Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/392: Internationaler Frauenkampf gegen Feminizide (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 118, 4/11

Gewalt stoppen
Internationaler Frauenkampf gegen Feminizide

Von Ann-Kristin Kowarsch



Über 150 Frauen diskutierten am 17. September 2011 auf der Frauenfachkonferenz "Internationaler Frauenkampf gegen Feminizide" in Köln über wirksame Strategien und eine bessere Vernetzung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen. Die Frauenbegegnungsstätte UTAMARA, CENI - Kurdisches Frauenbüro für Frieden, die Informations- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Flüchtlingsfrauen AGISRA und die Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW hatten zu dieser internationalen Konferenz geladen, deren Beiträge simultan in Englisch, Kurdisch, Türkisch, Deutsch und Spanisch übersetzt wurden. Ziel der Veranstalterinnen war es, die Ursachen und Auswirkungen des Feminizids in verschiedenen Ländern zu thematisieren, eine gemeinsame Begriffsdefinition zu erarbeiten und über Initiativen zu diskutieren, um das Ausmaß patriarchaler Gewalt erfassen und den weltweiten Feminizid stoppen zu können.


Zentrale Fragen, die auf der Konferenz zur Diskussion gestellt wurden, waren die folgenden: Wie kann der Kampf gegen Feminizide und die internationale Solidarität von Frauen gestärkt werden? Wie können regionale und internationale Kampagnen einander besser ergänzen? Wie können wir uns vernetzen, und was können wir gemeinsam tun?


Feminizid - Krieg gegen Frauen

Die Begriffe "Femizid" und "Feminizid" werden seit den 1970er Jahren von Frauenbewegungen in verschiedenen Teilen der Welt verwendet, um das systematische Ausmaß der patriarchalen Gewalt und die gezielte Tötung von Frauen sichtbar zu machen. Die Terminologie Feminizid wurde in den letzten 20 Jahren von Frauen in Mexiko, Guatemala, Indien und anderen Ländern aufgegriffen. Hierdurch wurden die Hintergründe für die systematischen und massenhaften Ermordungen von Frauen aufgedeckt, aber auch die gezielte Abtreibung weiblicher Föten im Zuge der pränatalen Geschlechtsbestimmung und die Ermordung neugeborener Mädchen thematisiert. Laut Angaben der Vereinten Nationen "fehlen" heute weltweit ca. 200 Millionen (!) Mädchen und Frauen. Das heißt, die geschlechtsspezifische Selektion hat mehr Frauen das Leben gekostet, als Menschen in sämtlichen Kriegen des 20. Jahrhunderts getötet wurden.

In Westeuropa werden Frauen Lebensbedingungen auferlegt, die zu Selbstentfremdung, körperlicher und seelischer Zerstörung führen. Sexistischer Schönheitskult erzeugt künstliche Krankheiten wie Bulimie und Magersucht. Weltweit sterben mehr Frauen im Alter zwischen 14 und 44‍ ‍Jahren durch Männergewalt als durch Unfälle, Krankheiten oder Kriege, wobei 70% aller ermordeten Frauen durch ihre Partner oder Expartner ermordet werden.


Stoppt den Feminizid!

Am 8. März 2011 startete die kurdische Frauenbewegung die Kampagne "Ji qirkirina jinê re NA! - Stoppt den Feminizid!". Erklärtes Ziel dieser Kampagne ist es, das Ausmaß und die Ursachen des systematischen, ideologischen und physischen Krieges gegen Frauen offenzulegen, anzuklagen und zu stoppen. Zugleich kritisieren die Initiatorinnen der Kampagne patriarchal geprägte, ungerechte internationale und nationale Rechtsprechung und fordern die Achtung des Feminizids als Verbrechen gegen die Menschlichkeit parallel zum Völkermord. Jedoch beinhaltet die Kampagne "Stoppt den Feminizid!" auch den Aufruf, von einem Frauenstandpunkt aus eine alternative Politik und Lebensmodelle zu entwickeln.

An diese Diskussionen anknüpfend, stellte die Konferenz "Internationaler Frauenkampf gegen Feminizide" eine wichtige Plattform dar, Analysen und Erfahrungen von Frauen und Frauenbewegungen aus verschiedenen Ländern auszutauschen und weiterzuentwickeln. Hierzu bot der erste Teil der Konferenz, in dem die Referentinnen auf die Ursachen, Formen und Auswirkungen des Feminizids eingingen, eine gute Möglichkeit.

Die Frauenrechtsaktivistin Houzan Mahmoud von der Organisation für die Freiheit von Frauen im Irak betonte die Gefahren des politischen Islam sowie der Funktionalisierung von Religionen zur Legitimation patriarchaler Gewalt und imperialistischer Herrschaft. Sie veranschaulichte, dass in Ländern wie im Iran und Irak der Feminizid durch die islamische Scheriat-Gesetzgebung staatlicherseits legitimiert werde. Daran anschließend thematisierte die Sprecherin des Komitees "Stoppt den Feminizid!" von der Demokratischen Freien Frauenbewegung (DÖKH) aus der Türkei und Nordkurdistan, Figen Aras Kaplan, dass in der Regierungszeit der AKP die Gewalt gegen Frauen bis zu 1.400% (!) angestiegen sei. In den türkischen Medien würden Frauenmorde jedoch weiterhin verharmlost. Neben rassistischen Kampagnen, in denen sich AKP-Politiker dafür aussprachen, dass sich türkische Männer eine Kurdin zur Zweitfrau nehmen sollten, um die "nationale Einheit" zu sichern, bezeichnete sie die Kriminalisierung der Frauenbewegung, sexualisierte Kriegsgewalt und Folter als weitere Formen des Feminizids gegen kurdische Frauen.

Im Anschluss daran sprach sich die feministische Wissenschaftlerin und Aktivistin Maria Mies dafür aus, den Feminizid in der deutschen Sprache als einen "Krieg gegen Frauen" zu bezeichnen. Auch in Deutschland sei es trotz des Aufbaus von autonomen Frauenhäusern und jahrelangen Kampagnen der Frauenbewegung bislang nicht gelungen, die Gewalt gegen Frauen einzudämmen. Patricia Zapata vom Regionalbüro Zentral-Amerika der Rosa-Luxemburg-Stiftung aus Mexiko benannte das Zusammenwirken von patriarchalen Macho-Strukturen und neoliberaler Wirtschaftspolitik als Hauptursache für den immensen Anstieg von Gewalt gegen Frauen und die grausamen Massenmorde an Frauen in Nord-Mexiko. "Die Täter werden durch Straffreiheit geradezu ermutigt zu weiteren Morden", fügte sie hinzu und forderte die strafrechtliche Verfolgung der Feminizide.


Globale Frauenbewegung notwendig

Im zweiten Teil der Konferenz stellten Vertreterinnen verschiedener Frauenbewegungen und -netzwerke ihre Ansätze und Kampagnen zur Bekämpfung des Feminizids und patriarchaler Gewalt vor. Fadile Yildirim vom Komitee "NEIN zum Feminizid!" der Kurdischen Frauenbewegung in Europa, definierte den Feminizid als einen seit 5000‍ ‍Jahren permanent andauernden Krieg gegen Frauen, der parallel zum Genozid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt werden müsse. Zur Überwindung der patriarchalen Gewaltstrukturen sei es notwendig, dass Frauen ihre Alternativen aufbauten. In diesem Zusammenhang präsentierte sie die Projekte der kurdischen Frauenbewegung. Sie stellte den Vorschlag zur Diskussion, gemeinsam anhand der Bedürfnisse und Lebensvorstellungen von Frauen auf einen neuen Gesellschaftsvertrag sowie einen Weltfrauenkongress hinzuarbeiten.

Die stellvertretende Generalsekretärin der Internationalen Frauenallianz (IWA), Maitet Ledesma, sprach über die Erfahrungen der philippinischen Frauenbewegung und ihre Kampagnen gegen Frauenhandel. Sie betonte, der Frauenhandel und die Prostitution werde dadurch gefördert, dass einerseits Großgrundbesitzer und andererseits multinationale Konzerne im Zuge der neoliberalen Globalisierung Frauen als billige Arbeitskräfte ausbeuten. Sie schloss mit der Feststellung, dass für einen effektiven Kampf gegen den Feminizid im 21. Jahrhundert eine militante globale Frauenbewegung notwendig sei. Der antisexistische Kampf müsse auch den Kampf gegen Imperialismus, Kapitalismus und religiösen Fundamentalismus beinhalten.

Astrid Rund stellte die internationalen Aktionstage der Weltfrauenmarschbewegung gegen den systematischen Einsatz von Vergewaltigungen sowie den Friedensmarsch von Frauen im Kongo vor. Abschließend ging Shewa Sium von AGISRA auf ihre Arbeiten zur Prävention von weiblicher Genitalverstümmelung (FGM) ein. Sie betonte, dass diese Form von Gewalt gegen Frauen keine religiöse Grundlage habe, wie häufig behauptet würde. Vielmehr müsse sie als Bestandteil eines patriarchalen Wertesystems wahrgenommen und bekämpft werden.

Als ein Resümee der Geschichte von Kämpfen gegen Kolonialismus und Feminizide wurde in der abschließenden Diskussion wiederholt die Notwendigkeit angesprochen, eine international organisierte, radikale Frauenbewegung aufzubauen, die zu einer gesellschaftlichen Kraft werden kann. In diesem Zusammenhang wurden die vorgestellten Projekte als wichtige Lösungsansätze bewertet.

Viele Frauen wünschten sich, die Vernetzung und die Zusammenarbeit unter diesen verschiedenen Initiativen sollten gestärkt werden. Dies fand auch in den Diskussionen und Vorschlägen zur Abschlussresolution der Konferenz seinen Widerhall: Die Organisierung der Konferenz "Internationaler Frauenkampf gegen Feminizide" wurde als ein wichtiger Schritt bewertet, auf den weitere folgen sollten.


Webtipps:
Kurdisches Frauenbüro für Frieden CENI e.V.: ceni_frauen@gmx.at
UTAMARA e.V.: www.utamara.org
AGISRA e.V.: www.agisra.de
Rosa-Luxemburg-Stiftung Nordrhein-Westfalen: www.nrw.rosalux.de


Zur Autorin:
Ann-Kristin Kowarsch ist seit 20 Jahren in verschiedenen Frauenzusammenhängen aktiv. Sie ist Mitbegründerin der Frauenbegegnungsstätte UTAMARA e. V. und schreibt gelegentlich als freie Journalistin Artikel für die "junge Welt" und die kurdische Frauenzeitung "Newaya Jin". Sie lebt in Bonn.

*

Quelle:
Frauensolidarität Nr. 118, 4/2011, S. 30-31
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. April 2012