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FRAUEN/388: Pakistan - Hindu-Mädchen zum Islam-Übertritt gezwungen, Entführungen nehmen zu (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. April 2012

Pakistan: Hindu-Mädchen zum Islam-Übertritt gezwungen - Entführungen nehmen zu

von Zofeen Ebrahim

Dhan Bai mit der Benachrichtigung, ihre Tochter sei zum Islam konvertiert - Bild: © Fahim Siddiq/IPS

Dhan Bai mit der Benachrichtigung, ihre Tochter sei zum Islam konvertiert
Bild: © Fahim Siddiq/IPS


Karachi, 4. April (IPS) - Die 15-jährige Bharti, die aus einer Hindu-Familie im pakistanischen Karachi stammt, kam im Dezember von einem Nähkurs nicht nach Hause zurück. Kurz darauf erfuhr ihr Vater Narain Das, das Mädchen sei zum Islam konvertiert und werde mit einem Moslem verheiratet.

"Wir machten uns große Sorgen, dass sie nicht zurückkam. Dann fand ich heraus, dass sie vom Sohn des örtlichen Polizeikommissars entführt worden war, als sie auf dem Markt Nähzubehör kaufen wollte", berichtete der 55-Jährige. "Drei Tage lang hielt er unsere Tochter gefangen. Wir wissen nicht, was er mit ihr gemacht hat. Dann gab er bekannt, dass sie einer Heirat mit ihm zugestimmt habe."

Hindus machen nur etwa ein Prozent der insgesamt rund 180 Millionen Pakistaner aus. Nach Angaben der unabhängigen Pakistanischen Menschenrechtskommission (HRCP) nehmen Entführungen von Hindu-Frauen und Mädchen, die zum Übertritt zum Islam gezwungen werden, in besorgniserregendem Ausmaß zu.

Erst kürzlich erregte das Schicksal von Lata Kumar, einer Ärztin am Aga-Khan-Universitätskrankenhaus in Karachi, Aufsehen. Die junge Frau war Ende Februar verschwunden und tauchte später wieder auf. Der Fall kam vor Gericht, weil sie ihrer Schwester nach Angaben der Kumar- Familie im Vorbeigehen zugeraunt habe, ihr zu helfen.

Ihr Vater Ramesh Kumar, der in Jacobabad in der Provinz Sindh eine Privatklinik leitet, ist sicher, dass seine Tochter nicht freiwillig von zu Hause weggegangen ist. "Warum sollte sie uns um Hilfe bitten, wenn sie vor uns weggelaufen wäre?", fragte er. "Und wenn sie aus freien Stücken konvertiert ist, warum dürfen wir sie nicht sehen? Wir sind schließlich ihre Familie."


Bis zur Urteilsverkündung ins Frauenhaus

Das Hohe Gericht von Sindh ordnete an, Lata bis zur Urteilsverkündung in einem staatlichen Frauenhaus unterzubringen. An diesem neutralen Ort soll sie entscheiden, welcher Religion sie künftig angehören möchte. Mehrere um ihre Sicherheit besorgte Abgeordnete forderten die Regierung auf, sie in die pakistanische Hauptstadt Islamabad zu bringen.

In der gleichen Schutzeinrichtung wie Lata ist Rinkle Kumari untergebracht, eine junge Frau aus Ghotki in Sindh, die Ende Februar entführt wurde und sich nun 'Faryal Shah' nennt. Ihr Vater Nand Lai, ein Grundschullehrer, hat mit seiner gesamten Familie inzwischen Zuflucht in einem Sikh-Tempel in Lahore in der 600 Kilometer entfernten Provinz Punjab gesucht.

"Jeden Monat werden mindestens 20 bis 25 Mädchen entführt, die sofort zum Islam übertreten", sagte Amarnath Motumel, der für HRCP als Anwalt tätig ist. Die Angst vor Entführungen, Zwangskonversionen und Erpressungen ist unter den Hindus in Sindh mittlerweile so groß, dass viele ihre Töchter im Teenageralter nicht mehr zur Schule schicken.

Laut Ramesh Kumar, dem Vorsitzenden des Pakistanischen Hindu-Rats, wandern viele Hindu-Familien aus Angst um ihre Kinder nach Indien aus. "Hier ist unser Zuhause. Doch wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als wegzugehen", sagte er. "Wir haben die Dinge nicht mehr unter Kontrolle."

Wie die Kumar-Familie sah auch Dhan Bai ihre Tochter Bharti erst vor Gericht wieder. "Bharti war von Kopf bis Fuß in ein schwarzes Gewand gehüllt", berichtete die Mutter. "So etwas hatte sie vorher nie getragen. Ich konnte nur ihre Augen sehen, und es schien mir, als weinte sie."

Doch nicht nur Mädchen und Frauen, auch junge Männer werden offenbar zwangsmissioniert. Narain Das' 24-jähriger Sohn Lakshman trat vor einigen Jahren zum Islam über und verließ die Familie, kehrte später jedoch in einem beklagenswerten Zustand heim und bat seine Eltern, ihn wieder aufzunehmen.


Zwangskonversionen treffen Hindu-Oberschicht

Dem Journalisten Amar Guriro zufolge treffen die Zwangskonversionen meist die obere Hindu-Kaste oder Hindu-Geschäftsleute. Neben den jungen Frauen, die durch Entführungen zur Heirat mit einem Moslem gezwungen würden, gebe es aber auch solche, die freiwillig konvertierten, um ihren Familien die Zahlung des Brautgelds zu ersparen. "Manchmal muss die Familie des Mädchens umgerechnet mehr als 22.000 US-Dollar aufbringen", erklärte er. "Wenn diese Forderungen nicht erfüllt werden können, bleiben die Töchter unverheiratet."

Wie Guriro kritisierte, halten Hindus zwar 17 der 30 Sitze für religiöse Minderheiten im nationalen Parlament und in den vier Provinzparlamenten. Diese Abgeordneten hätten aber niemals versucht, Gesetze gegen das Mitgiftsystem oder erzwungene Konversionen voranzutreiben.


Extremisten wollen Zahl der Konvertiten erhöhen

Islamistische Extremisten hätten den Konversionen eine ganz neue Bedeutung gegeben, sagte Motumel. "Sie versprechen jungen Muslimen, dass sie sich einen Platz im Himmel verdienen können, wenn sie einen Nicht-Moslem zum Übertritt bewegen."

Mufti Muhammad Mufti Naeem, der oberste islamische Geistliche im Jamia-Binoria-Seminar in Karachi, bezeichnete die Berichte über erzwungene Konversionen zum Islam als "reine Propaganda seitens nichtstaatlicher Organisationen". Zugleich räumte er ein, dass allein in den vergangenen acht oder neun Monaten etwa 200 Männer und Frauen zum Islam bekehrt worden seien. Die Konversion sei jedoch aus freien Stücken erfolgt, versicherte er. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2012