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INTERVIEW/045: Energiekonferenz - Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (SB)


Interview zur Energiekonferenz der Partei Die Linke am 3./4. September 2010 in der Hamburger Fabrik


Sechs Landtagsfraktionen und die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke haben am 3./4. September in dem Kultur- und Kommunikationszentrum Fabrik in Hamburg-Ottensen eine Energiekonferenz veranstaltet, die für alle Interessierten offen stand. Am zweiten Tag hielt Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, einen Fachvortrag zu der Frage "Atomwirtschaft am Ende?". In der Mittagspause sprach der Schattenblick in der Werkstatt 3, in der mehrere der zahlreichen Workshops der Energiekonferenz stattfanden, mit Wolfgang Ehmke.

Wolfgang Ehmke  - © Schattenblick

Wolfgang Ehmke
© 2010 by Schattenblick

Schattenblick: Sie haben ja eben einen sehr engagierten Vortrag gehalten, der auch die Mitgliederinnen und Mitglieder der Partei Die Linke mitgerissen hat. Fühlen Sie sich umgekehrt auch von der Partei gut verstanden mit Ihrem Anliegen?

Wolfgang Ehmke: Das ist eine Frage, die ich mir selber auch gestellt habe. Wir waren vor einem Jahr von Seiten des BI-Vorstandes in Berlin und haben im Vorfeld der Demonstration zum 5. September mit Gregor Gysi gesprochen, und er hatte uns mißverstanden. Er dachte, wir wollten ihn bitten, eine Rede zu halten. Wir wollten aber nur ausloten, ob Die Linke sich in der Frage des Atomausstiegs entsprechend positioniert hat und was sie zu Gorleben denkt. Da ist mir etwas aufgefallen. Parteien bedienen ja unterschiedliche Milieus, und die SPD und Die Linke bedienen auch Milieus, in denen es um den Abbau von Braunkohle geht. Sie sind geschichtlich sehr wohl verwoben mit der Nutzung von fossilen Energieträgern. Es ist nicht einfach so, daß man sagt, wir haben neue Bündnispartner in der Linken, sondern ich glaube, da braucht es Überzeugungsarbeit, und das hatte ich mir heute vorgenommen. Ich wollte die Genossinnen und Genossen überzeugen und zwar auch mit provokanten Thesen, indem ich gesagt habe, es geht um den Ausstieg aus Atomkraft und Kohle. Es geht also um Energiepolitik und nicht um das Bedienen bestimmter Milieus. Der Beifall war ja da.

SB: Ja.

WE: Der war groß. Aber es fällt außerdem auf, daß bestimmte Landesverbände diesen Kongreß ausrichten. Es ist aus meiner Sicht nicht so, daß die Gesamtpartei für uns ein "natürlicher" Bündnispartner ist. Aber wir möchten gerne Leute überzeugen und brauchen - jetzt sage ich es mal positiv -, den Rückhalt der drei Oppositionsparteien in Berlin, SPD, Grünen und eben auch der Linken, denn es entscheiden sich im Moment Dinge. Es entscheidet sich, wohin wir in der Energiepolitik steuern. Aus unserer Sicht, aus Gorlebener Sicht, hängt da immer dran, wenn man weitermacht mit der Atomkraft, daß die Mengen an Atommüll wachsen und niemand weiß, wohin mit diesem Müll und wie man mit ihm umgeht. Das ist meine Antwort. Die ist nicht glatt, das merkt man.

SB: Ist es Ihres Erachtens eine relativ frische Position der Links-Partei, die jetzt in einer Phase des Prozesses entwickelt wird, in der man sagt, da können wir eingreifen und mitwirken?

WE: Ich glaube, daß die Links-Partei, wenn sie sich aus diesen westlichen Landesverbänden speist, sich unter anderem auch aus Leuten zusammensetzt, die von den Grünen enttäuscht waren. Das sind ja auch Leute, die aus den Grünen rausgegangen sind, weil sie enttäuscht waren von dem sogenannten Atomkompromiß. Gerade in Lüchow-Dannenberg, wo ich herkomme, ist so ein Aderlaß gewesen. Da haben ganz viele Vorkämpferinnen und Vorkämpfer, die mit der Bürgerinitiative verwoben sind, die sich bei den Grünen engagiert haben, die Partei verlassen, weil sie sagten, das ist ein fauler Kompromiß, der Begriff Atomausstieg ist falsch an dieser Stelle. Andererseits muß ich zugeben, ich durchschaue nicht die, sagen wir mal, Veränderung innerhalb einer solchen Partei. Da gibt es ja auch demographische Veränderungen, und ich wünsche mir allerdings, daß sich für viele Positionen, die wir vertreten und die, wenn man genau hinguckt, kapitalismuskritisch sind - wir sprechen auch von den Oligopolen, von der Macht der Konzerne -, Menschen engagieren und uns unterstützen. Aber wir sind auch stolz. Wir sagen, wir arbeiten parteienunabhängig und werden uns nicht von Parteipolitik vereinnahmen lassen.

SB: Die Vorsitzende der Linken, Gesine Lötzsch, sprach gestern von der Zerschlagung der Konzerne. Wäre das auch für Sie eine Option?

WE: Das habe ich vorhin differenzierter gesagt. Es gibt unterschiedliche Prozesse. Also es gibt - ganz wichtig! - die Rekommunalisierung, die Dezentralisierung. Auch Hermann Scheer hat daran angeknüpft und gesagt, daß etwas Überkommenes, nämlich die Konzentration von Macht, damit zu tun hat, daß an konzentrierten Orten Energie erzeugt und nicht dort verbraucht wird. Das ist ein Widerspruch. Das alles muß mitbedacht werden und ist der Grund, warum ich auch dafür gesprochen habe, die Macht der Konzerne, ich habe gesagt, "zu bändigen". Aber ich habe auch dafür gesprochen, letztlich die vier Oligopole zu vergesellschaften. Das hat ihnen gefallen, das habe ich gemerkt.

SB: Ja, natürlich.

WE: Nur wäre das zu kurz gegriffen, das wäre viel zu knapp. Aber ich bin trotzdem dafür. Das habe ich festgemacht an der sogenannten Kriegskasse der vier Oligopole, der Rückstellung von 29 Milliarden Euro, steuerfrei. Man muß an dieses Geld herankommen, und das heißt für mich Entmachtung dieser Konzerne. Verstaatlichung ist keine Lösung, sondern bändigen, das ist die Lösung.

SB: Frau Merkel setzt auf Freiwilligkeit der Industrie.

WE: In jeder Beziehung, ja, aber das ist für uns natürlich eine Lachnummer. Da geht es jetzt nicht um die Rückstellungsmilliarden, sondern um die Extraprofite, daß man Geld für den Anschub der Regenerativen abzweigt. Aber die Regenerativen, Fossile und Atomkraft, das steht gegeneinander, also entweder erneuerbare Energie oder Atomkraft und Kohle. Das ist sehr, sehr deutlich geworden. Die Studien, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben hat, sollten immer nur ausloten, wieviel Platz bleibt für die Regenerativen. Das ist vom Ziel her falsch gedacht. Wir müssen vom Ziel her argumentieren. Das Ziel muß sein, hundert Prozent Regenerative und davon abhängig ist der Platz zum Beispiel für Gas, für das ich bin, und Blockheizkraftwerke. Kohle wird ein Auslaufmodell sein, und für Atomkraft wünsche ich mir einen sofortigen Stopp. Davon wird abhängig sein, wieviel Platz für die Konventionellen bleibt. Es ist auf den Kopf gestellt, was die Bundesregierung macht, und wir müssen es auf die Füße stellen und vom Ziel her argumentieren. Das heißt hundert Prozent Regenerative.

SB: Haben sich die Ziele Ihrer Bürgerinitiative im Laufe der letzten 30 Jahre verändert?

WE: Wir waren nie eine Anti-Bewegung. Wir haben in unserer Symbolik in Lüchow-Dannenberg schon immer den Lebensbaum drin gehabt, und wir waren von Anfang an für die Nutzung von Sonnenkraft und von Wind. Das ist eine schöne Geschichte. Als wir vor dreißig Jahren in Gorleben den Bohrplatz 1004 besetzt hatten, um die Endlagererkundung zu unterlaufen, da gab es schon ein Sonnenkraftwerk auf dem Gelände und Windräder. Wir wurden damals als Ökospinner verlacht. Heute boomt diese Branche und ist auch ein Player geworden auf dem Markt und bindet Kapital. Vor allem ist es arbeitsplatzintensiv, zehnmal mehr als bei den konventionellen Energieträgern. Deshalb würde ich nicht sagen, daß es neue Bündnisse gibt. Aber es gibt neue Alliancen. Als am 5. September letzten Jahres die Bauern aus dem Wendland nach Berlin getreckt sind, gehörte zum Trägerkreis und zu den Sprechern der Bundesverband Erneuerbare Energien.

Wolfgang Ehmke - © Schattenblick

Seit über 30 Jahren Aktivist gegen atomares Endlager Gorleben
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SB: Ich erinnere mich, daß schon vor dreißig Jahren ein Professor Grimmel aus Hamburg einen geologischen Befund von Gorleben gemacht hat.

WE: Ja.

SB: Welche Konsequenzen hatte das überhaupt?

WE: Wir haben damals natürlich den wissenschaftlichen Beistand gebraucht. Den brauchen wir aber auch heute noch. Wir sind ja keine Geologen, keine Hydrogeologen, wenn es um Gorleben und die Frage geht, ob der Salzstock für ein Endlager geeignet ist. Neu ist aber, daß wir heute an dieser langen Geschichte sehen können, an welchen Stellen es anfing, daß Akten manipuliert wurden, daß Ergebnisse, die man nicht brauchte, unterschlagen wurden, um Gorleben machen zu können. Wir sind in der Aufarbeitung unserer Geschichte, befinden uns aber noch mitten drin in der Gorleben-Auseinandersetzung.

Nochmal zurück zu der Frage, was neu an der Bürgerinitiative ist. Früher gab es in der Anti-Akw-Szene viele kleine Stadtteilinitiativen, heute gibt es die großen Umweltverbände, mit denen wir kooperieren, und eben diese neuen Alliancen. Neu ist auch, daß der Verband kommunaler Unternehmer (VKU), - er vertritt die Stadtwerke, die sich auf den Atomausstieg eingerichtet haben -, für eine dezentrale Energieerzeugung mit Gaskraftwerken oder Blockheizkraftwerken eintritt. Auch diese Gruppe, die in der Bundesrepublik wichtig ist, opponiert gegen Laufzeitverlängerung. Wir haben eigentlich eine wunderbare Auseinandersetzung, die wir meines Erachtens gewinnen werden. Nie auf einen Schlag, aber ich glaube, wir sind auf der Siegerschiene.

SB: Welche Rolle spielt denn aus Ihrer Sicht die administrative Seite der ganzen Geschichte? Wir haben hier viel gehört zu den vier großen Konzernen, auf die immer eingeschlagen wird. Da wird der Eindruck erweckt, wenn die vier weg wären, daß es dann besser wäre. Inwieweit ist der Staat oder die staatliche Seite an der zentralen Energieversorgung beteiligt und welche Interessen könnten dahinter stecken?

WE: Geschichtlich ist das geklärt. Die Atomkraft hatte in der Bundesrepublik nur deshalb eine Chance, weil die Konzerne früher gedrängt wurden, auf Atomkraft zu setzen. Weil man über diese Schiene nukleare Teilhabe erwerben wollte und über die Mitgliedschaft in der NATO auch den Zugriff auf die Bombe. Man kann diese Seite der militärischen Nutzung bei der Entstehung des zivilen Atomprogramms gar nicht ausblenden. Und es gibt Fördermittel. Ohne die Fördermittel des Staates und auch die Mittel, die über Euratom geflossen sind - insgesamt beziffert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung die Summe auf 50 Milliarden Euro -, also ohne diese sogenannte Staatsknete wäre das Atomprogramm gar nicht möglich gewesen.

Die Frage bei dem aktuellen Streit lautet: Was wird letztlich abgeschöpft? Die Brennelementesteuer kommt eigentlich viel zu spät. Es gibt eine Mineralölsteuer und so weiter und so fort, aber die Akw-Betreiber wurden immer schadlos gehalten. Die Rücklagen, die neunundzwanzig Milliarden, die ich schon erwähnt habe, für den Rückbau von Atomanlagen, sind steuerfrei! Es gibt unglaubliche Privilegien. Und was ein Staat machen kann? Er kann natürlich eine Steuerungsfunktion übernehmen. Das ist wichtig.

SB: Was halten Sie von dem Argument der Akw-Betreiber, daß Atomkraftwerke klimafreundlich sind?

WE: Das stimmt schon dann nicht, wenn ich mir die Energiebilanzen angucke, also die Uranförderung, die Herstellung von Yellowcake, das Anreichern bis hin zur Brennelementfertigung. CO2-frei allein ist nur der Betrieb eines Atomkraftwerkes. Aber die ganze Kette von Uranabbau bis zur Endlagerung, da muß man CO2-Bilanzen aufstellen, und die gibt es. Die zeigen, daß es nur minimale Vorteile gibt für die Nutzung der Atomkraft. Die sind so minimal, daß es als Argument verpufft.

SB: Ein wichtiges internationales Thema ist ja auch die Frage, wenn erstmals die zivile Nutzung der Atomenergie eingeführt wird, daß das dann sehr rasch an die militärische Frage gekoppelt wird. Wie sehen Sie das?

WE: Ich habe ja vorhin davon gesprochen, daß Sarkozy im Mittelmeerraum herumfährt wie ein fliegender Teppichhändler mit Akws drauf und diese gerade in Schwellenländern wie Libyen, Marokko, den Arabischen Emiraten und der Türkei anbietet. Das sind alles Länder, die wie wir in den fünfziger Jahren von Akws und einem Akw-Programm träumten, um auch Teilhabe an der nuklearen Macht zu erlangen. Also, da wird mit dem nuklearen Feuer gespielt. Wir treten deshalb für die Ächtung von Atomwaffen weltweit ein. Wir dürfen nie aus den Augen verlieren, daß die zivile Nutzung immer mit der militärischen Nutzung in Verbindung steht.

SB: Vielen Dank, Herr Ehmke, für das Gespräch.


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Anmerkungen:

Die Schattenblick-Redaktion wird die Berichterstattung zur Energiekonferenz in den kommenden Tagen mit weiteren Ausarbeitungen und Interviews zu diesem Thema vertiefen. Wir werden die Beiträge wie gewohnt unter POLITIK -> REPORT -> BERICHT und POLITIK -> REPORT -> INTERVIEW einstellen.

Näheres unter:
BERICHT/033: Energiekonferenz - sozialer Widerstand gegen Monopolanspruch der Atomwirtschaft (SB)
BERICHT/034: Energiekonferenz - Podiumsdiskussion zu Alternativen der Atomwirtschaft (SB)
BERICHT/035: Energiekonferenz - Fachvorträge mit Biß gegen Profitstreben und Kontrollzuwachs (SB)
INTERVIEW/044: Energiekonferenz - Alexis Passadakis von Attac (SB)

Eingang zur Fabrik - © Schattenblick

Verladekran außer Betrieb - das
wünscht sich die Anti-Akw-Bewegung
auch für die Castor-Transporte
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10. September 2010