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INTERVIEW/240: NYC Climate Convergence - Nur zu schaffen ohne Waffen ...    Tamara Lorincz im Gespräch (SB)


Klimawandel ist nur mit Entmilitarisierung zu bewältigen

Interview mit Tamara Lorincz am 22. September 2014 in New York



Tamara Lorincz kommt aus Nova Scotia und arbeitet als leitende Wissenschaftlerin beim International Peace Bureau (IPB). Als Rotary International Peace Fellow macht sie gerade ein Magisterstudium auf dem Feld der internationalen Sicherheitspolitik an der Universität Bradford in England. Die zweifache Mutter sitzt im Vorstand der Organisation Canadian Voice of Women for Peace und gehört dem internationalen Beirat des Global Network Against Weapons and Nuclear Power in Space an. Bereits 2003 hat sie einen kombinierten Magisterstudiengang in Betriebswirtschaftslehre und Umweltrecht abgeschlossen.

Auf der Tagung NYC Climate Convergence hat Lorincz das Arbeitspapier "Demilitarization for Deep Decarbonization" [1] vorgestellt. Darin fordert sie ein Ende des Militarismus und zeigt auf, wie man zur Bewältigung des Klimawandels mit den eingesparten Milliarden aus den diversen Wehretats das Green Climate Fund der Vereinten Nationen eine CO2-niedrige Ökonomie schaffen könnte. Am 22. September hat Lorincz vor der Morgan Library & Museum in New York eine Protestaktion gegen die Teilnahme des Rüstungkonzerns Lockheed Martin an der Auftaktkonferenz der von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon organisierten "Klimawoche" durchgeführt. Bei diesem Anlaß hat der Schattenblick mit der streitbaren Kanadierin folgendes Interview geführt.

Tamara Lorincz im Porträt - Foto: © 2014 by Schattenblick

Tamara Lorincz auf der Konferenz NYC Climate Convergence
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Lorincz, könnten Sie uns das Motiv für Ihre Aktion erklären?

Tamara Lorincz: Ich stehe hier heute vor der Morgan Library & Museum, um gegen die Eröffnungsveranstaltung der NYC-Klimawoche zu protestieren. Diese Veranstaltung, an der unter anderem der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, die UN-Sonderbeauftragte für den Klimawandel, Mary Robinson, und Christina Figueres, die Exekutivsekretärin der Klimakonvention der Vereinten Nationen, teilnehmen, wird von Lockheed Martin, dem größten Rüstungskonzern der Welt, gesponsort. Die Produkte jener Firma, wie zum Beispiel der neue milliardenteure Kampfjet F-35, töten Menschen und zerstören die globale Umwelt. Das Militär hat beim Streben nach einer Lösung des Problems des Klimawandels nicht das geringste zu suchen. Schließlich ist das US-Militär der größte Umweltsünder schlechthin und seine Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe stellen die stärkste Quelle von Treibhausgasen dar. Darum mußte ich meine Stimme gegen die überaus prominente Beteiligung von Lockheed Martin an dieser Konferenz erheben.

SB: Könnten Sie uns näher erläutern, wie Lockheed Martin zum Klimawandel und zur Umweltzerstörung beiträgt?

TL: Lockheed Martin baut Waffensysteme für die Marine, Kampfjets, Marschflugkörper und Atomwaffen. Bei der Herstellung und dem Betrieb solcher Waffensysteme kommen Erdölerzeugnisse sehr stark zum Einsatz. Gerade die Treibstoffe für die Tarnkappenflugzeuge sind höchst toxisch und stellen eine schwere Belastung für die Atmosphäre dar. Wir dürfen es nicht zulassen, daß die Militärs die verbliebenen Ressourcen, die unsere Gesellschaften für die Energiewende und andere Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels dringend benötigen, aufbrauchen. Es gibt keine militärische Lösung für den Klimawandel. Das Militär und der Militarismus sind das Problem.

SB: Sie werfen Lockheed Martin in seiner Rolle als Sponsor der NYC Klimawoche "greenwashing" vor. Wie versucht der Waffenfabrikant, seinen geschäftlichen Aktivitäten einen "grünen" oder umweltfreundlichen Anstrich zu verleihen?

TL: Lockheed Martin hat begonnen, einige seiner Waffensysteme energieeffizienter zu machen. Daneben hat es 16 Millionen Dollar in eine Nachhaltigkeitsinitiative namens "Go Green 2020" investiert, mittels derer es seinen CO2-Ausstoß bzw. Energie- und Wasserverbrauch bis zum Ende des Jahrzehnts betriebsintern verringern will. Doch für eine Firma mit einem Jahresumsatz um die 40 Milliarden Dollar, die 2013 einen Gewinn um rund vier Milliarden Dollar erzielt hat und dessen Vorstandsvorsitzender ein Jahresgehalt von rund 20 Millionen Dollar bezieht, sind Sonderausgaben in Höhe von 16 Millionen Dollar über sechs oder sieben Jahre gestreckt nichts als Peanuts.

Dessen ungeachtet hat die Umweltbehörde der USA Lockheed Martin wegen seiner Go-Green-2020-Initiative mit ihrem Climate Leadership Award 2013 ausgezeichnet. Wenn das allen Ernstes ein Beispiel für "Führung" in der Klimaproblematik sein soll, dann gute Nacht. Die Klüngelei zwischen der Enviromental Protection Agency (EPA) in Washington und Lockheed Martin ist eine absolute Schande. Die Firma will angeblich ihre CO2-Emissionen dem in Großbritannien ansässigen Carbon Disclosure Project (CDP) offenlegen. Lockheed Martin versucht sich als umweltbewußtes Unternehmen zu präsentieren, doch haben seine Produkte wesentlichen Anteil am Leid und an der Zerstörung, die wir seit Jahrzehnten in Afghanistan und im Nahen Osten beobachten.

Tamara Lorincz mit Protesttafel vor dem Eingang der Pierpont Morgan Library - Foto: © 2014 by Schattenblick

Stoppt die Kriege - Stoppt die Erwärmung
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, die Demilitarisierung sei eine Voraussetzung für den Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel?

TL: Um die Wirtschaft und die Energiesysteme weltweit zu entkarbonisieren und unter einem globalen Temperaturanstieg von zwei Grad Celsius zu bleiben sowie den Klimawandel halbwegs zu stabilisieren, müssen wir den Ausstoß an Klimagasen drastisch reduzieren. Doch die Institution, welche die meisten fossilen Energieträger verbraucht und damit weltweit das meiste CO2 und andere klimaschädliche Gase produziert, ist das US-Verteidigungsministerium.

SB: Unter Militärfachleuten ist die Erkenntnis des gigantischen Problems und der Herausforderung durch den Klimawandel für die Weltgemeinschaft inzwischen unumstritten. Gleichwohl gibt es noch eine Debatte zwischen denjenigen Experten, die eine militärische Herangehensweise für sinnlos halten, und denjenigen, die gerade darin die einzige Option sehen. Besonders in den USA, die über den mit Abstand umfassendsten Militärapparat weltweit verfügen, scheint letztere Fraktion die Meinungsführerschaft innezuhaben. Wie könnten Umweltschützer und Friedensaktivisten jene Debatte dahingehend beeinflussen, damit sich diejenigen, die eine militärische Antwort auf den Klimawandel als zum Scheitern verurteilt ansehen, durchsetzen?

TL: Ein Zusammenkommen der Umwelt- und Friedensbewegungen, damit wir den Klimawandel stabilisieren und den Planeten retten können, ist dringend geboten. Wir dürfen es nicht zulassen, daß die Kriegsfalken unter den Militärexperten die Klimadebatte in ihrem Sinne dominieren. Das US-Militär will die Debatte um den Klimawandel kapern, um seine Vorstellungen von Sicherheit durchsetzen und Verständnis für seine Militäroperationen erzeugen zu können. Bereits jetzt prognostiziert das Pentagon infolge des Klimawandels politische Instabilität und Flüchtlingsströme. Das US-Militär nutzt die Klimakrise, um die eigene Existenz jetzt und für die Zukunft zu rechtfertigen. Tatsache ist, daß sich die Menschheit, wenn ihr das eigene Überleben sowie das der restlichen Tier- und Pflanzenwelt am Herzen liegt, den Militarismus nicht mehr leisten kann. Das Militär braucht nicht nur überproportional lebenswichtige Ressourcen auf, sondern tötet darüber hinaus Menschen und vergiftet die Umwelt. Das dürfen wir nicht mehr hinnehmen.

SB-Redakteur und Tamara Lorincz stehend im Gespräch - Foto: © 2014 by Schattenblick

Spontan-Interview an der Madison Avenue
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Glauben Sie, daß der People's Climate March und die damit einhergehenden Veranstaltungen am Rande der UN-Generalversammlung zu einem erfolgreichen Abschluß eines wirksamen Klimaabkommens bei den geplanten Beratungen im November 2015 in Paris - COP21 - beitragen werden oder sind sie bereits durch die Teilnahme der Großkonzerne hoffnungslos kompromittiert?

TL: Der gestrige People's Climate March war ein gelungenes Beispiel für die Zusammenarbeit diversester Basisgruppen. Da marschierten die Friedens- und Umweltschutzbewegungen sozusagen Hand in Hand. Die Umweltschützer haben inzwischen erkannt, daß das Pentagon viel zu viele fossile Brennstoffe verbrennt und wesentlichen Anteil an der Klimakrise hat. Bis zur COP21 müssen die Umweltverbände, die Friedensgruppen, die Gewerkschaften und die religiösen Gemeinden den Druck auf die Politik aufrechterhalten.

Unsere Bemühungen werden auch nach der COP21 weitergehen müssen, denn viele Beobachter sagen voraus, daß die US-Regierung, deren Verhandlungsposition von den Großkonzernen vorgegeben wird, in Paris dafür sorgen wird, daß es zu keinem, für alle Staaten verbindlichen Abkommen kommt. Denn gegenseitige Verpflichtungen über eine nennenswerte Verringerung des Verbrauchs von Öl und Gas und damit des CO2-Ausstoßes hätten eine einschränkende Wirkung auf das US-Militär und seine Aktivitäten. Dies zu akzeptieren ist Washington nicht bereit, und auch das Pentagon will seine Handlungsoptionen behalten. Die Militärapparate Kanadas, Großbritanniens und der übrigen NATO-Staaten sehen die Dinge ähnlich. Die NATO-Staaten verfolgen alle das gleiche Interesse; sie wollen den Klimawandel zu einer Sache der Sicherheits- und Verteidigungspolitik machen, um das eigene Dasein weiterhin zu rechtfertigen. Dem müssen wir uns entgegenstellen.

SB: Könnten sich Rüstungshersteller wie Lockheed Martin im Kampf gegen den Klimawandel nützlich machen, wenn sie auf zivile Produkte im Bereich der erneuerbaren Energien und ähnliches umstellten?

TL: Am liebsten würde ich alle Waffenfabriken schließen. Dennoch wäre es wohl sinnvoll, wenn diese Produktionsstätte erhalten blieben und man dort neue Technologien entwickeln, herstellen und verkaufen würde. Mir schweben neue Produkte für die Gewinnung regenerativer Energien, für das Nachrüsten von Wohnhäusern mit wärmedämmender Technik, für den massiven Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs u. v. m. vor. Wir brauchen dringend Firmen, die auf eine grüne, nachhaltige Wirtschaftsweise hinarbeiten. Wir können es uns nicht mehr leisten, unsere immer knapper werdenden Ressourcen Unternehmen zu überlassen, die wie die Rüstungskonzerne lediglich Zerstörung an Mensch und Umwelt anrichten. Wenn wir es ernst meinen mit der Lösung der Klimakrise, dürfen wir eine Beteiligung der Waffenhersteller niemals erlauben.

SB: Stimmen Sie der These von Vordenkern wie Naomi Klein zu, daß man, um die Welt vor den schlimmsten Folgen des Klimawandels zu retten, den Kapitalismus abschaffen muß, statt ihn nur zu reformieren?

TL: Absolut. Unser aggressives kapitalistisches System mit seinem Konsumwahn kann nur durch militärische Mittel aufrechterhalten und durchgesetzt werden. Die Gesellschaften in den westlichen Industriestaaten sind hochgradig militarisiert und langfristig nicht haltbar. Denn sie töten Menschen und töten den Planeten. Wir brauchen eine neue Gesellschaftsordnung, die friedlich, gerecht und nachhaltig ist. Das kann der Kapitalismus niemals sein. Wir müssen das System, das Rücksicht auf Mensch und Umwelt nimmt, erst noch erschaffen.

Ich möchte etwas hinzufügen. Sollen die von den Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft vorgeschlagenen Maßnahmen der Klimaanpassung und des Klimaschutzes greifen, dann muß man im großen Stil einen Prozeß der globalen Abrüstung einleiten. Die Herausforderungen des Klimawandels werden wir nur mit einer Reduzierung des Ausstoßes an Treibhausgasen und einem Ende des Militarismus bestehen können.

SB: Tamara Lorincz, vielen Dank für das Gespräch.

Teilnehmer des People's Climate March an der New Yorker 42nd Street - Foto: © 2014 by Schattenblick

Marschieren für eine bessere Welt
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnote:

[1] Tamara Lorincz, "Demilitarization for Deep Decarbonization - Reducing Militarism and Military Expenditures to Invest in the UN Green Fund and to Create Low-Carbon Economies and Resilient Communities", International Peace Bureau, 23. September 2014,
http://www.worldbeyondwar.org/wp-content/uploads/2014/09/Green_Booklet_working_paper_17.09.2014.pdf


Bisherige Beiträge zum New Yorker Klimagipfel im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/185: NYC Climate Convergence - Treffen der Streitbaren ... (SB)
BERICHT/186: NYC Climate Convergence - Umwelt- und Sozialfragen eine Fracht ... (SB)
BERICHT/187: NYC Climate Convergence - Taktisch ermüdet... (SB)

15. Oktober 2014