Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → REPORT


INTERVIEW/404: Antirepressionsdemo Hamburg - Strukturieren, organisieren und marschieren ...    Heinke von der MLPD im Gespräch (SB)



Wenn der Repressionsdruck von Staat und Sicherheitskräften in schwindelerregende Dimensionen vorstößt, erzkonservative Politiker wie Horst Seehofer als neuer Innen- und Heimatminister den Orwellschen Alptraum von einem unumschränkten Überwachungsstaat in eine bedrohliche Perspektive rücken, demokratische Grundrechte nach und nach ihres Inhalts beraubt werden und das schleichende Gift der Vereinzelung aus Menschen Atome der Wehrlosigkeit macht, sind Solidarität und gebündelter Protest vielleicht die einzige nachhaltige Antwort.

Die Welt ist ein Sandkasten geworden. Was im syrischen Rojava geschieht, wo an der Grenze zur Türkei das gesellschaftliche Projekt von Emanzipation und Sozialismus, von Geschlechtergerechtigkeit und einer Existenz ohne kapitalistische Ausbeutung gelebt und vorangetrieben wird, ist näher an uns dran als viele denken. Gleiches gilt für den Widerstand gegen das G20-Regime.

Verteidigt wird, was Generationen von Revolutionären durch einen hohen Blutzoll durchgesetzt haben. Dies wieder auf den Nullpunkt völliger Ausgeliefertheit zurückzudrängen, hat sich die Gegenseite aus ökonomischer Macht und politischem Kalkül vorgenommen.

Auf welchem Erdteil auch immer, ihr Motiv ist die Zerschlagung revolutionärer Errungenschaften. Die Antirepressionsdemo am 17. März in Hamburg setzte ein Zeichen dagegen. Es geht um elementare Freiheiten und das Selbstbestimmungsrecht eines jeden einzelnen. Heinke von der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) hat dem Schattenblick im Rahmen der Veranstaltung United We Stand einige Fragen zum Ziel und Zweck ihrer Teilnahme beantwortet.


Vor dem Lessing-Denkmal in Hamburg ein Meer aus roten Fahnen - Foto: © 2018 by Schattenblick

Reges Treiben am Gänsemarkt
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick: Aus welchem Grund sind Sie und Ihre Genossinnen von der MLPD heute hier auf der Antirepressionsdemo?

Heinke: Die Demonstration findet anläßlich des Internationalen Tages des politischen Gefangenen statt und steht für die Solidarität mit allen politisch Inhaftierten in Deutschland, aber auch weltweit. Wir sind der Meinung, daß gerade im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel im vergangenen Jahr eine Verschärfung der Repressalien durch den Staat und vor dem Hintergrund der neuen großen Koalition in Berlin ein unmißverständlichen Rechtsruck in der Bundesrepublik stattgefunden hat. Um so wichtiger ist es daher, auf die Straße zu gehen und sich für demokratische Rechte und insbesondere für die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen einzusetzen. Nach wie vor sind fortschrittliche, revolutionäre Migranten aus der Türkei und Kurdistan hier inhaftiert, denen in Hamburg und München der Prozeß gemacht wird, was in den bürgerlichen Medien mit keinem Wort Erwähnung findet. Sie sind unter fadenscheinigen Gründen inhaftiert und angeklagt.


Rote Fahne mit Hammer und Sichel sowie der Botschaft 'Die Rebellion ist gerechtfertigt' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Der revolutionäre Geist läßt sich nicht bändigen
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Haben Sie eigene Erfahrungen mit Repression in Verbindung mit den G20-Protesten gemacht?

H: Ja, das haben wir. Wir sind selber von der Polizei angehalten und auch aufgegriffen worden. Ein Teil unserer Leute vom Bündnis Internationale Koordinierung Revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) kam danach wieder frei, aber nicht alle, obwohl nichts vorgefallen ist. Einige verbrachten mehrere Wochen im Gefängnis.


Dutzende Bereitschaftspolizisten marschieren in doppelter Reihe den Valentinskamp hoch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Der Staat marschiert ebenfalls
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Könnten Sie das internationalistische Bündnis, in dem Sie arbeiten, einmal vorstellen und uns sagen, welche Einzelverbände und Gruppen darin involviert sind?

H: Mit dem Bündnis der Internationalistischen Liste MLPD hatten wir uns auch zur letzten Bundestagswahl aufgestellt, die ja in die Phase der G20-Proteste hineinfiel. Im Internationalistischen Bündnis sind verschiedene fortschrittlich revolutionäre Migrantenorganisationen organisiert. Darunter auch solche aus Palästina, wobei wir allerdings nicht mit Kräften der Hamas, sondern mit der PFLP zusammenarbeiten, die für die Freiheit von Palästina eintritt. Das haben wir im Wahlkampf so vertreten und tun es auch heute noch.

SB: Unter migrantischen Organisationen stellt man sich hier in Deutschland im ersten Moment Menschen mit türkischer oder kurdischer Herkunft vor. Sind im Bündnis zum Beispiel auch Verbände aus Afrika vertreten?

H: Zum Teil, wir haben über die ICOR afrikanische Verbände im Bündnis, die in Deutschland selber noch nicht aufgetreten sind.

SB: Häufig wird auf seiten der Linken die fehlende Öffentlichkeit für revolutionäre und migrantische Anliegen beklagt. Wie ließe sich Ihrer Ansicht nach ein Schulterschluß mit liberalen Kräften der Gesellschaft herstellen, um so von vornherein dem Motiv der Staatsorgane, derlei Verbindungen zu kappen, vorzubeugen?

H: Wir sind permanent dabei, Öffentlichkeit für unser Anliegen herzustellen, entweder durch selbstorganisierte Kundgebungen oder regelmäßige Pressemitteilungen auf unserer Homepage. Wir geben jede Woche Erklärungen auch an bürgerliche Medien heraus und arbeiten insbesondere mit verschiedenen linken Organisationen zusammen, um Protest zu organisieren.


Kleines handgefertiges Plakat mit der Aussage 'Cops + Richter Hand in Hand, Repression im ganzen Land' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Sinnspruch des Tages
Foto: © 2018 by Schattenblick

SB: Die ICOR ist eine internationale Organisation, aber welcher Landesverband ist der stärkste innerhalb der MLPD hier in Deutschland?

H: Wir sind in Nordrhein-Westfalen stark, haben aber auch im Norden einen Landesverband mit straffer Organisierung. Eigentlich sind wir bundesweit mit unseren Landesverbänden vertreten.

SB: Nimmt die MLPD im Herbst an der Bayernwahl teil?

H: Zur Landtagswahl in Bayern treten wir nicht an, weil wir unsere Kräfte konzentrieren und nicht verzetteln wollen. Wir nutzen die bürgerlichen Wahlen, um uns bekannt zu machen, aber letzten Endes sind die bürgerlichen Medien vor allem den bürgerlichen Parteien verpflichtet. Insofern wird man darüber nicht ins Parlament kommen, so daß wir im wesentlichen außerparlamentarische Arbeit leisten und bundesweit in Betrieben und Wohngebieten aktiv sind.

SB: Könnten Sie noch ein paar Worte zur Zusammenarbeit mit den migrantischen, kurdischen und türkischen Oppositionellen sagen und wer sich in dem Bündnis zusammenschließt?

H: Wir veranstalten regelmäßige Treffen im Internationalistischen Bündnis und wollen diese Zusammenarbeit auch weiter festigen und ausbauen. Im Vordergrund steht natürlich, daß wir gemeinsame Beteiligungen verabreden, wie heute in Hannover zu der bundesweiten Demonstration. Wir treten aber auch in Hamburg immer wieder gemeinsam auf, sei es über Veranstaltungen, Feste oder Erfahrungsaustausch. So hat die ICOR bereits 2014 den Solidaritätspakt mit Kobane ausgerufen; siebzehn Brigadisten aus der ganzen Welt sind seinerzeit nach Rojava gegangen. Das war das einschneidendste Moment innerhalb dieser engen Zusammenarbeit.

SB: Hat es neben der unmittelbaren Verteidigung Kobanes noch andere Aktionen gegeben?

H: Wir haben auch Spenden in Deutschland und weltweit gesammelt zum Aufbau eines Gesundheitszentrums, das nach wie vor in Kobane existiert und auch genutzt wird. Natürlich hat die Region, insbesondere in Afrin, jetzt eine militärische Verschärfung von seiten der Türkei erfahren. In der Türkei herrscht unserer Ansicht nach ein faschistisches Regime, das sich das gesamte kurdische Gebiet in Nordsyrien einverleiben will. Ganz offensichtlich ist die türkische Regierung in Ankara fest entschlossen, das sozialistische Gesellschaftsprojekt im nordsyrischen Rojava zu zerstören. Daher muß eine internationalistische Solidarität entwickelt werden, damit das nicht geschieht.

SB: Wie sehen Sie persönlich die Zukunft des Rojava-Projekts, das im Augenblick von allen Seiten attackiert wird?

H: Letzten Endes müssen die Kurden ihre Freiheit, die sie sich dort erkämpft haben, selbst verteidigen. Dies durch verschiedenste Projekte international immer weiter zu festigen, wird dennoch unerläßlich sein.

SB: Danke sehr, Heinke, für das Interview.


Transparent mit der Aufschrift 'Kampf ihrer Klassenjustiz' - Foto: © 2018 by Schattenblick

Der Demonstrationszug zieht durch Hamburg
Foto: © 2018 by Schattenblick


21. März 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang