Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → REPORT

INTERVIEW/132: Kapitalismus final - Verkehrsdruck und Überwuchs (SB)


Interview mit Winfried Wolf am 6. September 2012 in Hamburg-St. Georg



Der Sozialist und Politikwissenschaftler Dr. Winfried Wolf ist publizistisch als Chefredakteur der Zeitung Lunapark21 und Mitherausgeber der Zeitung gegen den Krieg tätig. In diversen Büchern, als wissenschaftlicher Beirat von attac und der Bildungsgemeinschaft Salz, als Sprecher der Initiative Bürgerbahn statt Börsenbahn und als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Sabine Leidig engagiert sich Wolf für eine menschen- und umweltfreundlichere Verkehrspolitik. Vor seinem Vortrag [1] zum Auftakt der Hamburger Veranstaltungsreihe "Kapitalismus in der Krise" [2], in dem er auch auf den Inhalt seines jüngsten Buches "Sieben Krisen - ein Crash" einging, beantwortete Wolf dem Schattenblick einige Fragen.

Im Gespräch - Foto: © 2012 by Schattenblick

Winfried Wolf
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Sie sind Chefredakteur des Lunapark21 und hatten in ihrer redaktionellen Selbstdarstellung geschrieben, daß die Herausgabe einer linken Publikation heute nicht eben unter förderlichen Bedingungen stattfindet. Wie beurteilen Sie generell die Landschaft für linke Publikationen, die eindeutig antikapitalistische Positionen vertreten?

Winfried Wolf: Wir haben ein zweifaches Problem. Zum einen, daß wir eine linke radikale Zeitschrift sind, und zum anderen, daß wir bewußt auf Print setzen. Links ist in begrenztem Maße Mode, aber Print gar nicht. Wir haben bisher mit unserem Projekt Erfolg. Im nächsten Frühjahr feiern wir unser fünfjähriges Jubiläum. Unsere nächste Nummer 20 [3] erscheint zum Thema Medien-Macht und alternative Medien. Innerhalb von fünf Jahren haben wir es geschafft, daß wir mit den Abos und dem, was wir an den Kiosken verkaufen, uns insgesamt tragen, das heißt den Druck und Vertrieb finanzieren und die Autorinnen und Autoren in ganz bescheidenem Maße bezahlen können. Ansonsten arbeiten wir mit viel Idealismus und Engagement.

Wir leisten uns die Infrastrukturkosten für Büro und Telefon nicht, aber wir haben eine gute Zeitschrift. Das funktioniert, aber es ist kein Projekt mit einer Auflage im fünfstelligen Bereich. Momentan haben wir eine Auflage von 3000, die weiter steigt. Mein Eindruck ist, daß der Markt in Deutschland schwierig ist. Wir hatten durchaus die Hoffnung, schneller nach oben zu kommen, aber insgesamt ist es aufgrund der dezentralen Struktur und auch des Vorhandenseins von junge Welt und Neues Deutschland mit speziellen Ausrichtungen und auch der Wochenzeitung Freitag, die jetzt nicht als linksradikal eingestuft werden kann, aber als linke Zeitschrift gilt, schwer, einen eigenen Platz zu erobern. Unser Schwerpunkt ist die Kritik der globalen Ökonomie. Wir sagen von vornherein, wir sind nicht allgemein politisch, sondern daß alle Aspekte des ökonomischen Lebens unter linker radikaler Sicht beleuchtet werden.

SB: Dieses Thema müßte heutzutage gerade in Anbetracht der seit fünf Jahren anhaltenden Krise sehr viele Menschen interessieren. Wie bewerten Sie im Fortlauf der Krisendynamik das relative Außenseiterdasein linker oder marxistischer Ökonomen im Verhältnis zur Triftigkeit ihrer Analysen?

WW: Das ist eine Frage der Medien. Wir haben eine Medienlandschaft bzw. veröffentlichte Meinung im Print- und Internetbereich , die sehr festgefügt ist und sehr stark von Einzelkapitalen, die kein Interesse an linker Kritik haben, bestimmt wird. Ich will das mit einem Beispiel illustrieren. Vor zehn Tagen hat der außenpolitische Redakteur der in Zürich erscheinenden Wochenzeitung (WOZ) , Pit Wuhrer, eine Rezension über die Lunapark21 geschrieben. Die Rezension war gut, und wir hatten innerhalb von vier Tagen 30 neue Abos in der Schweiz. Das ist völlig ungewöhnlich für uns. Wenn eine gute Rezension in Deutschland käme, dann könnte das etwas bringen, aber bisher hatten wir vor vier Jahren in der Berliner Zeitung einmal eine kurze Rezension gehabt. Eigentlich wachsen wir durch Mundpropaganda.

Das Problem für die meisten Projekte dieser Art dürfte darin bestehen, daß der Markt so stark dominiert wird und die Menschen inzwischen in ihrem entfremdeten Dasein so abgestumpft sind, daß sie vielleicht ihre regionale Zeitung oder bestenfalls noch ihre Lieblingszeitschrift aus dem linken Spektrum lesen. Ich erlebe es immer wieder, daß Linke, wenn sie hören, daß es uns schon seit fünf Jahren gibt, völlig verblüfft sind. Obwohl wir permanent Austausch-Anzeigen machen und so weiter, ist es sehr schwer, damit durchzukommen. Es ist, als ob man in einer Art Gummizelle steckt.

SB: Meinen Sie, daß es eine ideologische Form der Zensur oder Ausgrenzung gibt? So führen öffentlich-rechtliche Sender wie Deutschlandradio Kultur regelmäßig Mediengespräche mit Außenseiterzeitungen. Hat der Sender bei Ihnen schon einmal angefragt?

WW: Nein. Ich kenne jetzt die konkreten Instanzen nicht und möchte niemandem etwas vorwerfen, aber wahrscheinlich gibt es Scheren im Kopf. Das Problem wird sein, daß man modische Zeitschriften wie brand eins oder ähnliche Projekte spannend, lustig und auch originell findet. Aber eine Zeitschrift, die ganz klar sagt, wir sind für eine radikal andere Gesellschaftsordnung, daß der Kapitalismus keinen Ausweg kennt und es auch keine Green Economy gibt, daß im Gegenteil die Brown Economy triumphiert, ist zu direkt in ihrer Aufforderung, etwas zu tun. Das will man nicht hören. Man will eigentlich so weitermachen, obwohl man weiß, daß es wahrscheinlich schiefgehen wird, aber man hofft, irgendwie doch noch sein Plätzchen zu finden.

Winfried Wolf - Foto: © 2012 by Schattenblick

Fundierte Kritik am fossilistischen Kapitalismus
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Sie sind Verkehrsexperte und haben ein Grundlagenwerk [4] zum Thema geschrieben. Einmal aus aktuellem Anlaß gefragt: Die Flugbegleiterinnen sollen ihre Lohnforderungen zugunsten der Lufthansa zurückschrauben, um die Marktverhältnisse zu sichern. Dabei wird völlig ausgeblendet, daß der Luftverkehr in Deutschland mit subventioniertem Kerosin alimentiert wird. Wenn man die Lohnforderung der Flugbegleiterinnen nur für sich betrachtet, ist die Debatte dann nicht völlig verzerrt?

WW: Ja, es gibt beim Thema fossilistische Energien eine merkwürdige Dualität. Auf der einen Seite ist der Ölpreis mit 90 bis 100 Dollar pro Barrel relativ hoch, auch wenn er schon einmal auf 153 Dollar stand. Jedenfalls stöhnen die Konzerne darüber, daß er zu hoch sei und damit die Konjunktur abwürge. Auf der anderen Seite werden alle Transportbereiche, die primär mit Öl und seinen Derivaten Benzin, Diesel und Kerosin betrieben werden, massiv subventioniert und die Kosten darüber hinaus noch externalisiert.

Selbst das Autofahren, auch wenn die Autofahrer jammern, ist billiger geworden. Wenn ich die Minuten zähle, die ich arbeiten muß, um meinen Tank für 500 Kilometer zu füllen und das Auto zu amortisieren, dann ist das heute wesentlich billiger als vor 10, 20 oder 30 Jahren. Gut, der neue Golf, der gestern herauskam, ist doppelt so schwer und hat dreimal soviel PS wie der Golf I, dabei sitzen weniger Leute drin, nämlich 1,2 Personen. Das wird für deren Transport alles mitbewegt. Wenn man aber einen Dacia Logan nimmt, der von der Renault-Tochter Dacia in Rumänien gebaut wird, und sich anschaut, was der für 8000 Euro an HighTech besitzt, hat es das vor 20 Jahren nicht gegeben. Der Kaufpreis ist gemessen an den Arbeitslöhnen für einen Industriearbeiter - das sind ungefähr vier oder fünf Monatslöhne - viel geringer als vor 30 Jahren. Beim Flugverkehr wird das Kerosin nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nicht besteuert. Mit der Steuersubvention werden weltweit Airports gebaut, Stichwort Berlin. Aufgrund der Verdopplung der Kosten des Berliner Airports innerhalb von drei, vier Jahren wird die Eröffnung noch einmal verschoben.

Das macht es möglich, daß die Angebote beim Fliegen so billig werden, daß die Fluggesellschaften von einer Verdopplung des Flugverkehrs in den nächsten 15 Jahren ausgehen. Der Planet wird eine Verdopplung der Autozahl und eine Verdopplung des Flugverkehrs in den nächsten 15 Jahren nicht tragen, aber dennoch wird munter drauflosproduziert, und deswegen müssen sie unter anderem das Bordpersonal niedrig bezahlen, damit das Fliegen billig bleibt.

SB: Halten sie eine Verdopplung des Individualverkehrs mit Automobilen in Anbetracht dessen, daß immer mehr Leute immer weniger verdienen oder aus der Lohnarbeit herausfallen, in Westeuropa für eine realistische Prognose?

WW: Nein, die Leute in Westeuropa werden den Autoverkehr nicht in Kilometern steigern, aber sie werden mehr Autos kaufen. Wir haben jedes Jahr einen Nettozuwachs von 200.000 Autos, aber dennoch leben 200.000 Menschen netto weniger in Deutschland. In den letzten fünf Jahren wurden eine Million Autos verkauft. Im gleichen Zeitraum gab es aber eine Million Menschen weniger in Deutschland, und die fahren zudem weniger. Das heißt, wir haben mehr Stehzeuge als Fahrzeuge. Gestiegen ist jedoch die Zahl der Zweit- und Drittwagen.

Die ausgegrenzten Hartz-4-Empfänger, prekär Beschäftigten und Rentner, die in Altersarmut leben, werden zunehmend weniger Autos haben, aber die Mittelschicht leistet sich zwei oder drei Fahrzeuge. Zwar steigt die Zahl der Autos weiter an, aber in Westeuropa nicht mehr so stark, dagegen in Mittel- und Osteuropa erheblich. Bulgarien hat 230 Autos je 1000 Einwohner. Wir Deutsche haben 570, die USA 770 Autos je 1000 Einwohner. In Los Angeles gibt es sogar mehr Autos als Personen - Greise und Säuglinge eingerechnet. Das ist alles noch möglich, obwohl die Menschen dort eigentlich ärmer sind als wir. Dieser Autowahn ist durchaus noch steigerbar, wobei die Hauptsteigerung in den BRIC-Staaten, also Brasilien, Rußland, Indien und vor allem China, stattfindet. Dort gibt es weniger Autos als in Deutschland. Es fehlen Fahrzeuge für 1,2 Milliarden Menschen.

Die Steigerung wird natürlich durch die Mittelschicht getragen. In China rechnet man 400 bis 500 Millionen Menschen, die sich ein Auto leisten können, zur Mittelschicht. Wenn sie sich ein Auto zulegen, haben wir ein paar hundert Millionen PKWs mehr. Wir haben im Augenblick 800 oder 900 Millionen PKW auf der Welt. Allein die Chinesen werden, wenn sie nur auf den Stand der DDR vom 1989 kommen wollen, nochmal 500 Millionen PKWs benötigen. Ob der Planet das trägt, ist eine andere Frage. Aber die Fabriken werden genau mit diesem Ziel gebaut. Es werden jedoch keine Elektro- oder Hybridfahrzeuge hergestellt, sondern ganz normale, konventionelle Autos.

SB: Wenn man bedenkt, welche Bedeutung die Klimadebatte heutzutage in allen Bereichen der Gesellschaft spielt, verwundert es, daß nicht mehr über den Autoverkehr diskutiert wird, darüber, daß immer mehr Flächen durch den Straßenbau versiegelt werden, die Fahrzeugproduktion immer mehr Rohstoffe verschlingt und CO2-Emittenten produziert. Wie kommt es, daß das Thema so unterschwellig behandelt wird, oder haben Sie den Eindruck, daß es anders ist?

WW: Nein, das ist eine Frage des Lobbyismus. Das spezifische Gewicht der Rohstoff- und Ölkonzerne bzw. der Auto- und Energiekonzerne nimmt von Jahr zu Jahr zu. Diese Gruppe bestimmt in erheblichem Maße die deutsche und europäische Gesellschaft, die EU, OECD, WTO und so weiter. Ihr Einfluß reicht tief hinein in die Medien. Zeitungen leben schließlich von Anzeigen. Was wir für eine Zeitung bezahlen, macht 30, höchstens 40 Prozent ihres Einkommens aus, der Rest entfällt auf Anzeigen. Dabei handelt es sich zu 70 Prozent um Autoanzeigen, im kleinen der Gebrauchtwagenmarkt, aber vor allem die Anzeigen der großen Automobilhersteller. Das macht einen erheblichen Teil des Mediengeschäfts aus.

Man kann ein wenig Kritik formulieren wie an Stuttgart 21 und so weiter, aber eine grundsätzliche Kritik an dem Auto ist kaum möglich. Für ein Tempolimit 100 oder meinetwegen 120 gibt es seit 1974 eine klare Mehrheit. Aber selbst als Rot-Grün regiert hat, gab es keinen Antrag im Bundestag, außer von der PDS. Das wird nicht gemacht, obwohl die Grünen und die SPD laut Parteiprogramm dafür sind. Obwohl ein Tempolimit von der Mehrheit der Bevölkerung getragen würde, setzt sich die kleine radikale Minderheit der Autokonzerne mit ihrem Nein durch.

SB: Das dürfte dann wahrscheinlich auch für Forderungen wie die, den Gütertransport auf die Schiene zu verlegen oder den Nahverkehr so erschwinglich zu machen, daß die Leute in der Stadt auf das Auto verzichten können, gelten. Wären das nicht alles sehr lebensfreundliche Vorschläge?

WW: Ja, aber das Radikalste wäre natürlich etwas ganz anderes. Das Radikalste, womit man meiner Ansicht nach beginnen müßte als Mensch, der mobil sein will, ist ein Verzicht auf Verkehr - der nicht stattfinden muß, weil man dezentrale Strukturen bevorzugt und Nähe wiederentdeckt. Ein Autofahrer in Westdeutschland legte im Jahr 1965 oder 1967, als es keine Arbeitslosigkeit gab, ungefähr 7000 oder 8000 Kilometer motorisiert zurück. Heute legt der gleiche gesamtdeutsche Mensch motorisiert 12.000 bis 13.000 Kilometer zurück, obwohl es viele Ausgegrenzte gibt, die immobil sind. Der Grund für eine Verdopplung der zurückgelegten Kilometer pro Person ist nicht, daß sie mobiler wurden, sondern daß man nicht in der Nähe einkaufen kann oder will, weil es etwa zu teuer ist, daß die Entfernungen in die Schulen und die Verwaltungswege größer geworden sind und der Freizeitverkehr zugenommen hat, weil Hamburg durch die Autos zerschnitten ist. Also fährt man hinaus ins Grüne.

In Ravensburg am Bodensee, wo ich aufgewachsen bin, sind alle meine früheren Spielplätze heute Beton. Wo mich meine Mutter als Kind zum Spielen hinschickte, da ist heute Beton, da kann keine Mutter ihr Kind hinschicken, außer sie will es in Todesgefahr bringen. Damit wird Verkehr produziert. Die erste Forderung wäre, wieder Strukturen für eine dezentrale Kultur zu schaffen, bei der es Spaß macht, in der Nähe zu essen, spazierenzugehen oder das Kino zu besuchen. Dann erst stellte sich die Frage, wie man den Restverkehr organisiert, sei es zu Fuß, per Fahrrad, mit öffentlichen Verkehrsmitteln usw. Dann kommt auch die Frage des Preises. Warum nicht Nulltarif in ganz Hamburg oder Berlin? Das sind alles ernsthafte Debatten, aber anfangen muß man damit, wie der erzwungene Verkehr wieder abgeschafft wird.

SB: Verfügt die Partei Die Linke über eine eigene Agenda auf dem Gebiet der Verkehrspolitik?

WW: Ja. Ich war acht Jahre lang Abgeordneter im Bundestag und habe in dieser Zeit als verkehrspolitischer Sprecher der PDS versucht, linke Verkehrspolitik, wie ich sie gerade skizziert habe, zu formulieren. Das gelang mir nicht schlecht, aber ich galt halt als Paradiesvogel. Seit 2009 arbeite ich für das Bundestagsbüro von Sabine Leidig, der früheren Attac-Geschäftsführerin, und mache da eine ähnliche Arbeit. Sabine Leidig reicht gute Anträge ein, die in der Regel auch Erfolg haben und Beachtung finden. Sobald es allerdings ans populistische Eingemachte geht und der Tankstellenpreis auf 1,70 Euro ansteigt, kommen Leute wie Oskar Lafontaine, Gregor Gysi oder auch der neue Parteichef Bernd Riexinger aus Stuttgart, den ich sehr schätze, und sprechen von Abzocke an der Tankstelle.

Dabei gibt es bei uns überall Abzocke, ob beim Strom-, Wasser- oder Abfallpreis, ohne daß eine Kampagne dagegen geführt wird. Wenn aber bei den Autofahrern der Preis auf ein Niveau steigt, das wir 1984 und nach der Ölkrise 1973 relativ gesehen - an dem bemessen, wie viel man arbeiten muß, um einen Tank zu füllen - bereits hatten, ist plötzlich Populismus angesagt. Dann kommen Forderungen auf wie die vom früheren Parteichef Klaus Ernst, der die Entfernungspauschale erhöhen wollte, mithin ein Element, das dazu dient, die Zersiedelung zu fördern. Je weiter man wegfährt, desto mehr bekommt man ersetzt. Also will man das Häuschen im Grünen haben, wo es billig ist, weil man die Fahrtkosten entsprechend von der Steuer zurückbekommt. Es ist Wahnsinn, so etwas zu fordern, aber das sind populistische Durchbrüche. Ich bin immer wieder ratlos, daß die jahrelange Arbeit scheinbar so wenig gefruchtet hat.

SB: Sie waren Mitglied in der Partei Die Linke. Wie ist Ihr Verhältnis heute zu der Partei und wie würden Sie die Zukunftsaussichten der Linken beurteilen?

WW: Ich hatte nichts mit der DDR zu tun und war immer unabhängiger Sozialist gewesen. Ich wurde 1994 gefragt, als Unabhängiger für die PDS zu kandidieren. Ich willigte ein und habe in Baden-Württemberg Erfolg gehabt. 1995 oder 1996 bin ich in die Partei eingetreten und 2003 oder 2004 wieder ausgetreten. Unter anderem deshalb, weil die Linke in Berlin, wo sie mitregierte, die gleiche Politik gemacht hat wie Rot-Grün oder zum Teil auch CDU- und Grün-geführte Stadtregierungen. Ich bin noch aus einem weiteren Grund ausgetreten. Als George W. Bush am 21. Mai 2002 im Deutschen Bundestag sprach, war meine Fraktion der PDS nicht bereit, eine gemeinsame sichtbare und erkennbare Aktion gegen Bush zu machen. So haben Heide Lippmann, Ulla Jelpke und ich als Abgeordnete eine Aktion unternommen und sind dafür von unseren Fraktionskollegen angegiftet worden.

Mein Fraktionschef Roland Claus hat sich sogar bei George W. Bush entschuldigt. Dieser entgegnete darauf "That`s no problem, that's democracy", woraufhin Claus wie ein ziemlich begossener Pudel dastand. Am nächsten Tag stand in der Bild-Zeitung etwas über drei PDS-Pöbler. Wenn die Fraktion als Fraktion gepöbelt hätte, wäre der Effekt ganz anders gewesen. Ein halbes Jahr später waren der Papst und Gerhard Schröder gegen den Krieg, und dann durfte auch die PDS gegen den Krieg sein. Man wollte schließlich nichts machen, was Aufsehen erregt hätte. So kam alles zusammen.

Ich bin solidarisch mit der Linken und sage den Leuten, wählt Die Linke bei den Wahlen, seid aber vorsichtig, was ihr macht. In Brandenburg waren sie vor der Wahl gegen neue Braunkohlekraftwerke, aber nach dem Urnengang sind sie für neue Braunkohlekraftwerke. Das sind so die Erfahrungen, die man macht. Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt: Ich war bis 1994 einer der bekanntesten linken Verkehrsexperten, aber ab dem Moment, als ich im Bundestag in der PDS-Fraktion war, war ich abgestempelt. Die bürgerlichen Medien, in denen ich Plattformen hatte, haben mich geschnitten und mir den Stempel aufgedrückt, daß ich als PDSler die Reichsbahn wiedereinführen wolle und so einen Unsinn. Jetzt stelle ich fest, daß so langsam wieder anerkannt wird, daß meine sachlichen Argumente gute Argumente sind. Ich bin am Rande der Linken. Das will ich nicht bestreiten, aber gleichzeitig bin ich unabhängig. Und diese Unabhängigkeit möchte ich mir bewahren.

SB: Herr Wolf, vielen Dank für das Gespräch.

Fußnoten:
[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0120.html

[2] http://www.kapitalismus-in-der-krise.de/

[3] http://www.lunapark21.net/index.html

[4] http://www.mediashop.at/typolight/index.php/buecher/items/wolf-winfried-verkehr-umwelt-klima

Kaffeewelt im Georg-Asmussen-Haus - Foto: © 2012 by Schattenblick

Veranstaltungsort im Hamburger Stadtteil St. Georg
Foto: © 2012 by Schattenblick

26. September 2012