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INTERVIEW/342: Übergangskritik - der Geschichte verbunden ...    Alexandra Wischnewski im Gespräch (SB)


Für die Aufwertung der Care-Arbeit

Interview am 4. März 2017 in Berlin


Alexandra Wischnewski ist Referentin für feministische Politik in der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke. Auf der Konferenz "Am Sterbebett des Kapitalismus?" moderierte sie das Podium, auf dem unter dem Titel "UmCare. Feministische Ansätze der Krise der Reproduktion" über Sorgearbeit und Care-Ökonomie debattiert wurde. Im Anschluß daran beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen.


Im Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Alexandra Wischnewski
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Care-Arbeit wird meist gering entlohnt, unter anderem weil sie im konventionellen ökonomischen Verständnis keinen Wert schafft. Wie siehst du die politischen Chancen, diesen Bereich gegen die dominante Wirtschaftslogik dennoch aufzuwerten?

Alexandra Wischnewski (AW): Ich schließe mich dem an, was eben auf dem Podium gesagt wurde. Es bedarf einer gewissen Mobilisierung, um den Sinn dafür zu entwickeln, daß diese Arbeit dennoch wertvoll ist. Aus einer rein ökonomischen Perspektive würde ich zustimmen, da macht dieser Bereich nicht so viel Sinn, weshalb ja die ganze Zeit Einsparungen stattfinden. Aber zum Beispiel in den USA wie auch im Charité-Kampf in Berlin gibt es gute Beispiele dafür, daß die Menschen durch die eigene Abhängigkeit zu motivieren sind, weil sie auch ein Interesse daran haben, gut gepflegt zu werden. Daraus ergeben sich Möglichkeiten, Bündnisse zu schaffen und gesellschaftliche Mobilisierungen anzustoßen. Aber ich glaube und sage deshalb auch immer, daß Care ein strategisches Feld für eine Veränderung ist. Tatsächlich glaube ich, daß eine gute Versorgung mit Care in unserem jetzigen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem nicht möglich ist und daß deshalb immer nur kleine Kämpfe darum geführt werden können. Diese können aber ein Bewußtsein dafür schaffen, das gesamte System zu verändern.

SB: Tove Soiland hat das Verhältnis zwischen der gut bezahlten Arbeiterschaft in hochproduktiven Industrien und den prekär Beschäftigten im Care-Sektor, der nur geringe Produktivitätssteigerungen zuläßt und gewerkschaftlich deshalb auch nicht so einflußreich ist, als antagonistisch beschrieben. Was könnte die Partei Die Linke tun, um der Sorgearbeit zu mehr politischer Macht zu verhelfen?

AW: Ich halte es nicht für richtig, wenn GewerkschafterInnen sagen, na ja, diese Frauen, die hauptsächlich in diesen Berufen tätig sind, müssen sich einfach besser organisieren, und dann wird das schon. Es braucht den Bündnispartner der Gewerkschaften, aber auch die haben sich in diesem Feld nicht immer löblich verhalten. Daher glaube ich tatsächlich, daß es gesetzliche Rahmenbedingungen geben sollte, um dem mehr Nachdruck zu verleihen. Ich glaube, daß Die Linke da Vorbild sein könnte.

SB: Der finanzielle Spielraum für Sozialleistungen ist in der Bundesrepublik auch deshalb noch vorhanden, weil Deutschland als Exportweltmeister auf Kosten anderer EU-Staaten lebt. Da gibt es offensichtlich einen gewissen Widerspruch. In Griechenland zum Beispiel herrscht akute Not in den Sozialhaushalten. Was wäre daran zu ändern?

AW: In Griechenland wird ja eine ganz spezifische Sparpolitik durchgeführt. Dabei hätte man nicht unbedingt so vorgehen müssen, man hätte ja von Anfang an ganz andere Arten von Umverteilung benutzen können. Deshalb, glaube ich, daß die Theorie, daß man als erstes einsparen muß, schlicht falsch ist.

SB: Auf dem Podium heute saßen drei Frauen. Ist das reiner Zufall gewesen oder ist Care nach wie vor ein stark weiblich besetzter Sektor?

AW: Es ist ein eindeutig stark weiblich besetzter Sektor. Daß es dieses Podium auf der Konferenz überhaupt gab, ist bereits als Erfolg zu bezeichnen. Ich finde es nicht schlimm, daß auf dem Podium keine Männer vertreten waren, denn es gibt sehr viele kompetente Frauen, die dazu etwas zu sagen haben. Ich freue mich vor allem, wenn sie die Chance bekommen, endlich ihre Sicht der Dinge vertreten zu können. Und ich glaube auch, daß Frauen sich mit einer anderen Art von Erfahrung in die Debatte einbringen. Ich würde es aber auch begrüßen, wenn sich mehr Männer in ihrer Theoriebildung auf das Thema beziehen und bei solchen Konferenzen mehr mitdenken. Heute war das auch der Fall, es gibt aber viele Konferenzen, wo das überhaupt keinen Platz hat.

SB: Der Feminismus der 1970er Jahre war häufig noch antikapitalistisch ausgerichtet, der heutige Feminismus läuft im Extrem darauf hinaus, was auf dem Podium als Corporate Feminism bezeichnet wurde. Gibt es Versuche in der feministischen Debatte, noch einmal an Traditionen anzuknüpfen, die etwas klassenkämpferischer aufgetreten sind?

AW: Ja, auf jeden Fall. Deswegen finde ich es auch wichtig, dieses "Corporate" zu unterstreichen und nicht nur von modernem Feminismus zu reden. Gerade im Krisenverlauf der letzten Jahre kamen auch wieder sehr viele materialistische Feminismen zu Wort. Ich würde auch sagen, daß die Linksfraktion eigentlich einen sehr materialistischen Feminismus vertritt, den man nicht kleinreden, sondern öffentlich machen und stärken sollte. Es gibt da sehr unterschiedliche Herangehensweisen. Es gibt auch einen Lifestyle-Feminismus, der mit meinem Feminismus zum Beispiel nicht so viel zu tun hat. Aber die Ansätze gibt es auf jeden Fall, und wenn jetzt von Reproduktion statt von Care gesprochen wird, wird an viele Erkenntnisse und Diskussionen aus den 70er und 80er Jahren angeknüpft.

SB: Wir hatten eben das Thema Rot-Rot-Grün. Die Grünen treten für vollständige Gleichberechtigung bei der Bundeswehr ein auch im Sinne dessen, Frauen ohne Einschränkungen in Kampfeinsätze zu schicken. Was sagst du zu dieser Position aus feministischer Sicht, ist das Gleichheitsprinzip unter allen Umständen durchzusetzen oder gibt es Gründe, die dagegen sprechen?

AW: Ich glaube, man sollte sich nicht auf derartige Fragen einlassen. Meine Frage lautete in dem Fall nicht, ob Männer oder Frauen in den Krieg ziehen, sondern meine Frage wäre, in welchen Krieg wird da gezogen? An dem Punkt sollten wir eher diese Frage stellen und uns nicht auf Nebenschauplätze einlassen, weil dann wieder der Feminismus delegitimiert wird. Der sollte eigentlich ganz andere Fragen stellen, nämlich nach Emanzipation und nicht die Frage, wer nun am Steuer dieses Hubschraubers sitzt.

SB: In der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus wird auch unter Linken das Argument vertreten, daß der AfD durch die Betonung von Genderthemen und Schwulenrechten mehr oder minder in die Hände gespielt wird, weil ihr auf diese Weise bürgerlich-konservative Menschen zugetrieben werden. Wie wichtig sind derartige Prinzipien, oder ist das Wahl- und Parteistrategische letztlich entscheidender?

AW: Da sollte man wirklich Flagge zeigen und keinen Zweifel dran lassen, auf welcher Seite man steht. Aber man sollte auch Verständnis haben für Menschen, denen nicht von Anfang an klar ist, was auf diesem Gebiet geschieht. In unserer Kultur und der Welt um uns herum gibt es große Veränderungen, es geht aber schon darum, zumindest die Bereitschaft vorauszusetzen, sich umzuarbeiten und so etwas anzunehmen. Davon sollte man nicht abgehen.

SB: Alexandra, vielen Dank für das Gespräch.


Beiträge zur Konferenz "Am Sterbebett des Kapitalismus?" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

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