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ARBEIT/464: Japan - Gefährliche Arbeit ohne Schutz, Arbeiter in Kernkraftwerken haben kaum Rechte (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. September 2011

Japan: Gefährliche Arbeit ohne Schutz - Arbeiter in Kernkraftwerken haben kaum Rechte

Von Suvendrini Kakuchi


Tokio, 6. September (IPS) - Ironie des Schicksals: Die Havarie im japanischen Atomkraftwerk Fukushima könnte ungelernten Arbeitern, die sich seit Jahren gefährlicher radioaktiver Strahlung aussetzen müssen, endlich Gerechtigkeit bringen.

Die Vorfälle in Fukushima hätten die öffentliche Aufmerksamkeit auf eine Gruppe von Personen gelenkt, die in einem von ihnen abhängigen Industriebereich ein Schattendasein führten, sagte der Gewerkschaftssprecher Minoru Nasu. Der langjährige Aktivist warf den Kernkraftwerksbetreibern vor, diese Arbeiter mit Hilfe von skrupellosen Subunternehmen zu rekrutieren und als Tagelöhner zu beschäftigen.

"In den vergangenen Jahren sind Menschen regelrecht versteigert worden", sagte Nasu gegenüber IPS. Arbeitswillige versammelten sich bei Sonnenaufgang an bestimmten öffentlichen Orten, wo sie von Mittelsmännern abgeholt und zu den Werken gebracht würden.

Statistiken der japanischen Aufsichtsbehörde für Kernkraft und Industrie zufolge sind 80 Prozent der insgesamt rund 80.000 Beschäftigten in den 18 Atomkraftwerken Vertragsarbeiter. In Fukushima hatten sogar 89 Prozent der 10.000 Arbeiter diesen Status.


Keine Versicherung gegen Krankheit

Diese Männer verrichten in den Nuklearanlagen monatelang gefährliche Arbeiten, für die keine spezifische Ausbildung verlangt wird. Sie haben keinerlei Versicherungsschutz bei Unfällen oder Absicherungen im Falle schwerer Krankheiten wie Leukämie und anderen Krebsformen. "Wenn ihre Arbeit erledigt ist, sollen sie einfach verschwinden. Niemand kümmert sich um sie", kritisierte Nasu.

Einer der wenigen Betroffenen, der über sein Schicksal spricht, ist der 71-jährige Seizi Saito. Der ehemalige Klempner arbeitete 15 Jahre lang im Kernkraftwerk Tsuruga im Westen Japans, wo er Lecks in Kühlwasserleitungen reparierte. "Die Zustände in dem Werk waren schrecklich und gefährlich", erklärte er auf einem Treffen von Unterstützern der Arbeiter. "Das Schlimmste war, dass wir überhaupt nicht geschützt waren."

Saito erkrankte an Schilddrüsenkrebs und hat überlebt. Er fordert nun Gewerkschaften für Tagelöhner in Atomkraftwerken. Mikiko Watanabe vom unabhängigen Bürger-Nuklearinformationszentrum sieht die Aufklärung jedoch dadurch erschwert, dass die betroffenen Arbeiter Angst hätten, offen über ihre Situation zu sprechen. "Sie fürchten, ihre Jobs zu verlieren und gesellschaftlich diskriminiert zu werden."

Während die Betreiberfirma Tepco immer noch darum kämpft, eine Kernschmelze in Fukushima aufzuhalten, hoffen einige Aktivisten darauf, dass sich die Lage der gefährdeten Arbeiter verbessern wird.

Nach der Havarie in Fukushima mussten Tausende Menschen ihre Wohnorte in der Umgebung verlassen. In der Öffentlichkeit regte sich daraufhin Kritik an der Atomkraft und den laschen Kontrollen in den Kernkraftwerken.

Die meisten Tagelöhner in Fukushima wurden nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami am 11. März zunächst in Sicherheit gebracht. Viele kehrten jedoch schon bald zurück, um die höher bezahlten Aufräumarbeiten zu verrichten. In den vergangenen zwei Wochen ist Tepco weiter in Bedrängnis geraten, als abermals vier Arbeiter radioaktiver Strahlung durch verseuchtes Kühlwasser ausgesetzt wurden.


1.500 Arbeiter auf einen Schlag erwerbslos

Saito erkannte schon 1981 die Gefahr, in der er und seine Kollegen schwebten. Damals trat bei einem Störfall in Tsuruga verseuchtes Wasser aus und verstrahlte mehrere Arbeiter. Als die Regierung den Reaktor stilllegte, waren plötzlich 1.500 Arbeiter ohne Beschäftigung. "In dem Moment beschloss ich, selbst eine Gewerkschaft zu gründen und Klartext zu reden", berichtete er. Seine Initiative war allerdings nicht von Dauer, weil es die Arbeiter nicht schafften, ihre Belange zu organisieren.

Nach Ansicht von Mitsuo Nakamura, dem Vorsitzenden der Vereinigten Arbeitergewerkschaft, sind nach wie vor Menschen bereit, für Geld die Strahlungsrisiken auf sich zu nehmen. In der Nuklearindustrie verdiene man mehr als auf dem Bau, erklärte er. Das sei vor allem attraktiv für ältere Männer, die sonst keine Beschäftigung mehr fänden.

Nachdem die Arbeitsbedingungen in Fukushima im Land auf große Kritik gestoßen sind, rechnet Nakamura damit, dass sich bald weniger Interessenten für die Arbeit in Kernkraftwerken melden werden. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2011