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FAMILIE/232: Mütter der Nation - woran die Geschlechtergerechtigkeit scheitert (DJI)


DJI Bulletin 4/2009, Heft 88
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Mütter der Nation

Von Waltraud Cornelißen


Trotz aller Kämpfe und Einsichten übernimmt die junge Frauengeneration in Deutschland - sobald Kinder geboren werden - immer noch den Hauptteil der Erziehungs- und Hausarbeit und stellt berufliche Ambitionen zumindest zeitweise zurück. Woran die Geschlechtergerechtigkeit in der Familie scheitert.


Bezogen auf die Familie wird Geschlechtergerechtigkeit meist als die Ermöglichung einer gleichen Verteilung von Familien- und Berufsarbeit zwischen Frauen und Männern verstanden. Eine solche Angleichung wird sozial- und wirtschaftspolitisch immer notwendiger, entspricht aber auch zunehmend den veränderten Normen in der Gesellschaft und den mehrheitlichen Wünschen der betroffenen Generation.

Kinderlose Paare teilen sich die Erwerbs- und Familienarbeit inzwischen nahezu gerecht untereinander auf. So verrichteten Frauen ohne Nachwuchs, wie eine große Zeitbudgetstudie aus dem Jahr 2002 zeigt, täglich »nur« gut eine Stunde mehr unbezahlte Hausarbeit als ihre Partner. Umgekehrt gingen die Männer knapp eineinhalb Stunden länger einer bezahlten Arbeit nach als ihre Partnerinnen. 1991/92 war diese Verteilung noch deutlich ungleicher (Gille/Marbach 2004). In Paarhaushalten mit Kindern unter 15 Jahren haben sich die Geschlechterrollen in dieser Zeitspanne dagegen kaum verändert. Nach wie vor übernehmen die Mütter den Hauptteil der Erziehungs- und Hausarbeit.

Eine aktuelle Umfrage bei Eltern mit Kindern unter elf Jahren führt allerdings zu dem Ergebnis, dass eine gemeinsame Verantwortung in Familie und Beruf deutlich mehr Zustimmung findet als das klassische Familienmodell, in dem allein der Vater erwerbstätig ist. 62 Prozent halten es prinzipiell für am besten, »wenn beide Elternteile berufstätig sind und sich die Kinderbetreuung teilen«. Nur 24 Prozent bevorzugen es, »wenn der Mann berufstätig ist und die Kinder von der Frau versorgt werden« (Forsa 2008).


Neue Normen, alte Gesetze

Das klassische Ernährermodell ist also bei Weitem nicht mehr mehrheitsfähig. Auch in der für die Deutschen lange Jahre heiklen Frage, ob Mütter von Kleinkindern berufstätig sein dürfen, setzt allmählich ein Umdenken ein. Während 1982 noch 77 Prozent der berufstätigen verheirateten Mütter in Westdeutschland Bedenken gegenüber der Erwerbstätigkeit von Müttern mit Kleinkindern formulierten, waren es 2004 »nur« noch 46 Prozent. In Ostdeutschland, wo die außerfamiliale Betreuung der Kinder zu DDR-Zeiten verbreitet war, hielten es lediglich 20 Prozent für bedenklich (Dressel/Cornelißen/Wolf 2005). Die Normen, die Mütter einseitig auf Familienarbeit verpflichten, haben sich also immerhin gelockert.

Dennoch zeugen bis heute das Ehegattensplitting, die Witwenrente und die beitragsfreie Mitversicherung nicht erwerbstätiger Familienmitglieder davon, dass konservative Regierungen und Bundesgerichte über Jahrzehnte vor allem die Hausfrauenehe mit männlichem Ernährer ermöglicht und finanziell abgesichert haben. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde in Deutschland dagegen nur sehr zögerlich erleichtert (Gerlach 2008a).


Abgehängt und ausgeträumt

Die Große Koalition hat dieses Defizit in der vergangenen Legislaturperiode erkannt und mit dem Kinderförderungsgesetz ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Von 2013 an werden Kinder im Alter von ein und zwei Jahren einen Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot haben. Dies wird von Bund, Ländern und Kommunen so interpretiert, dass im Bundesdurchschnitt eine Inanspruchnahme für 35 Prozent der Kinder gewährleistet werden soll. Diese Quote ist in den ostdeutschen Bundesländern zum Teil schon deutlich überschritten, im Westen aber bei Weitem noch nicht erreicht (Schilling 2009).

In vielen anderen europäischen Staaten wurde schon vor Jahren ein pädagogisch hochwertiges, flächendeckendes Kinderbetreuungsangebot aufgebaut, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert. 2006 wurden in Dänemark bereits 73 Prozent aller Kinder unter drei Jahren außerhalb der Familie betreut, in Schweden und den Niederlanden waren es immerhin jeweils etwa 45 Prozent (Gerlach 2008b). Die Zunahme der Erwerbstätigkeit von Müttern ging in vielen europäischen Ländern mit einer erheblichen Ausweitung der Teilzeitarbeit einher. Die Teilzeitquote der Männer änderte sich allerdings kaum. Auch in Deutschland arbeiten 46 Prozent der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit, aber nur 9,5 Prozent der Männer. Im internationalen Vergleich liegt diese Differenz meist deutlich niedriger (Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2008).

Was das erste Lebensjahr der Kinder betrifft, plädieren Eltern heute ganz überwiegend noch für eine Betreuung in der Familie. Diese wird zumeist von den Müttern gewährleistet. Nach dem ersten Lebensjahr des Kindes wächst aber der Wunsch nach alternativen Angeboten. Von den Eltern der Zweijährigen wünschen sich bereits zwei Drittel einen Betreuungsplatz für ihr Kind (Riedel 2007). Dies ist eine deutliche Abkehr von der in Westdeutschland traditionell fest verankerten Vorstellung, ein Kleinkind gehöre zur Mutter. Derzeit erhalten in Westdeutschland allerdings nur knapp 2 Prozent der unter Einjährigen, knapp 10 Prozent der Ein- bis Zweijährigen und 25 Prozent der Zwei- bis Dreijährigen einen Betreuungsplatz. In Ostdeutschland liegt diese Quote um ein Vielfaches höher. So besuchen dort 75 Prozent der Zwei- bis Dreijährigen außerhäusliche Angebote (Schilling 2009).


Partner wünschen sich ähnlich lange Arbeitszeiten

Insgesamt klaffen Wunsch und Wirklichkeit der Mütter in Deutschland noch weit auseinander. Ähnliches gilt für die Väter. Viele wünschen sich kürzere Wochenarbeitszeiten. Dies gilt ganz besonders für die vielen Väter, die mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten. Eine aktuelle Studie zeigt: Drei Viertel der erwerbstätigen Väter und mehr als die Hälfte dieser Mütter würden ihre Arbeitszeit gerne reduzieren. Teilzeitbeschäftigte Mütter, vor allem diejenigen mit marginaler Arbeitszeit, möchten ihre Arbeitszeit dagegen erhöhen (Klenner/Pfahl 2008). Paare wünschen sich also in der Tendenz eine Angleichung ihrer Arbeitszeiten.

Was politisch und gesellschaftlich notwendig ist, um die gewünschte Balance zwischen Beruf und Familie zu ermöglichen, zeichnet sich klar ab: In Betrieben muss die alltägliche familiale Verantwortung von Vätern für ihre Kinder stärker als bisher respektiert werden. Betriebe müssen sich flexibel den je nach Familienphasen wechselnden Arbeitszeitwünschen von Müttern und Vätern anpassen, und sie müssen akzeptieren, dass Frauen und Männer vermehrt Arbeitszeitmodelle nachfragen, die von dem dominanten Muster der oft überlangen Vollzeitarbeit für Väter und der eher geringfügigen Beschäftigung von Müttern abweichen (Klenner/Pfahl 2008). Außerdem muss das Angebot außerfamilialer Kinderbetreuung in den westdeutschen Bundesländern qualitativ und quantitativ beschleunigt weiter ausgebaut werden.

Die Soziologin PD Dr. Waltraud Cornelißen ist Expertin für Geschlechterforschung und Frauenpolitik am Deutschen Jugendinstitut (DJI).

Kontakt: cornelissen@dji.de


Literatur:

Dressel, Christian / Cornelißen, Waltraud / Wolf, Karin (2005): Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In: Cornelißen, Waltraud (Hrsg.): Gender-Datenreport 2005, verfügbar über:
http://www.bmfsfj.de/ Publikationen/genderreport/01-Redaktion/PDF-Anlagen/gesamtdokument,property=pdf.pdf

Kommission der Europäischen Gemeinschaften (2008): Bericht der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen zur Gleichstellung von Frauen und Männern

Forsa (2008): Lebensgefühl von Eltern. Repräsentativbefragung für Gruner & Jahr. Redaktion ELTERN, Tabellenband verfügbar über:
http://www.eltern.de/pdf/Tab-Lebensgefühl-von-Eltern_P8490_v2.pdf

Gerlach, Irene (2008a): Wichtige Stationen bundesdeutscher Familienpolitik. In: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 301/2008, S. 54-63

Gerlach, Irene (2008b): Sozialstaatskonzeptionen und Familienpolitik. In: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 301/2008, S. 64-73

Gille, Martina / Marbach, Jan: (2004). Arbeitsteilung von Paaren und ihre Belastung mit Zeitstress. In: Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Alltag in Deutschland. Analysen der Zeitverwendung. Band 43, S. 43-113

Huinink, Johannes (2008): Familienleben und Alltagsorganisation. In: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 301/2008, S. 15-27

Klenner, Christina / Pfahl, Svenja (2008): Jenseits von Zeitnot und Karriereverzicht - Wege aus dem Arbeitszeitdilemma. WSI-Diskussionspapier Nr. 158. Verfügbar über:
http://www.boeckler.de/pdf/p_wsi_diskp_158.pdf

Riedel, Birgit (2007): Vater, Mutter, Krippenkind? Was Eltern erwarten. In: DJI Bulletin, Heft 3/4/2007, S. 11-12

Schilling, Matthias (2009): Der U3-Ausbau kommt (zu) langsam voran. In: KomDat, Heft 1/2009, S. 14-15


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Quelle:
DJI-Bulletin Heft 4/2009, Heft 88, S.12-13
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Deutsches Jugendinstitut e.V. (DJI)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2010