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INTERVIEW/165: Erst Ruhe im Land - Dr. Basedau über Mali (SB)


Interview im German Institute of Global and Area Studies (GIGA) am 20. März 2013 in Hamburg



Dr. Matthias Basedau ist Leiter des GIGA Forschungsschwerpunkts 2 "Gewalt und Sicherheit" und Stellvertreter des Direktors des GIGA Instituts für Afrika-Studien. Anläßlich des GIGA-Forums "Mali: Auswege aus der Krise" am 20. März 2013 stellte sich Dr. Basedau dem Schattenblick für eine Reihe von Fragen hinsichtlich der aktuellen Krise in Mali sowie der in den letzten Jahren zu beobachtenden Destabilisierung der Länder West- und Nordafrikas zur Verfügung.

Dr. Basedau an seinem Schreibtisch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Dr. Matthias Basedau
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Herr Dr. Basedau, was sind Ihrer Meinung nach die Hauptursachen der Staatskrise in Mali und wie sollten sie behoben werden?

Matthias Basedau: Das ist eine große Frage. Ich habe da meine persönlichen Meinungen und bin nicht unbedingt der Auffassung, daß sie objektiv sind. Es gibt nicht nur eine Ursache, sondern mehrere, die ineinandergreifen. Wiederum ist es schwierig zu sagen, welches Gewicht die einzelnen Faktoren haben. Es geht auch nicht um eine einfache Erklärung, entweder Islamismus oder Minderheitenproblematik oder was auch immer, sondern es kommt hier zu einer Vermischung verschiedener Aspekte. Es gibt außerdem starke regionale und internationale Komponenten. Es geht also keineswegs um Mali allein.

Aber wenn wir einzelne Probleme in Mali aufführen, dann würde ich sagen, daß es erstens ein ungelöstes Minderheitenproblem im Norden gibt, das etwas komplexer ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Zweitens haben wir in der Tat ein Problem mit militanten Islamisten. Hier spielen starke externe Komponenten wie vor allen Dingen Algerien, aber auch aus den arabisch-sunnitischen Staaten am Persischen Golf, vor allem Katar und Saudi-Arabien, eine Rolle. Dazu kommt, daß sich in der gesamten Region Politik, Religion und Kriminalität mischen. Das gilt im übrigen auch für die ehemalige Regierung in Bamako vor dem Putsch, vielleicht auch danach, das wissen wir nicht so genau. Hinzu kommt eine Verschärfung der Krise durch den Bürgerkrieg 2011 in Libyen, wo die Aufständischen Nordmalis durch die Plünderung der Waffenarsenale Muammar Gaddhafis und die Rekrutierung von Söldnern zusätzlich gestärkt wurden. Wie schon in der Vergangenheit werden die islamistischen Rebellen durch Lösegeldzahlungen zusätzlich motiviert und materiell gestärkt.

Ein grundlegendes Problem besteht in der Schwäche des malischen Staates, sowohl was die geographische Kontrolle des Landes als auch die Gemeinwohlorientierung der politischen Führung betrifft. Es geht hier auch um die Professionalität des Militärs in mehrerlei Hinsicht, das sich im Ernstfall als unfähig erwiesen hat, sich gegen die Rebellen zu behaupten. Das Ganze muß außerdem vor dem Hintergrund eines besonders geringen sozio-ökonomischen Entwicklungsstands in Mali wie auch in der gesamten Region gesehen werden.

SB: Korruption und die Verwicklung staatlicher Akteure in den Drogenhandel sollen in Mali weit verbreitet sein. Kann dieses Problem behoben werden und auf welche Weise wäre das möglich?

MB: Ich denke schon, daß das Problem behoben werden kann, weiß aber zunächst nicht wie. Grundsätzlich muß man sich überlegen, wer dieses Übel beseitigen soll. Jedesmal, wenn irgendeine Krise in Afrika oder einem anderen fernen Land auftritt, kommt die Idee auf, daß die Lösung von außen kommen soll. Erstens bin ich relativ skeptisch gegenüber den Potentialen externer Akteure - für diese Zweifel gibt es verschiedene Gründe -, und zweitens stellt sich auch unabhängig davon ein Technikproblem - also wie setzt man den entworfenen Plan vor Ort um? Man kann den Drogenhandel nicht so einfach bekämpfen, weil die ausländischen Organisationen mit lokalen Akteuren zusammenarbeiten müssen, die selbst in den Drogenhandel verwickelt sind. Bei uns stellt sich immer wieder die Frage, mit welchen Akteuren vor Ort man zusammenarbeiten kann oder soll. Oftmals herrscht der Wunsch vor, zwischen guten und bösen Persönlichkeiten zu unterscheiden. Doch ist das nicht so leicht, denn die guten und bösen Jungs in Reinkultur gibt es meistens nicht.

SB: Einige Beobachter sprechen von Mali bereits als Afghanistan Afrikas. Wie könnten die Lehren der NATO aus Afghanistan in Mali angewandt werden?

MB: Ich weiß nicht, inwieweit die Analogie trägt. Es kommt darauf an, wofür der Begriff Afghanistan steht.

SB: Nehmen wir zum Beispiel die beiden Stichworte Wiederaufbau und Drogenbekämpfung.

MB: Wie gesagt, man muß die Komplexität der Situation begreifen. Einerseits braucht man Partner, mit denen man vor Ort arbeitet, andererseits können diese Lokalakteure Eigenschaften wie zum Beispiel eine Verwicklung in den Drogenhandel haben, die problematisch sind und die Legitimität der neuen Regierung in Frage stellen, was wiederum den Erfolg der ganzen Entwicklungshilfe gefährdet. Ein zusätzliches Problem stellen nicht-intendierte Folgen der Militärintervention dar, vor allen Dingen sogenannte Kollateralschäden unter der Zivilbevölkerung. Also muß man im Vorfeld immer bedenken, welche nicht-intendierten Folgen auftreten könnten und wie man sie verhindern kann. Aus der Afghanistan-Erfahrung ziehe ich die Lehre, daß man sich nicht ohne weiteres in einen Konflikt hineinziehen lassen sollte, ohne zu wissen, was man dort eigentlich will und wie man wieder herauskommt. Gleichwohl gebe ich zu bedenken, daß bei der Nachbetrachtung eine gewisse Besserwisserei mitschwingt. Häufig ist es so, daß die Dynamik der Ereignisse rasches Handeln verlangt und man nicht einfach jahrelang Zeit hat, um Analysen zu fertigen, bevor man militärisch interveniert. Es gibt jedoch auch Unterschiede zu Afghanistan. Ich glaube, daß in Afghanistan der Faktor Pakistan ein großes Problem ist. Einen solchen Faktor gibt es in der Mali-Problematik nicht. Manche würden vielleicht auf die Rolle des nördlichen Nachbarlandes Algerien hinweisen, aber das ist auch nicht vergleichbar. Außerdem glaube ich, daß bislang die Unterstützung für die Islamisten in der malischen Bevölkerung lange nicht so groß ist wie in Afghanistan.

SB: Viele Experten sind überzeugt, daß die meisten islamistischen Gruppen in der Sahelzone vom algerischen Geheimdienst unterwandert sind. Inwieweit hat die Securitization Nordafrikas - Stichwort Bogen der Instabilität -, die in der Region seit 2002 von Algerien und den USA verfolgt wird, zur heutigen Lage beigetragen?

MB: Die These von der Securitization wird vor allem von Jeremy Keenan vertreten. Es gibt aber Auffassungen, die dem widersprechen. Ich bin nun kein Spezialist für Algerien und kann das schwer beurteilen. Dennoch ist allgemein bekannt, daß es im Verlauf des algerischen Bürgerkriegs zu manch merkwürdigen Verwicklungen gekommen ist. Ich glaube aber, daß man es sich zu einfach macht zu sagen, der algerische Geheimdienst und die CIA hätten ein Problem geschaffen, das es so vorher nicht gegeben habe. Aber eigentlich will ich da vorsichtig sein, denn ich weiß einfach nicht genug darüber. Meistens bleibt man Philosoph, wenn man die Klappe hält.

SB: Wie sollen Mali und die Sahelzone insgesamt stabilisiert werden, wenn in Folge der Entführungen und der Aufstandsbekämpfung die ganze Tourismusbranche in der Region am Boden liegt?

MB: Nun, ich habe natürlich keinen Masterplan für die Region. Richtig ist auf jeden Fall, daß es kein größeres Hindernis für Entwicklung als Unsicherheit und Gewalt gibt. Damit will ich nicht sagen, daß Sicherheit alles bedeutet, aber ohne Sicherheit geht gar nichts. Das heißt, daß man erst Sicherheit herstellen muß, um in der Folge Entwicklungsarbeit betreiben zu können. Es gibt oft diese Diskussion, was wichtiger ist, Sicherheit oder Entwicklung. Ich meine jedoch, daß beides zusammengehört. Auf lange Sicht ist Entwicklung die Antwort, aber man kann sie nicht erfolgreich fördern, solange keine sicheren Verhältnisse im jeweiligen Land herrschen. Gerade das lehrt uns Afghanistan. Wiederum ist bekannt, daß die Anwendung militärischer Gewalt eigene Probleme mit sich bringt und eine Gewaltspirale in Gang setzen kann, aus der schwer auszubrechen ist. Letzten Endes müssen wir als erstes Sicherheit und stabile politische Strukturen schaffen, welche die Grundlage für eine anhaltende Entwicklung bieten. Diese soll dann natürlich von ausländischer Seite unterstützt werden, und zwar nicht nur durch die üblichen Entwicklungshilfealmosen, sondern durch strukturelle Maßnahmen wie zum Beispiel die Aufhebung von Agrarsubventionen. Ich bin davon überzeugt, daß eine Reduzierung der landwirtschaftlichen Subventionen in der EU und den USA den Menschen in Afrika viel mehr als die Aufstockung der Entwicklungshilfe auf mehrere Milliarden Euro oder Dollar helfen würde.

Dr. Basedau am Stehpult beim GIGA-Forum - Foto: © 2013 by Schattenblick

Zur regionalen Dimension der Krise in Mali
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Hat nicht der Westen selbst die Chance zu einer Versöhnung zwischen Islamismus und Demokratie verspielt, als er den Sieg der Islamischen Heilsfront (Front islamique du salut - FIS) bei den algerischen Parlamentswahlen 1992 nicht anerkannte?

MB: Das ist zunächst einmal eine hypothetische Frage. Wir wissen es nicht; es kann natürlich sein. Auf der anderen Seite hat man in anderen Ländern erlebt, wie die demokratischen Wahlsiege islamistischer Kräfte oft zu politischen Einbahnstraßen geführt haben. Islamisten nutzen systematisch die demokratischen Strukturen, um an die Macht zu gelangen; aber sobald sie dieses Ziel erreicht haben, etablieren sie autoritäre Strukturen. Ob das mit der FIS in Algerien anders verlaufen wäre? Es kann natürlich sein. Wir müssen erst einmal schauen, wie sich jetzt die Muslimbrüder in Ägypten und Tunesien, wo sie seit 2011 in der Regierung sitzen, verhalten. Gleichwohl darf man sich der Erkenntnis nicht verschließen, daß es innerhalb des Islamismus eine ganze Bandbreite von Strömungen, von salafistisch-fundamentalistischen bis demokratisch-säkularen, gibt. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

SB: Was sagen Sie zu der in der vorangegangenen Frage innewohnenden These, wonach der Verzicht auf die zweite Runde der Wahlen damals in Algerien zu einer Radikalisierung im islamistischen Milieu insgesamt geführt hat, die man bis heute nicht zurückdrehen konnte?

MB: Ich halte die These nicht für ganz abwegig. Allerdings sehe ich in diesem Zusammenhang nicht unbedingt den Westen als Hauptakteur. Ganz eindeutig war der Abbruch der Parlamentswahlen 1992 der Auslöser dafür, daß die politische Auseinandersetzung gewaltsam ausgetragen wurde. Frankreich und die anderen Westmächte haben damals die umstrittene Entscheidung der algerischen Regierung unterstützt. Daß das keine kluge Aktion war, steht außer Frage. Aber ob diese Aktion so weittragend ist, kann ich nicht beurteilen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es auch Faktoren gibt, derentwegen die militanteren Zweige des Islamismus ohnehin mit dem Westen in Konflikt geraten wären. Nichtsdestotrotz glaube ich, daß es besser gewesen wäre, hätte der Westen einen Modus vivendi mit moderaten Islamisten gefunden. Meines Erachtens ist das die wichtigste Lehre aus der ganzen Katastrophe.

SB: Wie soll der Islamismus in seiner radikalsten, salafistischen Form erfolgreich bekämpft werden, solange er von Saudi-Arabien finanziell und ideologisch gefördert wird?

MB: Das ist eine sehr schwierige Frage. Die Kontamination des eigentlich moderaten afrikanischen Islam geschieht vor allen Dingen durch Kräfte, die von Saudi-Arabien, Katar und den anderen arabischen Staaten am Persischen Golf unterstützt werden. Da sieht man, wie problematisch es ist, aus anderen geopolitischen Gründen mit solchen Staaten wie Saudi-Arabien zu paktieren. Auf der einen Seite muß man alles unternehmen, um den direkten wahabitischen oder salafistischen Einfluß in Nordafrika zu bekämpfen. Auf der anderen Seite muß man versuchen, die Menschen in diesen Ländern gegen die Parolen solcher Kräfte zu immunisieren. Meiner Meinung nach geht das am besten mit Entwicklung; denn wem es wirtschaftlich und sozial gutgeht, der braucht keine radikale Ideologie.

SB: Man könnte den Eindruck bekommen, daß es der deutschen Regierung wichtiger ist, 200 Leopard-Panzer an Saud-Arabien zu verkaufen, als bei den Machthabern in Riad wegen ihres Exports des gewaltbereiten Sunnitentums vorstellig zu werden.

MB: Dazu äußere ich mich nicht.

SB: Der Konflikt in Mali um die Tuareg ähnelt dem in Darfur zwischen Hirten und Ackerbauern. Wie könnte man hier zu einer Entspannung, zu einem Modus vivendi zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen oder Lebensarten kommen?

MB: Ich glaube nicht, daß es für beide Fälle eine einheitliche Lösung gibt. In der Politikwissenschaft hat man sich viele Ideen und Lösungsansätze ausgedacht. Man braucht auf jeden Fall systematische Regelungen, wie diese verschiedenen Bevölkerungsgruppen miteinander zusammenleben können. Das ist unerläßlich. Der erste Schritt dazu wäre, daß man sich an einen Tisch setzt und überlegt, welche Probleme und Forderungen vorliegen. Um zu einem friedlichen Zusammenleben zu kommen, ist es wichtig, daß man sich zunächst zusammensetzt und miteinander spricht.

SB: Die internationale Gemeinschaft hat der Abspaltung des Südsudans vom Staate Sudan zugestimmt. Warum sollten die Tuareg keinen Staat Azawad bekommen?

MB: Es stellt sich hier folgende Frage: Wenn man einer Gruppe die Sezession zugesteht, warum dann nicht auch den anderen Ethnien? Im Fall von Azawad ist die Unabhängigkeit deshalb problematisch, weil die Tuareg im Norden Malis lediglich ein Drittel der Bevölkerung stellen und die anderen dort lebenden Völker weiterhin zu Mali gehören wollen. Grundsätzlich meine ich, daß das Selbstbestimmungsrecht der Völker universell ist, nur liegt der Teufel im Detail.

SB: Die westlichen Mächte verfolgen in Mali, Niger und anderen Ländern Westafrikas strategische und wirtschaftliche Interessen. Macht sie das als Vermittler oder Friedensbringer nicht unglaubwürdig?

MB: Das ist ein Riesenproblem, ganz klar. Es gibt die These, wonach ausländische Vermittler oder Friedensbringer absolute Neutralität wahren und keine eigenen Interessen verfolgen sollen. Das Dumme ist nur, daß sich die Kräfte oder Staaten, die keine Eigeninteressen haben, in der Regel auch nicht engagieren. Aber wie ich vorhin schon sagte, sind meines Erachtens die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs in Mali zum Beispiel an Rohstoffen nicht so stark ausgeprägt. In Niger mit seinen reichhaltigen Uranvorkommen sind die Dinge natürlich etwas anders gelagert.

SB: Dr. Basedau, vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Basedau in seinem Büro - Foto: © 2013 by Schattenblick

Auf lange Sicht ist Entwicklung die Antwort
Foto: © 2013 by Schattenblick

28. März 2013