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INTERVIEW/382: G20-Resümee - Mangel an Avantgarde ...    Denis Ergün im Gespräch (SB)


Jenseits von Arbeiterfetisch und romantischen Vorstellungen von der ArbeiterInnenklasse ist uns klar, dass auch unsere Klasse vom Kapitalismus ideologisch verblendet ist. Unsere Aufgabe besteht aktuell darin, ein Klassenbewusstsein und auch Klassensolidarität zu wecken. Auch wenn diese Arbeit linken Befindlichkeiten widerspricht, weil die Adressaten unserer Politik nicht den Szenecodes oder den Sprachgebrauch teilen, dennoch ist dies der einzige Weg Stück für Stück aus der linken Szene auszubrechen und eine wirkliche gesellschaftliche Bewegung zu entflammen.

Roter Aufbau Hamburg (Broschüre Fight G20) [1]



Logo des Roten Aufbaus Hamburg - Grafik: © 2017 by Roter Aufbau Hamburg

Grafik: © 2017 by Roter Aufbau Hamburg

Die G20-Plattform hat mit einer Veranstaltung zum Thema "G20 - das war der Gipfel - Aktivistinnen und Betroffene berichten" am 15. September im Hamburger DGB-Haus Bilanz gezogen und die weitere Aufarbeitung gebahnt. [2] Im ersten Teil der dreigliedrigen Veranstaltung kam die Verhinderung von Camps als Maßnahme einer polizeilich-staatlichen Strategie der Demobilisierung und als Frage des Versammlungsrechts zur Sprache. Zwei Augenzeugen berichteten von der Räumung in Entenwerder und den Schikanen gegen den Aufbau des Camps in Altona.

Denis Ergün brachte in seinem Beitrag auf dem Podium polizeiliche Übergriffe im Vorfeld wie auch die diversen Maßnahmen zur Sprache, welche die Organisation des Camps im Altonaer Volkspark beträchtlich erschwerten. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen zur Rolle der Gewerkschaften beim Protest gegen den G20-Gipfel, zur Bündnisfrage der radikalen Linken, zu den Vorfällen im Schanzenviertel, zu Aktionsformen im Kontext polizeilicher Repression und zur Aufarbeitung des Gipfels.

Schattenblick (SB): Wir sind heute im Hamburger DGB-Haus zusammengekommen, um eine Bilanz des Widerstands gegen den G20-Gipfel zu ziehen und Folgerungen daraus abzuleiten. Angesichts dieses Veranstaltungsortes liegt die Frage nahe, wie die Unterstützung der G20-Plattform seitens der Gewerkschaften ausgefallen ist.

Denis Ergün (DE): Die Gewerkschaften haben uns so gut wie gar nicht unterstützt. Lediglich die ver.di Jugend und Teile der GEW haben mitgemacht. Die DGB-Führung in Hamburg hat es sogar ausdrücklich begrüßt, daß der G20-Gipfel hier stattfindet. Es ist ein Unding, daß sich Teile der Gewerkschaften auf die Seite der Herrschenden stellen. Da haben wir es eben mit diesem sozialdemokratischen Filz zu tun, wenn Gewerkschaften immer wieder Teil der Herrschaft werden und nicht mehr der Opposition und dem Widerstand zuzurechnen sind.

SB: Vielfach wurde dazu aufgerufen, ein möglichst breites Bündnis gegen den G20-Gipfel auf die Beine zu stellen. Es ist jedoch im Vorfeld zu Unvereinbarkeiten gekommen. Wie würdest du die Bündnisfrage im allgemeinen bewerten?

DE: Man muß jeweils prüfen, worum es konkret geht. Wir zum Beispiel haben eine Doppelstrategie. Wir gehen Aktionsbündnisse ein, die unseres Erachtens so breit wie möglich angelegt sein sollen. Das heißt mit Blick auf die große internationale Demonstration, daß es super gewesen wäre, hätten wir all die christlichen Verbände und Naturschutzorganisationen mit dabei gehabt. Dann gibt es aber auch eine andere Ebene, auf der wir als radikale Linke einen eigenen Ausdruck haben müssen. Und da brauchen wir diese Kräfte natürlich nicht. Je nachdem, was man will, richtet man die Bündnisfrage entsprechend aus. Sie läßt sich nicht abstrakt stellen.

SB: Wie bewertest du die weithin und höchst kontrovers diskutierten Vorkommnisse im Schanzenviertel?

DE: Na ja, wenn man die zwanzig größten Verbrecher in die Stadt einlädt, muß man sich nicht wundern, daß sich Protest artikuliert. Protest hat viele Formen, und diese verschiedenen Formen gehören eben alle dazu. Man muß sich jetzt nicht in vorauseilendem Gehorsam von irgend etwas distanzieren. Ich kann Jugendliche verstehen, die im Kapitalismus aufwachsen, wo sie in der Werbung sehen, daß Apple cool ist, und die dann die Gelegenheit nutzen und sich das nehmen. Das ist schon nachvollziehbar.

SB: Nun sind ja die damaligen Aktionen in der Schanze auch innerhalb der Linken umstritten.

DE: Wir müssen uns daran messen lassen, ob wir die spontane Revolte in höherem Maße als bislang führen können. Das ist nicht gelungen. Die radikale Linke ist natürlich an einzelnen Stellen durchaus offensiv aufgetreten, aber viele Dinge, die im Schanzenviertel getätigt worden sind, haben sich auch gegen unsere eigene Klasse gerichtet, und das ist natürlich nicht gut. Man muß sich jedoch an die eigene Nase fassen und sagen, die Leute wollten etwas machen, und wir hätten ihnen eben eine gute Perspektive bieten müssen.

SB: Wenn man davon ausgeht, daß die Polizeistrategie gezielt angelegt war und systematisch umgesetzt worden ist - welchen Handlungsspielraum seht ihr unter diesen Voraussetzungen?

DE: Bei uns ganz persönlich gab es ja eine Woche vorher die Hausdurchsuchung. Unser Handlungsspielraum war daher ziemlich eingeschränkt. Das hat man ja dann am Rondenbarg gesehen, wo wir mit unseren Leuten waren. Die Polizei war nicht zimperlich mit uns, hat Leute schwer verletzt, sie eine Mauer runtergeworfen und sich darüber lustig gemacht. Doch egal, wie stark der Repressionsapparat auffährt, und egal, welche Probleme wir haben werden, wir müssen trotzdem aufstehen und Widerstand leisten. Wir sollten allerdings viel mehr Dinge mitbedenken, denn wir sind vielleicht ein bißchen blauäugig vom Camp losgegangen.

SB: Auf der heutigen Veranstaltung wird die weitere Aufarbeitung des G20-Gipfels thematisiert. Dazu soll eine Reihe von Vorschlägen eingebracht werden, wozu sich verschiedene Initiativen vorstellen. Welchen Stellenwert räumst du dieser Aufarbeitung ein?

DE: Man kann die Ereignisse rund um den Gipfel natürlich aufarbeiten, aber mir leuchtet der Zweck dieser Vorgehensweise nicht so recht ein. Unser Ziel bei G20 war es, eine bundesweite Organisierung hinzukriegen. Das werden wir weiter versuchen, und daran messen wir uns. Hingegen setzt eine juristische Aufarbeitung ihre Hoffnungen immer in den Rechtsstaat, von dem wir jedoch nicht ausgehen, weil wir die Klassenjustiz ablehnen. Diese hat zweifellos gezeigt, daß sie hart durchgreifen kann. Doch wozu bedarf es dann so einer zivilgesellschaftlichen Aufarbeitung? Wir könnten in diesem Rahmen natürlich unsere Fehler benennen, aber die sehen wir ohnehin schon. Um festzustellen, daß wir nicht breit genug aufgestellt waren, müssen wir uns jetzt nicht alle noch einmal treffen.

SB: Denis, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] https://fightg20.wordpress.com/2017/06/07/fuer-ein-ende-der-zersplitterung-der-arbeiterinnenklasse/

[2] http://www.g20-protest.de/programm/


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BERICHT/286: G20-Resümee - Schranken bis zum Kessel ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0286.html

20. September 2017


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