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INTERVIEW/115: Kongreß Kurdischer Aufbruch - Ana Mezo zum baskischen Friedensprozeß (SB)


Interview mit Ana Mezo am 5. Februar in Hamburg


Auf dem Kongreß "Die kapitalistische Moderne herausfordern - Alternative Konzepte und der kurdische Aufbruch" an der Hamburger Universität trat am 5. Februar Ana Mezo von der baskischen Linken (Izquierda Abertzale) auf. Im Rahmen von Session 4, "Ein neues Paradigma: Demokratische Moderne", hielt die Lehrerin und Kommunalpolitikerin den aufschlußreichen und empfehlenswerten Vortrag "Aufbau von Demokratie im Baskenland: Erfahrungen und Herausforderungen", dessen deutsche Übersetzung sich auf der Website info-baskenland.de vollständig nachlesen läßt. [1] Im Anschluß an besagter Session stellte sich Mezo dem Schattenblick für einige Fragen zum Stand des baskischen Friedensprozesses, über den sie auf der Webseite basquepeaceprocess.info regelmäßig auf Englisch berichtet, zur Verfügung.

Ana Mezo im Porträt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ana Mezo
Foto: © 2012 by Schattenblick
Schattenblick: Frau Mezo, könnten Sie uns etwas über ihren Hintergrund, wie und warum Sie politisch aktiv geworden sind, sowie ihre Rolle im baskischen Befreiungskampf erzählen?

Ana Mezo: 1972 nahm ich mein Studium an der Hochschule auf. Seinerzeit gab es eine starke Bewegung nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Universität. Die meisten Menschen lehnten das diktatorische Regime Francos ab. Beim damaligen Kampf ging es um unsere Rechte als Menschen, als Nation und als Arbeiter. Doch es wurde nichts unternommen. Wir mußten uns selbst organisieren. Also fingen wir damit an, unser Recht auf die eigene Sprache einzufordern, während wir gleichzeitig über Wege diskutierten, eine neue und andere Welt zu schaffen. Seit jenen Tagen bin ich politisch aktiv, zuletzt als Gründungsmitglied der abertzalen Linken. Ich saß einige Jahre lang im Gemeinderat meines Heimatorts Larrabetzu und wurde 2007 in die Provinzregierung von Biskaia gewählt. Doch durch die Anwendung des Gesetzes für politische Parteien wurde meine Kandidatur für unzulässig erklärt, wodurch Tausende von Stimmen, die ich erhalten hatte, nichtig wurden.

SB: Haben Sie persönlich, und wenn ja, im welchem Ausmaß, repressive Maßnahmen des spanischen Staates erlitten?

AM: Ich bin niemals verhaftet worden. Doch das ist vielen meiner Freunde und Verwandten passiert. Einige von ihnen befinden sich immer noch im Gefängnis. Dessen ungeachtet bin ich der Meinung, daß es außer der Inhaftierung noch andere Formen der Unterdrückung gibt. Auch wenn es mit weniger physischer Gewalt einhergeht, handelt es sich dennoch um Repression. Ich und viele andere können zum Beispiel unsere freie Meinung nicht äußern, ohne befürchten zu müssen, dafür bestraft zu werden.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um zu erzählen, welchen Schikanen und Strapazen viele meiner Freunde und Verwandten jedesmal ausgesetzt sind, wenn wir die baskischen Inhaftierten im Gefängnis besuchen. Jedes Wochenende - aber auch unter der Woche - legen viele Leute mit dem Auto oder mit dem Bus Hunderte von Kilometern für einen 40minütigen Gefängnisbesuch zurück. Bis vor wenigen Monaten wurden die Besucher einer Leibesvisitation unterzogen, bevor sie mit dem oder der Gefangenen sprechen durften. Leibesvisitation bedeutet, daß man all seine Kleider ausziehen muß, um anschließend vom Gefängnispersonal am ganzen Körper abgetastet zu werden. Derzeit kursieren Gerüchte, daß die Justizbehörden die Leibesvisitation wieder einführen wollen. Trotz des Fortschritts beim baskischen Friedensprozeß und des Waffenstillstands der ETA foltern die Sicherheitskräfte weiter. Erst vor wenigen Tagen wurde in der Zeitung über einen erneuten Fall berichtet. Zwei Männer beschwerten sich, nach der Verhaftung von den Polizisten gefoltert worden zu sein.

SB: Wie ist Ihre Meinung zur Effektivität des baskischen Friedensprozesses?

AM: Ich denke, daß Dialog und Verständigung das neue Zeitalter bestimmen sollten. Die Chance für Veränderung ist gekommen, und nach Jahren des Kampfes verfügt Euskal Herria über die notwendige Erfahrung und Stärke, um sie zu verwirklichen. Mit richtigen Entscheidungen, ungeachtet einiger Fehler, haben wir den Befreiungskampf in die Phase der politischen Veränderung überführt. Nun müssen wir dafür sorgen, daß die Veränderung nicht rückgängig gemacht werden kann.

Um die aktuelle Lage zu verstehen, müssen wir rückwärts blicken und den Fortschritt analysieren, den wir in manchen Fragen erzielt haben und der die Verwirklichung einer radikalen Veränderung für alle Bürger ermöglicht hat. Da das zu erreichende Ziel in der Anerkennung des Baskenlandes und damit im Recht des baskischen Volkes auf Selbstbestimmung besteht, ist es notwendig, die Konfrontation mit den beiden Staaten Frankreich und Spanien auf Felder zu verlegen, auf denen sie schwächer sind und wir unsere Stärke ausspielen können. Die Massenmobilisierung, der institutionelle und ideologische Kampf sowie die internationale Unterstützung stellen die Säulen der neuen Strategie dar und garantieren die Effektivität des baskischen Friedensprozesses.

SB: Führende Köpfe des nordirischen Friedensprozesses wie der ehemalige Premierminister Irlands, Bertie Ahern, und Gerry Adams, der Vorsitzende der als politischer Arm der IRA geltenden, katholisch-nationalistischen Partei Sinn Féin, haben bekanntlich geholfen, die ETA letztes Jahr zu einer Abkehr vom bewaffneten Kampf zu bewegen. Nach der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens 1998 hat es nicht wenig Kritik an der Führung Sinn Féins und der IRA gegeben. Man hat ihnen vorgeworfen, die republikanische Bewegung verkauft, wichtige Entscheidungen ohne Konsultation mit den IRA-Freiwilligen getroffen und sich aus Gründen der materiellen Vorteilsnahme mit der Fortsetzung britischer Herrschaft in den sechs nordostirischen Grafschaften arrangiert zu haben. Wie groß ist die Gefahr eines ähnlichen Ausverkaufs des baskischen Kampfes durch die politische Führung der abertzalen Linken, und wie könnte er verhindert werden?

Ana Mezo beim Vortrag am Stehpult - Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick AM: Nun, zuallererst haben die Sprecher der ETA bei der Verkündung des einseitigen Waffenstillstands am 20. Oktober 2011 erklärt, daß die endgültige Einstellung des bewaffneten Kampfes das Ergebnis eines langen und inneren Diskussionsprozesses und nur bedingt eine Reaktion auf die Konferenz gewesen ist, an der drei Tage zuvor in Donostia neben Adams und Ahern auch der ehemalige UN-Generalsekretär, Kofi Annan, die ehemalige norwegische Premierministerin, Gro Harlem Brundtland, der ehemalige Verteidigungsminister Frankreichs, Pierre Joxe, und der ehemalige Stabschef des britischen Premierministers Tony Blair, Jonathan Powell, teilgenommen hatten.

Des weiteren möchte ich betonen, daß wir die Kritik am nordirischen Friedensprozeß nicht nur nicht teilen, sondern scharf zurückweisen. Zwar kann ich nicht über den internen Beratungsprozeß bei der IRA sprechen, dafür jedoch über die Haltung der Sinn-Féin-Führung in dieser Angelegenheit. Ich glaube nicht, daß sich Sinn Féin mit der Herrschaft Großbritanniens über den Norden Irlands abgefunden hat. Sie hat einen Kompromiß mit den pro-britischen, protestantischen Unionisten erreicht und stellt seitdem mit ihnen eine Provinzregierung, die beide Volksgruppen vertritt und die Wurzeln des Konflikts zu beseitigen versucht. Währenddessen kämpft sie weiter für ein vereinigtes Irland und plant die Durchführung eines Volksentscheids, der die britische Herrschaft beenden könnte. Mitgliedern von Sinn Féin den Ausverkauf politischer Ziele für persönliche materielle Vorteile zu unterstellen ist deshalb unaufrichtig. Die Mitglieder von Sinn Féin und die ehemaligen IRA-Freiwillige haben - häufig unter erheblichen Opfern - über Jahre auf verschiedenen Wegen ihren Kampf fortgesetzt. Sie kämpfen und arbeiten unermüdlich für die Verwirklichung republikanischer Ideale. Wir befürchten deshalb keinen Ausverkauf des baskischen Befreiungskampfes, weil wir glauben, daß es keinen in Irland gegeben hat.

SB: Welche Auswirkungen auf den baskischen Friedensprozeß erwarteten Sie vom Machtwechsel in Madrid, als nach den Parlamentswahlen Ende letzten Jahres die konservative Volkspartei Mariano Rajoys die Sozialisten um José Luis Rodriguez Zapatero an der Regierung abgelöst hat? Im Januar gab es zum Beispiel Berichte in der britischen Presse, wonach Spanien inzwischen damit droht, sein Veto gegen eine EU- Mitgliedschaft Schottlands einzulegen, sollten sich die Bürger dort bei dem für 2013 bzw. 2014 erwarteten Plebiszit für den Ausstieg aus dem Vereinigten Königreich mit England entscheiden. Ist in nächster Zeit mit einer weniger konstruktiven und entgegenkommenden Haltung Madrids gegenüber den Basken zu rechnen?

AM: Ich verstehe die Formulierung "weniger konstruktiv und entgegenkommend" nicht. Sie haben mit unserer Wirklichkeit nichts zu tun. Die abertzale Linke hat einen Vorschlag bezüglich eines gerechten und dauerhaften Friedens gemacht, und derzeit besteht unsere Hauptaufgabe darin, dafür die größtmögliche Zustimmung der Menschen im Baskenland sowie im Ausland zu gewinnen. Bisher weigern sich die regierenden Konservativen Spaniens, sich mit uns an einen Tisch zu setzen. Deshalb müssen wir sie dazu zwingen. Wir wissen, daß es ein hartes Stück Arbeit sein wird, aber wir im Baskenland sind dazu bereit.

SB: In den letzten Jahren mehren sich die Forderungen nach einer größeren Autonomie Kataloniens. Inwieweit sind die jüngsten Regungen des katalonischen Nationalismus eine Reaktion auf den Kampf der Basken gegen die spanische Zentralregierung in Madrid? Haben die Autonomiebewegungen im Baskenland und Katalonien einen gemeinsamen Nenner und kooperieren die Aktivisten in den beiden Regionen vielleicht miteinander?

AM: Zunächst ist festzustellen, daß wir es hier mit zwei verschiedenen Nationalitäten und unterschiedlichen Hintergründen zu tun haben. Sie gleichen sich allerdings in der Tatsache, daß die historischen Siedlungsgebiete beider Völker jeweils durch Frankreich und Spanien getrennt werden. Beide Regionen bilden die traditionelle Durchgangsroute zwischen Afrika und Europa. Und beide Völker haben ihre eigene Sprache, Kultur und Lebensweise.

Bekanntlich fordern viele Menschen in Katalonien die Unabhängigkeit von Spanien ein, also teilen wir dasselbe strategische Ziel. Dennoch ist unsere Geschichte unterschiedlich. Um ein Beispiel zu geben: Während die Oligarchie Kataloniens bei der Unabhängigkeitsbewegung eine führende Rolle spielt, hat die Oligarchie im Baskenland stets eine pro-spanische Linie vertreten. Die Formen des Kampfes und auch ihre Auswirkungen auf die jeweilige Region weichen ebenfalls voneinander ab. Ich denke schon, daß die Repression des spanischen Staates bei uns qualitativ härter ausgefallen ist. Bis heute sitzen mehr als 700 Befürworter der baskischen Unabhängigkeit in spanischen Gefängnissen, während viele andere irgendwo im ausländischen Exil leben. Das sind nackte Tatsachen. Darum gibt es im Baskenland diesen Friedensprozeß, der uns zu einem gerechten und dauerhaften Frieden führen wird. Die abertzale Linke steht seit langem mit den Befürwortern einer Unabhängigkeit Kataloniens in Kontakt. Viele von den Aktivisten dort unterstützen uns und zeigen Solidarität, wenn wir sie nötig haben.

SB: Derzeit leidet Spanien im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise in der EU unter einer extrem hohen Arbeitslosigkeit. Ist das Baskenland im gleichen Maße davon betroffen wie die anderen Regionen Spaniens, und wenn nicht, warum?

AM: Das Baskenland leidet ebenso unter der Wirtschaftskrise, wenngleich die Arbeitslosigkeit bei uns noch nicht so extrem hoch liegt wie im restlichen Spanien. Doch es dürfte nicht allzu lange dauern, bis sie bei uns dasselbe Ausmaß erreicht hat. Die Auswirkungen des Platzens der spanischen Immobilienblase treffen bei uns verspätet ein, weil unsere Ökonomie etwas ausgeglichener gewesen ist. Seit Beginn der industriellen Revolution vor zwei Jahrhunderten haben die Basken traditionell sowohl im Betrieb wie auch auf dem Land gearbeitet. Wir verfügen - sowohl für die Industrie als auch für die Landwirtschaft - über größere Naturressourcen als die anderen Regionen Spaniens. Aktuell sinkt bei uns die industrielle Produktion. Die Arbeit in der Landwirtschaft ist hart, denn es fehlt die Unterstützung der Behörden. Die Baubranche ist vollkommen weggebrochen und bietet niemandem mehr eine Perspektive. Vor wenigen Jahren hieß es in der Presse, in Spanien werde mehr gebaut als in Deutschland, Frankreich und Großbritannien zusammengenommen. Nun stehen bei uns Wohnhäuser, Büros und Hotels auf Jahre hinaus leer. Niemand kann sie kaufen, denn keiner hat Geld.

Es gibt aber einen anderen Aspekt der Wirtschaft des Baskenlandes, den ich erwähnen möchte. Bei uns hat man seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts große Erfahrungen mit Genossenschaften gesammelt. Inzwischen gibt es davon viele im Baskenland. Die Genossenschaften haben meiner Meinung nach zukunftsweisenden Charakter, denn solche Initiativen bieten die Möglichkeit, Arbeitsplätze zu schaffen, ohne sich völlig dem Diktat der Großkonzerne zu unterwerfen.

SB: Auf der Konferenz "Challenging Capitalist Modernity - Alternativ Concepts and the Kurdish Quest" ist viel vom Konzept des demokratischen Konföderalismus die Rede gewesen. Abdullah Öcalan, der Anführer der kurdischen Arbeiterpartei (PKK), hat eine konföderalistische Lösung des Konfliktes in Kurdistan angeboten. Anstelle eines kurdischen Nationalstaates strebt er verstärkte Autonomie und Zusammenarbeit zwischen den kurdischen Regionen im Irak, im Iran, in Syrien und in der Türkei an. Das Baskenland ist auf ähnliche Weise durch zwei Nationalterritorien, diejenigen von Frankreich und Spanien, getrennt. Könnten Sie sich eine konföderale Lösung als Antwort auf die baskische Forderung nach Selbstbestimmung vorstellen, oder verfolgen Sie und Ihre Genossen weiterhin die Schaffung eines eigenen Nationalstaats?

AM: Wir sind Unabhängigkeitsbefürworter und -beworterinnen seit mehreren Generationen, die sich für das Projekt der nationalen Befreiung engagieren. Für uns besteht das Ziel in der Schaffung eines eigenen Nationalstaats, denn wir halten dies für den einzigen Weg, das Überleben und die Entwicklung des Baskenlands - in Harmonie und Solidarität mit der restlichen Welt und den anderen Völkern Europas - zu garantieren. Das ist ein legitimes Vorhaben, das wir mit der Unterstützung der Mehrheit der baskischen Gesellschaft verwirklichen wollen.

SB: Wir bedanken uns bei Ihnen, Frau Mezo, für das Interview.


Fußnote:

1. http://info-baskenland.de/1020-0-Ana+Mezo+Aufbau+der+Demokratie+im+Baskenland.html

Interviewszene - Foto: © 2012 by Schattenblick

Ana Mezo und SB-Redakteur
Foto: © 2012 by Schattenblick

14. März 2012