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INTERVIEW/473: Die Linke - links, links, links ...    Volkhard Mosler im Gespräch (SB)


Die Frage, was heute als links bezeichnet werden kann, ist so wenig trivial und beliebig wie die Behauptung, die Topographie unvereinbarer politischer Verortungen habe sich überlebt, zumindest diejenigen Menschen übergeht, denen die herrschenden Gewaltverhältnisse nicht gleichgültig sind, sondern denen Ohnmacht und Isolation Anlaß zu grundstürzendem Widerstand sind. Im Feld antagonistischer gesellschaftlicher Bewegungen als links verortete Positionen genau bestimmen zu können ist längst nicht mehr selbstverständlich und bedarf der präzisierenden Nachfrage auch deshalb, weil Allianzen im sozialen Krieg mitunter die Form von Querfronten annehmen und politische Identitätswechsel auf den Maskenbällen sozialer Distinktion hoch gehandelt werden.

Volkhard Mosler war von 1963 bis 1969 Mitglied des SDS und ist heute in der Partei Die Linke Frankfurt/Main wie im Bündnis Aufstehen gegen Rassismus aktiv. Auf der Gründungversammlung der Bewegungslinken in Berlin Mitte Dezember meldete er sich zur Frage der Praxis politischer Positionierung zu Wort. Für den Schattenblick ein willkommener Anlaß, dieser Frage ein wenig weiter nachzugehen.


Im Gespräch - Foto: © 2019 by Schattenblick

Volkhard Mosler
Foto: © 2019 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Volkhard, woran würdest du heute in erster Linie eine linke Position festmachen?

Volkhard Mosler (VM): In den letzten Jahren ist die Frage der Verortung gegenüber Rassismus und gegenüber dem Rechtsruck in der Gesellschaft zunehmend wichtiger geworden. Den gab es vor zehn Jahren nicht, statt dessen gab es einen Linksruck in der Gesellschaft. Ich erinnere mich, wie Oskar Lafontaine damals in der Partei auftrat, er hat nach links hin polarisiert und mit dafür gesorgt, daß die WASG-Linke in der Vereinigung nicht unter die Räder kam. Er hat auch die roten Haltelinien gegen die Regierungsbeteiligung unterstützt, wir haben eine Allianz gehabt. Er trat damals auf dem Kongreß von Marx 21 auf, wo er sich scherzeshalber als Trotzkist bezeichnete. Und jetzt sagt er, es war vielleicht ein Fehler, Die Linke zu gründen!

Mehrmals hat er angedeutet, daß er in der SPD mehr hätte erreichen können, gleichzeitig strickt er an der Legende, daß Die Linke deshalb so schwach geworden sei, weil sie in der Flüchtlingspolitik auf dem falschen Dampfer sitzt. Positionen, wie Sahra Wagenknecht sie auch vertritt und die ich für rechts halte. Und weil die Frage Rassismus und Rechtsentwicklung eine dominante in der Gesellschaft ist, ist das nicht irgendeine Frage, sondern für die Verortung, ob jemand in der Partei links oder rechts ist, zumindest für mich maßgeblich.

SB: Es wurde und wird gegen die Forderung nach offenen Grenzen polemisiert, daß damit eine irreale Forderung erhoben werde. Könnte man nicht auf der anderen Seite sagen, daß es ein Grundprinzip internationaler Solidarität ist, die Gleichheit der Menschen prinzipiell über jede Form von Bewegungseinschränkung zu setzen?

VM: Dem würde ich voll zustimmen. Ich glaube, offene Grenzen bedeuten, den Menschen die Angst zu nehmen, den MigrantInnen, den Flüchtlingen, der großen Zahl von Menschen, die mit halblegalem Status hier leben, das Fallbeil der Ausweisung zu ersparen und ihnen damit zu ermöglichen, sich hier zu integrieren, sich an sozialen Kämpfen zu beteiligen, sich in Gewerkschaften zu organisieren, überhaupt aktiv zu werden. Es eröffnet viel mehr Chancen für einen gemeinsamen Kampf aller Unterdrückten und Ausgebeuteten als, wie Karl Liebknecht das nannte, das Fallbeil der Ausweisung.

SB: Für Karl Liebknecht stand der Hauptfeind zuerst im eigenen Land. Das war in der antiimperialistischen und internationalistischen Linken stets Konsens. Hat dieser Grundsatz in der Linkspartei heute noch eine Bedeutung?

VM: Ich habe ja eben in meinem Beitrag gesagt, daß es durcheinander geraten ist, was links und rechts ist, und ich von Fall zu Fall schauen möchte, was links ist und mit wem ich Bündnisse mache. Ich habe in Hessen eine enge Zusammenarbeit mit jungen GenossInnen aus der Ema.Li. Wenn wir beispielsweise Busse nach Braunschweig organisieren, komme ich mit den Aufstehen-Leuten überhaupt nicht zusammen. Umgekehrt gibt es Fragen um die Auseinandersetzung über die BDS-Kampagne und die Einschränkung von demokratischen Rechten, die vor allen Dingen von der CDU im Namen des Kampfes gegen linken Antisemitismus betrieben wird, wo ich wiederum mehr mit Leuten aus dem Aufstehen-Lager zusammengearbeitet habe. Wobei ich insgesamt sagen würde, der Kampf gegen rechts und Rassismus ist in den letzten Jahren dominant geworden, deshalb schließe ich auch neue Bündnisse nicht aus, die ich gestern noch für nicht so wichtig gehalten habe.

SB: Immer mehr Menschen merken, daß es ans Eingemachte geht, ihre Lebensmöglichkeiten werden eingeschränkt, wir bewegen uns auf eine Klimakrise zu, in der auch hierzulande Hunger drohen könnte. So scheint die Renationalisierung stark mit der Verteilungsfrage verkoppelt zu sein. Wie kann eine Linke überhaupt noch die Bedeutung des übergeordneten Interesses an Gleichheit auch in globaler Hinsicht vermitteln, anstatt sich, wie die Rechte, auf die Verteidigung nationaler Besitzstände zurückzuziehen?

VM: Ich glaube, das ist ein ganz zentraler Punkt geworden, du schneidest zu Recht die Klimadebatte und die Klimaschutzbewegung an, die ja eine internationale Bewegung ist. Alexander Gauland sagte auf einer Wahlkampfveranstaltung, ihm reicht es, Deutscher zu sein, er will nicht zur Menschheit gehören. Wir können jedoch bestimmte Fragen gar nicht mehr im nationalen Maßstab lösen. Klimaschutz ist eine internationale Frage, Krieg und Frieden war immer eine Frage des Internationalismus. Die Rückbesinnung auf den Nationalstaat in Zeiten wachsender Kriegsgefahr und Klimazerstörung ist irrsinnig und überhaupt keine Perspektive.

SB: Die 68er Bewegung läuft praktisch aus, bei vielen jungen Menschen gibt es einen Bruch im Bewußtsein linker Kontinuitäten. Tritt an deren Stelle eine neue Art von Radikalität unter Jugendlichen, oder hast du das Gefühl, daß eher einiges nachgearbeitet werden müßte?

VM: Heute sehe ich hier, daß das Durchschnittsalter jünger als in der Partei insgesamt ist, auch jünger als in der Sozialistischen Linken, in der ich bisher war. Ich kenne einige von den Akteuren hier und weiß, daß sie über Occupy und über andere Themen, die in den letzten Jahren relevant waren, politisiert worden sind. Da sehe ich schon einen positiven Ansatz, daß die widerständige jüngere Generation hier eine Plattform findet, von der ich hoffe, daß sie mehr und mehr auch in der Linken eine dominierende Kraft wird. Deshalb bin ich auch heute auf diesen Kongreß gekommen.

SB: Volkhard, vielen Dank für das Gespräch.


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23. Januar 2020


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