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ARBEIT/473: Arbeitsbeziehungen in der bezahlten migrantischen Haushaltsarbeit in Madrid (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 117, 3/11

Familiarisierung als Strategie
Arbeitsbeziehungen in der bezahlten migrantischen Haushaltsarbeit in Madrid

Von Marianne Dobner und Simone Tappert


Haushaltsarbeit stellt einen feminisierten und sozial gering geschätzten Arbeitsbereich dar, der in Spanien seit den 1980er Jahren zunehmend an Migrantinnen ausgelagert wird. Ein zentrales Charakteristikum ist das Verschwimmen von Grenzen: Der Wohnort der ArbeitgeberInnen wird zum Arbeitsort der Haushaltsarbeiterinnen, Privates wird öffentlich, und das Öffentliche kippt zugleich ins Private, wie die Autorinnen im folgenden Beitrag darlegen.


Arbeitsbeziehungen in der bezahlten migrantischen Haushaltsarbeit sind vielfältig und komplex. Um darin implizite Spannungen und Widersprüche zu bewältigen sowie herrschende Machtasymmetrien zu verschleiern, benützen ArbeitgeberInnen und Haushaltsarbeiterinnen unterschiedliche Strategien persönlicher Beziehungsformen, welche oft in eine scheinbar familiäre und/oder freundschaftliche Beziehung münden. Dieses besondere Arbeitsverhältnis trifft vor allem auf (irreguläre) Migrantinnen zu, da ihnen aufgrund ihrer rechtlichen und sozialen Situation Hilfsbedürftigkeit zugeschrieben werden kann. So beschreibt Raquel, eine 60-jährige berufstätige Arbeitgeberin, ihre ecuadorianische Haushaltsarbeiterin folgendermaßen: "Consuelo ist eine sehr spezielle Person, wir mögen sie sehr. Wir leben mit ihr zusammen und versuchen sie praktisch wie ein Familienmitglied zu behandeln."

Einige Arbeitsverhältnisse werden durch die jeweiligen AkteurInnen auch als Mutter-Tochter-Verhältnis beschrieben. Consuelo, die als Interna arbeitet und somit auch im Haushalt der Arbeitgeberin wohnt, sagt über ihr Arbeitsverhältnis: "Es ist, als ob ich in meinem eigenen Haus wäre. Frau Raquel ist meine Chefin, sie hat eine Schlüsselposition, und sie hilft mir sehr. Es ist, als ob sie meine andere Mama wäre." Positionierungen der Haushaltsarbeiterinnen als Tochter verweisen auf eine hierarchische Beziehung, in der diese eine untergeordnete Rolle einnimmt.


"Familiäre" Arbeitsverhältnisse

Dem Begriff "Teil der Familie" liegen unterschiedliche Definitionen und Formen der Auslebung eines familiären Verhältnisses zugrunde. Für die Haushaltsarbeiterin kann es beinhalten, dass sie als Person anerkannt wird. ArbeitgeberInnen hingegen erwarten sich von Haushaltsarbeiterinnen ein Einfügen in die Familie sowie starkes Interesse für diese. Die Einverleibung der Haushaltsarbeiterin in die Familie des/der ArbeitgeberIn geht oftmals mit einer stillen Arbeitsmaximierung einher, die auch undefinierte Arbeitszeiten und Anforderungen beinhalten kann, da bezahlte Hausarbeit somit als Arbeit aus Liebe zur Familie des/der ArbeitgeberIn konstruiert wird. Eine familiarisierte Arbeitsbeziehung lässt somit wenig Raum für Rechte der Haushaltsarbeiterinnen, da ArbeitgeberInnen dadurch ihre Rolle nicht annehmen (müssen) und die Arbeitsrechte in ebendiesen Beschäftigungsverhältnissen vernachlässigen. Weiters geht dies für Haushaltsarbeiterinnen häufig mit einem Aufgeben der eigenen Persönlichkeit und der eigenen Bedürfnisse einher. Daher distanzieren sich einige von ihnen, "Teil der Familie" zu sein, und sprechen von den daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen. Familiarisierung mag jedoch im Bereich der Betreuung auch ein gewisses Machtpotential für Haushaltsarbeiterinnen beinhalten, da diese für betreute Personen eine zentrale Bezugsperson darstellen können.


Alltägliche Praktiken des Zusammenlebens

Unterschiedliche Definitionen und Praktiken des "Teil der Familie"-Seins zeigen sich (auch) im Umgang miteinander sowie in den Regeln und Vorstellungen des Zusammenlebens am Arbeits- und Wohnort. Oftmals nehmen Hausarbeiterin und Familie des/der ArbeitgeberIn die Mahlzeiten nicht miteinander ein. Hausarbeiterinnen essen zumeist allein in der Küche, nachdem die Familie die Mahlzeit bereits beendet hat. Handelt es sich jedoch um die Betreuung älterer Menschen, wird die Mahlzeit oft gemeinsam eingenommen, da dies als Teil der Betreuungspflicht erwartet wird. Auch beim Nutzen der Wohnräume wird die bezahlte Rolle von Hausarbeiterinnen deutlich. Denn das gemeinsame Benutzen der Freizeiträume außerhalb der Arbeitszeiten ist oft nicht gestattet. Im Gegenteil, diese sind der Familie der ArbeitgeberIn und deren Intimsphäre vorbehalten.

Weiters wird vorgeschrieben, wie die Haushaltsarbeiterin auszusehen hat, ob und wann sie telefonieren darf, wann Bekannte oder FreundInnen sie besuchen dürfen und ob sie den Arbeitsort verlassen darf. Dies ist vor allem bei einem Beschäftigungsverhältnis als Interna relevant, da man am Arbeitsort wohnt und die ständige Präsenz und Verfügbarkeit Teil des Arbeitsverhältnisses ist. Die Regeln des Miteinander werden im Allgemeinen durch ArbeitgeberInnen vorgegeben. Wie diese jedoch im Alltag gelebt werden, hängt von den unterschiedlichen Machtpositionen der AkteurInnen ab, und sie werden ständig neu verhandelt.

Meist verlaufen Arbeitsbeziehungen im Haushaltssektor harmonisch, solange die von Seiten der ArbeitgeberInnen vorgegebenen Regeln eingehalten werden. Diese Form des Miteinander zeigt auf, dass der Begriff "Teil der Familie sein" Grenzen unterliegt.


Kommunikation am Arbeitsort

Die Funktionalität des Begriffes "Teil der Familie sein" zeigt sich auch in der Kommunikation untereinander. Bei Arbeitsverhältnissen, in denen Betreuungsarbeit erforderlich ist, findet eine "gute" Behandlung und Kommunikation mit der Haushaltsarbeiterin statt, um optimale Betreuungsarbeit, das Einhalten der Pflegenormen und ein harmonisches Miteinander zu ermöglichen. Das private Leben der Haushaltsarbeiterin wird dabei kaum thematisiert, vielmehr geht es um die Familie des/der ArbeitgeberIn. Besteht Interesse am Privatleben der Haushaltsarbeiterin, wird dieses meist im jeweiligen Herkunftskontext verortet. Damit einher gehen stereotype Vorstellungen, in denen Lateinamerika im Gegensatz zu einem "modernen" Spanien als patriarchal und "primitiv" gesehen wird. So lässt sich eine übergeordnete Position des/der ArbeitgeberIn herstellen. Außerdem wird dadurch lateinamerikanischen Haushaltsarbeiterinnen das Recht auf Privat- und Familienleben in Spanien abgesprochen. Denn sie werden funktional in die Familie der ArbeitgeberInnen einverleibt und somit zwar als Arbeitskraft, aber nicht als Person mit Rechten anerkannt.

Familiarisierung kann somit als Strategie in der bezahlten Haushaltsarbeit in Madrid bezeichnet werden, da durch diese dem Arbeitsverhältnis inhärente Widersprüche und Machtasymmetrien überbrückt und verschleiert werden können. Weiters kommt es hierbei zu einem veränderten Verständnis von Arbeit: Lohnarbeit wird zu Arbeit aus Liebe. Dies führt meist zu einer Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen von Haushaltsarbeiterinnen.


Literaturtipps:

Hondagneu-Sotelo, Pierrette:
Doméstica: Immigrant workers cleaning and caring in the shadows of affluence (Berkeley 2001).

Wagner, Heike:
Dasein für Andere - Dasein als Andere in Europa. Ecuadorianische Hausarbeiterinnen in Privathaushalten und katholischen Gemeinden Madrids (Wiesbaden 2010).


Zu den Autorinnen:
Marianne Dobner und Simone Tappert studierten Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und schrieben ihre Diplomarbeit gemeinsam über Arbeitsbeziehungen lateinamerikanischer Hausarbeiterinnen und spanischer ArbeitgeberInnen in Madrid. Sie leben und arbeiten in Wien und Dublin.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 117, 3/2011, S. 26-27
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2011