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INTERVIEW/448: Trumps Amerika - Besitzstreben und Krieg ...    Ellen Cantarow im Gespräch (SB)


Interview mit Ellen Cantarow am 3. August 2019 in New York


Ungewöhnlich eng sind die Beziehungen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu. Auf Drängen Netanjahus kündigte Trump am 8. Mai 2018 das mühsam von der Vorgängerregierung Barack Obamas mit dem Iran ausgehandelte Atomabkommen einseitig auf. Kaum eine Woche später kam es zum Tag absoluter Schande: Während die umstrittene neue US-Botschaft in Jerusalem im Beisein des Ehepaars Netanjahu, von Trump-Tochter Ivanka und Ehemann Jared Kushner, des Kasinomilliardärs Sheldon Adelson und seiner Frau Miriam sowie zahlreicher zionistischer Prominenz aus den Vereinigten Staaten eröffnet wurde, erschossen die israelischen Streitkräfte bei Protesten der Einwohner des Gazastreifens gegen die Besatzungspolitik Tel Avivs am Grenzzaun vor laufenden Fernsehkameras kaltblütig 60 Zivilisten.

Angesichts derart schrecklicher Vorgänge wundert es wenig, daß in den USA die zivilgesellschaftliche Kampagne Boycott, Disinvestment and Sanctions (BDS) gegen Israel immer mehr Unterstützung findet - vor allem aber nicht nur unter der jüdischen Jugend Amerikas. In Reaktion darauf hetzt Trump bei jeder Gelegenheit gegen die Kritiker seiner Nahostpolitik bei den oppositionellen Demokraten, beschimpft sie als Antisemiten und versucht sie als "Judenhasser" zu diffamieren. Über diese bedenkliche Entwicklung und die Hintergründe des Dauerkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern sprach der Schattenblick am 3. August in New York mit der Journalistin Ellen Cantarow, die jahrzehntelang mit dem Thema befaßt ist und sich in der Problematik bestens auskennt.


Ellen Cantarow steht vor dem Café Le Monde an der Upper West Side von Manhattan unweit der Columbia University - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ellen Cantarow
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick: Frau Cantarow, Sie haben englische Literatur an der Universität Harvard studiert. Wie kamen Sie dazu, über den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu schreiben?

Ellen Cantarow: Als ich meinen Bachelorgrad gemacht hatte und gerade im erstem Jahr meines Masterstudiums war, lernte ich meinen ersten Mann kennen, der damals am Massachusetts Institute of Technology (MIT) lehrte. Dort waren er und Noam Chomsky Arbeitskollegen. Daraus wuchs eine Freundschaft zwischen uns und dem Ehepaar Chomsky. Infolge der gemeinsamen Gespräche wurde ich sehr schnell politisiert. Das erste Buch Chomskys, das ich damals las, hieß "Peace in the Middle East?".

SB: Über welchen Zeitraum sprechen wir gerade?

EC: Ich meine, das Buch ist 1967 erschienen und ich habe es im selben Jahr gelesen. Bereits davor hat mir mein Gatte die Fakten über Israel erklärt, die ziemlich im Widerspruch zu der Propaganda standen, mit der ich bis dahin aufgewachsen war. Ich entstamme zwar einer jüdischen Familie, aber mein Vater war Wissenschaftler und Atheist und hatte für religiöse Bräuche nichts übrig. Als ich noch ein Kind war, hat meine Mutter mich gelegentlich zur Synagoge mitgenommen, was mir gefiel. Als ich das Jugendalter erreichte, bin dann auch ich Atheistin geworden. Obwohl ich Freunde hatte, die Geld für Israel sammelten oder sogar dort Bäume gepflanzt haben, war unsere Familie absolut unzionistisch.

In der Tat gab es unter den amerikanischen Juden vor dem Sechstagekrieg 1967 eine gar nicht so kleine antizionistische Strömung. Einige der wohlhabendsten und profiliertesten jüdischen Familien wie die der Solis-Cohens von Philadelphia waren antizionistisch eingestellt. Es gab früher in den USA viele Juden, die mit dem Zionismus nichts anfangen konnten. Aber als Israel 1967 auf einen Schlag die Armeen der arabischen Nachbarstaaten besiegte, veränderte sich alles. Später stellte sich heraus, daß die offizielle Lesart des Konflikts im Westen mit Israels Armee als heldenhafter kleiner David und der Ägyptens, Jordaniens und Syriens als übermächtiger Goliath ein Mythos war. Nichtsdestotrotz sind nach dem großen Sieg die meisten amerikanischen Juden auf den israelischen Zug aufgesprungen.

Man kann es auch irgendwie verstehen. Die Leute meiner Generation - ich bin 1941 geboren - und die noch Älteren haben früher den Antisemitismus am eigenen Leib erlebt. Ich meine nicht jenen Pseudoantisemitismus, den Leute heutzutage jedesmal beklagen, wenn Israel kritisiert wird. Meine Mutter mußte zum Beispiel mit anhören, wie der Inhaber des Ladens, wo sie Ost und Gemüse kaufte, ein Ire namens McGonagle, Adolf Hitler dafür lobte, immerhin mit den "Kikes" (abfällige Bezeichnung für Juden in den USA - Anm. d. SB-Red.) aufgeräumt zu haben. In den vierziger und fünfziger Jahren bin ich mit dem echten Antisemitismus aufgewachsen. Von daher meine ich beurteilen zu können, wann er in Erscheinung tritt und wann nicht.

Jedenfalls hat das Lesen von Chomskys "Peace in the Middle East?" mein Denken grundlegend zum Positiven verändert und ich habe seitdem meine kritische Haltung zu Israel nur noch weiter gefestigt. Chomsky fängt das Buch mit einer Anekdote aus seinem Aufenthalt in einem Kibbutz in Israel der fünfziger Jahre an. Eines Tages hat er mit eigenen Augen mitansehen müssen, wie auf einem Feld ein armer palästinensischer Landarbeiter von einem israelischen Bauern verdroschen wurde.

SB: Das hat ihm offenbar die Augen geöffnet.

EC: Ich denke schon. Nach wie vor ist Chomskys 1983 erschienenes Buch "The Fateful Triangle" über das Verhältnis zwischen den USA und Israel und dessen verheerende Folgen für die Palästinenser eines der besten Werke, das man zu diesem Thema überhaupt lesen kann.


Malerischer Innenhof des altehrwürdigen Hotels American Colony - Foto: © 2005 by Magister at Hebrew Wikipedia und von ihm nach Creative Commons völlig freigeben

Hotel American Colony in Ostjerusalem
Foto: © 2011 by Adam Jones from Kelowna, BC, Canada [CC BY-SA 2.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0)]

SB: Aber was hat Sie dazu veranlaßt, über die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung zu schreiben?

EC: Nach Abschluß meines Studiums habe ich einen Job bei der Bostoner alternativen Wochenzeitung The Real Paper bekommen. Das muß um 1977 herum gewesen sein. Als ich 1979 erstmals im Fernsehen Bilder der Proteste Chador-tragender Frauen in Teheran gegen den Schah sah, habe ich den Chefredakteur von The Real Paper gebeten, mich zu einer Reportage in den Iran zu schicken. Er lehnte ab, bot mir aber dafür an, mich nach Israel zu entsenden. Da habe ich gedacht, das sei besser als gar nichts, und das Angebot gleich angenommen. Ich war anfangs nicht so begeistert von der Vorstellung, über Israel zu schreiben, aber als ich dort war, herumreiste und mir Gedanken machte, fand ich die Situation wahnsinnig spannend und berichtenswert.

Ich war zum Beispiel zum ersten Mal in einem Land, in dem viele bettelarme Juden lebten. Das waren jüdische Einwandererfamilien aus arabischen Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas. Mein Auftrag seitens The Real Paper bestand darin, über die Lage der israelischen Frauen zu schreiben. Das war eine ziemliche Herausforderung, aber ich habe sie gemeistert. Daneben habe ich von The Village Voice aus New York einen weiteren Auftrag angenommen, den Aktivitäten der neuen jüdischen Siedlerbewegung in den besetzen palästinensischen Gebieten namens Gush Emunim (Block der Getreuen) nachzugehen und über sie zu berichten.

Mein damaliger Ehemann hatte eine Cousine in der zweiten jüdischen Siedlung, die im Westjordanland gegründet wurde, namens Kirjat Arba nahe Hebron. Damals las ich in den USA regelmäßig die Jerusalem Post, deren Redaktion zu der Zeit noch eine linksliberale Linie vertrat. Kurz vor meiner Abreise nach Israel hatte ich einen Artikel über die Ermordung zweier palästinensischer Jugendlicher durch Siedler ausgerechnet aus Kirjat Arba gelesen. Die Jugendlichen hatten an einer Protestaktion gegen die Inhaftierung ihres Bürgermeisters Mohammed Ilhem, eines Mitglieds der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), teilgenommen und waren im Zuge dessen kaltblütig erschossen worden. Daraufhin kam es zur Kollektivstrafe für die Menschen in Halhoul, da Siedler und Armee ihr Dorf von der Außenwelt abriegelten. Deswegen hatte ich mir vorgenommen, Halhoul zu besuchen und einen Bericht über die Lage der dort lebenden Menschen zu schreiben.

Es sollte eine faszinierende Reise werden. Chomsky hatte mir die Kontaktdaten seiner Freunde und Bekannten in Israel, darunter Holocaust-Überlebende und verschiedene linke Dissidenten, gegeben. Das waren durch die Bank aufrichtige Leute, die entsetzt darüber waren, was der Staat Israel in ihrem Namen machte. Die ersten Tage wohnte ich bei einer israelischen Familie. Doch irgendwann empfahl mir eine neue israelische Bekanntschaft, mich im Hotel American Colony, das im Zentrum Jerusalems unmittelbar an der östlichen Seite der Waffenstillstandsgrenze von 1949 liegt, einzuquartieren.

Damals kostete das Zimmer dort nur zehn Dollar pro Nacht. Dazu war und ist es das tollste Hotel, das ich kenne - absolut wunderschön. Es wurde von einer amerikanischen Familie betrieben, die den Palästinensern sehr wohlgesonnen war. Ich habe mich mit den Hotelinhabern und ihren palästinensischen Mitarbeitern angefreundet. In den Jahren danach habe ich bei meinen vielen Reisen in den Nahen Osten immer nur im American Colony gewohnt. Dort lernte ich einen mennonitischen Reiseführer namens Ibrahim Matar kennen, der mich in das Westjordanland begleitete und mir alles zeigte. Was ich dort sah und erlebte hat mich dazu veranlaßt, viel darüber zu schreiben, denn es fand eine internationale Ungerechtigkeit in einem ungeheuren Ausmaß statt, die zu dem Zeitpunkt als solche von der Weltöffentlichkeit nicht wahrgenommen wurde.

SB: Wie sehr haben die Erlebnisse in den besetzten Gebieten Palästinas Ihr Verständnis des Nahost-Konflikts geschärft? Gab es eindrückliche Vorfälle, die besonders nachhaltig auf Sie eingewirkt haben? Haben Sie vielleicht die Umwälzungen infolge des israelischen Einmarsches in den Libanon 1982 hautnah mitbekommen?


Ein israelischer Panzer rollt durch ein südlibanesisches Dorf - Foto: © 2006 by P.mielen at Dutch Wikipedia, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported

Ariel Scharons Soldaten fallen im Sommer 1982 in den Libanon ein
Foto: © 2006 by P.mielen at Dutch Wikipedia [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/)]

EC: Absolut. Der damalige Libanonkrieg war eine einzigartige Zäsur. Ich hatte seit einiger Zeit den Wunsch gehegt, in den Libanon zu reisen, um zu sehen, was dort los war. 1982 genoß ich im Presseamt der israelischen Regierung bereits den zweifelhaften Ruf, "antiisraelisch" zu sein. Als der Krieg ausbrach, bin ich trotzdem dorthin gegangen und habe darum gebettelt, bei einem Presseausflug in den Libanon dabei sein zu dürfen. Als ich im Büro auf die Bearbeitung meines Antrags wartete, entfernte sich der Beamte für einige Minute von seinem Schreibtisch. Dort lag ein Ordner mit den Akten zahlreicher Journalisten und Korrespondenten zum Beispiel von der Nachrichtenagentur Agence France Presse, die allesamt von den israelischen Behörden als "antiisraelisch" geführt wurden. Trotz allem durfte ich wenige Tage später zusammen mit einer Gruppe Journalisten, von denen das Presseamt annahm, sie oder ihre Arbeitgeber stünden auf der Seite Israels, den Libanon besuchen.

SB: Nur um es klarzustellen - die israelischen Streitkräfte waren zu diesem Zeitpunkt schon einmarschiert, der Krieg war bereits in vollem Gange, und Sie wollten darüber berichten?

EC: Ganz genau.

SB: Hatten die Israelis Beirut bereits erreicht?

EC: Ja. Eigentlich wollte ich nach Beirut, aber mit der Finanzierung aus den USA wollte es nicht klappen. Dafür schloß ich mich besagtem Pressetroß an, reiste in den Südlibanon und sprach dort mit den Menschen. Unsere behördlichen Begleiter behaupteten, die israelische Armee habe ein palästinensisches Waffenlager in der Nähe der südlibanesischen Grenze entdeckt, das sie uns Journalisten zeigen wollten. Ich kann mich gut erinnern, wie ich am Fundort mit zwei Fotografen der Nachrichtenredaktion des US-Senders ABC stand und wir verzweifelt nach Waffen Ausschau hielten, aber es keine gab. Die Entdeckung des geheimen palästinensischen Waffenlagers war eine Erfindung. Also machte ich mich auf den Weg nach Israel, um diese offensichtliche Falschmeldung zu enthüllen. Doch die Israelis hielten mich an der Grenze fest und verhinderten das. Später habe ich die beiden Fotographen von ABC News getroffen. Sie erzählten mir, die israelischen Militärs hätten ihnen später Waffen und Munition des Gegners vorgelegt, die sie angeblich beschlagnahmt hatten.

Ich war damals mit dem israelischen Chemiker Israel Shahak befreundet, der an der hebräischen Universität von Jerusalem lehrte. Er war ein Überlebender von Bergen-Belsen und einer der wichtigsten israelischen Dissidenten überhaupt. Er hat mich gewarnt, nichts über den vorgetäuschten Fund des Waffenlagers zu schreiben, weil ich mich damit zur Zielscheibe des israelischen Sicherheitsapparats machen würde. Also folgte ich seinem Rat und behielt die Geschichte für mich. Zudem konnte ich die These von der Täuschung nicht endgültig beweisen. Wenn es auch unwahrscheinlich ist, hätte es doch sein können, daß ich einfach an der falschen Stelle gewesen war und die Waffen, welche den ABC-Fotografen gezeigt wurden, tatsächlich aus einem geheimen Depot der Palästinenser stammten.

Eine andere Sache, die sehr stark auf mich einwirkte, war die öffentliche Aufforderung des israelischen Verteidigungsministers Jitzchak Rabin an seine Soldaten nach dem Ausbruch der ersten Intifada 1987, den Steine werfenden palästinensischen Jugendlichen die Knochen zu brechen. Ich war damals häufig im Westjordanland und habe viele dieser Kinder mit ihren gebrochenen Armen und Beinen fotografiert. Es war entsetzlich. Ich war auch in der autonomen palästinensischen Stadt Dschjenin, als die israelischen Streitkräfte 2002, auf dem Höhepunkt der zweiten Intifada, dort einmarschierten und es zu schweren Kämpfen kam. Ich habe auch den Bau dieser schrecklichen Trennmauer miterlebt, die weite Teile des Heiligen Landes durchzieht und jüdische von palästinensischen Wohngebieten abkapselt.


Ein drei- oder vierjähriger Palästinenserjunge wirft einen Stein in Richtung israelischer Soldaten - Foto: © 2015 by Read299.792, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license

Sumud (Symbolbegriff der Palästinenser für Widerstandsfähigkeit)
Foto: © 2015 by Read299.792, [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

Kurz nach dem Ausbruch der ersten Intifada hat die Village Voice erheblichen Druck seitens pro-israelischer Leser und Werbekunden wegen meiner Artikel bekommen, was zu einer Beendigung der Zusammenarbeit führte. 1989, im zweiten Jahr der ersten Intifada, habe ich einen längeren Essay über das Dorf Beita bei Nablus in der von Ben Sonnenberg herausgegebenen Literaturzeitschrift Grand Street veröffentlicht. Grand Street, die von 1981 bis 2004 erschien, war sehr angesehen, denn dort erschienen regelmäßig Kurzgeschichten und Beiträge ganz großer Schriftsteller wie Jean Baudrillard, Don DeLillo, W. G. Sebald und Edward Said. In Beita hatte ich ältere Palästinenser kennengelernt, die schon 1936 an einer Intifada gegen die jüdischen Siedler und die britische Besatzungsmacht teilgenommen hatten. Die Begegnung mit ihnen hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen.

Ich hatte einen jüdischen Freund in Israel, der in Haifa lebte. Als ich ihn einmal 1982 besuchte, fragte er mich, ob ich den Kanonendonner hören könne. Als ich das bestätigte, klärte er mich auf, daß das der Lärm vom Auftakt des Libanon-Feldzuges sei. Dabei ist Haifa mehr als 40 Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt.

SB: Wann haben Sie aufgehört, über den Nahen Osten zu schreiben?

EC: Ich glaube, mein letzter Artikel zu diesem Thema ist 2009 erschienen. Am Ende konnte ich es mir nicht mehr leisten. Die Flüge und die Unterbringung waren inzwischen zu teuer. Es gab in den USA keinen Verleger mehr, die meine Reportagereisen finanzieren wollte. Ich mußte zum Schluß fast alles aus eigener Tasche bezahlen, was ich auf die Dauer nicht leisten konnte. Dazu kommt, daß 2009 eine neue Generation junger Autoren herangewachsen war, die sich diesem Thema widmete, wie Ben Ehrenreich, der Sohn der sozial engagierten Schriftstellerin Barbara Ehrenreich. Er hat übrigens 2016 das Buch "The Way to the Spring: Living and Dying in Palestine" veröffentlicht, das ganz toll ist. Ein anderer Autor, dessen Artikel über die Lage im Westjordanland ich sehr schätze, ist Jonathan Cook, der in Nazareth wohnt. Wer auch hervorragende journalistische Arbeit über den Nahost-Konflikt geleistet hat ist Max Blumenthal, der Sohn des früheren Clinton-Beraters Sidney Blumenthal. Bei soviel tollem Nachwuchs konnte ich mich guten Gewissens zurückziehen und ihnen das Thema überlassen.

Gleichwohl bin ich stolz darauf, die erste Journalistin gewesen zu sein, die in der amerikanischen Presse auf das Leid und die Ungerechtigkeit, die Israel den Palästinensern antut, aufmerksam gemacht hat. Zwar hatten Chomsky, Alexander Cockburn und Christopher Hitchens über den Nahost-Konflikt geschrieben, aber alle nur aus der Ferne. Ich war die erste, die längere Aufenthalte im Westjordanland verbrachte, um von dort berichten zu können. All meine Artikel erschienen in der linken, alternativen Presse bei Zeitschriften wie Village Voice und Grand Street. Eine Veröffentlichung in einer großen Tageszeitung wie der New York Times war nicht möglich. Selbst Chomsky, seit Jahrzehnten einer der führenden Intellektuellen der USA, durfte und darf wegen seiner israelkritischen Position bis heute nichts über das Verhältnis Palästina-Israel bei der New York Times oder der New York Review of Books veröffentlichen.

SB: Der Nahost-Friedensprozeß und die Zwei-Staaten-Lösung, welche die Osloer-Verträge vorsahen, sind nicht zuletzt wegen des ständigen Ausbaus der illegalen jüdischen Siedlungen im Westjordanland gescheitert. War das Scheitern von Oslo unvermeidlich? Waren Sie als Kennerin der Verhältnisse vor Ort nach dem Händedruck Jassir Arafats mit Jitzchak Rabin im Garten des Weißen Hauses im Beisein Bill Clintons hoffnungsvoll oder eher skeptisch, was die Verwirklichung des Traums von einem gerechten Frieden betrifft?

EC: Bei mir überwog zunächst die Skepsis. Gleichwohl hatte ich einen palästinensischen Freund namens Raja Shehadeh, den ich 1982 kennengelernt hatte und der meinte, die Beilegung des Konflikts könnte gelingen. Also habe ich mich auf ihn verlassen. Shehadeh ist Gründer der Menschenrechtsorganisation Al-Haq und einer der wichtigsten Chronisten der jüngeren Geschichte der Palästinenser. Sein "Journal of Life on the Westbank" ist ein fabelhaftes Buch. Das gleiche gilt für seine Autobiographie mit dem Titel "Strangers in the House - Coming of Age in Occupied Palestine". Als juristischer Berater der PLO war er selbst an der Madrider Friedenskonferenz 1991 mit den Israelis beteiligt.

Ich habe niemals etwas darüber schriftlich verfaßt, aber nach meinem Dafürhalten konnte der Friedensplan nur noch scheitern, denn die Aufteilung des fraglichen Gebiets, die Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen Israels und des Wohlergehens der jüdischen Siedler bei der Festlegung der Trennlinie zwischen beiden Völkern war für die Palästinenser extrem unvorteilhaft. Weite Teile des Westjordanlands blieben unter der Kontrolle der Israelis. Dazu blieb die Bewegungsfreiheit der Palästinenser stark eingeschränkt. Sie konnten nicht nur nicht ein- und ausreisen, sondern nicht einmal zwischen den wichtigsten Städten auf der Westbank verkehren, ohne von den israelischen Behörden, meistens in Form bewaffneter Soldaten an irgendwelchen Kontrollpunkten oder Grenzübergängen, als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Zu keinem Zeitpunkt sah es danach aus, als würden die Israelis die von ihnen besetzten Gebiete zurückgeben - und sei es nur zum Teil. Im Gegenteil sind die Siedlungen seit 1993 kontinuierlich ausgebaut worden und zwar massiv. Heute wohnen dort rund doppelt so viele Israelis wie vor zwanzig Jahren.

Der Staat Israel war von Anfang an auf Expansion angelegt. David Ben Gurion hat keinen Hehl aus seinem Wunsch gemacht, den Süden des Libanons zu erobern und die Nordgrenze Israels an den Litani-Fluß zu legen. Die Israelis wollen soviel Territorium im Nahen Osten für sich bekommen, wie sie können. Dabei werden sie von den USA tatkräftig unterstützt.


Den Palästinensern gestohlene Häuser von Schutzmauer und Stacheldraht umgeben - Foto: © 2010 by Antoine Taveneaux, freigegeben nach Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, 2.5, 2.0 & 1.0 Generic

Die Innenstadt von Hebron, Trutzburg der radikalsten jüdischen Siedler in Westjordanland
Foto: © 2010 by Antoine Taveneaux [CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)]

SB: In den letzten Jahren ist eine zunehmende Entfremdung zwischen dem progressiven Judentum in den USA und Israel zu verzeichnen. Immer mehr junge amerikanische Juden beklagen den Umgang Israels mit den Palästinensern im allgemeinen und den Einwohnern des abgeriegelten Gazastreifens im besonderen. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung? Kann sie vielleicht positiv-mäßigend auf die israelische Politik einwirken?

EC: Vor einigen Jahren habe ich einen Artikel für die Zeitschrift Mother Jones über die israelische Jugend geschrieben und dabei beklagt, daß diese zunehmend rechtsreaktionär werde. In den USA ist der gegenteilige Trend zu beobachten. Je jünger die amerikanischen Juden sind, um so antizionistischer eingestellt sind sie im Vergleich zu ihren Eltern und Großeltern. Vor allem die Unmenschlichkeit, welche die Israelis gegenüber den Leuten in Gaza an den Tag legen, stößt viele amerikanische Juden ab. Sie können sie mit den eigenen Vorstellungen von Ethik und Moral nicht in Einklang bringen und geraten zwangsläufig in ideologischen Widerspruch zum Staat Israel. Dabei war es Ariel Sharons Berater Dov Weissglass, der in den Nullerjahren empfohlen hat, die Gazabewohner auf Hungerrationen zu setzen, um ihre Widerstandskraft zu brechen.

Im Gazastreifen gibt es kaum noch sauberes Trinkwasser. Dort verhungern die Menschen. Wegen der Wirtschaftsblockade herrscht eine extrem hohe Arbeitslosigkeit. Die Menschen haben nichts. Für mich ist das Völkermord. Immer mehr junge amerikanische Juden erkennen, was in Gaza und im Westjordanland los ist und entziehen Israel deshalb öffentlich die Unterstützung. Leider genießt Israel weiterhin die uneingeschränkte Unterstützung Washingtons. Als Präsident erfüllt Donald Trump seinem Freund Benjamin Netanjahu jeden Wunsch, hat die Hilfsgelder für die Palästinenser gekürzt, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt und sogar die Annexion der syrischen Golanhöhen anerkannt. Ich glaube nicht mehr, daß es einen eigenständigen palästinensischen Staat geben wird, der diesen Namen verdient.

SB: Ungeachtet der zunehmend kritischen Haltung der amerikanisch-jüdischen Jugend gegenüber Israel halten in den USA sämtliche jüdischen Milliardäre wie Kasinokönig Sheldon Adelson, Modezar Leslie Wexner oder der Hedgefonds-Manager Paul Singer eisern am Zionismus fest. Wie erklären Sie die uneingeschränkte Rückendeckung, die Amerikas jüdische Oberschicht Israel finanziell und politisch gewährt? Warum ist Israel ihnen so wichtig? Wollen sie wirklich einen Dritten Tempel errichten?

EC: Ich kann es Ihnen nicht erklären. Mir fällt es unheimlich schwer, mich in die Lage dieser Menschen zu versetzen und ihre Motive zu verstehen. Das sind in der Regel ältere Leute. Sie haben vielleicht familiäre Bindungen nach Israel. Dazu kommt, daß das Israel-Projekt für seine Anhänger viel Prestige und Macht mit sich bringt. Schließlich subventioniert der amerikanische Staat Israel jährlich mit rund drei Milliarden Dollar.

SB: Also bestärken der Zionismus Israels und der globale Imperialismus der USA einander gegenseitig?

EC: Ich denke schon. Die politischen Eliten in Washington und Tel Aviv haben ein gemeinsames Interesse an israelischer Hegemonie im Nahen Osten und amerikanischer Hegemonie weltweit. Für mich sind diese Oberzionisten bösartige Leute, die ethnische Vertreibung und Ausradierung eines anderen Volkes gutheißen.


Nachbarn suchen nach Überlebenden im zerbombten und zusammengestürzten Wohnhaus - Foto: © 2013 by Muhammad Sabah und B'Tselem, freigegeben nach Creative Commons Attribution 4.0 International license

Das Haus der Familie Kware nach Bombardierung durch das israelische Militär
Foto: © 2013 by Muhammad Sabah und B'Tselem, [CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0)

SB: Könnten die USA ungeachtet der extrem pro-israelischen Politik der Regierung Donald Trumps vielleicht doch noch einen Beitrag zur Schaffung eines dauerhaften Friedens zwischen Israelis und Palästinensern leisten oder bestehen dafür keine Chancen mehr?

EC: Ich denke, dafür ist es in der Tat viel zu spät. Vor dreißig, vierzig Jahren war es schwer, Menschen in den USA für die Sache der Palästinenser zu interessieren. Heute wissen viel mehr Amerikaner, unter welchen Bedingungen die Menschen im Westjordanland und Gazastreifen leben müssen. Doch heutzutage sind die meisten Menschen in den USA mit dem eigenen Überleben beschäftigt, müssen zwei oder drei Jobs nachgehen, um selbst halbwegs über die Runden zu kommen, schieben Schulden aus ihrem Studium vor sich her oder haben Angst, krank zu werden und die Behandlung nicht bezahlen zu können.

SB: In den letzten Jahren haben Sie sich ausgiebig Umweltthemen wie insbesondere dem Fracking gewidmet. Bitte erzählen Sie uns davon.

EC: Ich bin über einen Freund zur Umweltproblematik gekommen, Michael Klare, den Militärkorrespondenten von The Nation, der auch Energieexperte ist. Er erzählte mir in den Nullerjahren von der Entstehung einer Basisbewegung in Upstate New York gegen Fracking. Dort liegt eine große Schieferformation namens Marcellus Shale, welche die Fracking-Industrie selbst auf die Gefahr hin ausbeuten wollte, daß dadurch das Trinkwasser für Millionen von Menschen in der Metropolregion New York kontaminiert würde. Dagegen regte sich Widerstand, und ich habe für TomDispatch.com einen ersten Artikel zu dem Thema verfaßt. Der kam gut an und die Angelegenheit war wichtig, also wurde daraus eine ganze Artikelserie. Dabei habe ich selbst erleben können, welche Gesundheitsgefahren vom Fracking ausgehen. In Pennsylvania habe ich Bauernfamilien gesprochen, deren Kühe an freigesetzten Giftstoffen verendet waren und deren Mitglieder selbst schwere Lebererkrankungen davontrugen.

Mich hat dabei der Rassismus einiger Menschen in Pennsylvania erschüttert. Ich hatte dort eine Bauersfrau kennengelernt. Wir konnten einander gut leiden, bis sie dann irgendwann anfing, gegen Mexikaner zu hetzen. Es geschah immer wieder - im direkten Gespräch wie auch auf Facebook. Ich versuchte ihr zu erklären, daß die mexikanischen Einwanderer in den USA arme Bauersleute wie sie waren, die wegen des Raubbaus an der Natur im eigenen Land durch dieselben Großunternehmen, welche in Pennsylvania Fracking betreiben, zur Flucht gezwungen wurden. Doch die Frau wollte nichts davon wissen. Leider ist die Freundschaft an dieser Meinungsverschiedenheit zerbrochen.

SB: Die Umweltbewegung in den USA scheint zu erstarken - trotz oder vielleicht gerade wegen Trump und seiner Ignoranz in der Klimafrage. Würden Sie dem zustimmen?

EC: Unbedingt. Ich begrüße die Bemühungen der Fridays-for-Future-Bewegung, von Greta Thunberg und von Extinction Rebellion, den großen Energiekonzernen endlich das Handwerk zu legen, doch möglicherweise kommt das alles viel zu spät. Was den Klimawandel betrifft, bin ich sehr pessimistisch, daß die Menschheit die Schäden an der Natur, die sie seit der industriellen Revolution angerichtet hat, beheben oder die Folgen lindern kann. Die extremen Wetterphänomene, die wir seit einigen Jahren beobachten, werden meines Erachtens nur noch zunehmen.

SB: Wir bedanken uns herzlich, Frau Cantarow, für das ausführliche Gespräch.


Idyllische Landschaft durch Trennmauer aus Beton zerstört - Foto: © 2010 by W. Hagens und von ihm nach Creative Commons völlig freigeben

Ein Teil von Israels Trennmauer unweit der 'Hauptstadt' des palästinensischen Verwaltungszentrums Ramallah
Foto: © 2010 by W. Hagens [Public domain], via Wikimedia Commons


Beiträge zur Serie "Trumps Amerika" im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT:

BERICHT/346: Trumps Amerika - Liegenschaftskriege ... (SB)
BERICHT/347: Trumps Amerika - Angriffsspitze der Demokraten ... (SB)
INTERVIEW/445: Trumps Amerika - The Squad, Rebellion im Kongreß ...    Eric Josephson im Gespräch (SB)


7. September 2019


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