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ARBEIT/504: Pakistan - Auf ewig versklavt, Schuldknechtschaft in der Ziegelindustrie (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Oktober 2012

Pakistan: Auf ewig versklavt - Schuldknechtschaft in der Ziegelindustrie

von Irfan Ahmed


Mehr als vier Millionen Ziegelbrenner in Pakistan arbeiten in der Schuldknechtschaft - Bild: © Irfan Ahmed/IPS

Mehr als vier Millionen Ziegelbrenner in Pakistan arbeiten in der Schuldknechtschaft
Bild: © Irfan Ahmed/IPS

Lahore, 4. Oktober (IPS) - Man braucht keine Zeitmaschine, um in die Vergangenheit zu reisen. Schon der Besuch einer normalen Ziegelei in der pakistanischen Provinz Punjab ruft das Bild alter Zeiten hervor, in denen Menschen wie Tiere behandelt und versklavt wurden. Die Arbeiter dort sind Opfer einer Schuldknechtschaft, die sich von Generation zu Generation vererbt und den Betroffenen so gut wie keine Chance lässt, sich zu befreien.

Der 28-jährige Ata Muhammad und seine Frau arbeiten 18 Stunden am Tag in einer Ziegelbrennerei am Rande von Lahore. Für die Herstellung von 1.000 Backsteinen erhalten sie 450 Rupien, das sind umgerechnet 4,8 US-Dollar. Nach Angaben des Arbeitsministeriums benötigt eine fünfköpfige Familie für die Produktion eines solchen Volumens einen ganzen Tag.

Wie aus einer Untersuchung des Zentrums für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Umwelt hervorgeht, schafft eine Familie aus zwei Erwachsenen und drei Kindern je nach Fertigkeit und körperlicher Verfassung zwischen 500 bis 1.200 Ziegel pro Tag. So muss der Lehm aus zwei oder drei Kilometer Entfernung geholt, gewässert und in Formen gegossen werden. Dann müssen die fertigen Backsteine zur Brennerei gebracht und gebrannt werden.

Bei schlechtem Wetter oder in Krankheitsfällen rutschen die Arbeiter immer weiter in die Verschuldung. Denn dann sind sie gezwungen, ihren Arbeitgeber um einen 'Vorschuss' bitten, für den sie Zinsen zahlen müssen. Auf diese Weise sinken die Betroffenen immer tiefer in die Verschuldung, aus der sie theoretisch nur dann herauskommen würden, wenn sie ihre Schulden komplett zurückzahlen könnten.


Allen Krisen ausgeliefert

Die Darlehen, in Urdu 'peshgi' (Vorauszahlung) genannt, sind die Wurzel des Übels, wie Ghulam Fatima, Generalsekretärin der Front zur Befreiung aus der Schuldknechtschaft, betont. Die Unternehmen leihen ihren Arbeitern nur allzu gern Geld für Anlässe wie Hochzeiten, Geburten und Beerdigungen, durch das sie diese noch stärker an sich binden. "Das Vorgehen ist illegal, wie der Oberste Gerichtshof 1988 festgestellt hat", sagt dazu Fatima.

Von den 400 Rupien, die Ata verdient, muss er 150 Rupien (1,6 Dollar) für ein Darlehen aufbringen, das sein Vater angeblich aufgenommen hat - auch wenn sich der Sohn nicht daran erinnern kann. Fatima zufolge ist das ein großes Unrecht, zumal der staatlich festgelegte Mindestlohn 665,7 Rupien (sieben Dollar) pro 1.000 Ziegelsteine beträgt. Wie sie berichtet, zahlen viele Arbeitgeber nur 300 Rupien (drei Dollar). Mit einem solchen Lohn werde es den verschuldeten Arbeitern niemals gelingen, ihre Schulden zu tilgen.

Kinder der Fronarbeiter werden in die Schuldknechtschaft hineingeboren - Bild: © Irfan Ahmed/IPS

Kinder der Fronarbeiter werden in die Schuldknechtschaft hineingeboren
Bild: © Irfan Ahmed/IPS

Die Ziegelbrenner sind darüber hinaus nicht sozialversichert. Wäre dies der Fall, ließe sich ihre Schuldknechtschaft sehr rasch beenden, ist Mehmood Butt von der Ziegelbrennergewerkschaft 'All Pakistan Bhatta Mazdoor' überzeugt. Unternehmer können die Arbeiter anderer Brennereibesitzer 'kaufen', indem sie deren Schuldscheine einlösen. Wenn ein Arbeiter flieht, wird er mit Hilfe der lokalen Polizei und von Politikern wieder eingefangen. Die Fahndungskosten werden den jeweiligen Arbeitern in Rechnung gestellt.

Die meisten Ziegelbrenner können sich nicht ausweisen, was sie in ihrer Beweglichkeit erheblich einschränkt, wie Khalid Mehmood von der Stifung für Arbeitsbildung (LEF) berichtet. Dabei hat jeder Pakistaner Anspruch auf einen elektronischen Personalausweis. Er berechtigt die Inhaber etwa zur Meldung zur Sozialversicherung, Teilnahme an Wahlen, Inanspruchnahme von Sozialleistungen und Eröffnung eines Bankkontos.

Mehmood zufolge hatte die Nationale Datenerfassungsbehörde (NADRA) in diesem Jahr in der Nähe einiger Ziegeleien ambulante Stellen zur Beantragung der Personalausweise eingerichtet. Doch von den Brennereibesitzern angeheuerte bewaffnete Gangster hätten die meisten Arbeiter davon abgehalten, die mobilen Zentren aufzusuchen.


Schulbildung für die Kinder soll Kreislauf durchbrechen

Nach Ansicht von Shaukat Nizai, Pressesprecher des Arbeitsministeriums von Punjab, ist Bildung die einzige Chance, um die Ziegelbrenner aus der Schuldknechtschaft zu befreien. Er verweist auf ein Projekt zur Abschaffung der Schuldknechtschaft (EBLIK), das 2009 im Bezirk Kasur in Lahore in Zusammenarbeit mit seinem Ministerium zum Bau von 200 Schulen für 8.000 Kinder der Ziegelhersteller führte. "Das war nicht einfach. Es hat sehr lange gedauert, bis wir die Arbeitgeber vom Nutzen dieser Schulen überzeugt hatten."

Außerdem versucht die Provinzregierung die Abhängigkeit von 'Vorschüssen' durch die Bereitstellung weicher Kredite zu beenden. Darüber hinaus befindet sich die Regierung mit den Eigentümern der Brennereien im Gespräch, damit sie ihre Arbeiter versichern. Ferner wurden eine Hotline und eine Beschwerdestelle für Ziegelbrenner eingerichtet, die den Betroffenen Rechtshilfe leistet, damit sie Mindestlöhne und andere Rechte einfordern können. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.ciwce.org.pk/bonded-labour/
http://www.bllfpak.org/about.htm
http://www.ipsnews.net/2012/10/pakistani-workers-slaving-brick-by-brick/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Oktober 2012