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INTERVIEW/281: Am Beispiel Baskenland - Baskenparadigmenwechsel ...    Walter Wendelin im Gespräch (SB)


Das Urteil ist wahrscheinlich schon geschrieben

Informationsveranstaltung mit Walter Wendelin von der baskischen Organisation Askapena im Centro Sociale in Hamburg am 9. Oktober 2015


W. Wendelin in Großaufnahme - Foto: © 2015 by Schattenblick

Walter Wendelin
Foto: © 2015 by Schattenblick

Am 19. Oktober wird in Spanien ein weiteres Kapitel in der langen Geschichte, einen fundamentalen politischen Konflikt mit den Mitteln der Strafjustiz nicht lösen, sondern aus der Welt schaffen zu wollen, aufgeschlagen. In dem Verfahren an dem für seine politisch motivierte Strafpraxis berüchtigten Sondergerichtshof in Madrid, der Audiencia Nacional, wird es um das Verbot der baskischen politischen Organisation Askapena sowie die Kriminalisierung von fünf ihrer Mitglieder gehen.

Nichts anderes als ihre politische Arbeit, von der die Ankläger behaupten, sie sei von der in Spanien wie auch der EU als terroristisch eingestuften ETA gesteuert worden, wird den Angeklagten, die sich als Internationalisten verstehen, zum Vorwurf gemacht. Nach der Beendigung des bewaffneten Kampfes durch ETA im Jahre 2011 und eine von der baskischen Unabhängigkeitsbewegung insgesamt getragenen Initative zur Einleitung eines Friedensprozesses unter Vermittlung international anerkannter Persönlichkeiten wie Desmond Tutu, Frederick De Klerk und anderen wirft dieses Vorgehen der spanischen Justiz Fragen auf.

Mit Walter Wendelin, einem der Betroffenen, ist ein Zeuge dieser Auseinandersetzung zwischen dem spanischen Staat und der baskischen Linken zu einer Rundreise nach Deutschland gekommen, um über den bevorstehenden Prozeß, die politische Arbeit Askapenas und ganz generell die Situation im Baskenland zu berichten.

In Hamburg hielt er am 9. Oktober einen Vortrag im Centro Social. Diese Gelegenheit konnte der Schattenblick zu einem Gespräch mit Walter Wendelin nutzen.

Schattenblick (SB): Sie sind gebürtiger Schweizer und haben die Zeit der Studentenbewegung oder zumindest ihrer Ausläufer sicherlich noch selbst miterlebt. Wann und wie ist es zu Ihrem politischen Engagement im Baskenland gekommen?

Walter Wendelin (WW): Ich habe als Student einmal im Baskenland Arbeit gesucht mit Freunden von der Universität. So bin ich da gelandet und dann auch geblieben.

SB: Wann war das?

WW: 1985.

SB: Internationalismus ist ein Begriff, der seinerzeit in der westeuropäischen Linken eine ganz bestimmte Bedeutung hatte. Heute ist viel von Globalisierung die Rede oder auch, mit Blick auf die sozioökologischen Folgen der Klimakatastrophe, von der "Einen Welt". Wie würden Sie da, um Mißverständnissen vorzubeugen, Internationalismus definieren?

WW: Internationalismus ist ein gemeinsamer Kampf gegen einen gemeinsamen Feind. Wir reden normalerweise von einem solidarischen Internationalismus oder internationalistischer Solidarität. Das heißt, mit anderen in der gleichen Sache zusammenzuarbeiten, wobei wir Abstand nehmen vom Samaritarismus, sozusagen der christlichen Caritas. Solidarität ist für uns ein anderes, nicht ein karitatives Prinzip. Mit karitativen Hilfeleistungen kann man nur individuell die Probleme einiger weniger Menschen lösen. Das Problem ist aber wesentlich globaler, es besteht in dem ganzen System, wie es zur Zeit läuft. Selbst wenn wir alle Leute zusammenbekämen, die potentiell solidarisch in karitativen Sinne wären, würden wir kaum einen kleinen Teil der Probleme bewältigen können. Auf diese Weise kommen wir nicht zu Lösungen, sondern nur über den Internationalismus bzw. die internationalistische Solidarität.

SB: Vielen Menschen ist der Konflikt, der zwischen der baskischen Bevölkerung und dem spanischen Staat seit langer Zeit besteht, nicht vertraut. Auf die Verhältnisse hierzulande bezogen ist die Forderung nach Unabhängigkeit beziehungsweise Autonomie schwer zu übersetzen. Wie würden Sie das Interessierten hier in Deutschland erklären?

WW: Auf der einen Seite kann man sagen, daß wir damit einverstanden sind, daß Staatsgrenzen, sogar die Einrichtung des Staates, überwunden werden müssen. In dieser Hinsicht sind wir nicht für den Staat und seine Grenzen. Aber ihre Abschaffung muß bei den großen und mächtigen Staaten anfangen, nicht bei den kleinen. Die können nämlich nicht überleben, ohne Staat zu sein, weil die großen und die mächtigen Staaten in einem kapitalistischen System wie diesem natürlich auch imperialistisch sind oder - im Falle Spaniens - subimperialistisch. Das bedeutet, daß die kleineren zwar von den großen imperialistischen Staaten abhängig sind - sei es jetzt Europa, Deutschland oder die Vereinigten Staaten -, sich aber gegenüber den Nationen, die innerhalb des spanischen Staates leben, ebenfalls imperialistisch verhalten. Das betrifft Katalonien, das Baskenland, Galicien, Andalusien und andere Regionen. Wir nennen Spanien ein "cárcel de pueblos", also ein Bürgergefängnis.

SB: Wenn die EU grundsätzlich kritisiert wird, wird schnell gesagt, diese Kritik sei nationalistisch oder rückständig. Ein solches Nationalismus-Verständnis wird manchmal auch gegen Unabhängigkeitsbewegungen in Stellung gebracht, die dann irgendwie als rechts gelten. Mein Eindruck ist jetzt, daß die abertzale baskische Linke den scheinbaren Widerspruch dialektisch aufgelöst hat und sich gleichermaßen für sozialistische Ziele und die Unabhängigkeit einer Nation einsetzt. Wie sehen Sie das?

WW: Das ist eines der Grundprinzipien und strategischen Ziele, Internationalismus und Sozialismus zu verbinden. Der Vorwurf, daß wir Nationalisten sind, kommt zum großen Teil von Spanien. Seit 35, 40 Jahren gibt es jetzt die Manipulation der Bürger Spaniens durch die spanischen Medien, die immer behaupten: Die Nationalisten sind die anderen. Katalanen und Basken sind Nationalisten, während die Spanier den Nationalismus anscheinend überwunden haben. Wenn man ein bißchen genauer hinsieht, dann merkt man, daß die wirklichen Nationalisten - und zwar im schlechtesten, im rechtesten Sinne - die spanischen Institutionen sind.

In Spanien sind die Regierung, die Oligarchie, die Finanzwelt, die Kirche und die Justiz wirklich nationalistisch und nicht nur das, sondern rechts-nationalistisch. Die PP ist extrem rechts, das dürfen wir nicht vergessen, auch wenn sie so tut, als ob sie christdemokratisch sei. Dieser Nationalismus Spaniens, den der Staat selber verneint, ist im Grunde genommen derjenige, der wirklich Grenzen zieht, und zwar gewalttätige innere Grenzen, indem nämlich Basken, Katalanen und andere dazu gezwungen werden, Spanier zu sein, auch wenn sie es nicht sind. Spanier zu sein bedeutet insofern, rechts und chauvinistisch zu sein und ein zentralistisches System zu bejahen. Dieses System ist heute absolut korrupt. Das ist ganz klar, das braucht man nicht einmal mehr zu beschreiben.

SB: In Strafprozessen hier in Deutschland ist es eigentlich so, daß die Staatsanwaltschaft am Ende der Beweisaufnahme, in der geklärt werden soll, ob die Vorwürfe zutreffend sind oder nicht, ihren Strafantrag stellt. In Ihrem Fall ist das schon vorab geschehen. Ist das in Spanien normal oder eine Besonderheit dieses Gerichtshofes, der Audiencia Nacional?

WW: Das ist eine Besonderheit dieses Gerichts. Ganz kurz gesagt ist die Audiencia National eine Institution, die noch aus der Franco-Zeit stammt und praktisch noch immer die gleiche Funktionsweise hat. Da geht es weder um Wahrheit noch um Gerechtigkeit, sondern ganz eindeutig um Staatsräson auf der einen und die Verteidigung politischer Interessen auf der anderen Seite. Aber eigentlich dreht es sich um die Interessen der beiden Hauptparteien, also die sogenannten Sozialisten und die sogenannte Populäre Partei, also um rechts und nicht ganz so rechts. Diese Parteien haben so ihre Streitigkeiten. Sie wetteifern darin, kriegerisch gegen die Basken vorzugehen, weil es dann in Spanien leider immer noch - trotz Podemos - mehr Wählerstimmen gibt. Je stärker man sich gegen das Selbstbestimmungsrecht ausspricht, desto einfacher ist es, Stimmen zu bekommen. Umgekehrt ist es in Spanien so, daß man, wenn man sich nicht dagegen stellt, keine Möglichkeit mehr hat, gewählt zu werden.

SB: Die Repression in Spanien weist in dem Konflikt mit der baskischen Unabhängigkeitsbewegung eine sehr lange Tradition auf. Askapena besteht seit 30 Jahren und ist nun akut von einem Verbot bedroht. Woran liegt es Ihrer Einschätzung nach, daß es nach einer so langen Zeit der politischen Arbeit jetzt zu einer solchen Zuspitzung gekommen ist?

WW: Die Ermittlungen wurden 1995 eingeleitet, nachdem Askapena offiziell Anzeige erstattet hatte. Mehrere unserer Brigadisten bekamen, nachdem sie in Kolumbien mit Gewerkschaften und sozialen Menschenrechtsorganisationen zusammengearbeitet hatten, nach ihrer Rückkehr Todesdrohungen von den Aguilas Negras, den Schwarzen Adlern. Das ist eine paramilitärische Gruppe, die in Kolumbien sehr, sehr aktiv ist.

SB: Das geschah alles 1995?

WW: Ja. Wir haben die Todesdrohungen zur Anzeige gebracht, weil wir gemeint haben, daß das eine sehr gefährliche und ernste Sache sei. Der damalige Star-Richter Baltazar Garzón hat aber entschieden, daß eine Untersuchung gegen Askapena wichtiger sei als die Todesdrohungen gegen unsere Brigadisten. Und seitdem wurde gegen uns ermittelt. Wir haben das natürlich erst viel später erfahren, als wir festgenommen worden sind und die Polizei unseren RechtsanwältInnen Informationen übergeben mußte. In den ersten fünf Jahren dieser Untersuchung haben sie versucht zu beweisen, daß wir Beziehungen zu den kolumbianischen Guerillaorganisationen haben, also zu FARC und ELN, und mit ihnen zusammenarbeiten.

Als das nicht klappte, haben sie die Ermittlungen nicht eingestellt und gesagt: Gut, da war nichts, wir haben fünf Jahre lang vergeblich gearbeitet. Sie haben einfach weiter ermittelt und ein polizeilich-juristisches Konstrukt aufgebaut, mit dem sie beweisen wollten, daß wir ein Teil der baskischen bewaffneten Organisation ETA sind. Man hat uns über die Medien kriminalisiert. Man hat uns "Botschafter der ETA" genannt, "Funktionäre der ETA", "internationaler ETA-Apparat" und so weiter. Die Polizei hat dann weitere zehn Jahre lang gegen uns ermittelt. Wir wurden beschattet. Manchmal haben wir es gemerkt, manchmal nicht. Alle unsere Telefone wurden abgehört, unsere Versammlungen standen immer irgendwie unter Überwachung und so weiter. Das ist natürlich eine Menge Geld, die der spanische Staat in diese Untersuchungen investiert hat. Da kann er es sich nicht leisten zuzugestehen, daß er sich geirrt hat.

Somit mußte er dieses juristische Konstrukt aufbauen. Dieser Ausdruck stammt nicht von uns, sondern von dem vorherigen Innenminister, der ganz klar gesagt hat: Wir bauen juristische Konstrukte auf, damit die baskischen Gefangenen nicht raus können, sondern noch mehr Jahre drinnen bleiben müssen, und damit wir die Leute einkerkern können, wo es nur geht. Dieses juristische Konstrukt bezieht sich auf nichts anderes als die politische Arbeit, die wir gemacht haben: Brigaden zu organisieren und einen gerechten Handel - Fair Trade, an Kongressen und internationalen Seminaren wie dem Weltsozialforum teilzunehmen, mit internationalen Organisationen wie den Solidaritätskomitees für das Baskenland Euskal Herriaren Lagunak zusammenzuarbeiten, Solidaritätskampagnen für verschiedene Regionen zu organisieren, sei es in Palästina, in Venezuela, für die Mapuche-Indianer, die Sahara oder für den Boykott gegen Coca Cola als Solidaritätsarbeit mit den kolumbianischen Gewerkschaften.


W. Wendelin im Halbporträt - Foto: © 2015 by Schattenblick

Internationale Solidarität ein Verbrechen?
Foto: © 2015 by Schattenblick

Das alles hat der spanische Staat überwacht. Er meint, das sei ein Verbrechen. In all dieser Arbeit war natürlich eine Bloßstellung des spanischen Staates immer mit inbegriffen. Spanien hat ja in all diesen Ländern seit mehr als 500 Jahren Verbrechen begangen, angefangen mit dem Genozid in Amerika bis dahin, daß heute den Mexikanern das Wasser weggenommen wird. Im Grunde genommen versucht der spanische Staat mit diesem Raub, die ökonomischen Probleme mehr oder weniger stabil zu halten. Das heißt, die Krise wäre noch wesentlich schlimmer, wenn er das nicht täte.

Wir machen das öffentlich, und das stört sie natürlich, das ist ihnen sehr unangenehm. Genauso erzählen wir den Leuten, was er als Gefängnis seiner eigenen Leute, Kulturen und Nationen alles macht. Und wir sprechen natürlich über die Folter. Über 5000 Folterungen wurden seit der "transición democrática española", also der sogenannten Übergangszeit Spaniens in die Demokratie, dokumentiert.

SB: Das war nach Franco?

WW: Ja. Seit dieser Übergangszeit gibt es an die 5000 Anklagen wegen Folterungen von Menschen, die von der Polizei gefangengenommen worden sind. Und es gibt genügend internationale Institutionen, die den spanischen Staat klar angeklagt haben, weil er diese Folterungen juristisch nicht untersucht. Das ist eine Tatsache, nicht etwa nur eine Meinung. Es stört Spanien natürlich sehr, daß wir das alles öffentlich machen.

SB: Die ETA hat 2011 den bewaffneten Kampf für beendet erklärt und unterstützt die Initiative der baskischen Linken für einen Friedens- und Konfliktlösungsprozeß nach dem Vorbild Irlands oder auch Südafrikas. Halten Sie es für vorstellbar, daß diese Entwicklung, die auf eine friedliche und politische Lösung des Konfliktes hoffen lassen könnte, im spanischen Staatsapparat gar nicht so gern gesehen wird?

WW: Ich würde das sogar noch krasser ausdrücken. Der spanische Staat ist daran interessiert, daß die Zeit des bewaffneten Konfliktes erneut auftritt, weil er angesichts der heutigen Bedingungen in diesem Feld wesentlich bequemer arbeiten kann. Er hat dann wesentlich weniger Probleme. Dabei ist ihm der ethische Aspekt absolut egal, da ist er skrupellos. Er versucht alles nur mögliche, um diese alte Zeit wieder aufleben zu lassen. Das heißt, der erste Interessierte daran, daß aus der Friedensinitiative nichts wird, ist der spanische Staat. Man hat das gesehen.

Die bewaffnete Organisation will seit langer Zeit, mehr als einem Jahr, die Waffen abgeben und zwar nach internationalen Normen, damit das auch richtig gemacht wird. Das internationale Begleitungskomitee ist damit einverstanden mit, wie das gemacht werden soll, und hat auch schon einige Schritte getan, aber die spanische Regierung weigert sich, ihren Teil zu tun. Und sie sagt solche absoluten Dummheiten, die sie natürlich selbst nicht glaubt, daß die Organisation einfach ihre Waffen holen und in der nächsten Polizeistation abgeben soll. Das ist eine Dummheit, mit der sie halt weiterhin Propaganda macht. Sie hofft also, daß das absolut nicht funktioniert.

Dazu ist noch zu sagen, daß, als dieser Schritt vorbereitet wurde von einer Gruppe baskischer Militanter und unter anderen auch von Arnaldo Otegi und in einer Strategie konkretisiert werden sollte, diese Gruppe einfach festgenommen wurde. Das heißt, daß jeder, der dafür arbeitet, daß es zu einem zukünftigen Friedensprozeß kommt, von der spanischen Polizei festgenommen wird mit der Begründung, daß es ja die Terroristen sind, die den Frieden wollen. Den zweiten Teil sagt er natürlich nicht, aber so ist die Argumentation. Weder die Sozialisten, also die PSOE, noch die PP haben den geringsten Willen zu diesem Prozeß. Das heißt, er muß ihnen aufgedrängt werden, und das ist nicht leicht, wenn man ein kleines Land ist, keinen Staatsapparat hat und nur wenige Leute.

SB: Die Erklärung der abertzalen Linken von 2010 für eine neue Friedensinitiative wurde von international bekannten Persönlichkeiten wie Desmond Tutu, Frederick De Klerk und anderen unterstützt. Hat es über diesen Kreis hinaus in den zurückliegenden Jahren Reaktionen von offizieller Seite gegeben, auch international?

WW: Ja, sicher, da hat es einige gegeben. Was dann passiert, ist folgendes: Sie werden von der spanischen Regierung lächerlich gemacht. Die sagt einfach, das seien ignorante Leute, die nicht wissen, was in Spanien passiert. Es gibt einige Initiativen, die von dieser Zusammenkunft internationaler Persönlichkeiten [2] ausgehen und mit ihr zusammenarbeiten. Dazu kommen noch all die Organisationen und Initiativen, die sich vor allem mit den Rechtsbrüchen, die Spanien gegen das internationale oder das europäische Recht begangen hat, befassen. Dazu gibt die spanische Regierung nach kurzer Zeit immer wieder dieselben Antworten. Normalerweise reagiert sie absolut negativ auf alles, was die internationalen Institutionen ihr vorschlagen.

Und nur in ganz seltenen Fällen, wenn es am Ende zu Drohungen kommt durch diese Institutionen, reagiert sie. Das war zum Beispiel so, als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden hat, daß es illegal ist, die Haftzeit von Gefangenen von einem Tag auf den anderen anders zu bemessen. Da wird das ursprüngliche Urteil im Gefängnis automatisch und beliebig verlängert.

SB: Das heißt, die Menschen sind dann viel länger inhaftiert, als im ursprünglichen Urteil vorgesehen?

WW: Ja. Einige Leute haben eine Verlängerung bekommen von 5 bis 6 Jahren. Einige sind freigelassen worden, als sie ihre Zeit im Gefängnis vollständig abgesessen hatten, und sind dann nach einigen Wochen wieder festgenommen worden, um diese Verlängerung noch einmal abzusitzen. Da hat Europa schließlich für einige Gefangene, die noch darunter leiden mußten, erreicht, daß der spanische Staat in diesem Punkt zurücktritt und sie freiläßt. Deshalb haben wir heute nur noch ungefähr 450 Gefangene, weil über 100 auf diese Weise freigekommen sind. Aber für viele hat das nichts mehr gebracht. Die europäischen Institutionen arbeiten in gewissen Dingen sehr, sehr langsam, weshalb solche Sachen für viele einfach zu spät gekommen sind. Es gibt wirklich Gefangene, die einfach sechs Jahre mehr bekommen und abgesessen haben.

SB: Arnaldo Otegi ist wohl der prominenteste baskische Gefangene und auch seit sechs Jahren inhaftiert. In einen 2014 auf deutsch erschienenen Interviewbuch erläuterte er, wie sich das Baskenland ungeachtet der Repression befreien könne. Können Sie Otegis Konzept erläutern und dazu Stellung nehmen?

WW: Das ist ein Wechsel der Strategie, weg von dem klassischen Konzept der Verhandlung mit dem spanischen Staat, bei dem man an einem Tisch sitzt und Bedingungen stellt und jeder etwas von seinen Positionen aufgibt, damit der Konflikt gelöst werden kann. Die Schlußfolgerung des letzten fehlgeschlagenen Friedensprozesses von 2004 bis 2006 war, daß Spanien nicht daran interessiert ist, daß der Staat gar nicht die Absicht hat, diesen Konflikt zu lösen. Dann kann man auch nicht mit ihm verhandeln, weil ganz klar - das hat er 1989 bewiesen, 1999/2000 und wieder 2004-2006 - kein Wille zu dieser Lösung besteht.

Also muß man eine Strategie ausarbeiten, die unabhängig ist von diesem Willen des anderen zur Lösung. Das ist einer der Hauptunterschiede zu vorher. Das bedeutet, wir müssen das ganz alleine machen auf der einen Seite, also nicht mit dem spanischen Staat. Wir können nur auf die Bewegung der eigenen Bevölkerung setzen und dann vielleicht noch von der internationalen Gesellschaft erwarten, daß wir durch ihre Initiative vorankommen und der spanische Staat da in eine Situation gerät, wo er gar nicht mehr anders kann. Das könnte relativ früh geschehen, weil sich der spanische Staat als Staat ohnehin in eine Richtung bewegt, in der er sich binnen kürzester Zeit zu einem gescheiterten Staat entwickeln könnte. Das wird sich zeigen.

Ein weiterer Unterschied besteht darin, daß man früher immer gesagt hat: Wir lösen die Ursache des Konfliktes, und wenn wir für sie eine Lösung haben, dann werden sich auch alle Konsequenzen dieses Konfliktes automatisch mitlösen. In diesem Falle wird das umgedreht. Man versucht, erst einmal die Konsequenzen dieses Konfliktes zu lösen, damit eine solche Lösung uns dann auch zur Lösung der Ursache führt. Das ist ein weiterer Wechsel in diesem neuen Prozeß. Dazu sind gewisse Dinge nötig, unter anderem natürlich, daß wir durch eine legale Partei repräsentiert werden können. Das ist vielleicht das einzige, was wir inzwischen erreicht haben. Eine legale Partei gibt es schon, aber man darf nicht vergessen, daß sie ständig von einem Verbot bedroht ist wie auch weiterhin soziale Organisationen illegalisiert, Leute festgenommen und kriminalisiert werden werden und so weiter.

SB: Sprechen Sie von Batasuna?

WW: Die ist schon verboten. Aber man hat eine neue Partei gegründet mit Leuten, die sich zur baskischen Linken zählen und die rechtlichen Rahmenbedingungen, die Spanien stellt, damit eine Partei legal sein kann, eindeutig einhalten. Das ist wesentlich mehr, als was man von ihren Parteien sagen könnte. Dieser Schritt ist getan und somit war es möglich, mit der neuen und drei anderen Parteien eine Koalition zu bilden, die zur Zeit in vielen Gemeinden in der Mehrheit ist und bei den letzten Wahlen zweitstärkste Kraft wurde.


Schwarzweiß-Aufnahme einer völlig zerstörten Stadt mit Ruinen zerbombter Häuser - Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H25224 / Unknown / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

Auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg - die Zerstörung Gernikas in einer Aufnahme vom 1. Januar 1937
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-H25224 / Unknown / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)], via Wikimedia Commons

SB: Im Jahre 2012 wurde im Baskenland der Bombardierung der Stadt Gernika gedacht, die am 26. April 1937 durch die deutsche und italienische Luftwaffe vollständig zerstört wurde. Wie stellt sich das heutige Spanien zu den damaligen Angriffen?

WW: Hmm. Das einzige, was sie macht, ist, den Gernika nicht ins Baskenland zu lassen, sondern weiterhin im Reina Sofia gefangen zu halten. [3] Nein, die Bombardierung Gernikas ist absolut kein Thema. Das ist Geschichte. Von Spanien wird nicht wahrgenommen, daß da ein ganz klares Kriegsverbrechen geschehen ist, zusammen mit den deutschen Fliegern. Das existiert alles nicht, wie auch die Kriegsverbrechen der Franco-Zeit nicht mehr zählen. Das wurde mit dem Schlußpunkt-Gesetz von 1976 (ley de amnistía) erreicht. Man könnte den Standpunkt vertreten: Das war gut, denn damals wurden auch die in der Franco-Zeit inhaftierten baskischen Gefangenen rausgelassen.

Aber dann hat das gleich wieder angefangen. Die Zahl der baskischen Gefangenen in dieser Demokratiezeit war sogar noch größer als zur Franco-Zeit, während es in den francistischen Institutionen absolut keine Säuberung gab, weder beim Militär oder der Polizei - die haben nur die Farbe ihrer Uniform geändert - noch bei den Politikern. Wenn man so nachliest im Familienstammbaum dieser Politiker, kommt man immer wieder zu der gleichen Franco-Oligarchie. Das ist auch so bei den Richtern, die in der Audiencia Nacional das Sagen haben.


Picassos Gernika-Bild als Nachbildung mit den Worten 'GUERNICA GERNIKARA' - Foto: By Papamanila (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

Mahnmal im heutigen Gernika - Nachbildung des Picasso-Gemäldes in Form von Kacheln als Wandbild in Originalgröße
Foto: By Papamanila (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0) or GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html)], via Wikimedia Commons

SB: Die späteren faschistischen Achsenmächte haben damals nach dreijährigem Bürgerkrieg zugunsten Francos interveniert, obwohl international ein Nichteingreifen vereinbart worden war. Würden Sie sozusagen eine politisch-historische Science fiction wagen zu der Frage, ob und wie der Zweite Weltkrieg anders hätte ausgehen oder vielleicht verhindert werden können, wenn der spanische Bürgerkrieg nicht zugunsten Francos geendet hätte?

WW (lacht): Oh, ich bin kein Historiker.

Isa Marin [4]: Was auf jeden Fall historisch nachgewiesen werden konnte, ist, daß ganz viele der gut ausgebildeten Kämpfer, die für die spanische Republik gekämpft hatten und in Frankreich im Exil leben mußten, daran gehindert wurden, gegen die Nazis zu kämpfen. Das hat historisch gesehen bestimmt eine Rolle gespielt.

WW: Es gab Konzentrationslager im Süden Frankreichs, wo sie gefangen gehalten wurden. Die Sache ist nun auch folgende. Es gab eine Entscheidung Stalins, daß die spanische Kommunistische Partei, nachdem Franco gewonnen hatte, nicht weiter kämpfen durfte. Stalin hatte nicht nur gesagt, daß er dabei nicht weiter helfen würde, sondern hatte darauf bestanden, von da an keine kommunistische Partei mehr für die Befreiung oder den Kommunismus bewaffnet kämpfen zu lassen. Das war im Grunde eine Vorarbeit dafür, wie man dann Europa aufgeteilt hat zwischen der Sowjetunion und den Alliierten, um einen ruhigen Block zu bilden und zwischen diesen Streit mehr oder weniger diese Mauer aufzubauen. Wenn in Spanien die Anarchisten und die Kommunisten gewonnen hätten, dann hätte das wahrscheinlich ganz anders aussehen können.

SB: Im März 2010 sind Sie kurzfristig in Venezuela verhaftet worden, als Sie aus Mexiko kamen, wo Sie die baskische Friedensinitiative vorstellen wollten. Wie hat sich die damalige venezolanische Regierung von Präsident Chavez zur baskischen Linken im allgemeinen und dieser Initiative gestellt?

WW: Da muß ich zunächst etwas korrigieren. Ich wurde in Venezuela nicht verhaftet. Das war eine, sagen wir einmal so, nicht ganz so freundliche, aber auch nicht unfreundliche Einladung, nicht nach Venezuela einzureisen, sondern umzukehren. Die Gründe haben sie mir natürlich nicht gesagt. Wir sind solidarisch mit dem venezolanischen Prozeß. Deshalb habe ich ihnen in dem Moment auch ganz klar gesagt, daß ich absolut kein Interesse daran habe, jetzt nach Venezuela zu kommen, wenn sie meinen, daß ich in dieser Situation ein Problem sein könnte, und so bin ich natürlich gegangen. Ich wollte nichts tun, was diesem Prozeß schaden könnte.

Über die Gründe kann man nur spekulieren. In der Zeit hatte die Regierung Chavez mit der spanischen Botschaft einige Geschäfte gemacht, die spanische Banken und andere betrafen. Häufig ist es so, daß Spanien darauf drängt oder andere Staaten zu erpressen versucht, damit baskische Flüchtlinge, Asylleute oder auch Deportierte ausgeliefert werden. Mit diesen Geschäften wurde also versucht, Venezuela zu erpressen. Venezuela hat dann gesagt: Die Leute, die wir hier haben, die geben wir nicht her. Aber dieser Soliaritätsmensch da, der ist nicht so wichtig, den können wir weggeben. Sie haben sich dann auch erkundigt, ob ich Probleme mit der spanischen Justiz habe. Damals hat die spanische Justiz das verneint. Und so bin ich einfach zurückgeflogen und habe zu Hause weiter gearbeitet. Im Grunde ist da gar nichts passiert. Etwas später bin ich nach Argentinien und Uruguay gegangen und habe dort weitergearbeitet. Zwei Tage nach meiner Rückkehr, am 28. September, hat man uns in der Nacht regelrecht überfallen und festgenommen.

SB: War das dann die Aktion, die den Ermittlungen gegen Askapena unmittelbar vorausging?

WW: Ja.

SB: Im April 2011 wurde in Venezuela nach einem Treffen zwischen Chavez und dem kolumbianischen Präsidenten Santos der kolumbianische Journalist Perez Becerras, der in Norwegen als politisch Verfolgter gelebt hatte, festgenommen und an Kolumbien ausgeliefert. Wie schätzen Sie diese Politik des inzwischen verstorbenen Präsidenten Chavez ein, der ja immerhin als Hoffnungsträger für den Wandel in eine sozialistische Gesellschaft galt?

WW: Das war damals schon sehr umstritten. Chavez hat das nicht nur in diesem Fall getan. Auch in zwei Fällen von baskischen Leuten ist das durch die Regierung und die Polizei Venezuelas geschehen. Die Sache ist die, die solche Gefangenen wie dieser Kolumbianer oder baskische Leute, die dort leben und arbeiten, für eine Regierung eventuell Tauschobjekte sind und leider auch dazu mißbraucht werden. Bewerten kann man das nur als schlimmste Staatsräson, das ist ethisch nicht vertretbar.

SB: In Spanien gibt es seit einigen Jahren Massenproteste gegen Armut, Sozialabbau und die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die nicht von den traditionellen Parteien getragen werden. Gibt es - und sei es partiell - eine Zusammenarbeit zwischen dieser Protestbewegung oder auch Podemos mit der abertzalen Linken?

WW: Vor ein, zwei Wochen wurde von der baskischen Abertzalen beschlossen, daß wir als solche mit Podemos zusammenarbeiten können. Dies geschah nach einem Aufruf einer Intellektuellengruppe, die schon im Sommer gesagt hat, es müßte eine Zusammenarbeit all dieser Parteien geben inklusive von Bildu, also der Partei der abertzalen Linken. Wir werden also zusammen mit Podemos und vielen anderen kleineren Parteien eine Koalition bilden mit dem einzigen Ziel, die Partido Popular, also Rajoy, von der Regierung rauszuschmeißen. Das scheint die einzige Möglichkeit zu sein. Vor einigen Monaten oder einem Jahr wäre es eventuell noch möglich gewesen, daß Podemos das alleine schaffen könnte. Aber seit es mit ihnen nur noch nach unten gegangen ist aus Gründen, über die man mit ihnen selber sprechen müßte, ist klar, daß sie es alleine nicht schaffen würden, was sie auch gar nicht wollen.

Ich persönlich würde sagen, daß sie gar nicht in der Koalition mitarbeiten können, denn sobald sie da drin sind, werden sie absolut kriminalisiert. Alle Parteien, die da zusammenarbeiten, werden erst einmal kriminalisiert. In einem Wahlkampf kämen sie dann wahrscheinlich sehr, sehr schlecht weg, und dann müßte man einen Neuanfang machen, der wahrscheinlich wieder einige Jahre dauern müßte, bevor man das vergessen hat. Also wird es das so nicht geben.

SB: Vor drei Jahren gab es hier in Hamburg einen Kongreß der Kurden "Die kapitalistische Moderne herausfordern" mit Repräsentanten baskischer Organisationen. Dieses Jahr gab es wieder einen solchen Kurdenkongreß, aber es waren keine baskischen Vertreter dabei. [5] Wissen Sie etwas darüber, ob es dafür inhaltliche Gründe gegeben hat?

WW: Nein. Das sind Zeitgründe, die das in diesem Fall nicht ermöglicht haben. Wir haben den Prozeß und mußten als Askapena unsere ganze Planung ändern, um darauf antworten zu können. Denn dieses Jahr war die NATO eigentlich unser Hauptthema. Das konnten wir nicht machen, weil wir uns überlegen mußten, wie wir diesen Prozeß jetzt angehen. Mit den Kurden sind wir weiterhin solidarisch. Askapena hat eine sehr kleine Delegation nach Kurdistan geschickt, die vor ein paar Wochen zurückgekommen ist. Andere Gründe hat es nicht gegeben.

SB: Sie erwähnten eben ihre geplanten Aktivitäten zur NATO. Worum geht es dabei?

WW: Wir wenden uns gegen zwei Sachen. Auf der einen Seite gegen die NATO als solche als ein internationales imperialistisches Heer; auf der anderen Seite wenden wir uns dagegen, Komplizen zu sein, wozu wir nämlich gezwungen werden. Wir haben 1986 in dem Referendum von Felipe González mehrheitlich entschieden, daß wir nicht in die NATO eintreten wollen, was er natürlich nicht respektiert hat. Katalonien hat so gewählt, die Kanarischen Inseln auch und das Baskenland. Das Problem ist, daß der Rest Spaniens so manipuliert wurde, daß er, auch wenn er mehrheitlich gegen den NATO-Beitritt war, von der Regierung von Felipe Gonzáles erpreßt werden konnte. Die hatte gesagt: Wenn wir die europäischen Kredite haben wollen, dann müssen wir auch in die NATO eintreten. Möglicherweise hat er damit sogar Recht gehabt. Aber wir wollen auch diese europäischen Kredite nicht, denn wir wissen inzwischen, wo die überall gelandet sind.

SB: 2002 wurde als Ergebnisse linguistischer und genetischer Studien die These veröffentlicht, daß die Vaskonen, so der lateinische Name für die Basken der Antike, nach der letzten Eiszeit, also in vorindogermanischer Zeit, die europäische Landfläche besiedelt hätten. Viele geographische Bezeichnungen hätten heute noch Bezüge zur baskischen Sprache. Halten Sie die These, daß eigentlich alle Europäer mit den Basken verwandt sind, in irgendeiner Weise für nützlich für die Lösung der heutigen Probleme?

WW (lacht): Nein. Es ist eine interessante prähistorische Studie, ich glaube, von der Universität Tübingen. Ich habe sie auch gelesen, das ist sehr interessant. Eine etymologische Studie über die Berg- und Flußnamen hier in Deutschland - ich weiß nicht, wie weit das wirklich wahr ist oder nicht, da werden sich viele wahrscheinlich noch darüber streiten. Wenn es danach ginge, müßten wir halb Spanien ins Baskenland miteinbeziehen! Halb Spanien hat baskische Namen, übrigens Argentinien, Uruguay und Kolumbien auch. In Antioquia [6] sind, glaube ich, über 40 Prozent der Nachnamen baskisch. Das hat aber absolut nichts mit unserer Sache zu tun und bringt insofern natürlich gar nichts.

SB: Sie haben in den vergangenen Tagen auf Solidaritätsveranstaltungen in Nürnberg, Potsdam und Berlin über den bevorstehenden Prozeß informiert. Waren Sie mit der Resonanz zufrieden?

WW: Ja, und zwar in Anbetracht dessen, daß die Freunde hier von Euskal Herriaren Lagunak das alles praktisch in ein paar Tagen organisieren mußten, weil die Genehmigung, daß einer von uns diese Reise machen kann, erst sehr spät gekommen war. Das hat natürlich alles sehr erschwert. Insofern sind wir mit den Veranstaltungen schon zufrieden, vielleicht nicht unbedingt mit der Anzahl der Besucher, die aus diesem Grund etwas gering war, aber mit dem Interesse und der Unterstützung schon.

SB: Möchten Sie noch ein Schlußwort sagen?

WW: Ich möchte noch einmal unterstreichen, daß all das, was wir in unserem Gerichtsverfahren jetzt versuchen zu verteidigen und vorwärts zu bringen, nicht so viel mit unserem Prozeß allein zu tun, sondern auch mit den vielen Prozessen, die bis jetzt bereits durchgeführt worden sind und all denen gegen die fast 200 Leute, deren Verhandlungen noch bevorstehen. Wir können unseren Prozeß nicht beeinflussen. Das Urteil ist wahrscheinlich schon geschrieben, und selbst wenn nicht, dann schreiben sie es, ohne sich davon beeinflussen lassen, was wir machen oder sagen. Das ist im Prinzip ganz unbeeinflußbar sogar im negativen Sinne.

Was wir aber sehr wohl beeinflussen können, ist der politische Preis, den diese Prozesse Spanien kosten werden. Das sind immer größere politische Kosten, international wie national, so daß sie es sich beim nächsten Mal vielleicht besser überlegen, ob sie solche Ermittlungen nicht 15, sondern nur ein paar Jahre durchführen, damit sie dann sagen können: Ja, gut, wir haben das kurz untersucht und haben nichts gefunden und dann lassen wir das eben so stehen. Das wäre dann nicht so schlimm. Nach 15 Jahren ist das natürlich nicht möglich, ohne sich selbst, die eigene Polizei und Justiz zu delegitimieren.

SB: Vielen Dank, Herr Wendelin, für dieses lange Gespräch.


Fußnoten:

[1] Siehe den ersten Bericht im Schattenblick zu der Veranstaltung mit Walter Wendelin unter www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/213: Am Beispiel Baskenland - Kulturraum selbstbestimmt ... (1) (SB)
www.schattenblick.de/infopool/politik/bericht/prbe0213.html

[2] Siehe auch die Erklärung von Euskal Herriaren Lagunak vom 1.4.2010 "Baskenland - Friedensnobelpreisträger unterstützen Konfliktlösungsinitiative
www.schattenblick.de/infopool/politik/ausland/paeur787.html

[3] Gemeint ist hier "Gernika", das 1937 entstandene Gemälde Pablo Picassos, das bis heute im Reina Sofia Museum in Madrid hängt. In der Stadt Gernika selbst wurde eine Nachbildung des Gemäldes in Originalgröße in Form von Kacheln erstellt.

[4] Isa Marin vom Solidaritätskomitee für das Baskenland (Euskal Herriaren Lagunak) hat die Informationsveranstaltung mit Walter Wendelin am 9. Oktober im Hamburger Centro Sociale mitorganisiert.

[5] Siehe auch die Berichterstattung im Schattenblick zu beiden Kongressen in Berichten und Interviews:
http://schattenblick.com/infopool/politik/ip_politik_report_bericht.shtml
http://schattenblick.com/infopool/politik/ip_politik_report_interview.shtml

[6] Antioquia ist ein Departement im Nordwesten Kolumbiens.

16. Oktober 2015


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