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FRAUEN/439: Ägypten - Rückschlag für die Frauenrechte, Revolution enttäuscht Ägypterinnen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 31. Oktober 2012

Ägypten: Rückschlag für die Frauenrechte - Revolution enttäuscht Ägypterinnen

von Cam McGrath


Demonstrantinnen fordern auf ihrem Banner ein Ende der Kinderehen - Bild: © Cam McGrath/IPS

Demonstrantinnen fordern auf ihrem Banner ein Ende der Kinderehen
Bild: © Cam McGrath/IPS

Kairo, 31. Oktober (IPS) - Während der Revolution standen Ägyptens Frauen im Kampf um Freiheit, Würde und soziale Gerechtigkeit mit den Männern an vorderster Front. Doch die Hoffnung, der Aufstand werde sie zu gleichberechtigten Akteuren des Wandels machen, hat sich nicht erfüllt. Heute sind die Frauen des nordafrikanischen Landes noch schlechter dran als unter dem gestürzten Diktator Hosni Mubarak.

"Nach der Revolution gingen die ägyptische Gesellschaft und vor allem die Islamisten gegen die Frauenrechte vor", sagt Azza Kamel, eine bekannte Aktivistin. "Sie begannen damit, die Rechte zu stutzen, die sich die Frauen lange vor der Revolution erkämpft hatten. Sie streben ein neues Scheidungs- und Sorgerecht an und setzen sich für die weibliche Genitalverstümmlung und eine Herabsetzung des Heiratsalters von 18 auf neun Jahre ein."

Wie Kamel kritisiert, sind Frauen seit dem Sturz Mubaraks fast vollständig aus den Führungs- und Entscheidungspositionen verschwunden. Der Ausschuss der Weisen, ein während des Volksaufstands gebildetes Beratergremium, besteht aus 29 Männern und nur einer Frau. Es wurden zudem keine Frauen zu Gouverneurinnen ernannt, auch der Staatsrat blieb männlich. Und in allen Post-Mubarak-Institutionen sind Frauen nur schwach vertreten.

"Wir hatten mehr erwartet", meinte Kamel. "Ohne Gleichheit kann es keine Demokratie geben, dennoch sind Frauen in allen Bereichen außen vor."


Bei den Wahlen abgedrängt

Ägypterinnen sind seit 1956 wahlberechtigt - 15 Jahre vor den Schweizerinnen. Doch im politischen Leben sind sie unterrepräsentiert. Die ersten freien und fairen Parlamentswahlen brachten den Frauen weitere Rückschläge. Sie konnten in dem inzwischen wieder aufgelösten Unterhaus gerade einmal acht der 508 Sitze ergattern. 2010 waren es dank einer Frauenquote mehr als 60 Sitze gewesen.

Die politischen Parteien, die nach dem Sturz Mubaraks 2011 gegründet worden waren, begrüßten zwar Frauen in ihren Reihen, doch als der Wahltermin näher rückte, taten sie sich schwer damit, weibliche Kandidaten aufzustellen. Die Wahlgesetze verlangen allen politischen Kräften des Landes ab, mindestens eine Parlamentskandidatin ins Rennen zu schicken. Doch selbst liberale Parteien platzierten die Frauen möglichst auf die hinteren Listenplätze, wodurch sich ihre Chancen schmälerten, gewählt zu werden.

Kamel wirft den politischen Parteien und vor allem der Muslimbruderschaft vor, Unterstützung für die Frauen zu heucheln, um sich auf diese Weise die Präsenz von Frauen an öffentlichen Veranstaltungen und an den Wahlurnen zu sichern. "Alle politischen Parteien benutzen Frauen als politischen Hebel", meint dazu Kamel gegenüber IPS. "Das ist in Ägypten schon immer so gewesen."

Viele Frauen hatten den Rückschlag kommen sehen, als Präsident Mohamed Mursi sein angekündigtes Versprechen brach, eine Frau zu seiner Stellvertreterin zu machen. Der ehemalige Chef der Muslimbruderschaft hat sich zudem mit einem fast ausschließlich männlichen Beratertross umgeben. Die einzigen beiden Frauen in seinem Kabinett sind Überbleibsel der vorangegangenen Regierung.

Für noch beunruhigender hält Kamel den Vorstoß der von muslimischen Männern dominierten verfassunggebenden Versammlung, Regelungen in das Grundgesetz aufzunehmen, die die Rechte von Frauen unterlaufen. Zudem versuchen die vielen in der Versammlung reichlich vertretenen Islamisten, der ägyptischen Gesellschaft ihre konservativen religiösen Werte aufzupfropfen. Viele der liberalen und weltlichen Mitglieder haben aus Protest das Gremium verlassen.

Besonders umstritten ist Artikel 68 des Verfassungsentwurfes, in dem es heißt, dass Frauen Männern im politischen, wirtschaftlichen und sozialen Leben gleichgestellt sind, solange diese Gleichheit nicht den Gesetzen der Scharia, dem islamischen Recht, zuwiderläuft.

Nehad Abu Komsan vom Ägyptischen Zentrum für Frauenrechte (ECWR) zufolge wurde die Scharia schon oft benutzt, um Frauen in ihren Freiheiten einzuschränken. Frauenrechte an undefinierte Bestimmungen des islamischen Rechts zu koppeln, werde radikalen und frauenfeindlichen Interpretationen Tür und Tore öffnen, warnt sie.

"Die Scharia lässt sich unterschiedlich interpretieren", so Abu Komsan. "Saudi-Arabien nimmt in seiner Verfassung Bezug auf die Scharia und verbietet den Frauen das Autofahren. Pakistan bezieht sich in seiner Verfassung auf die Scharia und hatte eine Frau als Premierministerin."


Konservativere Gesellschaft angestrebt

Auch wenn Ägyptens Regierung Frauen nicht vollständig ignoriert, so hat sie einer konservativeren patriarchalischen Gesellschaft den Weg geebnet. Durch einen neuen Ministererlass steht es Stewardessen der staatlichen Fluggesellschaft 'EgyptAir' erstmals frei, einen Hidschab (islamischen Schleier) zu tragen, und nach neuen Bestimmungen können auch weibliche Fernsehsprecher von diesem Angebot Gebrauch machen.

"Das ist in Ordnung. Den Schleier zu tragen, ist ein persönliches Recht", meint dazu die Haushaltshilfe Umm Gamal, die ebenfalls ein Kopftuch trägt. "Doch was wir wirklich brauchen, sind größere Anstrengungen, das Frauenrecht auf vollständige Partizipation durchzusetzen. Wir sollten die Hälfte der Führungspositionen besetzen und uns nicht nur mit einer Quote zufrieden geben." (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.ecwronline.org/english/index.html
http://www.ipsnews.net/2012/10/egypt-revolution-makes-it-worse-for-women/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 31. Oktober 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2012