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INTERVIEW/464: Klimakrise - technikbedingte Gefahrenzuwächse ...    Detlef Mielke im Gespräch (SB)


Gespräch am 19. Oktober 2019 in Jagel


Detlef Mielke hat seit 1976 Kriegsdienstverweigerer in ihrem Anerkennungsverfahren beraten und setzt sich seit Jahrzehnten für Abrüstung, gewaltlose Konfliktlösung und soziale Gerechtigkeit ein. Er ist in Bad Oldesloe in der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) aktiv und gehört zu den OrganisatorInnen der Mahnwachen "Zwei vor Zwölf", die einmal im Monat um 11.58 Uhr vor dem Tor zum Drohnen- und Tornadostandort Jagel bei Schleswig abgehalten werden.

Bei der 43. Mahnwache am 19. Oktober 2019 [1] stand das Thema "Krieg ist gegen die Natur" im Mittelpunkt. Im Zuge der Rüstungsproduktion, der Errichtung von Stützpunkten, des Unterhalts der Streitkräfte, in Übungen und Manövern wie auch insbesondere im Krieg werden gewaltige Mengen umweltschädigender Stoffe freigesetzt, die maßgeblich zur Klimakrise beitragen. Bei der Mahnwache beantwortete Mielke dem Schattenblick einige Fragen.


Vor einem Zaun, dahinter ein ausgestellter Starfighter - Foto: © 2019 by Schattenblick

Detlef Mielke
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Detlef, wie würdest du dich selber bezeichnen? Bist du ein Friedensaktivist und Antimilitarist?

Detlef Mielke (DM): Ich bin Antimilitarist und Pazifist oder gewaltfreier Antimilitarist, wobei diese Begriffe aus meiner Sicht nicht so besonders viel aussagen. Auch die Anarchisten bezeichnen sich als Antimilitaristen, während andere sich als Pazifisten bezeichnen würden.

SB: Ihr thematisiert heute bei der Mahnwache den Zusammenhang zwischen Krieg und Klimakrise, der im Rahmen der Wahrnehmung gravierender klimatischer Veränderungen in der Öffentlichkeit weithin unterbelichtet ist. Woran liegt es deines Erachtens, daß die Bedeutung des Militarismus in dieser Diskussion derart unterschlagen wird?

DM: Es sind viele junge Leute, die sich heute von neuem mit dem Thema Klima auseinandersetzen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, daß sich bereits Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre Menschen mit Fragen der Klimaveränderung befaßt haben. Das geschah auch bei den Grünen, die dann aber Mitte der 90er Jahre mit dem Jugoslawienkrieg ihren Sündenfall hatten. Über Klima zu sprechen ist erst einmal näher am Mainstream dran, als andere brisante Fragen aufzuwerfen, und führt nicht sofort dazu, daß sich bei den Gegnern die Stacheln aufstellen. Zudem finden die Klima-Ignoranten, um sie einmal so zu bezeichnen, leichter Wege, die Kritik zu umschiffen und auszusitzen. Die enge Verbindung zwischen Krieg und Klima wurde dann Ende der 90er und Anfang der 2000er Jahre wenig diskutiert, und dies nicht nur von der Klimaseite, sondern auch von der friedenspolitischen Seite, die das Thema Umwelt und Klima zwar behandelt, aber nicht ins Zentrum gestellt hat. Dort standen lange Jahre die aktuellen Kriege, dann die Aufrüstung der Bundeswehr und in jüngerer Zeit die Aufrüstung mit Atomwaffen oder die verdrängte Atomkriegsgefahr. Das ist ja für sich genommen auch richtig, wobei der Zusammenhang der beiden Komplexe im Laufe der Zeit immer mal wieder aufgetaucht ist. Ich habe beispielsweise in einer alten Informationsschrift des Antimilitarismus Beiträge gefunden, die sich ausführlich mit den Auswirkungen des Militarismus auf Umwelt und Klima befassen.

SB: Du weist darauf hin, daß die Gefahr eines Atomkriegs nicht gebannt ist und es im Falle eines nuklearen Waffengangs zu einer Abkühlung mit verheerenden Folgen käme.

DM: Die Debatte um den sogenannten nuklearen Winter war bereits in der Friedensbewegung der 70er Jahre und auch in den 80er Jahren präsent. Ich selbst habe dies erstmals Mitte der 70er Jahre und verstärkt Ende der 80er Jahre wahrgenommen. Wir haben die Atomkriegsgefahr zunächst fälschlicherweise im wesentlichen auf die Strahlung reduziert und erst später in vollem Ausmaß begriffen, daß die mit einem Atomkrieg verbundenen Gefahren wesentlich umfangreicher als der radioaktive Fallout sind, da eine weltweite Abkühlung zu massiven Ernteausfällen und Hungersnöten führen würde.

SB: Angesichts der Klimakrise und einer fehlenden Bereitschaft, die dringend notwendigen Maßnahmen einzuleiten, drängen technologische Heilsversprechen in den Vordergrund. So schlagen Protagonisten des Geoengineering vor, Partikel in der Atmosphäre auszubringen, welche die Sonneneinstrahlung reflektieren und so zu einer geringeren Erwärmung der Erdoberfläche führen sollen. Könnte diese Herangehensweise womöglich sogar so weit gehen, eine Abkühlung in Folge eines begrenzten Atomkriegs als Denkmodell in Betracht zu ziehen?

DM: Ich habe mich ausgiebig mit verschiedenen Ansätzen des Geoengineering und dabei auch mit der Überlegung auseinandergesetzt, Aerosole in der Stratosphäre auszusprühen, um eine Abkühlung herbeizuführen. Meines Erachtens sind das hilflose Versuche, mit den hereinbrechenden Veränderungen des Klimas umzugehen. Einmal angenommen, ein derartiges aktives Sicherheitssystem würde tatsächlich funktionieren, dann müßte es über Jahrzehnte und Jahrhunderte unablässig fortgesetzt werden, um die angestrebte Wirkung aufrechtzuerhalten. Ob Leute wirklich so pervers denken, daß sie sogar eine Abkühlung in Folge eines Atomkriegs für sinnvoll halten, weiß ich nicht.

SB: Ich habe die Frage etwas überspitzt, weil zu Beginn des nuklearen Zeitalters diverse aberwitzige Ideen herumspukten und teilweise sogar realisiert wurden. So wurden in den USA und in der Sowjetunion im Zuge der Landschaftsgestaltung sogar große Erdbewegungen mit Atombomben herbeigeführt. Heute argumentieren Vertreter der Atomenergie in der Klimabewegung, daß man diese angeblich CO2-freie Energie vielleicht doch nicht aufgeben sollte.

DM: Die Klima-Ignoranten oder Ignoranten unserer Verantwortung für die Veränderungen des Klimas finden immer wieder neue Argumente und Begründungen wie insbesondere die Vorstellung, der Mensch könne die Natur vollständig beherrschen und für seine Zwecke instrumentalisieren. In diese Sparte packe ich Geoengineering. Es gab im Verlauf der Überlegungen zur Nutzung von Nuklearenergie viele verquere Vorstellungen. Ich habe mich Jahrzehnte mit Menschen gestritten, die meinten, sozialistische Atomkraftwerke seien sicher. Sie haben nicht nur aus anderen Gründen so argumentiert, sondern es tatsächlich geglaubt. Heute glauben Menschen vielleicht, wie gläubige Menschen nun einmal so sind, an irrationale Lösungen wie Geoengineering, um unsere Verantwortung für das, was hier auf der Erde passiert, kleinzureden.

SB: Welche weiteren Aspekte des Zusammenhangs zwischen Krieg und Klimakrise sind aus deiner Sicht besonders bedeutsam?

DM: Krieg richtet verheerende Zerstörungen an, und der Wiederaufbau verschlingt gewaltige Ressourcen, was wiederum mit gravierenden Auswirkungen auf das Klima verbunden ist. Es gibt ja Menschen, die Krieg als eine Antriebsfeder der Wirtschaft auffassen - auch so ein kruder Gedankengang, um die Verantwortlichkeit für das Zusammenleben der Menschen wegzudrängen. Und vielleicht glauben einige auch daran, weil sie damit Profite machen wollen. Heute wird die Frage des Klimas im wesentlichen auf CO2 reduziert, das zur neuen politischen Leitwährung geworden ist. Beim Wiederaufbau zerstörter Gebäude und Infrastruktur wird sehr viel Zement verarbeitet, bei dessen Herstellung CO2 in großen Mengen entsteht. Verbrauche ich bei irgendeiner Reparatur zu Hause einen 25-Kilo-Sack Zement, bereitet mir das schon Sorgen und ich denke, was mache ich da bloß. Bezieht man alle chemischen Prozesse ein, entspricht das rechnerisch der freigesetzten CO2-Menge, wenn ich 100 Kilometer mit dem Kleinwagen fahre, das sind ungefähr sieben bis acht Kilo CO2.

Auch für die Stahlproduktion ist sehr viel Energie erforderlich. Und da im Baubereich neben Beton auch überall Stahl verwendet wird, kommt dies als zweite bedeutende Quelle von CO2-Emissionen hinzu. Der gesamte Wiederaufbau von Städten, wie wir sie kennen, verschlingt wahnsinnig viel Energie. Das ist eine der Kriegsfolgen, die in der Klimabilanz als bedeutender Posten negativ zu Buche schlägt.

Zur Frage, ob im Sinne einer Wechselwirkung Klimaveränderungen unmittelbare Kriegsursachen sind, fallen die Expertisen widersprüchlich aus. Was tatsächlich das auslösende Moment eines Krieges ist, läßt sich nicht in einem kurzschlüssigen Schnellverfahren und vor allem kaum monokausal beantworten. Wenngleich in bestimmten Weltregionen die Trockenzeiten zweifellos zunehmen, traten solche Phasen schon in der Vergangenheit auf, bevor es in Folge der Industrialisierung zu einem CO2-Anstieg in der Atmosphäre kam. In solchen Dürreperioden fanden Wanderbewegungen von Menschen und damit verbunden auch kriegerische Handlungen statt. Wenn wir heute schlußfolgern, daß es beispielsweise in der Sahelzone durch Trockenheit zu wirtschaftlichen Problemen und damit zu Krieg kommt, sollten wir uns vor einer Überinterpretation und einer zu eindimensionalen Erklärung hüten. Trockenzeiten können ein kriegsauslösender Faktor sein, doch sind auch weitere Gründe in Betracht zu ziehen.

SB: Welche Bedeutung weist du in diesem Zusammenhang der Extraktion von Ressourcen insbesondere auch im Verhältnis zwischen dem globalen Norden und Süden zu, die mit militärischen Mitteln durchgesetzt und gesichert wird?

DM: Dieser Zusammenhang ist von großer Bedeutung, da die Absicherung der Extraktion selbst wie auch der Transportwege eine zentrale Rolle in den militärischen Konzepten spielt. Unser Wirtschaftssystem wird abgesichert durch Militär, durch Knebelverträge, durch Ausbeutung, und immer wollen Menschen Profite dabei machen. Natürlich hat der unbedachte Naturverbrauch von Menschen Auswirkungen auf die Lebensperspektive. Dieses Wirtschaftssystem wird militärisch abgesichert, Rohstoffe sind eine Voraussetzung, und das Ziel ist es, egal womit Profite zu machen. Deswegen sind für mich auch Elektroautos keine Lösung, wie ich an dieser Stelle anmerken möchte.

SB: Wir haben bereits den nuklearen Winter angesprochen. Könntest du abschließend noch einmal näher erläutern, welche Folgen ein sogenannter begrenzter Atomkrieg hätte?

DM: Eine Studie in Science und dann im Spektrum der Wissenschaft vom November 2010 ins Deutsche übersetzt hat untersucht, welche Klimafolgen ein Atomkrieg zwischen Indien und Pakistan hätte, wenn beide Seiten jeweils 50 kleine Atomsprengköpfe von der Größe der Hiroshima-Bombe einsetzten. Beide Länder verfügen über diese kleinen Atomsprengköpfe, da geht es noch nicht um die Riesenwasserstoffbomben, wie sie die USA, Frankreich oder Rußland haben. Durch den Einsatz von 100 kleinen Atomsprengköpfen würden 200 Millionen Menschen unmittelbar durch Hitze und die Druckwelle sterben, da wahrscheinlich Bevölkerungszentren und Industriezentren getroffen würden, die oft zusammenliegen. Im Zuge dieser primären Auswirkungen käme es zu riesigen Feuerstürmen, deren Rauch in die hohe Atmosphäre aufsteigen würde. Während es bei Vulkanausbrüchen transparente Partikel sind, handelte es sich bei dieser Rauchwolke um schwarze Rußpartikel, die sich durch die Sonneneinstrahlung erwärmen, weiter nach oben steigen und die Ozonschicht zerstören. Man geht davon aus, daß diese Partikel nach dem Einsatz von 100 Mini-Nukes mindestens zehn Jahre die beschriebene Wirkung in der oberen Atmosphäre entfalten könnten.

Besonders interessant ist an dieser Studie, daß die WissenschaftlerInnen auch untersucht haben, welche Folgen das für die Temperatur in Bodennähe und damit die Nahrungsmittelproduktion hätte. Der Dunstschleier würde sich demnach über die gesamte Erde ausbreiten, das Sonnenlicht dämpfen und eine Abkühlung von 1,25 Grad Celsius herbeiführen. Das klingt zunächst nicht überaus dramatisch, da wir in den letzten 100 Jahren von einer Erwärmung in etwa derselben Größenordnung sprechen. Der entscheidende Unterschied ist jedoch, daß die Pflanzen und Lebewesen 100 Jahre Zeit hatten, um sich an diese Erwärmung anzupassen, die nach einem begrenzten Atomkrieg jedoch binnen weniger Wochen einträte. Die Pflanzen könnten sich also nicht anpassen, was zu massiven Ernteausfällen, einem Rückgang der weltweiten Nahrungsmittelproduktion um etwa 20 Prozent und einem gewaltigen Preisanstieg führen würde. Hier in Europa hätten wir wohl immer noch zu essen, doch alle ärmeren Menschen könnten das nicht mehr bezahlen, so daß laut Studie mit ein bis zwei Milliarden Hungertoten zu rechnen sei. Denkt man bei einem Atomkrieg in einer fernen Weltregion zuallererst an radioaktiven Fallout, kommt eine globale Hungerkatastrophe hinzu.

SB: Detlef, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnote:

[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0352.html


Bericht und Interviews zur Mahnwache vor dem Drohnen- und Tornadostandort Jagel im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de → INFOPOOL → POLITIK → REPORT

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