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FRAUEN/455: Jemen - Frauen in jeder Hinsicht benachteiligt, Aktivistinnen fordern faire Gesetze (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Januar 2013

Jemen: Frauen in jeder Hinsicht benachteiligt - Aktivistinnen fordern faire Gesetze

von Rebecca Murray


Bild: © Rebecca Murray/IPS

Frauen im Jemen kämpfen gegen Gesetze, die sie unterdrücken
Bild: © Rebecca Murray/IPS

Sana'a, 8. Januar (IPS) - Jemenitische Frauen haben im vergangenen Jahr bei den Protesten gegen die 33-jährige Herrschaft des damaligen Präsidenten Ali Abdullah Saleh eine wichtige Rolle gespielt. Doch trotz des bevorstehenden 'Nationalen Dialogs', der auf Vermittlung des Golf-Kooperationsrats GCC zustande kommen wird, stoßen Frauen in dem arabischen Land nach wie vor auf eine Mauer diskriminierender Gesetze und Praktiken.

Die 25-jährige Nadia, die in einem Frauenhaus in der Hauptstadt Sana'a untergekommen ist, wird von Helferinnen als "innerlich gebrochen" beschrieben. Die junge Frau, die aus einem Dorf nördlich von Sana'a stammt, war von ihrem Bruder zwangsverheiratet worden, um der Familie die Zahlung einer hohen Mitgift zu ersparen. In armen Familien ist es üblich, dass Frauen in die Schwiegerfamilien ihrer Brüder einheiraten.

Der Haken an der 'praktischen' Lösung: Wenn eines dieser Paare auseinandergeht, muss das andere ebenso handeln. Nadia weigerte sich von Anfang an, zu ihrem Mann zu ziehen. Zur Strafe sollte sie getötet werden. Als ihre Mutter von den Plänen ihrer Söhne erfuhr, wurden Mutter und Tochter aus dem Haus geworfen. Nadia begann als Hausmädchen für einen Scheich zu arbeiten, wurde dann aber an einen jemenitischen Arbeiter in Saudi-Arabien verkauft.

Nadias Leben wurde unerträglich. Als ihr neuer Mann sie dazu zwingen wollte, trotz ihrer Schwangerschaft seinen saudischen Kunden zu Willen zu sein, entkam sie zusammen mit ihrer Mutter. Seither leben beide in einer Unterkunft der Jemenitischen Frauenunion.

Im Jemen gibt es zahlreiche Gesetze und Gewohnheiten, die Frauen oftmals auf gefährliche Weise benachteiligen. Doch nicht immer wurden Jemenitinnen so stark diskriminiert wie heute. Vor der Einigung des Landes 1990 genossen die Bewohnerinnen der Küstenregionen im Süden mehr Rechte als die Frauen im gebirgigen und konservativen Norden. Seit dem blutigen Bürgerkrieg 1994 ist das Rad allerdings zurückgedreht worden.

"Frauen und Mädchen im Jemen sind einer gravierenden und weitverbreiteten Diskriminierung ausgesetzt", bestätigt die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in ihrem Jahresbericht 2012. In der Verfassung des Staates werden Frauen als 'Schwestern der Männer' bezeichnet. Die Gesetze sehen für Frauen zudem rückschrittliche Regelungen im Fall einer Heirat, Scheidung und Erbschaft vor.


Mindestalter für Eheschließungen abgeschafft

Das Mindestalter von 15 Jahren für Eheschließungen wurde 1999 abgeschafft. Ein Jahrzehnt später verhinderten konservative Abgeordnete ein Gesetz, das die Grenze bei 17 Jahren festlegen sollte. Derzeit ist nur die Einwilligung eines Vormunds notwendig.

Frühe Heiraten haben für Frauen viele negative Auswirkungen. Die Betroffenen können sich nicht weiterbilden und keine berufliche Karriere verfolgen. Auch Gesundheitsschäden und häusliche Gewalt können die Folge sein. Frauen müssen ihren Männern stets gehorchen, um nicht die finanzielle Unterstützung zu verlieren. Ein Mann kann bis zu vier Frauen haben, solange er dazu in der Lage ist. Mündlich kann er eine Ehe von einem Moment auf den anderen auflösen.

Das Strafrecht im Jemen schont zudem Männer, die sogenannte Ehrenmorde begehen, weil sie angeblich von ihren Frauen betrogen wurden. Die Täter müssen höchstens eine einjährige Haftstrafe verbüßen oder eine Geldstrafe zahlen.

Wie aus dem 'Global Gender Gap Index' des Weltwirtschaftsforums hervorgeht, belegt der Jemen, was die Gleichbehandlung der Geschlechter in Wirtschaft, Politik, Bildung und Gesundheitsversorgung betrifft, von allen Staaten den letzten Platz.

Die 24-jährige Aktivistin Sarah Jamal Ahmad, die im vergangenen Jahr an vorderster Front gegen das Regime ankämpfte, setzt sich dafür ein, dass Frauen im Rahmen des 'Nationalen Dialogs' sowie in der Verfassung und Rechtsprechung fair behandelt werden.

Die Einführung einer Frauenquote in der Regierung hält Ahmad für unverzichtbar. "Jedes Mal stelle ich klar, dass ich generell für eine 50-Prozent-Quote bin", erklärt sie. "Derzeit kämpfe ich allerdings für 30 Prozent. Die Qualität zählt für uns mehr als die Quantität."

Die verfallene Hafenstadt Aden breitet sich am Indischen Ozean rund um einen Vulkan aus. Die Zustände dort unterscheiden sich erheblich von denen im Norden. Aden stand bis 1967 unter britischer Kolonialherrschaft und wurde dann der von der Sowjetunion unterstützten Demokratischen Volksrepublik Jemen zugeschlagen.


Konservativer Norden dominiert liberaleren Süden

Die Jemenitinnen, die sich hier in Frauenorganisationen engagieren, sind frühere Rechtsanwältinnen, Geschäftsfrauen und Politikerinnen, denen auf ihrem Berufsweg aber Steine in den Weg gelegt wurden. "Der Norden gewann den Krieg und riss alles an sich", sagt die ehemalige Ingenieurin Khadija Alhirsi, die heute die Solidaritätsvereinigung für Entwicklung leitet.

Auch Fatima Meresse, die Direktorin der Jemenitischen Frauenunion in Aden, ist der Ansicht, dass es den Bewohnerinnen des Landes vor der Einigung besser ging. "Die Familiengesetze garantierten uns damals Rechte. 1994 wurde alles anders - sie nahmen uns unsere Berufe und änderten die Gesetze. Wir haben das Gefühl, uns zurückzubewegen."

Eine Frau, die Meresses Hilfe braucht, ist die 50-jährige Susan Shehab, die 30 Jahre lang mit einem Trinker verheiratet war. In den letzten zehn Jahren habe ihr Mann sie immer im Rausch verprügelt, berichtet sie. Als sie einmal mit deutlichen Gewaltspuren auf Körper und Gesicht zur Polizei ging, wurde sie dort abgewimmelt. Ihr Mann habe die Beamten bestochen, meint sie. Shehab wurde gezwungen, alle Besitzrechte an dem gemeinsamen Haus an den Mann zu übertragen, der sie dann hinauswarf.

Während sich der Scheidungsprozess und der Rechtsstreit um ihr Eigentum in die Länge ziehen, wohnt sie in einer Wohnung. Einen Anwalt hat ihr die Frauenunion besorgt. Shehab fürchtet, dass ihr Mann versuchen wird, auch die Richter zu bestechen. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.weforum.org/reports/global-gender-gap-report-2012
http://yemeniwomen.org/
http://www.amnesty-frauen.de/Main/Jemen
http://www.ipsnews.net/2013/01/yemeni-women-struggle-to-step-forward/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Januar 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2013