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INTERVIEW/018: Matthis Chiroux, Iraq Veterans Against the War (IVAW) (SB)

©  2009 by Alexandra Mikhailoff

© 2009 by Alexandra Mikhailoff Nach mehr als vier Jahren als Soldat der US-Streitkräfte, die er in Afghanistan, Japan, Europa und auf den Philippinen verbrachte, und nach seiner ehrenhaften Entlassung sollte Sergeant Matthis Chiroux remobilisiert und in den Irak geschickt werden. Chiroux hatte beim Pressekorps der Armee als Fotograf gearbeitet und dabei zahlreiche Berichte über Grausamkeiten und Verbrechen vernommen, die US-Soldaten im Irak begingen. Am 15. Mai 2008 erklärte Chiroux öffentlich im US-Kongreß, sich dem Befehl zur Entsendung in den Irak aufgrund des illegalen und verbrecherischen Charakters dieses Krieges zu widersetzen. Kurz zuvor hatten neun Mitglieder der Iraq Veterans Against the War (IVAW), eine Organisation ehemaliger Soldaten, die gegen die Kriegführung der USA in Afghanistan und im Irak protestieren, vor dem Progressive Caucus des US-Kongresses über die Grausamkeiten berichtet, die US-Soldaten an Irakern begangen haben. Chiroux schloß sich ihren Schritt in die politische Öffentlichkeit an und gelobte, sich im Unterschied dazu, daß er die vernommenen Vorfälle aus Angst vor Repressalien seiner Vorgesetzten nicht gemeldet hatte, nun nicht mehr einschüchtern zu lassen.

Wie dies seitens der US-Regierung quittiert wird, erfuhren Chiroux und 14 Mitstreiter bei der letzten Debatte zur US-Präsidentschaft am 15. Oktober 2008 an der Hofstra Universität in Hempstead im Staat New York. Obwohl die elf IVAW-Aktivisten und ihre vier Unterstützer öffentlich angekündigt hatten, eine Frage an Barack Obama und eine an John McCain stellen zu wollen, und obwohl sie die Polizei zuvor über ihr Vorhaben informiert hatten, wurde ihnen die Gelegenheit, die Präsidentschaftskandidaten zur Kriegführung der USA zu befragen, vorenthalten. Statt dessen wurden alle 15 Beteiligten festgenommen, dabei von Polizeipferden verletzt und in Haft schwer mißhandelt. Zu körperlichen Verletzungen, in einem Fall ein Schädelbruch, gesellten sich sexuelle Anzüglichkeiten gegen die beteiligten Frauen und eine angedrohte Vergewaltigung gegenüber Chiroux.

Am 21. April 2009 wird ein Gremium der US-Armee in St. Louis über die unehrenhafte Entlassung Chirouxs aus der Individual Ready Reserve befinden. Dieser Reservestatus bietet ehemals aktiven Soldaten einige materielle Vorteile. Chiroux besteht allerdings auf einer ehrenhaften Entlassung, weil er sich aus Gewissensgründen einem illegalen Krieg verweigert hat und daher im Recht sei. Er will diese Gelegenheit zu einer politischen Stellungnahme nutzen, wogegen die Armee bereits erklärt hat, keinerlei Erklärungen dieser Art zu dulden.

Während des lange Zeit vergeblichen Versuchs, zum Kundgebungsplatz der Anti-NATO-Demo auf dem von französischer Polizei abgesperrten Strasbourger Hafengelände zu gelangen, ergab sich für den Schattenblick am 4. April die Gelegenheit, Matthis Chiroux einige Fragen zu stellen.

 2009 by Lena Horlemann

© 2009 by Lena Horlemann

Schattenblick: US-Präsident Barack Obama ist hier in Strasbourg und erfreut sich einer sehr positiven Rezeption in den deutschen Medien. Glauben Sie, daß die Menschen zu viel von ihm erwarten?

Matthis Chiroux: Nein, die Menschen erwarten zu wenig von ihm. Ich denke, Obama hat die Vereinigten Staaten auf einen klaren Kurs vom Imperialismus zum Imperialismus light gebracht. Aber wie jeder Ex-Raucher Ihnen erklären kann, bedeutet der Wechsel von starken zu leichten Zigaretten nicht, daß man die Gewohnheit aufgegeben hat. Er setzt immer noch die verbrecherischen Kriege Bushs im Irak und in Afghanistan fort, er setzt die Politik der Extraordinary Renditions fort, die unter Clinton begann, er wird Guantanamo Bay noch ein Jahr in Betrieb halten. Doch selbst dessen Schließung bedeutet nicht viel, es gibt Gefängnisse in den USA, in denen die Menschen so schlecht wie dort behandelt werden. Wir sind eine Kultur, die öffentlich darüber redet und mitunter Scherze macht, daß Männer im Gefängnis vergewaltigt werden, aber diese Dinge dringen nicht wirklich durch, wenn die Menschen denken, daß Guantanamo Bay wirklich schlimm ist und es eine gute Sache sei, so etwas von den Vereinigten Staaten fernzuhalten.

Obama ist Präsident, und ich werde immer noch belangt, weil ich mich letztes Jahr weigerte, in den Irak zu gehen. Am 21. April habe ich eine Anhörung bei der Armee in St. Louis. Sie wollten mich nicht verurteilen, bevor Obama ins Amt gekommen ist.

SB: Ihr Fall ist bekannt, weil sie im US-Kongreß gesprochen haben, also wollten sie keinen Eklat erzeugen.

MC: Sie warteten, bis Obama Präsident geworden war. Wenn Obama glaubt, daß der Krieg im Irak illegal und falsch ist, warum verfolgt seine Regierung mich dann und klagt mich an, daß ich mich weigerte, an etwas teilzunehmen, was meiner Ansicht nach ein Verbrechen ist. Obama hat gesagt, wir sind eine Nation im Krieg, und jeder Politiker, jeder Soldat weiß, daß das erste Opfer im Krieg die Wahrheit ist. Deshalb kann ich einen Mann, der unfähig ist, mir die Wahrheit zu sagen, nicht als Verbündeten bezeichnen.

Und die Wahrheit ist, der Krieg in Afghanistan wird in erster Linie gegen eine Zivilbevölkerung geführt, die zur Waffe gegen ausländische Besatzer, gegen illegitime Herrschaft greift. Es ist in aller Welt notwendig, sich gegen illegitime Herrschaft zu wehren, und Obama repräsentiert eine eben solche. Doch er tut dies auf eine Weise, die die Menschen glauben macht, daß es sich um Fortschritt und Wechsel handelt. Obama wurde gewählt, und nun ist alles anders, aber nichts hat sich verändert.

SB: Glauben Sie, daß es eine Art Strategie war, dieser Art von Imperialismus light zu einem neuen Gesicht zu verhelfen?

MC: Wir versehen das US-Empire mit einem neuen Markenimage. Was mir augenblicklich auffällt und dem Rest der Welt auffallen sollte, ist die Tatsache, daß ein schwarzer Präsident nicht bedeutet, daß wir keinen rassistischen Krieg führen können. Wir führen immer noch mit bestens ausgebildeten, bewaffneten und ausgerüsteten Truppen einen Besatzungskrieg gegen eine primär zivile Bevölkerung. Diese Menschen haben keinen Schutz, sie haben keine umfassende militärische Ausbildung erhalten, warum also setzen wir diese Munition gegen sie ein? Zum Beispiel verwenden wir unter Präsident Obama immer noch DU-Munition [Projektile aus abgereichertem Uran]. Der Zweck von DU-Munition besteht angeblich im Durchschlagen von Panzerung. Wie viele Afghanen, wie viele Iraker verfügen schon über schußsichere Westen oder Body Armour?

Diese Politik hat sich nicht verändert, und das Problem besteht darin, daß die Welt zum Teil Uncle Ben Kriege abnimmt, die sie Uncle Sam niemals abgekauft hätte. Ich hoffe, daß sie aufwachen, und ich glaube, daß sie damit beginnen. In den USA formiert sich eine Bewegung gegen den Krieg in Afghanistan. Noch vor sechs Monaten hat die Öffentlichkeit diesen Krieg stark unterstützt, nun sind 46 Prozent der Ansicht, daß es ein schlechter Krieg ist und wir nach Hause zurückkehren sollten.

SB: Könnten Sie sich vorstellen, daß die sozialen Probleme in den Vereinigten Staaten Einfluß auf die Außenpolitik haben, etwa indem man einen neuen patriotischen Krieg in Afghanistan inszeniert?

MC: Nun, ich glaube, daß Obama einige moderate Fortschritte in der Innenpolitik gemacht hat. Das bewirkt, daß die Menschen glauben, er mache das Richtige, er versuche tatsächlich, diesen Wandel herbeizuführen. Ich glaube, das befriedet die Menschen. Wir sollten diese Rechte, diesen sozialen Fortschritt haben, aber wir sollten dies nicht als Abgleich zwischen unserem heimischen Fortschritt und dem Fortschritt in der Außenpolitik begreifen.

SB: Denken Sie nicht, daß 9/11 ein Beispiel dafür war? Bis dahin war Bush kein besonders bedeutsamer Präsident, aber nachdem er die Kriege in Afghanistan und im Irak vom Zaun gebrochen hat, scharten sich die Menschen in patriotischen Überschwang fast geschlossen hinter ihn.

MC: Das ist eine in der Kultur verankerte Angst, die daraus resultiert, daß die USA eine lange Geschichte des Rassismus haben. Ich glaube, Rassismus ist der Beweggrund dieses Krieges. Wenn wir diese Menschen in Afghanistan, im Irak in Ruhe lassen, werden sie sich nicht aufmachen, sich gegenseitig umzubringen oder sich organisieren, um uns zu töten. Es ist ein sehr rassistisches Denken. Mich erinnert das an die Argumente aus dem 19. Jahrhundert, als man in den USA darüber stritt, ob man die Sklaven befreien sollte. Sie sagten, daß die Schwarzen nach ihrer Befreiung nichts für sich tun werden, sie werden sich einfach gegenseitig töten oder zusammenrotten, um uns zu töten. Als die Sklaven dann befreit wurden, folgten hundert Jahre der Gewalt und des Rassismus, und zwar meist von Weißen an Schwarzen ausgeübt. Es wurde gemordet, und viele tausend Menschen mußten sehr leiden.

Dennoch würde heute niemand sagen, daß die Sklaven länger im Zustand der Gefangenschaft hätten leben sollen. Diese Menschen verdienen das Recht auf Selbstbestimmung so sehr, wie es die Sklaven im 19. Jahrhundert verdient haben, und es ist so rassistisch, sie weiterhin in Fesseln zu halten, wie es rassistisch war, den schwarzen Mann im 19. Jahrhundert in Fesseln zu halten.

SB: Wie beurteilen sie die Position Obamas hinsichtlich der schwarzen US-Bürger? Bislang scheint er sich nicht besonders für sie eingesetzt zu haben.

MC: In der Tat hat Obama unterstellt, daß die afroamerikanische Gemeinschaft sich aus eigener Schuld in Schwierigkeiten befindet, daß sie sich irgendwie aufmachen müsse, ein besseres Leben zu führen. Auch wenn es nicht mehr auf krasse Weise offenkundig ist, existiert weiterhin eine verdeckte weiße Suprematie. Obama erklärt nicht, was wirklich passiert. Wie ich eingangs gesagt habe, ist das erste Opfer im Krieg die Wahrheit. Er sagt nicht, was wirklich in Afghanistan geschieht.

Ich kann sagen, was in Afghanistan geschieht, ich war da. Ich kann Ihnen versichern, daß ich in der kurzen Zeit, in der ich dort war, erkannt habe, daß es nicht "der gute Krieg" ist. Er unterscheidet sich nicht vom Irakkrieg. Der einzige Unterschied besteht darin, daß er der internationalen Gemeinschaft als "der gute Krieg" verkauft werden kann. Es ist ein Experiment in Plug-and-Play-Imperialismus, bei dem wir Allianzen bilden, Soldaten entsenden, bombardieren, erobern, die Regierung in gewissem Sinn nach unserem Vorbild wiederaufbauen, um den jeweiligen Staat in einen Handelspartner zu verwandeln. In Afghanistan ist es wie ihm Irak.

In der kurzen Zeit, in der ich in Afghanistan war, habe ich beinahe ein Kind erschossen. Wir waren auf Patrouille, und das Kind kam aus einer Nebenstraße, kniete sich nieder, legte etwas großes auf die Schulter und richtete es auf uns. Jeder dachte, es ist eine RPG [Rocket Propelled Grenade] und schrie "Erschieß ihn, erschieß ihn!" Eine halbe Sekunde, bevor dieses Kind auf der Straße erschossen worden wäre, ließ es einen großen Gummistiefel fallen, machte das Friedenszeichen und rannte zurück in die Nebenstraße. Es war einfach ein spielendes Kind. Er spielte so etwas wie Räuber und Gendarm, wie Soldat, aber es starb fast daran, und das ist ein Ergebnis dieser Besatzung. Wenn das kein Terrorismus ist, weiß ich nicht, was Terrorismus sein soll.

SB: Hatten sie Kontakt mit deutschen Soldaten in Afghanistan?

MC: Ja, jedoch nicht sehr viel. Ich arbeitete im ISAF-Hauptquartier, und dort befanden sich auch deutsche Soldaten.

SB: Kursiert unter US-Soldaten so etwas wie ein allgemeines Bild über deutsche Soldaten, etwa nach der Art, daß sie nicht kämpfen wollen? Dieser Vorwurf wurde ja auf politischer Ebene recht unverhohlen erhoben.

MC: Nein, das kann ich nicht sagen. Meine Erfahrungen mit dem deutschen Militär waren recht gut. Ich konnte einiges mit ihrer Analyse unserer Politik anfangen, mit der Ausbildung, die das deutsche Militär anbietet und die sich sehr von der der US-Armee unterscheidet.

SB: Was den Einsatz des Militärs betrifft?

MC: Was unseren Krieg gegen den Terrorismus betrifft und die ihm tatsächlich zugrundeliegenden Absichten.

SB: Meinen sie, daß die Bundeswehr dazu eine kritische Position einnimmt?

MC: Ja, selbst die US-Army hat eine sehr kritische Position dazu. Aber wir wurden so sehr auf dieses Ziel gedrillt, daß ... [Nicht weit entfernt explodieren Schockgranaten, die Chiroux aus dem Konzept bringen. Nach einem Flashback, wie er sich ausdrückt, nimmt er den Faden wieder auf]. Wir sind alle bereit, nach Hause zurückzukehren. Ich muß sagen, es war die deutsche Bundeswehr, es waren deutsche Bürger, die mir dabei halfen, zu dem Schluß zu gelangen, daß dieser Krieg gegen den Terrorismus Genozid und Rassismus ist. Und er wird letzten Endes für uns so ausgehen, wie der Zweiten Weltkrieg für die Deutschen und die Japaner endete. Wir sind dieses Mal die Nation der Aggressoren. Unsere Politik besteht darin, "euer Land zu besetzen, eine illegitime Regierung zu errichten, und wenn ihr euch dagegen wehrt, werden wir euch töten".

Es ist eine Art ethnischer Säuberung. Tatsächlich werden US-Soldaten dafür ausgebildet, ethnische Säuberungen zu vollziehen, indem sie auf Ziele schießen, die wie arabische Zivilisten gekleidet sind. In Hohenfels [Bayern] unterhalten sie dieses große Ausbildungslager, wo Soldaten gegnerische Truppen simulieren, deren Aufgabe es ist, sich wie Aufständische zu verhalten. Sie ziehen also arabische Kleidung an, halten AK 47 in den Händen und laufen umher, um als menschliche Zielscheiben für die US-Soldaten zu dienen. Wenn man sich das anschaut, dann wird es ganz deutlich. Man wird darauf trainiert, auf Zivilisten mit Gewehren zu schießen, bevor man in ein Land geschickt wird, in dem 95 Prozent der Zivilisten Gewehre besitzen. Es sind nicht alles deine Feinde, aber es ist ein gefährliches Land. Diese Ausbildung findet in einer Greueltaten produzierenden Umgebung statt, und daher sage ich, daß die Soldaten, so schlimm es in Afghanistan und Irak ist, nichts machen, wozu sie nicht ausgebildet wurden.

Wir müssen diesen Krieg beenden, weil er nur immer mehr Grausamkeiten produzieren wird. Er erzeugt keine Freiheit oder Gerechtigkeit für irgend jemanden. Wir befinden uns hier auf dieser NATO-Konferenz. Die NATO muß abgeschafft werden. Es gibt keinen Grund, daß die Militärallianz weiter existiert. Ihre Mission hat sich in einen Raubzug verwandelt, bei dem es darum geht, sich die Ressourcen der Welt anzueignen und andere nach unserem Bild zu formen. Wir haben genügend Probleme in unseren eigenen Ländern, und wir müssen uns mit diesen befassen, bevor wir ins Ausland gehen und unsere Botschaften verbreiten.

SB: Wie beurteilen Sie die Konsequenzen der Wirtschaftskrise für Ihre Gesellschaft? Haben sie einschlägige Erfahrungen mit der wachsenden Armut gemacht?

MC: Also ich bin wirklich arm und befinde mich bereits am Boden der Gesellschaft. Ja, es findet ein rapider Verfall der Mittelklasse in den USA statt. Das ist in großem Ausmaß das Ergebnis eines halsabschneiderischen Kapitalismus. Ich hoffe nur, daß die Menschen die Verbindung ziehen zwischen dem weltweiten Charakter kapitalistischer und imperialistischer Politik und der Aufteilung des Wohlstands, der in den USA stattfindet. 90 Prozent des Reichtums gehört sieben Prozent der Bevölkerung der Vereinigten Staaten. Vor zehn Jahren war dieses Verhältnis bei weitem nicht so drastisch. Das ist das Ergebnis der verheerenden Wirtschaftspolitik der Bush-Administration, und wir hoffen darauf, daß Obama etwas in dieser Hinsicht unternimmt.

Er hat einige Fortschritte bei der Regulation der Wall Street gemacht, indem er sozusagen Polizei auf die Straße des Finanzkapitals gebracht hat. Bush hat offensichtlich die Vorstellung verfolgt, die Märkte sicherer zu machen, indem er sie dereguliert, also die Polizei aus der Wall Street abzieht. In dieser Umgebung nicht vorhandener Rechenschaftspflicht ist man völlig außer Rand und Band geraten. Die Rüstungsindustrie boomt, diese Händler des Todes profitieren von dem Blut, das im Namen der Freiheit vergossen wird.

Es ist eine wilde Situation, und ich hoffe, daß die Menschen eine Verbindung ziehen werden zwischen dem Krieg der Ökonomie und ihrem persönlichen Leiden. Der Klassenkampf in den USA wird sehr stark korrumpiert durch dieses nationalistische Ressentiment, das die Regierung, die Medien, das Erziehungswesen propagieren. Schon als Kind wurde mir beigebracht, daß Amerika das größte Land der Welt ist und daß jedes Land der Welt danach streben sollte, wie Amerika zu sein. Und es ist, insbesondere als ehemaliger Soldat, sehr schmerzhaft für mich gewesen, so viel verwerfen und neu erlernen zu müssen von dem, das ich für wahr gehalten habe.

Unserer Regierung ist das Schicksal der irakischen und afghanischen Bevölkerung gleichgültig, sie interessiert sich für Ressourcen und dafür, Kontrolle über sie auszuüben und den dagegen gerichteten Widerspruch zu ersticken. Es ist eine schreckliche Umgebung, um ein Kind großzuziehen. Wir reden darüber, daß US-Truppen mit PTSD [Post-traumatic Stress Disorder] zurückkehren, hier wurde kürzlich eine Sendung über deutsche Soldaten ausgestrahlt, die mit PTSD zurückkehren. Was ist mit der Traumatisierung irakischer Kinder, afghanischer Kinder, was ist mit den Müttern und Vätern, die ihre Söhne und Töchter verloren haben?

SB: Niemand hat über die 1,5 Millionen Bewohner Gazas gesprochen, die nicht einmal fliehen konnten und die allesamt traumatisiert wurden.

MC: Niemand redet darüber, und wir müssen darüber reden. Daher fordern die Iraq Veterans Against the War den sofortigen Rückzug aller Truppen aus dem Irak inklusive dieser Händler des Todes, die davon profitiert haben, ihre Aufgabe, die Infrastruktur im Irak und Afghanistan wiederaufzubauen und die US-Basen zu unterstützen, nicht vollzogen zu haben. Wir verlangen, daß alle Veteranen, die belogen wurden und in diese blutigen und illegitimen Kriege geschickt wurden, vollständige Unterstützung bei medizinischer Versorgung und Ausbildung erhalten. Am wichtigsten ist schließlich, wie ich denke, daß wir den Menschen im Irak und Afghanistan Reparationen schulden für die Zerstörung, die wir in ihren Ländern angerichtet haben.

Eine großartige Analogie, die ich gestern [auf dem No to NATO-Kongreß] gehört habe: Was passiert, wenn der Stier im Porzellanladen wütet? Was tut man, nachdem er das Porzellan zerbrochen hat? Man bringt den Stier nicht dazu, das Porzellan zu reparieren, sondern man vertreibt ihn aus dem Laden und stellt einen Scheck aus. Wir müssen den Stier aus dem Porzellanladen bringen und für die Schäden, die wir angerichtet haben, bezahlen. Wir müssen uns entschuldigen und den Tonfall des Diskurses von dem des Wettbewerbs zu dem der Kooperation und dem des Verständnisses für die Interessen der Iraker verändern. Die Interessen der US-Bevölkerung werden dem letztendlich entsprechen. Es sind unsere Unterdrücker, die uns spalten und uns befehlen zu kämpfen, um selbst dabei reich zu werden. Ich möchte diese Leute nicht mehr reich machen.

SB: Herr Chiroux, vielen Dank für dieses Gespräch.

© 2009 by Heike Hänsel

Matthis Chiroux und die afghanische Parlamentsabgeordnete Malalai Joya gemeinsam auf der No to NATO-Konferenz am 5. April. Chiroux entschuldigte sich für die Gewalt und die Unterdrückung, die die Afghanen aufgrund der Eroberung und Besetzung ihres Landes durch die US-Streitkräfte zu erleiden haben, und für die Rolle, die er selbst dabei spielte.
© 2009 by Heike Hänsel

Übertragen aus dem Englischen von der Schattenblick-Redaktion

17. April 2009