Potter, als er eine gegen die Tierrechtsbewegung gerichtete Zeitungsanzeige der National Rifleman's Association, der politisch stärksten Lobbyorganisation in den USA, an die Leinwand projizierte. In der Zeichnung, eine Persiflage des berühmten Gemäldes des Franzosen Eugene Delacroix "Die Freiheit führt das Volk", war unter anderem eine fliegende Eule, die mehrere Stangen Dynamit in ihren Krallen hielt, zu sehen. Die Tierarmee wurde von einer in einen Rock gekleideten, gewehrtragenden Tierrechtlerin angeführt, die als Konsumverweigerin daran zu erkennen sein sollte, daß ihre Beine nicht rasiert waren!

Will Potter lächelt - © 2010 by Schattenblick

Selbst das Thema Terrorismus kann für Erheiterung sorgen
© 2010 by Schattenblick

Auf die von ihm gestellte rhetorische Frage, wie radikale Umwelt- und Tierrechtsaktivisten, die nie jemanden umgebracht haben, auf die gleiche Stufe oder noch tiefer als rechtsgerichtete Milizionäre oder fanatische Abtreibungsgegner, die Dutzende von Anschlägen auf Kliniken verübt und dabei nicht wenige Ärzte getötet haben, gestellt werden konnten, erinnerte Potter an die frühere "Red Scare". Diese von den US-Eliten nach dem Zweiten Weltkrieg geschürte Angst bestand nicht nur in der vermeintlichen Gefahr einer Eroberung der Vereinigten Staaten durch die Streitkräfte der Sowjetunion, sondern vor allem in der ideologisch-kulturellen Bedrohung durch den Kommunismus, dessen Werte angeblich mit dem von oben herab auf Individualismus und Konsum reduzierten "american way of life" nicht vereinbar waren. Diese kulturelle Bedrohung sei nicht erst in den vierziger und fünfziger Jahren, sondern bereits in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entstanden, als unter Mitchell Palmer Tausende von Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten und anderen Trägern ausländisch-fremden Gedankenguts ohne Anklage verhaftet, gefangen gehalten und zum Teil später ausgewiesen wurden. An der Seite des damaligen Justizministers stand bei den sogenannten Palmer Raids der spätere Gründer und langjährige Chef des FBI, J. Edgar Hoover. Gerade wegen der möglichen kulturellen Infragestellung des amerikanischen Gesellschaftsystems hatten später stramme Antikommunisten wie Hoover und Senator Joseph McCarthy aus Wisconsin die Regisseure, Schauspieler und Drehbuchautoren Hollywoods stets im Visier und griffen bei jedem Anzeichen ideologischer Abweichung von den kapitalistischen Werten des "freien Marktes" hart durch.

Unter ähnlichem Verdacht stehen heute nach Ansicht Potters die Öko- und Tierrechtsbewegungen. Deren Aktivisten sind laut einer offiziellen Verlautbarung der American Medical Association (AMA), des wichtigsten US-Ärzteverbands, "von einer wissenschafts- und technologiefeindlichen Philosophie motiviert" und versuchen, "eine neue Definition dessen, was es bedeutet, ein Mensch zu sein", zu installieren. In einem von Potter zitierten Bericht des Washingtoner Heimatschutzministeriums heißt es, die Werte und Ziele der Öko- und Tierrechtsaktivisten wie der Erhalt der Natur, keine Gewaltanwendung gegen Tiere und kein Fleischverzehr stünden "im diametralen Widerspruch zu dem in der westlichen Zivilisation verankerten individualistischen Prinzip". Nämliche Sichtweise erklärt für Potter, warum der Vorstandsvorsitzende der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken bei einem Auftritt vor dem Kongreß Aktivisten der Organisation People for the Ethical Treatment of Animals (PETA) als "corporate terrorists" bezeichnete, obwohl diese sich nur für einen schonenderen Umgang mit den in der Lebensmittelindustrie verarbeiteten Tieren und eine entsprechende Reform der Geschäftspraktiken einsetzen. Anhand solcher überzogenen Formulierungen kann man erkennen, wie sehr inzwischen in den USA das Absurde zur "Normalität" geworden ist, so Potter. Dort ist man soweit, daß einzelne Politiker wie der frühere republikanische Kongreßabgeordnete George Nethercutt von den Umwelt- und Tierrechtsaktivisten offen verlangen, sich zu entscheiden, ob sie im "Antiterrorkrieg" "für oder gegen" Amerika sind.

Resümierend stellte Potter fest, daß die Umwelt- und Tierrechtsbewegungen von den Mächtigen in den USA als eine direkte Bedrohung wahrgenommen werden, weil sich ihre Aktivitäten und Forderungen negativ auf die Konzerngewinne auswirken, und für eine indirekte Bedrohung gehalten werden, weil sie das herrschende Gesellschaftmodell mit dem Menschen als Herr über alle anderen Lebewesen auf der Erde in Frage stellen. In Dokumenten des FBI und des Heimatschutzministeriums wird sogar die Befürchtung laut, mit zunehmender Akzeptanz der Umweltbewegung - siehe Al Gores Film "An uncomfortable Truth" über den Klimawandel - könnten die Werte der radikalen Tierschützer in der allgemeinen Bevölkerung größere Verbreitung finden und Menschen nicht nur zu Sachbeschädigungen gegen einzelne Konzerne, sondern auch zu einer Konsumverweigerungshaltung veranlassen.

Vor diesem Hintergrund meinte Potter, die Hysterie der Gegenseite sei zum Teil begründet. In der Tat werfen diejenigen, die einen Raubau an Natur und Tierwelt ablehnen, wichtige philosophische Grundsatzfragen auf, wie das menschliche Leben zu organisieren sei. Sie treten für einen ethischen Fortschritt ein, den andere einfach aus Gründen der Bequemlichkeit als indiskutabel abtun. Doch von den Bemühungen, die Umwelt- und Tierrechtsaktivisten in die "terroristische" Ecke abzuschieben, sollte man sich nicht beeindrucken oder einschüchtern lassen, so Potter. Schließlich habe das FBI mit der berüchtigten Unterwanderungs- und Spähoperation COINTELPRO in den sechziger Jahren vergeblich versucht, die Bürgerrechts- und Anti-Vietnamkriegsbewegung zu zerschlagen. Heute gelten die Anführer jener Bewegung, die gravierender staatlicher Repression ausgesetzt waren, als Helden der Geschichte. In den USA ist inzwischen das Geburtsdatum des 1968 von weißen Rassisten ermordeten schwarzen Predigers und Friedensnobelpreisträgers Reverend Martin Luther King jun. Nationalfeiertag.

Tagungsgebäude des Antirepressionskongresses an der Hamburger Uni - © 2010 by Schattenblick

Tagungsgebäude des Antirepressionskongresses an der Hamburger Uni
© 2010 by Schattenblick



Bisher erschienen:
BERICHT/039: Antirep2010 - Der "War On Terror" und moderner Faschismus (SB)
BERICHT/040: Antirep2010 - Heinz-Jürgen Schneider zum Terrorverdikt im politischen Strafrecht (SB)
BERICHT/041: Antirep2010 - Yossi Wolfson streitet gegen Illegalisierung (SB)
INTERVIEW/051: Antirep2010 - Moshe Zuckermann, israelischer Soziologe und Autor (SB)

19. Oktober 2010