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ARBEIT/436: Beratung und Vermittlung - Hilfe oder Hürde für Flüchtlinge und Migranten? (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 51/52 - Sommer 2010
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Hilfe oder Hürde für Flüchtlinge und MigrantInnen?
Arbeitsberatung und Arbeitsvermittlung

Von Astrid Willer


Das Netzwerk Land in Sicht! - Arbeit für Flüchtlinge in Holstein unterstützt die Bemühungen von Flüchtlingen bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Darüber hinaus wendet es sich auch an die Aufnahmegesellschaft und gibt Anregungen, wie in ihren Institutionen Hürden abgebaut werden können, die die Arbeitsmarktintegration von MigrantInnen erschweren.


Diese Aufgabe übernimmt im Netzwerk das Projekt Interkulturelle Öffnung, das Schulung und Beratung für Betriebe, Weiterbildungsträger, Verwaltung sowie ARGEn und Arbeitsagenturen anbietet in Hinblick auf eine stärkere Berücksichtigung von Flüchtlingen und Migrantinnen in den jeweiligen Angeboten und institutionellen Strukturen.

Für Flüchtlinge spielen je nach Aufenthaltsstatus rechtliche Rahmenbedingungen wie nachrangiger Arbeitsmarktzugang, Residenzpflicht, Ausschluss von Integrationskursen und beruflicher Qualifizierung eine entscheidende Rolle beim Zugang zum Arbeitsmarkt.

Doch auch die Institutionen der Arbeitsverwaltung - ARGEn, Optionskommunen und Arbeitsagenturen - sind wichtige Schaltstellen. Sie entscheiden über Leistungsgewährung sowie letztlich über die Finanzierung von beruflichen Fortbildungen und Qualifizierungsmaßnahmen. Zuvor müssen sie im Rahmen des Profiling die Potenziale der Arbeitslosen erkennen und sollen über Wege in den Beruf beraten. Dies ist vor dem Hintergrund ggf. nicht anerkannter Abschlüsse aus dem Herkunftsland und angesichts eventuell fehlender Papiere aufgrund der Fluchtumstände eine große Herausforderung. Zusätzlich können bei der Beurteilung der Kompetenzen oder der Vermittlungschancen aber auch institutionelle Hürden, Vorurteile und Kommunikationsbarrieren eine Rolle spielen.


Arbeitsagenturen sind auch für Flüchtlinge zuständig

Asylsuchende, geduldete Flüchtlinge und Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 5 Aufenthaltsgesetz erhalten keine Alg-II-Leistungen, sondern Leistungen nach Asylbewerberleistungsgesetz. Dieses Gesetz sieht keinerlei Fördermaßnahmen für die Integration in den Arbeitsmarkt vor. Auch die ARGEn sind für sie nicht zuständig, da diese Gruppe aus dem gesamten Bereich des SGB II ausgeschlossen ist.

Allerdings können für sie die Instrumente der Arbeitsmarktintegration des SGB III in Frage kommen: die Arbeitsagenturen haben die Aufgabe, auch Menschen bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen, die keine Geldleistungen beziehen. Vielfach handelt es sich dabei um Ermessensleistungen, Anspruch besteht aber in jedem Fall auf Beratung und Vermittlungsbemühungen. Schon dies ist in den Arbeitsagenturen kaum bekannt. Entsprechend wenig Erfahrungen mit Flüchtlingen und wenig Hintergrundwissen über deren Lebenssituation sind bisher vorhanden.


Die ARGEn - Gleichbehandlung statt Antidiskriminierung

Für die meisten Flüchtlinge wie für den Großteil der Arbeitslosen mit Migrationshintergrund sind die ARGEn bzw. Optionskommunen zuständig. Auch hier gibt es Nachholbedarf an interkultureller Öffnung. Eine vom Bundesministerium für Arbeit beauftragte Studie zu Wirkungen des SGB II auf Menschen mit Migrationshintergrund stellt u.a. fest, dass innerhalb der Institution ARGE die Arbeitsmarktförderung in der Regel nicht als Teil der Integrationspolitik gesehen wird. Stattdessen wird sehr stark am Gleichbehandlungspostulat festgehalten - ungeachtet der durchaus ungleichen Ausgangsbedingungen von MigrantInnen gegenüber der deutschstämmigen Bevölkerung. Werden die unterschiedlichen Voraussetzungen jedoch ausgeblendet, kann das Festhalten am vermeintlich gerechten Gleichheitsgrundsatz zur Fortführung der Ungleichheit führen und damit auch diskriminierend wirken. Hier gilt es für die besonderen Ausgangsbedingungen von Flüchtlingen und anderen MigrantInnen zu sensibilisieren, über Hintergründe und Auswirkungen von Flucht und Migration und über die rechtlichen Teilhabe- bzw. Ausschlussregelungen zu informieren sowie auf die Folgen alltäglicher Diskriminierungserfahrungen hinzuweisen.

Auch Systemunkenntnis auf Seiten der MigrantInnen ebenso sowie Systemintransparenz in den Institutionen stellen eine Hürde bei der Arbeitsmarktintegration dar, die seitens der Institution abgebaut werden könnte. Nötig wären z.B. mehrsprachiges Informationsmaterial, entsprechende Beschilderung und ähnliche Maßnahmen, die zum einen den Zugang zu Informationen verbessern, aber auch ein Signal für Respekt und Zugehörigkeit sind.


Interkulturelle Kompetenz und interkulturelle Öffnung der Institutionen

Eine große Rolle spielt bei Arbeitsagenturen und ARGEn die Kommunikation zwischen BeraterInnen und KundInnen. Nicht selten hängt der Beratungserfolg davon ab, ob ein guter Kontakt hergestellt, die Anforderung seitens der Behörde oder das Anliegen der KundInnen verstanden wurde. Dabei kommen im interkulturellen Kontext Unsicherheiten, Vorurteile, Stereotype und Missverständnisse besonders zum Tragen. So ist ein weiteres Ergebnis der oben genannten Studie, dass mit Menschen mit Migrationshintergrund signifikant weniger Eingliederungsvereinbarungen getroffen werden und HilfeempfängerInnen mit türkischem oder südeuropäischen Hintergrund häufiger sanktioniert werden als Deutsche ohne Migrationshintergrund. Interkulturelle Kompetenz der MitarbeiterInnen ist deshalb von zentraler Bedeutung für professionelle und erfolgreiche Beratung.

Für eine nachhaltige interkulturelle Öffnung ist aber auch die Öffnung der Institution entscheidend. Leitbilder, Konzepte, Angebote und Methoden sollten daraufhin überprüft werden, ob sie den gleichen Zugang und Nutzen für alle ermöglichen. Insofern ist interkulturelle Öffnung immer auch Leitungsaufgabe. Auch die Institutionen der Arbeitsmarktintegration haben sich im Rahmen des Nationalen Integrationsplans verpflichtet, den Zugang zu Arbeit und Ausbildung für Flüchtlinge und andere MigrantInnen zu verbessern. Darüber hinaus sind sie zur Umsetzung des im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankerten Diskriminierungsverbots verpflichtet und müssen entsprechend auch die eigene Praxis und Strukturen auf Benachteiligungen überprüfen und ihnen entgegenwirken. Fortbildungen zur Interkulturellen Kompetenz der MitarbeiterInnen sind dabei ebenso wichtig wie strukturelle Veränderungen - z.B. eine veränderte Personalpolitik, Einsatz von SprachmittlerInnen, migrationssensible Kompetenzfeststellungs- und Testverfahren oder sinnvolle Nachqualifizierungsangebote.

Hier sind auch Politik und Gesetzgeber gefragt, um u.a. in Hinblick auf die Umsetzung des AGG einen Rechtsanspruch auf spezifische Information und Beratung für Flüchtlinge und MigrantInnen in der Sozialgesetzgebung im Sinne eines Nachteilsausgleichs zu verankern. Das bundesweite Netzwerk Integration durch Qualifizierung (IQ) hat ebenso wie der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge dazu hilfreiche Empfehlungen herausgegeben.


Fachkraft Flüchtling

Vernetzung und Verbesserung der Informationslage zu Fördermöglichkeiten insbesondere für Flüchtlinge mit noch ungesichertem Aufenthalt war ein Schwerpunkt der Fachtagung "Fachkraft Flüchtling", die das Netzwerk Land in Sicht! gemeinsam mit der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit und dem Zuwanderungsbeauftragten des Landes im März 2010 durchführte und deren Dokumentation vom Projekt Interkulturelle Öffnung herausgegeben wurde. Sie eignet sich auch als Arbeitshilfe für alle, die mit der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen beschäftigt sind. Zugang zu Bildung, Qualifikation und Arbeitsmarkt von Anfang an, so auch hier das Fazit, sind Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe und erfolgreiche Integration. Das erfordert ein Umdenken in der Aufnahmegesellschaft und politische sowie institutionelle Öffnung auch im Bereich der Arbeitsberatung und -vermittlung. Dafür bietet das Projekt Interkulturelle Öffnung kostenlos Schulungen und Beratung an.


Astrid Willer arbeitet im Projekt Interkulturelle Öffnung im Netzwerk Land in Sicht! - Arbeit für Flüchtlinge in Holstein.


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 51/52 - Sommer 2010, Seite IX-XI
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
Oldenburger Str. 25, 24143 Kiel
Tel.: 0431/73 50 00, Fax: 0431/73 60 77
E-Mail: schlepper@frsh.de
Internet: www.frsh.de
Der Schlepper online im Internet: www.frsh.de/schlepp.htm

Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
des Flüchtlingsrates Schleswig-Holstein e.V.
Für Vereinsmitglieder ist Der Schlepper kostenlos.
Nichtmitglieder können ihn für 18,00 Euro jährlich
abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2010