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INTERVIEW/441: Manifest für Gegenkultur - Befreiung in eigener Hand ...    Shekib Mosadeq im Gespräch (SB)


Am Abend des 8. Juni fand im Anschluß an die Künstlerkonferenz von Melodie & Rhythmus im Heimathafen Berlin-Neukölln [1] eine Kultur-Gala [2] statt. Einer der Auftritte wurde von dem afghanischen SingerSongwriter Shekib Mosadeq bestritten. Der Text seiner einfühlsamen und poetischen, auf Farsi vorgetragenen Lieder wurde von Tereschkowa Obaid auf deutsch verlesen. Im Vorwege hatte Shekib dem Schattenblick einige Fragen zu seiner Geschichte als politischer Künstler und internationalistischer Aktivist beantwortet.



Im Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Shekib Mosadeq
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Shekib, wie bist du darauf gekommen, Musik zum Medium deiner politischen Position zu machen?

Shekib Mosadeq (SM): 1998 begann ich, in Afghanistan Musik zu machen, obwohl die Taliban Musik verboten hatten. Wer Musik machte und angezeigt wurde, konnte schwer bestraft werden und ins Gefängnis kommen. Selbst die Todesstrafe wurde verhängt. Ich habe tatsächlich im Untergrund, im Keller, mit Musik angefangen. Erst nach dem 11. September, als die Taliban sich zurückzogen, trat ich öffentlich unter anderem im Fernsehen auf. Ich fing mit ganz normalen Pop an, aber ab 2006, als weiterhin Krieg in Afghanistan herrschte, begann ich, in meinen Liedern politische Inhalte zu verwenden, denn die Menschen in Afghanistan brauchten in ihrer schweren Situation kritische Musik.

Nach dem Rückzug der Taliban herrschte weiterhin Krieg. Milliarden Dollar und Euro kamen aus den USA und Europa, das US-Militär und andere NATO-Armeen standen im Land. Dennoch wurde die Lebenssituation Tag für Tag schlechter. Wir brauchten kritische Musik. Ich begann mit sozialkritischer Musik, mit Poprock. Bis 2010 habe ich gesungen trotz vieler Sicherheitsprobleme, die ich bekam, weil sich meine Musiktexte nicht nur gegen die Taliban richteten, sondern auch gegen die Religionsführer und gegen die in Afghanistan stationierte US-Armee, die ihre Art von Demokratie mit Waffengewalt und Bomben ins Land brachte. Sie mißhandelten die armen Menschen, die die politische Lage nicht einschätzen konnten und keine Ahnung hatten, was los war. Alle mischten sich ein in Afghanistan, die USA, Rußland, Iran, Pakistan, arabische Länder, Türkei, jedes Land versuchte, Einfluß zu nehmen.

Das war der Punkt, an dem ich mich dazu entschloß, radikal kritische Musik zu machen. Ich habe gegen die Taliban, gegen die afghanische Regierung, gegen die USA, gegen die NATO gesungen. Natürlich bekam ich Schwierigkeiten, daher mußte ich 2011 Afghanistan verlassen. Ich reiste illegal in den Iran, von dort durch die Türkei nach Griechenland und von dort nach Deutschland. Hier war ich von 2011 bis 2014 in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht und hatte Probleme mit meinem Asylantrag. Erst 2014 fing ich wieder an zu singen. Ich dachte, jetzt bist du in Deutschland, jetzt willst du die Geschichte von einem Land erzählen, das Afghanistan heißt, wo seit 40 Jahren Krieg herrscht.

Bisher hatte ich immer auf Persisch gesungen, hatte vom Krieg erzählt, was in Deutschland niemand verstehen konnte. Mein erstes Album auf Deutsch, mein 18. Album insgesamt, heißt "Aylan" nach dem Jungen Aylan Kurdi, der aus Syrien geflüchtet war und 2015 im Meer ertrank. In dem Album ging es um Flüchtlinge und ihre schrecklichen Erlebnisse. Nach "Aylan" fing ich an, auf deutsch zu singen. 2017 nannte ich mein 19. Album "Der Deserteur". Ich hatte kein Geld und daher viele Probleme beim Produzieren, aber zum Glück habe ich Konstantin Wecker bei einer Demonstration in Stuttgart kennengelernt. Er hat mich sehr unterstützt. Er hat mein Album mit einem beigefügten Heft, auf dem die Texte auf deutsch zu lesen sind, auf seinem eigenem Label "Sturm & Klang" veröffentlicht.

"Der Deserteur" war mein Höhepunkt in Deutschland. Zusammen mit Konstantin Wecker habe ich viele Konzerte gegeben, wir waren auch zusammen im Fernsehen. Ich bin Konstantin Wecker sehr dankbar. Nun singe ich auf verschiedenen Veranstaltungen und Konzerten, auf Demo-Aktionen mit verschiedenen kulturellen Themen. Ich bin ein linker kommunistischer SingerSongwriter und war immer an politischen Themen interessiert. Als Internationalist gibt es keine Grenzen für mich. Religion und Grenzen haben keine Bedeutung. Für mich ist die Welt ein Ort für uns alle, die Erde gehört allen Menschen. Ich kämpfe immer für Gleichheit, Wahrheit, Gerechtigkeit, nicht nur für Afghanistan, ich kämpfe für die ganze Welt, für Syrien, Palästina, Iran, für arabische Länder, für Afrika, auch für Deutschland, denn ich glaube nicht an Grenzen. Ich habe zum Glück hier in Deutschland viele Möglichkeiten, meine Musik zu machen.

SB: Wie würdest du dich als Musiker stilistisch verorten?

SM: Mein Musik-Genre ist Pop-Rock. Das ist für mich die beste Ausdrucksmöglichkeit für kritische und radikale Texte, weil die Rockmusik seit den 1970er Jahren in Europa und auch in Deutschland eine kritische Musikrichtung war. Ich verwende das Rock-Genre für meine Texte, war aber auch Pop-Sänger. Jetzt mache ich Pop-Rock, eine Mischung aus ein wenig traditioneller afghanischer Musik mit Rock und Pop aus Deutschland und Europa.

SB: Hast du auch Einflüsse des Hip-Hop verarbeitet?

SM: Manchmal greife ich das auf, weil man im Hip-Hop vom Text her frei ist. Was du sagen willst, kannst du im Hip-Hop sagen. Aber mein eigentliches Genre ist Rock.

SB: Die afghanische Gesellschaft hat eine sehr patriarchale Kultur. Was bedeutet für dich die Frage der Befreiung der Frauen gerade auch für das Land, in dem du aufgewachsen bist?

SM: Ich glaube, wenn es keine Gleichheit zwischen Frauen und Männern gibt, werden die Menschen keine Gleichheit in dieser Welt schaffen. Es gibt nicht nur Frauen und Männer - es ist vielschichtiger, weil es auch Transgender und so weiter gibt. Zuerst brauchen wir Gleichheit zwischen den Geschlechtern, dann schaffen wir Gerechtigkeit und Freiheit in der Welt. Das glaube ich. Ich habe mich auch in Afghanistan häufig für Frauenrechte eingesetzt. Viele meiner Lieder haben Frauenrechte zum Thema. Über Frauen in Afghanistan gibt es nur traurige Geschichten. Aber was können wir sagen, um die Frauen zu unterstützen? Die Frauen müssen selbst kämpfen, das erzähle ich in meinen Liedern, und es gibt Männer, die das unterstützen. Aber in erster Linie müssen die Frauen selber kämpfen und sich Rechte erstreiten. Niemand gibt den Frauen Rechte, auch Männern gibt niemand Rechte in der Welt. In der islamischen Religion wie auch in anderen Religionen gibt es kein Menschenrecht, besonders keine Frauenrechte.

Wir müssen selber kämpfen. Im letzten Jahrhundert haben viele Frauen in England und den USA, in Deutschland und in Europa für das Recht auf Wohnen und das Recht auf Leben gekämpft. In Europa hat den Frauen niemand von sich aus Rechte zugestanden. Vor 90 Jahren hatten hier in Deutschland und Europa die Frauen kein Recht zu studieren, sie mußten es sich erst erkämpfen. In Afghanistan, Iran, Syrien und anderen islamischen Ländern gibt es bis heute keine Frauenrechte. Wir müssen selber anfangen zu kämpfen und uns das Recht nehmen. Recht ist keine Sache, die einem gegeben wird, wir müssen kämpfen und sie uns nehmen. In islamischen Ländern gibt es nur wenige Männer, die auch die Gleichheit wollen und für Frauenrechte kämpfen. Aber zuallererst müssen die Frauen selber kämpfen und nicht nur weinen.

SB: Shekib, vielen Dank für das Gespräch.


Shekib Mosadeq am Konzertflügel - Foto: © 2019 by Schattenblick

Auftritt bei der Kultur-Gala
Foto: © 2019 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] BERICHT/338: Manifest für Gegenkultur - Gefahren und Chancen ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0338.html

[2] BERICHT/340: Manifest für Gegenkultur - Klassengesellschaft an Bord ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0340.html


14. Juli 2019


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