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INTERVIEW/375: Reparationsschulden - verschenkte Hoffnung ...    Karl Heinz Roth im Gespräch (SB)


Der Arzt, Historiker und politische Publizist Karl Heinz Roth zählt zu den profiliertesten linken Geschichtswissenschaftlern in der Bundesrepublik. Nach einem Medizinstudium engagierte er sich bei den Studentenprotesten gegen Notstandsgesetze und Vietnamkrieg. Roth gehörte dem Bundesvorstand des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes an, arbeitete unter anderem als Betriebssanitäter der Kölner Ford-Werke und gehörte zu den wichtigsten operaistisch orientierten Stimmen der linken Szene, unter anderem als Mitgründer der Zeitschrift "Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft". 1986 gründete er "1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts", die seit 2003 unter dem Titel "Sozial.Geschichte. Zeitschrift für historische Analyse des 20. und 21. Jahrhunderts" erscheint. Ebenfalls 1986 promovierte er mit einer Forschungsarbeit über Filmpropaganda und Vernichtung der Geisteskranken und Behinderten im NS-Staat als Mediziner. 1992 wurde er mit einer Studie zu Intelligenz und Sozialpolitik im NS-Staat an der Universität Bremen in Geschichtswissenschaft promoviert. Seither hat er zahlreiche weitere wichtige Wegmarken kritischer Geschichtswissenschaft publiziert und wurde insbesondere durch seine Arbeiten zur Sozialgeschichte des Nationalsozialismus bekannt.

Auf Einladung des Griechenlandsolikomitees Kiel in Zusammenarbeit mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung stellte Karl Heinz Roth am 15. Juni 2017 sein gemeinsam mit Hartmut Rübner verfaßtes Buch "Reparationsschuld - Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa" [1] in der Kieler Pumpe vor. [2] Im Anschluß an die Veranstaltung beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.



Beim Gespräch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Karl Heinz Roth
Foto: © 2017 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Die Geschichte Griechenlands ist für die deutsche Linke stets sehr wichtig gewesen. Was gab darüber hinaus den Anstoß zu dem Forschungsvorhaben, sich insbesondere mit der griechischen Reparationsfrage zu beschäftigen?

Karl Heinz Roth (KHR): Der Impuls kam von einem alten Freund und Genossen, mit dem ich 1967/68 zusammengearbeitet hatte - einem griechischen Genossen, der nach dem Beginn der Militärdiktatur hier im Rahmen des sich entwickelnden Widerstands tätig war. Er hat dann später einen wissenschaftlichen Weg eingeschlagen und ist Hochschullehrer in Thessaloniki geworden. Wir haben uns immer wieder getroffen, hier oder in Griechenland, und 2010/2011 sagte er mir, Carlo, hier geht wieder die Post ab, wir müssen zusammenarbeiten. Damals setzte der Kollaps ein, als die griechische Schuldenkrise in vollem Ausmaß eskalierte und der Aufmarsch der deutschen Austeritätspolitik lief. Wir gründeten zuerst eine Basisinitiative und schrieben ein Manifest für ein egalitäres Europa [3]. Dann beschäftigten wir uns intensiv mit der Frage, wie man Alternativen zur Schuldenkrise entwickeln könnte. Und dabei stieß ich sehr schnell auf das unerledigte Reparationsproblem, das ich aus meinen historischen Forschungen zu anderen Themenfeldern schon seit den 80er Jahren kannte. Das war der Kontext.

SB: Auf welche Weise wurde das Forschungsprojekt beispielsweise von Stiftungen unterstützt?

KHR: Dieses konkrete Forschungsprojekt ist ausschließlich von der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts [4] worden. Ich hatte zunächst große Schwierigkeiten, es überhaupt zu etablieren, weil ich in einem anderen Forschungsprojekt tätig war. Ich bin verrenteter Arzt und arbeite ehrenamtlich in dieser Stiftung, aber beziehe die Sach- und Fördermittel, auch Mittel für einen Assistenten, für Archivreisen und andere Unkosten von der Stiftung. Ich mußte zuerst den Vorstand überzeugen, warum dieses Thema so wichtig ist, daß ich eineinhalb Jahre Auszeit aus einem anderen Forschungsprojekt nehmen konnte. Das wurde bewilligt, dann erhielt mein Co-Autor einen Honorarvertrag, und wir haben gemeinsam in einer außerordentlich intensiven Kooperation das Projekt gestartet, während die Stiftung praktisch alle Unkosten erstattet hat. Das war der erste und entscheidende Förderschwerpunkt bis hin zum inhaltlichen Lektorat.

Der zweite große Förderschwerpunkt ist der Verlag selbst. Der Metropol-Verlag in Berlin, der sich vor allem mit der Geschichte der NS-Diktatur beschäftigt, hat unser Projekt sofort zur Veröffentlichung angenommen und ist mit diesem Buch ein hohes Risiko eingegangen. Im Vertrag war ein weitaus geringerer Umfang vereinbart und eine wesentlich knappere Zeitspanne bis zum Abschluß der Niederschrift diskutiert worden. Das alles konnten wir nicht einhalten, aber trotzdem hat der Verlag zu uns gehalten und dann ohne irgendwelche Druckkostenzuschüsse dieses Risiko auf sich genommen und das Buch herausgebracht. Das waren die beiden großen Förderinstanzen. Davon abgesehen hat uns niemand unterstützt.

SB: Du hast in deinem Vortrag angedeutet, wie die Reaktionen in der deutschen Medienlandschaft ausgefallen sind. Welche Steine wurden euch dabei in den Weg gelegt?

KHR: Die Anwürfe begannen parallel zu unserer Forschungsinitiative im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem revisionistischen deutschen Historiker, Heinz A. Richter. Er hatte in einem Vortrag im Bundesfinanzministerium im November 2015 behauptet, Griechenland habe gegenüber Deutschland eine Reparationsschuld - eine völlig absurde Verdrehung der Verhältnisse. Ich habe darauf reagiert und im Frühjahr 2016 gemeinsam mit Hagen Fleischer und Christoph Schminck-Gustavus eine Stellungnahme in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft publiziert [5], Focus, der Welt und anderen massiv angegriffen wurden. Unser Buch, das wir ein Jahr nach dieser Kontroverse im März 2017 veröffentlicht haben, wird bis jetzt von der großen medienpolitischen Öffentlichkeit totgeschwiegen. Es gibt zwar einige sehr wichtige und gute Besprechungen von Kollegen in linken Medien, aber noch keine einzige große. Und deshalb stagniert auch der Bekanntheitsgrad.

SB: Die heutige Buchvorstellung hier in Kiel ist Teil einer Reihe von Präsentationen, mit der zu diesem Thema Öffentlichkeit geschaffen und eine Diskussion geführt werden soll. Wie ist das geplant, wie läuft es ab, was sind deine Erfahrungen?

KHR: Die Erfahrungen sind sehr unterschiedlich. Ich habe, schon bevor das Buch publiziert war, im Jahr 2016 drei Vorträge in Gedenkstätten gehalten, in der KZ-Gedenkstätte Neckarelz, im blauen Haus in Breisach, einer Gedenkstätte zur Erinnerung an die jüdische Gemeinde, und vor allem auch in der NS-Dokumentationsstelle in München. Die Resonanz war sehr positiv, wenngleich das Buch noch gar nicht veröffentlicht war. Jetzt im April haben wir eine weitere Vortragstournee gestartet, ich habe das Buch inzwischen zweimal mit meinem Co-Autor Hartmut Rübner vorgestellt: Am 6. April in Berlin, eine sehr gute Veranstaltung mit über 80 Teilnehmern, vor ein paar Tagen am 9. Juni in Wuppertal waren es nur 25, aber eine hochkarätige Diskussion. Parallel dazu gab es, die heutige mitgezählt, inzwischen vier Buchpräsentationen, bei denen ich allein vorgetragen habe. Da war es sehr unterschiedlich: In Bremen kamen etwa 40 Leute, in Köln, wo ich zusammen mit der griechischen Historikerin Rena Molho vorgetragen habe, waren es über 300, in Hannover 120. Überall dort, wo die griechischen Kulturvereine, also die Diaspora der Auslandsgriechen, mit beteiligt ist, sind die Veranstaltungen sehr groß und haben eine breite Resonanz. Die Resonanz ist kleiner, wenn wie hier eine deutsch-griechische Initiative dazu aufruft. Es fehlt sozusagen der Hintergrund, weil die übrige linke Szene sich wenig dafür interessiert und ein öffentliches Interesse praktisch nicht existiert. Die griechischen Gemeinden sind zu einem erheblichen Teil sehr neutral und versuchen, sich aus der Politik herauszuhalten. Deshalb halte ich es für eine wichtige Erfahrung, daß es an zwei sehr zentralen Orten gelungen ist, sie einzubeziehen, und sie tragen jetzt auch die Initiative mit.

SB: Im Mai 2015 fand im Hamburger Rathaus die Veranstaltung mit Manolis Glezos statt [6], bei der du ja auch einen Beitrag gehalten hast. Damals war das öffentliche Interesse an der Reparationsfrage beträchtlich. Lag das eher an der Person von Manolis als an der Thematik?

KHR: Das lag zum einen an der damaligen Mobilisierung, die im Mai 2015 noch viel breiter war als heute. Im Juli 2015 kam die Kapitulation von Tsipras, und danach folgte große Ratlosigkeit und Resignation. Davor herrschte hingegen eine Aufbruchstimmung, die auch mich mobilisiert hat. Letztlich war es das Hoffen auf ein griechisches Nein beim Referendum, das ja anstand, und auf einen großen Zusammenstoß. Daraufhin haben wir auch das Forschungsprojekt gegründet. Natürlich ist Manolis ein glänzender Exponent des Nationalrats der griechischen Widerstandsorganisation und er war eine Attraktion. Er hat ja bei seiner Rundreise hier in Deutschland auch eine Menge bewirkt. Die Distomo-Initiative hatte dazu aufgerufen, die schon seit Anfang der 2000er Jahre existiert, und Manolis war natürlich ein regelrechter Magnet. Er ist eine bedeutende historische Persönlichkeit. Ich habe während meiner Vortragsreise 2013 in Griechenland, wo ich unter anderem auch in Athen im Polytechnion gesprochen habe, eine Veranstaltung zusammen mit ihm gehabt. Manolis Glezos war großartig. Er war natürlich als Hauptredner avisiert und sollte über die griechische Situation und Alternativmöglichkeiten sprechen, die Reparationsfrage stand eher im Hintergrund. Manolis wurde aufgerufen, stand auf und sagte - es war alles sehr improvisiert - ich höre, da ist ein Deutscher, der zur Reparationsfrage sprechen soll. Ich bitte, zuerst dem deutschen Redner das Wort zu geben, damit ich darauf erwidern kann. Ich habe dann gesprochen, Manolis hat sein Referat beiseite gelegt, und es entstand ein Dialog. Es war eine großartige Situation.

SB: Wenngleich es heißt, Geschichte wiederhole sich nicht, macht doch damals wie heute die Ausplünderung und Zurichtung Griechenlands, aber zugleich auch der starke griechische Widerstand die zuletzt in ihn gesetzte Hoffnung verständlich. Von Griechenland lernen, war noch vor wenigen Jahren eine Devise, die man in linken Kreisen des öfteren hörte. Hast du das auch so erlebt und empfunden?

KHR: Ja, das ist so. Ich habe 2013 diese Aufbruchstimmung voll miterlebt. Es war eine brisante und einmalige Konstellation. Ich habe beispielsweise in Thessaloniki auf zwei Veranstaltungen gesprochen. Die eine war vom Goethe-Institut initiiert. Dort sollte ich über die Weltwirtschaftskrise sprechen. Zuvor kamen schon Fernsehteams und machten mit mir Interviews, nicht über die Weltwirtschaftskrise, sondern über die Schuldenkrise und das Reparationsproblem. Dann kam das Auditorium. Ich hatte mich mit meinem Freund Zissis Papadimitriou verabredet, da leider mein Neugriechisch nicht so gut ist, daß ich selbst frei sprechen könnte, er mußte also für mich übersetzen. Wir hatten uns zwei Stunden vorher zusammengesetzt, und ich hatte ihm in etwa skizziert, was ich auf Deutsch bzw. Englisch frei präsentieren wollte und er dann ins Griechische übersetzen sollte. Der Saal war voll und dann hieß es plötzlich, Weltwirtschaftskrise sei zwar ein spannendes Thema, aber man habe einen deutschen Gast und wolle mit ihm über die deutsch-griechische Situation im Kontext der griechischen Schuldenkrise und der Reparationsfrage diskutieren. Daraufhin habe ich alles beiseite gelegt und improvisiert darüber gesprochen. Zissis hat geschwitzt, er mußte ja all die ökonomischen Begriffe übersetzen, aber es ist sehr gut gelaufen und war eine eindrucksvolle Situation. Ich habe also diese Aufbruchstimmung miterlebt und muß sagen, daß ich große Hoffnung auf einen europäischen Aufbruch hatte. Ich hatte ja zusammen mit Zissis gerade das Manifest für ein egalitäres Europa veröffentlicht, es war auch in Griechenland erschienen, und wir haben es in Präsentationen vorgestellt. Wie viele andere hofften auch wir, daß es zum Bruch käme und sich daraus etwas Neues entwickelt. Doch dann kam die Kapitulation. Man kann es drehen und wenden wie man will, es war eine Kapitulation, die uns vollkommen zurückgeworfen hat.

SB: Die Rolle Syrizas wurde kontrovers diskutiert. War die Regierung Tsipras deines Erachtens daran beteiligt, den Aufschwung einzubinden und zu bremsen? Trifft diese Kritik zu?

KHR: Im Nachhinein betrachtet leider ja. Es war zunächst einmal so, daß in Syriza die unterschiedlichsten Gruppierungen vertreten waren. Wir haben natürlich immer auf die linken Gruppierungen geblickt, von denen wir wußten, daß sie bei den Wahlen nicht deswegen kandidieren würden, um ihre eigenen Positionen abzusichern und irgendeinen Anpassungskurs zu fahren, sondern weil sie darin ein Sprachrohr für sich sahen, um ihre Positionen weiter zu verbreiten. Wir wußten natürlich, daß es auch einen Kern gab, der andere Intentionen hatte und PASOK beerben würde. Viele PASOK-Anhänger sind ja zu Syriza übergelaufen und haben natürlich ihre politische Perspektive in dieser neuen Partei gesucht. Sie haben Syriza majorisiert. Aber auch da gab es zunächst eine offene Situation, und das sage ich auch allen Genossinnen und Genossen, die angesichts des Ergebnisses heute verständlicherweise völlig verbittert sind. Ich erinnere mich an Gespräche mit alten SDS-Genossen, die in Deutschland studiert hatten und dann Berater im Kern von Syriza waren. Von ihnen haben wir erfahren, daß sich schon vor dem Wahlsieg eine Trendwende abzeichnete und linke Berater um Tsipras ausgewechselt, zurückgepfiffen wurden. Dennoch war die Situation offen, bis es zu diesem extremen deutschen Diktat und der vollkommenen Kapitulation Syrizas kam. Ein Rauswurf aus der Eurozone hätte jedoch zumindest vor zwei bis drei Jahren noch etwas ganz anderes bedeutet als heute, nämlich einen wirklichen Absturz. Inzwischen hat sich die schleichende Katastrophe so weiterentwickelt, daß der Abstand zum Absturz geringer geworden ist. Von daher stellt der Grexit nicht mehr dieses Schreckphänomen dar, wie er das noch vor zwei bis drei Jahren gewesen ist. So sehe ich die Situation. Es war eine große Niederlage, und von daher muß man sagen, daß eine Desillusionierung stattgefunden hat, die natürlich auch uns erfaßt hat. Aber wir haben daraus das Beste gemacht und gesagt, Griechenland ist nicht mehr der Bruchpunkt, aber die Reparationsfrage insgesamt bleibt der Bruchpunkt, und deshalb haben wir sozusagen eine wissenschaftliche Brücke gebaut - diese Brückenfunktion hat das Buch.

SB: Yanis Varoufakis versucht in gewisser Weise, den damaligen Schwung mit DiEM25 zu beerben. Wie würdest du diese Bewegung einschätzen?

KHR: Ich bin natürlich skeptisch geworden. Ich bin vor allem deshalb skeptisch geworden, weil ich Informationen bekommen habe über das Verhalten von Varoufakis in der Zeit vor der Kapitulation der Syriza-Regierung. Er ist zwar zurückgetreten und hat für sich die Notbremse gezogen. Aber er hat in vielem auch kontraproduktiv gewirkt, zum Beispiel bei der Verhinderung der vollen institutionellen Durchsetzung der Reparationsforderungen zu der Zeit, als Syriza noch nicht kapituliert hatte. Ich habe größten Respekt vor den Linken, die aus der Regierung ausgetreten sind. Ich habe größten Respekt vor Zoe Konstantopoulou, trotz des Eklats in Distomo [7], wo Manolis meines Erachtens eine unglückliche Rolle gespielt hat. Diese Genossinnen und Genossen sind weiter Hoffnungsträger und sie haben auch Vertreter im EU-Parlament. Sie vertreten eine klare Linie, sie sind in der Minderheit, sie sind marginalisiert, sie sind noch nicht einmal mehr im Parlament vertreten. Aber sie haben standgehalten und tragen deshalb ein Stück der Hoffnung weiter.

SB: Heute wurde die Frage der Kredite für Griechenland wieder einmal verhandelt und war daher in aller Munde. Selbst bürgerliche Leitmedien wie der Deutschlandfunk gehen inzwischen davon aus, daß Griechenland seine Schulden niemals zurückzahlen kann, und fragen, wie es nun weitergehen soll. Wie könnte sich diese ausweglos anmutende Situation künftig verändern?

KHR: Ich denke, daß die Situation auf einen Bruchpunkt zusteuert, den wir in Deutschland lokalisieren können. Es gibt eine knallharte Austeritätsfraktion um Schäuble und die Deutsche Bundesbank. Weidmann und Schäuble sind zentrale Exponenten eines bedingungslosen Austeritätskurses. Ich bin der Meinung, daß diese Gruppierung, die sehr stark im Regierungslager vertreten ist - das sind nicht nur das Bundesfinanzministerium und die Bundesbank -, für den Fall einer weiteren Zuspitzung der griechischen Depression auf einen Grexit hinarbeitet, um in der Folge eine ganz andere Konzeption durchzusetzen, nämlich eine Aufspaltung des Euro in eine Nordeurozone und eine Südeurozone mit der deutschen Hegemonialmacht, die sich weigert, ein Recycling in die Südzone zuzulassen. Es gibt ja nach wie vor, auch wenn sich Portugal etwas erholt hat, schwere Krisenerscheinungen in Italien und es gibt sie nach wie vor auch in Spanien. Griechenland ist da nicht allein betroffen. Die europäische Peripherie ist also im Fokus, und Griechenland stellt in gewisser Weise das Labor dar, in dem diese Machtgruppe experimentiert. Sie kann auf die Hybris der deutschen Machtelite setzen, sie kann auf den tiefverwurzelten Schuldkomplex der Deutschen gegenüber Griechenland und Jugoslawien setzen, der zu einer bedingungslosen Ablehnung geführt hat. Wenn sich diese Gruppierung weiter durchsetzt, wird es zu einem Crash kommen, und wir werden dann sehen, ob sie ihr Konzept, das sie mit diesem Crashkurs verfolgt, umsetzen kann oder nicht. Oder aber es kommt zu einem Machtkampf mit dem anderen Flügel der Machtelite, den man auch in den Medien klar lokalisieren kann: Auf der einen Seite Fokus, Welt, die FAZ ist gespalten, die Süddeutsche Zeitung schon nicht mehr ganz so, und auf der anderen Seite die liberalen Medien, die natürlich auf die Merkel-Linie setzen. Es kann zu einem Machtkampf zwischen Merkel und Schäuble kommen. Es kann innerhalb der Machtelite zu schweren Auseinandersetzungen kommen, und da können wir dann vielleicht wieder einhaken und einen Ansatzpunkt finden, um unsere eigenen Positionen einzubringen. Es besteht also kein Grund zur Resignation auf Dauer. Die Karten werden möglicherweise auch von Deutschland aus bald neu gemischt.

SB: Karl Heinz, vielen Dank für dieses Gespräch.


Roths aktuelles Buch auf dem Büchertisch - Foto: © 2017 by Schattenblick

Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] Karl Heinz Roth, Hartmut Rübner: Reparationsschuld - Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa, Metropol Verlag, Berlin 2017, 645 Seiten, 29,90 Euro

[2] BERICHT/280: Reparationsschulden - griechisches Martyrium ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0280.html

[3] Karl Heinz Roth, Zissis Papadimitriou: Die Katastrophe verhindern. Manifest für ein egalitäres Europa, Edition Nautilus, Hamburg 2013

[4] http://www.stiftung-sozialgeschichte.de/

[5] Hagen Fleischer, Karl Heinz Roth, Christoph Schminck-Gustavus: Die Opfer und nicht die Täter sollen in der Bringschuld sein? Zur Medienkampagne gegen die griechischen Reparationsansprüche aus dem Zweiten Weltkrieg, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 64.4 (2016), S. 379-388.

[6] Siehe dazu auch:
BERICHT/196: Kriegsschuld - Arithmetik unzulässig ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0196.html

INTERVIEW/257: Kriegsschuld - ich bin viele ...    Manolis Glezos im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prin0257.html

[7] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-06/griechenland-gedenkveranstaltung-ss-massaker-distomo-eklat-reparationen-forderung

7. Juli 2017


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