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FRAGEN/059: Gewaltarbeit in Südafrika (Frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 148, 2/19

Gewaltarbeit in Südafrika

Geschlechterbeziehungen, Machtverhältnisse und deren Steuerungsmöglichkeiten

von Tania Napranvik


Sonke Gender Justice ist eine NGO, situiert in Kapstadt und Johannesburg. Das Leitbild der Organisation ist eine Welt, in der Männer, Frauen bzw. Kinder in einer gleichberechtigten, gesunden und glücklichen Beziehung leben, die zur Entwicklung von Recht und Demokratie beiträgt. Die Policy-Development- und Advocacy-Spezialistin Marike Keller berichtet im Interview über das Engagement ihrer Organisation gegen Gender Based Violence (GBV) - ein Begriff, mit dem die Frauenrechtsaktivistin sämtliche Formen von Gewalt gegen Personen allein wegen des Geschlechts bezeichnet.

Wo findet Gender Based Violence in Südafrika statt?

Marike Keller (MK): GBV ist omnipräsent. Generell wird geschlechtsspezifische Gewalt als ein Phänomen betrachtet, das nur arme schwarze Frauen in Townships betrifft. Allerdings ist GBV eine Problematik, die sich quer durch die Kategorien Rasse, Klasse und Gender zieht. Hinzu kommt, dass GBV häufig im Verborgenen und in unterschiedlichen Ausprägungsformen stattfindet. Speziell in sozioökonomisch schwachen Regionen ist eine Tendenz von stark ausgeprägter geschlechtsspezifischer Gewalt zu verzeichnen.

Allerdings ist festzuhalten, dass GBV in wirtschaftlich ärmeren Gebieten wohl drastischer erscheint im Vergleich zu Gegenden mit höherer sozioökonomischer Ausstattung, da die geschlechtsspezifische Gewalt offener ausgetragen wird. Das mag daran liegen, dass in armen Gebieten Wohnhäuser näher aneinander gebaut sind und die Wände lärmdurchlässiger sind bzw. GBV auch in der Öffentlichkeit passiert, während sich GBV in reicheren Gegenden (im Privaten) hinter dicken Wänden und hohen Zäunen abspielt.

Welche Ansätze verwendet Sonke Gender Justice, um gegen GBV anzukämpfen?

MK: Wir arbeiten mit verschiedenen Ansätzen. Eine der Strategien, die wir benutzen, bezieht sich auf Kommunikation und Mobilität. Das heißt, dass wir Dialogveranstaltungen bzw. Workshops in bestimmten Gemeinden zu den Themen GBV und Gender Equality abhalten. Wir schauen uns gemeinsam an, was Gender bedeutet: Welche Geschlechterrollen, -normen, -stereotype existieren? Wir arbeiten aber auch strategisch auf der Policy-Ebene. Wir benutzen verschiedene Advocacy- und Policy-Initiativen, um Einfluss auf die Politik, Gesetzgebung und deren Implementierung zu nehmen. So soll ein Trickle-down-Effekt entstehen.

Welche Veränderungen gab es in Bezug auf GBV seit Ende der Apartheid im Jahr 1994?

MK: Leider keine. Es ist sehr schwierig, sich auf Statistiken zu berufen bzw. diese miteinander zu vergleichen. Prinzipiell müssen wir davon ausgehen, dass Gewaltverbrechen öfter auftreten, als sie in Zahlen festgehalten werden. Zudem gibt es aktuell höchst unterschiedliche methodische Zugänge, was unter GBV gefasst bzw. verstanden wird - sowohl in der Gegenwart als auch im Gegensatz zum Apartheidsystem.

Dennoch zeigen Befunde, dass GBV zunimmt. Gleichzeitig ist diese Aussage äußert problematisch, da die zu vergleichenden Datenlagen heterogen sind. Wir müssten noch weitere Kategorien mit einbeziehen, wie etwa Armut oder Bevölkerungswachstum, um eine definitive Antwort auf Ihre Frage nach den Veränderungen seit 1994 geben zu können. Konkret kann dieses Statistik-Dilemma an den Gesetzesänderungen nach der Apartheid verstanden werden. Im Jahr 1998 wurde beispielsweise der Domestic Violence Act verabschiedet, der die Polizei dazu verpflichtet, GBV zu dokumentieren, wenn solche Fälle bei ihnen gemeldet werden. Das heißt, heutzutage gibt es eine progressive Legislatur und ein Umfeld, die es uns ermöglichen, über GBV zu berichten.

Würden Sie sagen, dass die progressive Gesetzgebung die gesellschaftliche Realität in Südafrika widerspiegelt?

MK: Wir haben eine wunderbare Verfassung und Gesetzgebung, jedoch zeichnet sich eine immense Lücke zwischen der Gesetzgebung und ihrer Umsetzung ab: Leider werden die Gesetze weder ausreichend noch adäquat umgesetzt. Insofern werden viele Frauen ausgeklammert, die Unterstützung und Hilfe bräuchten - angefangen bei der Erstattung von Anzeigen bis hin zu Sozialleistungen, die ihnen zustehen würden. Der politische Wille hierfür scheint zu fehlen: Denn bis jetzt hat unsere Regierung noch nicht wirklich bewiesen, dass sie GBV zum Thema machen und bekämpfen will. Zwar beinhalten ihre Reden GBV, jedoch bleiben ihre Worte ohne Taten. Das heißt, derzeit existieren keine ausreichenden Finanzierungen für die Umsetzung ihrer Vorhaben.

Was sind die gesellschaftlichen Hauptkonfliktfelder in Bezug auf die Erreichung von Gender Equality?

MK: Ich denke, dass zunächst die innere Haltung der Menschen verändert werden müsste. Die Gesellschaft muss an das Konzept von Gender Equality und die Wertschätzung gegenüber jedem Individuum glauben, also Frauen als gleichberechtigt betrachten. Ansonsten wird GBV wohl schwierig zu reduzieren sein, da die Machtungleichheit in Form von männlicher Dominanz und gewaltsamer Unterordnung der Frau weiterhin bestehen bleibt.

Wie gestalten sich Gender-Equality-Workshops, die von Ihrer Organisation durchgeführt werden?

MK: Wir versuchen, Männer und Frauen, die sich für dieses Themengebiet interessieren, in ihren Gemeinden zu versammeln, um in Diskussion zu kommen und ihren Wertvorstellungen auf den Zahn zu fühlen, geleitet von einem/r spezifischen Gruppenleiter*in, die/der mit verschiedenen Aktivitäten arbeitet. Beispielsweise verlautbart der/die Gruppenleiter*in: Frauen verdienen weniger als Männer. Im Anschluss daran soll sich die Gruppe in Befürworter*innen bzw. Gegner*innen dieser Aussage aufteilen und aus ihrer jeweiligen Position argumentieren; entlang von Fragen wie etwa: Warum finden Sie niedrigere/höhere Einkommen von Frauen unterstützenswert? Durch den quasi natürlichen Gesprächsverlauf sollen Geschlechterstereotype hinterfragt und aufgebrochen werden.

Können Sie uns ein Beispiel nennen, bei dem es Ihrer Organisation gelungen ist, Gender Equality herzustellen?

MK: Ich denke, das sind die persönlichen Geschichten von Männern, die davon erzählen, wie unsere Workshops und Dialogveranstaltungen ihr Leben und jenes ihrer Familien verändert haben. Die Männer berichten davon, dass sie nur noch wenig oder gar keine Gewalt mehr ausüben. Selbst deren Frauen und Kinder erzählen, dass die Beziehungen in ihren Familien wesentlich gesünder bzw. gleichberechtigter geworden sind.

Wollen Sie unserem Gespräch noch etwas hinzufügen?

MK: Eine Sache, die ich festhalten möchte ist, dass Südafrika den Ruf einer Vergewaltigungshochburg besitzt. Das ist jedoch ein Mythos, der adressiert und aufgebrochen werden muss. Zwar ist es richtig, dass unsere Vergewaltigungsraten im Vergleich zu anderen Ländern extrem und disproportional hoch sind. Nichtsdestotrotz sind diese Statistiken ungenau. Es gilt, solche Zahlen und ihre Akzentuierungen zu hinterfragen, bevor etwaige Feststellungen getroffen werden können.


Webtipp: https://genderjustice.org.za/

Zur Interviewten: Marike Keller ist Policy-Development- und Advocacy-Spezialistin bei Sonke Gender Justice in Kapstadt.

Zur Interviewerin: Tania Napravnik koordiniert das Radioprojekt "Globale Dialoge - Women on Air" in Wien. Sie war im Februar 2019 auf Studienreise in Südafrika.

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 148, 2/2019, S. 28-29
Text: © 2019 by Frauensolidarität / Tania Napranvik
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Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2020

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