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INTERVIEW/043: Firas Maraghy im Hungerstreik vor der israelischen Botschaft in Berlin (SB)


Interview mit dem Palästinenser Firas Maraghy am 10. August 2010 in Berlin


Firas Maraghy stammt aus Jerusalem. Sein Vater und sein Großvater lebten dort. Er selbst kam im Vorort Silwan zur Welt. Vier Jahre zuvor war der Osten der Stadt von der israelischen Armee besetzt worden. Die Jugend von Firas Maraghy war überschattet von der bis heute international nicht anerkannten Annektion Ostjerusalems durch Israel und von der Ersten Intifada.

Vor zehn Jahren begegnet Firas Maraghy in Jerusalem der Studentin Wiebke Diehl. 2007 geht er mit ihr nach Deutschland, wo sie ihren Magister in Islamwissenschaften und Politik machen und sich anschließend auf die Promotion vorbereiten will. Im selben Jahr heiraten die beiden. Im Mai 2009 will Firas Maraghy in Jerusalem seine Aufenthaltserlaubnis verlängern und Wiebke Diehl als seine Ehefrau registrieren lassen. Beides wird ihm vom Innenministerium mit der Begründung verweigert, daß er im Ausland lebe. Man stellt ihm jedoch ein Reisedokument aus, welches bis Mai 2011 gültig ist. Will er das Residenzrecht für seine Geburts- und Heimatstadt Jerusalem nicht verlieren, müßte er anschließend bis zu zwei Jahre dort leben. Laut dem israelischen Gesetz verlieren Palästinenser aus Ostjerusalem ihr Rückkehrrecht, wenn sie sieben Jahre im Ausland gelebt haben.

Im Dezember 2009 bekommen die Eheleute eine Tochter, Zaynab genannt. Mit seiner kleinen Familie will der heute 38jährige nach Jerusalem zurückkehren, damit seine Eltern ihre Enkeltochter kennenlernen. Und er will in seiner Heimatstadt leben. Für die Rückkehr wollte Firas Maraghy Anfang April 2010 seine Tochter bei der israelischen Botschaft in Berlin in das Reisedokument, das sogenannte Laissez Passer, eintragen lassen. Das wird ihm verweigert, angeblich weil ihre Mutter Deutsche ist. Bekommt Zaynab das Reisedokument nicht, können israelische Grenzbeamte ihr am Flughafen die Einreise verwehren, und sie kann jederzeit aus Israel ausgewiesen werden. Davor könnte sie auch ein deutscher Paß nicht schützen. Der Familienvater wird als Staatenloser zum Fremdkörper im Getriebe der israelischen Behörden. Diese stellen ihn de facto vor die Alternative, bei Frau und Kind in Deutschland zu leben oder ohne sie in Jerusalem.

Firas Maraghy beruft sich bei seiner Forderung nach Reisefreiheit für sich und seine Familie auf Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, den er mit Hinweis darauf, die israelischen Behörden verweigerten den Bewohnern Ostjerusalems dieses Recht täglich, zitiert:

1. Jeder hat das Recht , sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen.

2. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.

Firas Maraghy wirft Israel vor, willentlich das Leben von Individuen und Familien zu zerstören, indem ihnen ihre gesamte Existenzgrundlage entzogen wird und ganze Familien auseinandergerissen werden. Er sieht sich selbst als eine derjenigen Personen, denen das Recht, im Land ihrer Väter und Vorväter zu leben und in dieses zurückzukehren, genommen werden soll. Firas Maraghy kämpft nun für die Reisefreiheit - und das bedeutet mehr als der Fall einer Mauer quer durch die Stadt. Es schließt den Glauben an die Menschen im jeweils anderen Teil ein. Aus Protest gegen die Verwehrung seines legitimen Rechts und des legitimen Rechts seiner Tochter auf ein Leben in Jerusalem tritt Firas Maraghy am 26. Juli um 17.00 Uhr in den Hungerstreik und setzt sich bei der israelischen Botschaft in Berlin-Schmargendorf auf die Straße. Dort suchten ihn Redakteure des Schattenblicks auf und baten ihn um ein Interview. Als wenig später Wiebke Diehl mit Zaynab auf dem Arm hinzukam, erweiterte sich die Gesprächsrunde.

In der folgenden Wiedergabe des Interviews wurden die Passagen, an denen sich die Eheleute untereinander auf Arabisch verständigten, ausgelassen. Die Stellen, in denen Firas Maraghy ins Englische fiel, wurden vom Schattenblick übersetzt. Da weder Deutsch noch Englisch Muttersprachen des Interviewten sind, sah sich die Redaktion veranlaßt, an den Stellen sprachlich korrigierend einzugreifen, wo dies zwecks Verständlichkeit und besserer Lesbarkeit erforderlich schien. Veränderungen inhaltlicher Art jedoch wurden nicht vorgenommen.

Wiebke Diehl und Firas Maraghy mit ihrer gemeinsamen Tochter Zaynab - © 2010 by Schattenblick

Wiebke Diehl und Firas Maraghy mit ihrer gemeinsamen Tochter Zaynab
© 2010 by Schattenblick

Schattenblick: Würden Sie, Herr Maraghy, den Leserinnen und Lesern des Schattenblicks Ihren Fall einmal darstellen? Worum geht es dabei?

Firas Maraghy: Ich komme aus Jerusalem. Mein Vater ist in Jerusalem geboren, bevor es den israelischen Staat gab. Mein Großvater ist auch in Jerusalem geboren. Ich bin seit drei Jahren zusammen mit meiner Frau in Deutschland. Sie ist Deutsche und hat hier in Berlin studiert. Wir kennen uns jetzt seit zehn Jahren. Nach sieben Jahren habe ich gesagt: 'Okay, jetzt müssen wir zusammengehen.' Sie wollte erst ihre Magisterarbeit fertigstellen, und ich habe gedacht: Okay, ich kann hierherkommen, bis sie ihren Doktor hat. Ich kann lernen, ich kann studieren, ich kann auch die deutsche Sprache lernen. Die deutsche Sprache ist wichtig für mich. Und vielleicht studiere ich, was ich als Junge nicht machen konnte; vielleicht kann ich das jetzt machen. Das war mein Ziel. Und danach, nach sechs, sieben Jahren vielleicht, würden wir nach Jerusalem fahren, das für mich ein Teil Palästinas ist.

In Jerusalem wollte ich meine Frau in meinen Ausweis eintragen lassen. Ich bin dorthin gegangen, auch um meine Reisedokumente zu verlängern. Ich habe alle Papiere mitgenommen, und sie haben gesagt: 'Nein, wir akzeptieren das nicht, du mußt das übersetzen.' Das habe ich gemacht und bin wiedergekommen. Da haben sie gesagt: 'Nein, wir können das nicht machen.' 'Warum nicht?' 'Du wohnst hier nicht.' Ich habe gesagt: 'Was? Ich wohne hier nicht? Nur weil ich zwanzig Monate fort war? Die Frau kommt regelmäßig seit zwölf Jahren hierher und reist wieder ab, was kein Problem ist. Warum verliere ich nach zwanzig Monaten mein Recht?' Da haben sie gesagt: 'Nein, du mußt deine Frau hierherbringen.' Das bedeutet aber, wenn ich meine Frau nach Jerusalem mitnehme, daß es vielleicht drei, vier oder fünf Jahre dauern kann, in denen sie die Stadt nicht verlassen darf. Wie lange genau, kann man nicht wissen.

Zur gleichen Zeit haben sie mir andere erforderliche Dokumente ausgestellt. Ich fragte: 'Wieso sagen Sie mir an einer Stelle, daß ich keine Papier erhalte, aber an einer anderen Stelle geben sie mir die Dokumente?' Ich wußte natürlich, daß sie wollten, daß ich wegziehe, wo ich nun eine Frau habe. Das machen sie mit vielen Leuten, sie machen das mit allen Leuten in Jerusalem.

SB: Sie sind nicht der einzige, der dieses Problem hat?

FM: Nein. Ich versuche zu zeigen, daß mein Fall für alle Leute in Jerusalem steht, daß die Situation wirklich eine Katastrophe ist. Jetzt habe ich eine kleine Tochter. Wie alle Leute auf der Welt will ich sie ihren Großeltern vorstellen. Aber diese Botschaft ...

[Firas Maraghys Frau, Wiebke Diehl, tritt mit der gemeinsamen Tochter im Arm hinzu. Maraghy begrüßt seine Frau und seine Tochter freudig.]

SB: Stehen Sie in Kontakt zu anderen, die das gleiche Problem haben? Gibt es da vielleicht Unterstützung?

FM: Nein, ich habe keinen Kontakt zu anderen Leuten, aber ich weiß von den Leuten. Ich weiß, daß das Problem nicht nur meines ist. Es ist das Problem von ungefähr 300.000 Arabern, die in Jerusalem wohnen. Sie haben das gleiche Problem, selbst wenn sie dort wohnen. Ich kenne jemanden, der ist 74. Der war nie nach draußen gekommen. Dann ging er einmal zum Innenministerium, um etwas zu erledigen. Da haben sie ganz einfach gesagt: 'Du wohnst hier nicht!' Und er mußte all die Papiere vorlegen, den Anwalt aufsuchen, vor Gericht ziehen. Das hat ihn so viel Zeit gekostet! Das ist das, was sie machen: Sie nehmen Einfluß auf jemandes Leben, so daß er nicht leben kann. So wie in meinem Fall.

Ich habe meine Frau vor zehn Jahren getroffen, und sie wollte studieren. Nach sieben Jahren beschloß ich, hierherzukommen, aber ich wollte doch nicht aufgrund dieser Situation in Schwierigkeiten geraten. Wir haben deswegen doch schon sieben Jahre gewartet. Und jetzt haben sie ein rassistisches Gesetz erlassen, daß, wenn Araber aus Jerusalem die Stadt sieben Jahre lang verlassen, sie ihr Aufenthaltsrecht verlieren. Das ist rassistisch, und sie müssen es ändern. Man verliert so viel Lebenszeit wegen dieser Dinge, dieser geringfügigen Dinge. Wissen Sie, daß ist das Problem. Oder beispielsweise die Krankenversicherung. Erst nach rund einem Jahr wurde sie akzeptiert. Das macht es einem wirklich schwer. Das hilft niemandem. Sie werden dadurch die Lage in Jerusalem nicht verändern. Wenn sie so etwas machen, bedeutet das nicht, daß die Araber Jerusalem verlassen. Es bedeutet nicht, daß sie Jerusalem für immer kontrollieren. Sie werden die Araber in dieser Frage nicht verunsichern, nicht in der Frage von Jerusalem, nicht hinsichtlich der Frage der Araber, die dort leben. Die Frage von Jerusalem bedeutet, daß sie zur arabischen Welt gehört und sie gehört zur islamischen Welt und auch zu den Katholiken in ihrer Welt. Das ist das Problem.

Pappplakat mit Maraghys Erklärungen am Wegesrand - © 2010 by Schattenblick

Plakativer Einsatz für die Menschenrechte
© 2010 by Schattenblick

SB: Sind Sie israelischer Staatsbürger?

FM: Nein.

Wiebke Diehl: Er ist staatenlos.

FM: Ich bin staatenlos. Aber das haben sie entschieden. Mein Vater wurde dort geboren! Sie machen die Probleme, nicht ich.

SB: Wie lange sind Sie jetzt schon im Hungerstreik?

FM: Fünfzehn Tage.

WD: Seit dem sechsundzwanzigsten. Aber eigentlich schon einen Tag vorher.

FM: Ich war einen oder zwei Tage vorher hier. Da habe ich noch Saft getrunken, aber jetzt trinke ich nur Wasser. Wasser mit Kohlensäure und Wasser ohne.

WD: Zur Abwechslung einmal Wasser mit Kohlensäure.

SB: An wen wenden Sie sich mit dem Hungerstreik?

[Firas Maraghy richtet sich in Arabisch an seine Frau.]

WD: Es haben auch schon viele gefragt, warum machst du das denn nicht am Potsdamer Platz, da kommen viel mehr Leute vorbei. Aber es ist schon ganz klar die Idee, daß es wirklich um den einen Fall geht. Es ist natürlich eine politische Frage, aber es geht jetzt wirklich um den einen Fall, und deshalb macht es durchaus Sinn, hier zu sitzen. Es richtet sich wirklich da hin. [Frau Diehl weist in Richtung israelische Botschaft auf der anderen Straßenseite.]

SB: Welche Resonanz erfahren Sie? Finden Sie viel Zuspruch von den Passanten, der Politik und der Presse?

WD: Von den Passanten viel, von der Presse inzwischen mehr als am Anfang, von der Politik herzlich wenig. Ich habe im Vorfeld ziemlich viele Briefe an Abgeordnete aller Fraktionen des Bundestages geschrieben. Immer an die außenpolitischen Sprecher oder zumindest Mitglieder in irgendwelchen außenpolitischen Kommissionen, den Auswärtigen Ausschuß des Bundestages, ans Auswärtige Amt und ans Bundeskanzleramt. Es gab eine Antwort, die man ernst nehmen kann. Eine einzige Antwort, wo ich das Gefühl hatte, das interessiert wirklich jemanden.

Das Bundeskanzleramt hat zumindest den Brief ans Auswärtige Amt weitergeleitet. Das hatte auf meinen ersten Brief gar nicht reagiert, nur auf den weitergeleiteten aus dem Kanzleramt, und die Antwort lautete, sie hätten damit nichts zu tun, weil es nicht um das Aufenthaltsrecht in Deutschland oder um die deutsche Staatsangehörigkeit geht. Wo ich dann dachte: Ich habe doch nicht ans Innenministerium geschrieben, sondern ans Auswärtige Amt! Dann habe ich nochmal an sie geschrieben, daß sie natürlich sehr wohl dafür verantwortlich sind, und dann haben sie angerufen und gesagt, sie hätten sich mit der Botschaft in Verbindung gesetzt. Aber auch diese Antworten waren nicht hilfreich.

SB: Wissen Sie denn, was dabei herausgekommen ist? Wurde Ihnen das mitgeteilt?

WD: Nein, die Frau hatte nur gesagt, sie habe es weitergeleitet. Also, sie hatte mich das erste Mal angerufen und gesagt, sie haben mit der Botschaft gesprochen und die hätten gesagt, wenn wir ihnen die Nummer von seinen Dokumenten geben - die sie eigentlich bereits haben, aber okay -, dann würden sie den Fall noch einmal prüfen. Das war das einzige. Und seitdem ist einfach nichts mehr gekommen.

SB: Was versprechen Sie sich von deutschen Behörden, was könnten sie erreichen?

WD: Ich erwarte schon von den deutschen Behörden, daß sie da einen gewissen Druck ausüben, weil die gesamte internationale Gemeinschaft die Annektion von Ostjerusalem nicht anerkannt hat, auch Deutschland nicht. Dann finde ich schon, daß man irgendwie ein bißchen darauf achten muß, daß die minimalsten Rechte der Menschen dort gewahrt werden.

FM: Wir haben eine Botschafterin in Palästina, die uns die Visa ausgestellt hat. Wie kann ein Staat Visa ausgeben, der ihre Papiere nicht respektiert? Das ist die Frage. Ich verstehe das nicht, wenn sie Visa erteilen, müssen sie einen Paß ausstellen. Wie alle Leute haben auch Sie Visa und Paß, und Ihr Staat muß die Papiere respektieren, die er ausgibt. Das ist die Frage an das Außenministerium. Die Botschaft hier sagt, das ist nicht unser Problem, das ist eines des Innenministeriums. Warum? Wofür sind sie dann hier?

WD: Und dafür ist das Auswärtige Amt zuständig. Das Auswärtige Amt ist zuständig für die Beziehung zu anderen Staaten und eben auch durch die Botschaften. Das ist auch genau das, was er gesagt hat, das ist ja eigentlich auch ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Und wenn sie dann den Leuten, die hier sind, noch nicht einmal Papiere ausstellen! Nachdem das Auswärtige Amt noch einmal angerufen hat und wir den letzten Brief an den Botschafter geschickt haben, kam die Antwort: Sie haben es weitergeleitet. Vom Botschafter an die Konsularabteilung, von der Konsularabteilung ans Innenministerium, also überall hin, wo es sowieso schon einmal vor Monaten vorlag. Das ist natürlich eine Hinhaltetaktik.

[Firas Maraghy herzt seine Tochter.]

FM: Es ist schön, Kinder zu haben. Ich freue mich. Ich weiß, was für Probleme kommen werden, aber ich habe mich trotzdem gefreut. Ich weiß, sie wollten nicht, daß wir ein Kind erzeugen, aber ich freue mich.

WD: Uns war das ja vorher bewußt, daß es Probleme gibt, und uns war auch bewußt, daß ich eigentlich mein Kind dort hätte kriegen müssen, um das Problem vielleicht zu lösen. Aber das sind halt einfach so die Fragen: Wie weit ist man bereit ... es ist halt auch mein erstes Kind, und natürlich möchte ich das gerne in meinem Sprachraum kriegen, in meiner Umgebung und mit den Menschen, die mir wichtig sind. Das Problem ist, daß ich da für Jahre hingehen müßte - ja, wieso denn? Wieso? Ein Israeli muß das ja auch nicht.

SB: Sie müßten vier Jahre in Israel leben?

FM: Manchmal länger.

WD: Das kann bis zu sieben Jahre dauern. Aber ich dürfte jahrelang, wenn ich eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen würde, das Land gar nicht verlassen. So sind die Bestimmungen da. Das ist schon ganz schön heftig, wenn man da eingesperrt wird für Jahre und nirgendwo hin kann. Meine Großeltern zum Beispiel könnten mich nicht mehr besuchen und ihren Urenkel sehen.

FM: Meine Mutter hat acht Enkelkinder. Eines davon in Deutschland. Für sie wäre das nicht so schwer.

WD (lacht): Meine Eltern haben eins.

FM: Aber hier, meine Frau, sie ist ...

WD: ... Einzelkind.

FM: Das ist wirklich ungerecht für meine Frau.

SB: Werden Sie hier auf der Straße vom Konsulat aus angesprochen?

WD: Ganz am Anfang einmal.

FM: Am Anfang habe ich eine Nacht hier geschlafen, und am Morgen danach ist die Sicherheit gekommen und hat gesagt: 'Komm.' Wir haben mit dem Konsul und einem Stellvertreter gesprochen. Wir haben zwanzig Minuten, eine halbe Stunde diskutiert, aber ...

WD (lacht): Bei Kaffee und Kuchen!

FM: Wir haben diskutiert, das war viel Politik. Sie haben gesagt, das ist nicht unser Problem, sondern das des Innenministeriums.

WD: Sie können es nicht entscheiden. Sie rufen da den ganzen Tag an, und die wollen einfach nicht.

FM: Ich habe ihnen gesagt, sie sind für mich die Botschaft dieses Staates. Ich habe dieses Papier von diesem Staat - sie müssen es respektieren in diesem Staat. Das ist meine Antwort. Das ist nicht das Problem der Leute, daß sie dort leben. Ich habe gesagt, vielleicht verliere ich, aber sie verlieren mehr. Jeden Moment, den ich hier sitze, verlieren sie mehr.

WD: Es ist einfach auch so, daß sich viele solidarisch erklären, auch viel mehr Anwohner, als man erwartet hätte. Ständig kommt jemand vorbei und sitzt hier, einfach nur um ihn zu besuchen. Es kommen auch viele Israelis.

FM: Ja, vorhin, die Frau, sie ist Israelin. Sie fliegt am Donnerstag nach ... es bleibt für mich Palästina.

WD: Naja, die Mitglieder der jüdischen Stimme für Gerechtigkeit in Nahost nennen es auch Palästina!

SB: Wir haben gelesen, daß Rolf Verleger über Sie berichtet hat.

FM: Und es gibt da auch einen Brief.

WD: Von Abraham Melzer. Der hat einen ganz schön deutlichen Brief geschrieben. Das macht er manchmal.

FM: Brecht hat gesagt: 'Wer kämpft, kann verlieren, aber ...'

WD: '... wer nicht kämpft, hat schon verloren!'

FM: Aber ich verliere nicht.

SB: Das ist doch ein passendes Schlußwort.

FM: Ich wollte noch etwas Wichtiges sagen. Sie müssen verstehen, daß das, was die zionistische Bewegung dort gebaut hat, genauso ist wie das Apartheidsystem in Südafrika. Das ist keine Lösung, die friedlich wäre. Ich weiß nicht, aber es muß eine andere Lösung geben. Genauso kann es geschehen, was in Südafrika passiert ist. Sie verlieren Zeit und bereiten den Leuten Schmerzen. Dabei könnten alle Leute in einem Staat zusammenleben.

SB: Sie glauben an die Ein-Staaten-Lösung?

WD: Es gibt ja Wunder, das hat man in Südafrika gesehen.

FM: In Südafrika, das war wirklich ohne Blutvergießen. Das war wirklich eine andere Lösung. Das wäre auch die beste Lösung für die Israelis, denke ich.

SB: Mit diesem Standpunkt stehen Sie nicht allein da. Es gibt viele Israelis, die das genauso sehen.

FM: Das würde ich empfehlen. Das wäre gut für die Israelis mehr noch als für die Araber.

SB: Könnten Sie sich trotz allem, was die Geschichte bisher gezeigt hat, vorstellen, daß eine solche Lösung noch immer möglich ist? Oder sind die Fronten zwischen Palästinensern und Israelis mittlerweile so sehr verhärtet?

FM: Ich denke, es geht. Es geht, aber nicht, wie sie es wollten. Sie wollten etwas anderes. Sie wollten alles. Ich habe zu dem Botschafter gesagt, sie wollten alles, und am Ende verlieren sie alles.

Ich denke, eine Lösung ist möglich. Jetzt sind sie der Staat, jetzt können sie das machen, wenn sie der Staat sind. Danach - man kann nicht wissen. Südafrika war ein Beispiel, und warum sollte es nicht genauso gehen? Es gibt Juden aus Europa, es gibt Juden aus Rußland, es gibt Juden aus der islamischen Welt, es gibt Araber mit israelischem Ausweis, es gibt Araber in Jerusalem, es gibt Araber in der West Bank, es gibt Ghettos, es gibt Mauern, das alles gibt es. Das ist nicht das, was manchmal in den Medien gezeigt wird. Sie zeigen den Konflikt nicht genau. Das hilft niemandem.

SB: Meinen Sie speziell auch die deutsche Berichterstattung, die aufgrund der deutschen Vergangenheit problematisch ist?

FM: Sie helfen den Juden wirklich nicht, indem sie U-Boote mit Atomkraft schicken und daß sie erreichen wollten, daß die Juden gegen die islamische Welt ankämpfen. Ich weiß, es gibt Leute hier in Europa, die denken das. Sie wollten erreichen, daß die Leute in Israel die schmutzige Arbeit machen, und sie sitzen bequem da. Sie machen das nicht für Israel.

SB: Es gibt da durchaus Eigeninteressen der hegemonialen Art.

FM: Ja, das ist das Problem!

WD: Ja, und was er, glaube ich, meint, ist einfach, daß das auch wieder eine Art Unrecht an den Juden ist, wenn man die jetzt auch wieder für seine eigenen Interessen als Speerspitze benutzt.

FM: Ja, das ist mir wichtig, zu sagen.

WD: Es gab ja zum Beispiel durchaus genügend Hinweise, daß während des Libanonkriegs 2006 die Israelis eigentlich schon längst aufhören wollten, aber andere das nicht so wollten.

FM: Die Amerikaner. Nach dreizehn Tagen waren die Israelis unter Druck und sie waren in schweren Situationen in dem Krieg. Ich habe Angst, daß die Lage eskaliert. Aber der nächste Krieg wäre nicht so einfach zu führen, denn es gibt eine neue Generation. Das sind nicht dieselben Leute - die sind dumm und naiv -, das sind dann andere. Sie müssen verstehen, vor siebzig Jahren hatten die Leute 500 Jahre Osmanisches Reich hinter sich. Dann 50 bis 70 Jahre Kolonialismus. Jetzt gibt es etwas Neues, sie sind offen. Meine Frau ist Deutsche. Meine Tochter ist halb deutsch und halb arabisch. Sie spricht Arabisch, sie spricht Deutsch.

WD: Nein, noch spricht sie nichts! (lacht)

FM: Unser Kind ist eine neue Generation. Wir kennen uns besser, wir verstehen uns besser. Wir können auch gegen uns selbst besser kämpfen, wissen Sie.

SB: Herr Maraghy, Frau Diehl, wir bedanken uns recht herzlich für das ausführliche Gespräch.

Wiebke Diehl, Firas Maraghy und ihr gemeinsame Tochter - © 2010 by Schattenblick

Die Familie will zusammenbleiben
© 2010 by Schattenblick

15. August 2010