Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

FRAUEN/397: Saudi-Arabien - Olympia ohne Frauen, Menschenrechtler drängen IOC zu Ausschluss (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Mai 2012

Saudi-Arabien: Olympia ohne Frauen - Menschenrechtler drängen IOC zu Ausschluss

von Sandra Siagian



Sydney, 3. Mai (IPS) - Auf der ganzen Welt legen Sportlerinnen und Sportler bei ihren Vorbereitungen für die 30. Olympischen Spiele in London den Endspurt ein. Fast überall besteht Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern. Lediglich Saudi-Arabien schickt im Juli ausschließlich Männer an den Start. Sollte das Land bei seiner Haltung bleiben, wollen Menschenrechtsaktivisten erreichen, dass es nicht mehr an den Spielen teilnehmen darf.

Das arabische Emirat Katar und das asiatische Sultanat Brunei, die bisher Frauen aus kulturellen und religiösen Gründen nicht an internationalen Veranstaltungen teilnehmen ließen, entsenden in diesem Jahr zum ersten Mal Athletinnen. Den Einwohnerinnen von Saudi-Arabien wird dagegen von der Regierung die Ausübung von Sport untersagt. Konservative islamische Geistliche befürchten, dass die Mädchen und Frauen ansonsten auf den "Weg der Unmoral" geführt würden.

Die unabhängige Organisation 'Human Rights Watch' (HRW) forderte die Regierung in Riad in einem im Februar veröffentlichten Bericht auf, Frauen das gleiche Recht auf sportliche Betätigung wie Männern zu garantieren. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) wurde ermahnt, getreu seinen eigenen Grundsätzen jegliche Diskriminierung zu unterbinden. Die Aktivisten verwiesen auf Afghanistan, das 1999 unter anderem deshalb von einer Teilnahme an den Spielen ausgeschlossen worden war, weil die Taliban-Regierung keine Frauen antreten ließ.

Christoph Wilcke, Nahostexperte bei HRW und Autor des Buches 'Steps Of The Devil', erklärte, es sei an der Zeit, dass das IOC seine Mitgliedsregeln befolge. "Saudi-Arabien verletzt diese Regeln. Die Frage ist allerdings, ob ein Ausschluss hilfreich ist oder alles noch schlimmer macht", meinte er. "Ich denke, zwei Monate vor dem Beginn der Spiele wäre der ideale Zeitpunkt erreicht, an dem die IOC auf die Einhaltung der Regeln dringen könnte. Saudi-Arabien will eindeutig teilnehmen, da es ein männliches Team schickt."


Frauen ohne Recht auf eigenen Körper

Der Vorsitzende des saudischen Olympischen Komitees, Prinz Nawwaf bin Faisal, hatte im vergangenen November angekündigt, dass nur männliche Athleten nach London geschickt würden. Er schloss eine Teilnahme von Frauen zwar nicht völlig aus, stellte aber klar, dass dies nur auf Einladung auswärtiger Stellen möglich wäre. In jedem Fall müssten Sportlerinnen angemessene Kleidung tragen, die islamischen Prinzipien entspreche, und von einem männlichen Aufpasser begleitet werden, hob er hervor. Bei den sportlichen Darbietungen sei zudem darauf zu achten, dass kein weiblicher Körperteil sichtbar sei.

Außer in Saudi-Arabien unterstützen die Regierungen und nationalen Sportbehörden aller muslimischen und arabischen Staaten Frauen, die Sport treiben wollen. Das saudische Olympiakomitee und die 29 Sportverbände des Landes veranstalten aber keine Wettbewerbe für weibliche Athleten. Keiner der von der Regierung genehmigten 153 Vereine hat eine Frauenmannschaft.

Nach Ansicht von Wilcke täten Frauen gut daran, sich auf die Religion zu berufen, um zu ihrem Recht zu kommen. "Es gibt kein religiöses Verbot, das Frauen vom Sport abhalten soll. Die Gegner führen traditionelle Argumente einer patriarchalischen Sichtweise an, wonach Frauen zu Hause bleiben sollen."

Auch der Sportunterricht an Schulen ist in Saudi-Arabien Jungen vorbehalten. Betreiber privater Fitnessstudios erhalten nur dann eine Lizenz, wenn sie Frauen keinen Zutritt gestatten. Diese dürfen nur Gesundheitsclubs aufsuchen, die sich meist in Krankenhäusern befinden.

Selbst wenn Saudi-Arabien das Verbot aufhöbe, würde es Jahre dauern, bis eine international konkurrenzfähige Frauenmannschaft zusammengestellt wäre, sagte Anthony Billingsley, der an der 'University of New South Wales' im australischen Sydney lehrt. "Frauen können nicht nach draußen gehen, trainieren und sich mit anderen messen. Das ist das eigentliche Problem, das sie davon abhält, ihre Fähigkeiten zu verbessern."

Nach Meinung der Rundfunkjournalistin Nasya Bahfen, die an der 'RMIT University' in Melbourne tätig ist, spiegelt das Sportverbot für Frauen eine strenge Interpretation des Islams, die vom dem Wunsch nach einer Trennung der Geschlechter beseelt sei.


Kickende Frauen als Bedrohung für Religion gesehen

"Ich denke, dass sich Saudi-Arabien auf diese recht konservative und sehr traditionelle Form des Islams stützt", sagte Bahfen. "Dass Frauen auf dem Spielfeld herumlaufen und sich den Blicken der Männer aussetzen, wird als blasphemisch und unislamisch abgelehnt. Saudische Frauen dürfen noch nicht einmal einem Fußballspiel zuschauen, während etwa Iranerinnen sogar selbst mitmachen dürfen."

Nicht nur vom Sport werden Frauen in Saudi-Arabien ferngehalten. Sie dürfen auch keine Autos fahren. Wenn sie zum Arzt, zur Arbeit oder zur Universität oder heiraten wollen, brauchen sie die Zustimmung eines Mannes.

Laut Bahfen schließen saudische Frauen im Bildungsbereich zwar zu den Männern auf. "Dennoch werden sie in traditionelle Jobs abgedrängt. Dabei werden Ärztinnen, Krankenschwestern und Lehrerinnen dringend gebraucht. Frauen werden aber kaum dazu ermutigt, beruflich neue Wege zu gehen." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.hrw.org/reports/2012/02/15/steps-devil-0
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107621

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 3. Mai 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2012