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INTERVIEW/294: Treffen um Rosa Luxemburg - das Ziel im Auge behalten ...    Patrik Köbele im Gespräch (SB)


Reformkämpfe nicht vom revolutionären Ziel lösen

Luxemburg-Liebknecht-Demonstration am 10. Januar 2016 in Berlin



P. Köbele in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Patrik Köbele
Foto: © 2016 by Schattenblick

Geht es um die Überwindung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, ist der Vorgriff auf die Zukunft quasi Programm, denn wie sollte, wenn die herrschenden Eigentums-, Verfügungs- und Raubverhältnisse sowie die sie schützenden und generierenden staatlichen und politischen Rahmenbedingungen als Kern des Problems benannt und abgelehnt werden, die gesellschaftliche Ordnung, und sei es in Fragmenten, als erhaltenswert und verbesserungsfähig angesehen werden? Fragen dieser oder ähnlicher Art kennzeichnen das Spektrum einer sich selbst als radikal definierenden Linken in ihrem gleichwohl widersprüchlichen Erscheinungsbild, Tätigkeitsfeld und praktischem Kampf. Auch unter Parteien, die sich zur Linken zugehörig stellen, gibt es in Theorie und Praxis Unterschiede, die sich auf die Frage zuspitzen ließen, ob sich eine linke Partei als parlamentarisches Standbein einer linken, entschieden antikapitalistischen Bewegung versteht oder die Auffassung vertritt resp. die Perspektive vermittelt, in den Parlamenten als starke linke Kraft wirken und ggf. in der Regierungsverantwortung linke Politik machen zu können.


P. Köbele und Dr. Seltsam auf der Bühne - Foto: © 2016 by Schattenblick

Patrik Köbele mit Dr. Seltsam, dem Conférencier der Rosa Luxemburg Konferenz
Foto: © 2016 by Schattenblick

Auf der Rosa Luxemburg Konferenz am 9. Januar in Berlin [1] nahmen Linkskräfte, die die letztere Auffassung vertreten, einen relativ großen Raum ein, wie schon die vielfach als Grundsatzerklärung aufgefaßte Rede der Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, Sahra Wagenknecht, vermuten lassen könnte. Die DKP beispielsweise, die in ihrer Parteiarbeit fundamentaloppositionelle linke Positionen aufrechterhält und sich aus grundsätzlichen Erwägungen heraus nicht an der Übernahme von Regierungsverantwortung interessiert zeigt, trat auf der Konferenz - repräsentiert durch ihren Vorsitzenden Patrik Köbele - nur kurz in Erscheinung. Nach einem spritzigen Wortwechsel mit Dr. Seltsam, der die Veranstaltung in der Berliner URANIA moderierte, nahm Köbele die Gelegenheit wahr, die Gäste der Rosa Luxemburg Konferenz auch zum UZ-Pressefest vom 1. bis 3. Juli in Dortmund einzuladen.


Plakat mit Angaben zum UZ-Pressefest - Foto: © 2016 by Schattenblick

Einladung zum UZ-Pressefest auf der Rosa Luxemburg Konferenz
Foto: © 2016 by Schattenblick

An der traditionellen Demonstration zu Ehren Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts am darauffolgenden Sonntag [2] nahmen Patrik Köbele wie auch viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus DKP und SDAJ teil. In seinem Demo-Redebeitrag stellte der DKP-Vorsitzende klar, daß Deutschland längst wieder Kriege führe, sich peu à peu von den letzten Beschränkungen befreit habe und als vollwertiger Imperialismus auf den Schlachtfeldern dieser Erde agiere - und gegen diesen Skandal kämpfe die DKP. Die Kriege, die internationale Ausbeutung, aber auch die Umweltzerstörungen machte Köbele als Ursachen dafür fest, daß weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind.

Es sei widerlich, wenn die Herrschenden in diesem Land von einer Willkommenskultur sprächen, obwohl auch sie für die Fluchtursachen verantwortlich sind. Flüchtlinge werden in Großzelte gepfercht, zugleich werde zugelassen, daß Rassisten und Faschisten auf den Straßen aufmarschierten - auch dagegen kämpfe die DKP. Vorgänge wie die sexuellen Übergriffe in Köln sind widerlich und müßten, so Köbele, bestraft werden, doch es ginge nicht an, daß diese Straftaten ausgenutzt werden, um den Rassismus zu stimulieren. Es sei Aufgabe der DKP, diesen Rassismus zurückzuweisen und die Frage zu stellen, wem er nütze - nämlich den Herrschenden, die all dies zu Zwecken des Demokratieabbaus mißbrauchten.

Unmittelbar nach der Rede erklärte sich Patrik Köbele bereit, dem Schattenblick einige Fragen zu beantworten.


Schattenblick (SB): Patrik, du hast gestern in der URANIA auf der Rosa Luxemburg Konferenz gesprochen. Wie fandest du die Veranstaltung? Wenn man die Wortbeiträge so hört, könnte man meinen, das sei ja alles nicht so ganz neu gewesen.

Patrik Köbele (PK): Ich fand die Veranstaltung trotzdem grandios, allein schon deshalb, weil sie aus allen Nähten geplatzt ist. Das zeigt doch schon auch, daß sich die radikale antikapitalistische Linke in einem Konsolidierungsprozeß befindet. Was die inhaltlichen Beiträge angeht, ja, da könnte man sich sicherlich über vieles streiten. Da haben sich aber auch die Zeiten verändert. Zum Beispiel beim Referat von Sahra Wagenknecht habe ich gedacht: Gut, das hätte Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts vielleicht auch noch ein linker Sozialdemokrat gesagt. Aber es gibt heute keine linken Sozialdemokraten mehr, und deshalb war es natürlich auch gut, daß Sahra diese Inhalte auf den Punkt gebracht hat. Die Podiumsdiskussion hätte ich mir noch ein bißchen streitbarer gewünscht.


S. Wagenknecht in Großaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Bundestag, spricht auf der Konferenz
Foto: © 2016 by Schattenblick

SB: Die Rede von Sahra Wagenknecht wurde ja vielfach als Grundsatzerklärung aufgefaßt. Sie enthielt einerseits eine klare Absage an die Kriegspolitik, aber, wenn ich das richtig verstanden habe, auch ein gewisses Verhandlungsangebot gegenüber anderen Parteien. Könnte man das deiner Meinung nach so sehen?

PK: Ich glaube, daß zwischen Sahra und mir möglicherweise der inhaltliche Unterschied besteht, daß ich die Gefährlichkeit des deutschen Imperialismus neben der Gefährlichkeit des US-Imperialismus als größer einschätze als sie. Das führt natürlich dazu, daß es manchmal solche interpretierbaren Äußerungen gibt, wie daß man unter bestimmten Umständen doch in eine Regierung hier in Deutschland einsteigen könnte. Ich glaube tatsächlich, daß das eine Unterschätzung des deutschen Imperialismus ist. Es wird in den nächsten Jahrzehnten keine Möglichkeit für antikapitalistische Kräfte geben, sich an einer Regierung in diesem Land zu beteiligen, ohne selber integriert zu werden, weil letzten Endes diese Regierungen immer die geschäftsführenden Ausschüsse des Imperialismus sind.

SB: Apropos Imperialismus. Es ist ja eine ganz alte Geschichte in der Linken, sich um Fragen nach Reform oder Revolution zu streiten, und sei es in taktisch-strategischer Hinsicht. Wie würdest du heute, gerade auch angesichts der aktuellen Lage, solche Fragen beantworten?

PK: Es ist mit Sicherheit so, daß wir im Moment nicht in einer revolutionären Situation leben und sicherlich der Reformkampf im Vordergrund steht, sogar eher der Kampf gegen die Abwehr von Konterreformen. Das muß das Dominierende sein. Aber ich glaube - und das ist das Entscheidende -, daß Linkskräfte, die die Gesellschaft verändern wollen, das trotzdem in eine Agitation, eine Propaganda oder auch eine Strategiedebatte über die revolutionäre Veränderung der Gesellschaft einordnen müssen. Das heißt: Man darf die Reformkämpfe auch in nicht-revolutionären Zeiten nicht vom revolutionären Ziel lösen.

SB: Welches Fazit würdest du aus diesem Wochenende in Berlin, das ganz im Zeichen Rosa Luxemburgs stand, aus Sicht der DKP ziehen?

PK: Ich bin ungeheuer zufrieden mit dem Beitrag von DKP und SDAJ. Wir hatten gestern eine tolle LL-Veranstaltung auf der Rosa Luxemburg Konferenz, die sehr gut besucht war. Die SDAJ ist mit 400 Jugendlichen hier und hatte ebenfalls eine ganz toll besuchte Veranstaltung. Ich glaube tatsächlich, daß das für uns ein Zeichen ist, daß auch wir uns konsolidieren und stärker wieder Schritte gehen, eine ausstrahlende kommunistische Partei aufzubauen. Damit bin ich natürlich sehr zufrieden.

SB: Vielen Dank, Patrik, für das Gespräch.


DKP-Transparente mit Aufschrift 'Solidarität mit Flüchtlingen' und 'Unsere Krisenberater - Marx, Engels, Lenin' - Fotos: © 2016 by Schattenblick DKP-Transparente mit Aufschrift 'Solidarität mit Flüchtlingen' und 'Unsere Krisenberater - Marx, Engels, Lenin' - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Alternative Antworten zu Flüchtlingsfrage und Krise
Fotos: © 2016 by Schattenblick


SDAJ-Transparente mit Aufschriften 'Krieg dem imperialistischen Krieg' und 'Hände weg von Syrien' - Fotos: © 2016 by Schattenblick SDAJ-Transparente mit Aufschriften 'Krieg dem imperialistischen Krieg' und 'Hände weg von Syrien' - Fotos: © 2016 by Schattenblick

Aufstehen gegen Krieg und Militarisierung
Fotos: © 2016 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Siehe auch die Konferenzberichte im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/223: Treffen um Rosa Luxemburg - Wasser predigen ... (SB)
BERICHT/224: Treffen um Rosa Luxemburg - Weichgespült ... (SB)

[2] Siehe den Bericht zur LL-Demo im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:
BERICHT/225: Treffen um Rosa Luxemburg - Eine Hälfte brennt ... (SB)


21. Rosa Luxemburg Konferenz in Berlin im Schattenblick
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/223: Treffen um Rosa Luxemburg - Wasser predigen ... (SB)
BERICHT/224: Treffen um Rosa Luxemburg - Weichgespült ... (SB)
BERICHT/225: Treffen um Rosa Luxemburg - Eine Hälfte brennt ... (SB)
BERICHT/226: Treffen um Rosa Luxemburg - Multiform schlägt Uniform ... (SB)
BERICHT/227: Treffen um Rosa Luxemburg - Die Gier der Märkte ... (SB)
BERICHT/228: Treffen um Rosa Luxemburg - Zweckvereinnahmung ... (SB)
INTERVIEW/289: Treffen um Rosa Luxemburg - und niemand sieht hin ...    Nick Brauns im Gespräch (SB)
INTERVIEW/290: Treffen um Rosa Luxemburg - Vergessen frißt Fortschritt auf ...    Ihsan Cibelik im Gespräch (SB)
INTERVIEW/291: Treffen um Rosa Luxemburg - getrennt marschieren ...    S.E. Jorge Jurado im Gespräch (SB)
INTERVIEW/292: Treffen um Rosa Luxemburg - Etablierte Fronten ...    Talip Güngör im Gespräch (SB)
INTERVIEW/293: Treffen um Rosa Luxemburg - Im Herzen der Lügen ...    Thomas Zmrzly im Gespräch (SB)

15. Februar 2016


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