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INTERVIEW/020: Dave Webb, Campaign for Nuclear Disarmament (CND) (SB)

© 2009 by Schattenblick
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1957 wurde in Großbritannien die Campaign for Nuclear Disarmament (CND) als Reaktion auf die Entscheidung Londons zum Aufbau einer eigenen nuklearen Streitmacht ins Leben gerufen. Zu den Mitbegründern gehörten unter anderem der berühmte Philosoph und Humanist Bertrand Russell, der Historiker A. J. P. Taylor und der Atomphysiker und spätere Friedensnobelpreisträger Joseph Rotblat. Das Symbol der neuen Organisation, das 1958 beim ersten Ostermarsch der CND nach Aldermaston, dem Sitz des britischen Atomwaffenprogramms, das Licht der Welt erblickte, wurde in den sechziger Jahren bei den Protesten gegen Aufrüstung und Vietnamkrieg zum Markenzeichen der internationalen Friedensbewegung schlechthin. In Großbritannien selbst haben die Friedensbemühungen der CND - gegen die Verwendung britischer Landeplätze durch die mit Atombomben ausgerüsteten Flugzeuge der strategischen Bomberflotte der USA, gegen den Falklandkrieg 1982, gegen den Golfkrieg 1991, gegen den illegalen Einmarsch in den Irak 2003 oder gegen das Festhalten Londons an der eigenen, mit nuklearen Trident-Raketen versehenen U-Bootflotte - zu keinem Zeitpunkt nachgelassen, wiewohl die Mitgliederzahl stetig schwankte.

Kurz vor Beginn der großen Anti-NATO-Kundgebung in Strasbourg am 4. April konnte der Schattenblick das folgende Interview mit Dave Webb, dem CND-Vizevorsitzenden, führen.

Dave Webb - © 2009 by Schattenblick

Dave Webb
© 2009 by Schattenblick

Schattenblick: Ist die CND die wichtigste Friedensorganisation Großbritanniens?

Dave Webb: Sie ist eine der wichtigsten. Es gibt auch die Stop the War Coalition, die sich aus verschiedenen Gruppierungen zusammensetzt und der auch die CND angehört. Doch seit vielen Jahren nimmt die CND unter den britischen Friedensorganisationen eine führende Position ein.

SB: Wie alt ist die CND?

DW: Wir haben gerade unser 50jähriges Jubiläum gefeiert, wobei das Wort "zelebriert" in diesem Zusammenhang vielleicht etwas unangebracht ist, denn das Hauptanliegen der Organisation ist die atomare Abrüstung. Die Tatsache, daß es uns fünfzig Jahre später immer noch gibt, belegt, daß wir unser Vorhaben noch nicht haben verwirklichen können. Gleichwohl glaube ich, daß wir während dieser Zeit geholfen haben, einen Atomkrieg zu verhindern. Wir hoffen, daß wir in den nächsten Jahren dennoch unser ursprüngliches Ziel erreichen können.

SB: Könnte man sagen, daß die Agenda der CND
antimilitaristisch im weitesten Sinne ist?

DW: Ja. Ich meine, unser Hauptaugenmerk liegt natürlich auf den Nuklearwaffen. Doch um diese abschaffen zu können, muß man sich Gedanken über andere Wege der Konfliktlösung machen. Unser Ansatz ist zwar breiter angelegt, doch wir richten unseren Blick hauptsächlich auf die Abschaffung von Kernwaffen, denn dies ermöglicht es uns, Menschen, denen dieses Ziel wichtig ist und die aus unterschiedlichen Kreisen und Schichten kommen - Gewerkschaftler, Kirchenmitglieder, Politiker, Jugendliche usw. - zusammenzubringen.

SB: Verfügt die Friedensbewegung in Großbritannien über eine breite gesellschaftliche Basis?

DW: Ja, ich denke schon. Es beteiligen sich die Jugend und die ältere Generation sowie Menschen aus dem gesamten politischen Spektrum - die Ultrarechten natürlich ausgeschlossen. Die CND erhält starke Unterstützung aus der gesamten Gesellschaft.

SB: Das überrascht nicht, schließlich ist von allen europäischen Regierungen die britische am häufigsten bereit, die eigenen Soldaten zu Militärinterventionen ins Ausland zu entsenden, und sie steht Washington am nächsten. Steht die CND in Kontakt zu anderen Friedensbewegungen auf dem europäischen Festland?

DW: Wir arbeiten besonders eng mit dem Mouvement de la Paix in Frankreich zusammen. Das liegt erstens daran, daß die Franzosen unsere engsten Nachbarn sind, und zweitens, daß der französische Staat ebenfalls über ein ansehnliches Atomwaffenarsenal, die sogenannte Force de Frappe, verfügt. Von daher stoßen wir und sie in die gleiche Richtung und führen ähnliche Kampagnen durch. Die CND ist stets darauf aus, neue Kontakte zu knüpfen und die Verbindungen zwischen der Friedensbewegung in Großbritannien und denjenigen auf dem Kontinent auszubauen, denn wie Sie richtig angedeutet haben, herrscht in Großbritannien immer noch ein gewisses Gefühl vor, daß wir nicht wirklich ein Teil von Europa sind. Obwohl Großbritannien seit mehr als 30 Jahren Mitgliedsstaat der Europäischen Union ist, haben nicht wenige Menschen bei uns immer noch Angst davor, vollends zu Europa gezählt zu werden. Ich bedauere das, denn es gibt vieles, was wir zu Europa beitragen können und was wir vom Festland lernen können. Von daher würden wir bei der CND gern unsere Verbindungen zu den anderen europäischen Friedensorganisationen ausbauen.

SB: Großbritannien ist stark von der derzeitigen Wirtschaftskrise getroffen worden. Macht sich dadurch bei Ihnen auch die Erkenntnis breit, daß die soziale Frage unweigerlich mit der von Krieg und Frieden zusammenhängt?

DW: Ich denke schon. Kurz vor dem Irakkrieg kam es [am 15. Februar 2003] bei uns zu einer riesigen Demonstration gegen die bevorstehende Invasion. Es entstand der größte öffentliche Protest in der Geschichte Großbritanniens. Mehr als eine Million Menschen, vielleicht sogar zwei Millionen, gingen damals bei uns auf die Straße. Zwar ist es uns dadurch nicht gelungen, den Krieg zu verhindern, gleichwohl glaube ich, daß die damalige Bewegung vielen Menschen zu einem besseren, kritischeren Verständnis, worum es bei Krieg geht, verholfen hat. Die meisten Menschen mögen keinen Krieg. Doch hier begannen viele Menschen, die Hintergründe des Krieges erstmals zu verstehen, und erkannten, daß es um Öl und Imperialismus der USA mit Großbritannien an ihrer Seite ging. Inzwischen sehen wir, wie viel uns der Krieg im Irak - wie auch der in Afghanistan - kostet. Angesichts der wirtschaftlichen Probleme im eigenen Land stellen viele Briten die Frage, ob die Ausgaben für solche Auslandsabenteuer Sinn machen. Und dadurch beginnen immer mehr Menschen die Zusammenhänge zu begreifen.

SB: In Großbritannien ist der Sicherheitsstaat inzwischen sehr weit ausgebaut. Inwieweit bringen die Menschen die staatliche Repression im Innern mit den Kriegen in Übersee in Verbindung?

DW: Das Bewußtsein darüber breitet sich immer mehr aus. Die jüngsten Demonstrationen gegen den G20-Gipfel in London haben gezeigt, wie sehr inzwischen die Polizei zu Überreaktionen neigt. Die Antiterrormaßnahmen sorgen dafür, daß sich die Polizei fast ständig in Alarmbereitschaft befindet. Inzwischen herrscht eine Atmosphäre der Angst und der Spannung, wann immer die Polizei und eine Gruppe Demonstranten aufeinandertreffen. Früher war das nicht so. Früher war die Atmosphäre ausgelassener, freundlicher; die Polizei und die Demonstranten kamen gut miteinander aus. Heute gibt es das nicht mehr, sondern es kommt von vornherein zur Konfrontation. Das halte ich für eine sehr gefährliche Entwicklung. Inzwischen treibt auf Demonstrationen die Polizei die Protestierenden zusammen und kesselt sie ein - manchmal stundenlang. Das führt natürlich zu Frust und zum Konflikt. Inzwischen erkennen immer mehr Menschen, daß es sich hier um den weiteren Versuch der staatlichen Organe handelt, Probleme mit Gewalt bzw. "militärisch" zu lösen - was die Probleme nur noch weiter verschärft.

SB: Nach den schweren Anschlägen im öffentlichen Verkehrsnetz von London im Juli 2005 hat die Regierung Tony Blair alles unternommen, um die Diskussion über eine mögliche Verbindung zwischen der Teilnahme der britischen Streitkräfte an Kriegen in islamischen Staaten und dem Problem des "islamistischen" Terrorismus zu tabuisieren. Inwieweit werden diese Zusammenhänge in Großbritannien heute noch diskutiert?

DW: Ich glaube, viele Menschen haben inzwischen erkannt, daß es sich bei den offiziellen Gründen für den Einmarsch in den Irak um Lügen gehandelt hat. Zuerst sagte man uns, Saddam Hussein würde Atomwaffen bauen und wir müßten ihn stoppen. Als es sich nach der Invasion herausstellte, daß es gar keine Massenvernichtungswaffen gab, erzählte man uns, das Ziel sei "Regimewechsel" und ein besseres Leben für die Iraker. Inzwischen stellen wir fest, daß auch das nicht stimmt. Deswegen mußte Tony Blair als Premierminister zurücktreten. Es war einfach für zu viele Menschen offensichtlich geworden, daß er die Bevölkerung belogen hatte. Angesichts dessen denke ich schon, daß immer mehr Menschen die Erklärungen, welche die Politiker zu diesem oder jenem abgeben, in Frage stellen. Bei der Bevölkerung in Großbritannien haben viele Menschen ihr Vertrauen in die Regierung verloren. Ich halte das nicht unbedingt für eine gute Sache, denn in der Demokratie sollte die Regierung die Bürger vertreten, und inzwischen sieht es nicht mehr aus, als würde das passieren. Man hat den Eindruck, daß die Regierung eher die Interessen bestimmter, mächtiger Gruppen vertritt und vorantreibt.

SB: Können Sie sich vorstellen, daß Premierminister Gordon Brown noch mehr auf Kriege im Ausland setzen könnte, um von den wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Problemen in Großbritannien abzulenken?

DW: Das ist eine schwierige Frage. In der Vergangenheit hat es so etwas schon gegeben. Das beste Beispiel ist Margaret Thatcher und der Falklandkrieg. Tony Blair im Irak kann man auch im gewissen Sinne dazu zählen. Von daher ist die Frage nicht unbegründet. Ich hoffe es jedenfalls nicht. Aber man kann es niemals ausschließen. Leute, die soviel Macht wie diese Politiker haben, können auf seltsamste, menschenunfreundlichste Weise davon Gebrauch machen. Doch ich hoffe, daß es nicht dazu kommt und daß wir als Friedensbewegung jedwede Entwicklung in diese Richtung werden verhindern können. Die Briten sind insgesamt skeptischer geworden. Es wäre nicht noch einmal so einfach, sie hinters Licht zu führen.

SB: Wie bewerten Sie die zunehmend enge Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet innerhalb der EU? Des weiteren zieht Deutschland eine Kooperation mit Rußland einer Konfrontation vor. Führt das nicht zu Spannungen zwischen den Kontinentaleuropäern und den Briten, die traditionell den USA nahestehen?

DW: Die Entwicklung, die Sie beschreiben, eignet sich leider dazu, die Briten noch weiter in die Arme der Amerikaner zu treiben. In Großbritannien trauert die politische Klasse immer noch dem Empire nach. Sie wollen, daß Großbritannien eine wichtige Rolle auf der Weltbühne spielt, und wenn London keinen Sonderplatz innerhalb Europas erhält, wird man mit der "special relationship" zu Washington Vorlieb nehmen. Ich halte solches Denken für gefährlich und den Zielen der europäischen Einigung diametral entgegengesetzt. Innerhalb Europa müßte es doch darum gehen, die Nationen zusammenzubringen, damit sie als gleichberechtigte Partner zusammenzuarbeiten. Das ist doch eine progressive Vision, für deren Verwirklichung Großbritannien sich engagieren sollte. Ich halte einen Ausbau der Beziehungen der EU-Staaten zu Rußland für eine gute und wichtige Sache. Das müssen wir vorantreiben, während wir gleichzeitig etwas Abstand von den USA oder zumindestens von bestimmten Elementen dort nehmen sollten. Derzeit wissen wir nicht, welchen Kurs Barack Obama einschlagen wird. Gegenüber den USA müssen wir Vorsicht walten lassen, denn es gibt dort enorm starke, gefährliche Kräfte, die auch auf den Präsidenten einwirken und die wir deshalb im Auge behalten müssen.

SB: Hat die CND eine Position in Bezug auf den Lissaboner Vertrag?

DW: Ja, ich denke schon. Wir stehen dem EU-Reformvertrag in seiner jetzigen Form ablehnend gegenüber, denn er enthält viele Punkte wie den Aufbau einer europäischen Armee, von dem wir gehofft hatten, daß wir ihn hinter uns gelassen hätten. Ein Abkommen, das die Nationen und die Völker noch mehr zusammenbringt, wäre eine gute Sache, doch der Vertrag von Lissabon ist verfehlt und entspricht nicht unseren Erwartungen.

SB: Herr Webb, wir bedanken uns für das Gespräch.

Übertragen aus dem Englischen von der Schattenblick-Redaktion

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17. April 2009