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FRAUEN/472: Farmarbeiterinnen in Südafrika - Profite wichtiger als Menschenleben (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 122, 4/12

Profite wichtiger als Menschenleben
Zur Situation von Farmarbeiterinnen am Westkap von Südafrika

Von Patricia Dyata



Als die Apartheid in Südafrika zu Ende ging, glaubten wir, dass es der Beginn einer neuen Welt fürjede/n einzelne/n Bürger/in unseres geliebten Landes sein werde. Ach, wie lagen wir da falsch. Neoliberale Gesetzgebungen wurden verabschiedet, Arbeitsplätze, Gesundheitsinstitutionen, Bildungseinrichtungen und Güter der Grundbedürfnisse wie Elektrizität, Mineralien und natürliche Ressourcen wurden privatisiert. Dauerhafte Arbeitsplätze wurden gestrichen und viele andere Arbeitsplätze so restrukturiert, dass die soziale Verantwortung nicht mehr bei den ArbeitgeberInnen liegt. Frauen, die immer auf Farmen gearbeitet haben, wurden Saisonarbeiterinnen, nur damit die Geldgier der FarmbesitzerInnen gestillt werde. Aber das war erst der Beginn der Ausbeutung durch Profitgier.

Als sich Südafrikas Handel und Handelskooperationen weiterentwickelten, glaubten wir, dass die Leute vor Ort davon profitieren würden, im Speziellen die am meisten verletzbaren Gruppen wie FarmarbeiterInnen und Frauen. Dazu kam es aber nie. Regierungspersonen und Arbeitgeberinnen fingen an, Aktienanteile von Minen und Fabriken zu kaufen, manche wurden sogar EigentümerInnen von einigen Farmen. Es profitierten die, die schon alles hatten, und die FarmarbeiterInnen können nicht einmal ein Haus ihr Eigen nennen, obwohl sie genauso ein Teil der Bevölkerung sind. ArbeiterInnen verloren ihre Jobs, nachdem Fabriken schließen mussten, weil billigere Produkte nach Südafrika importiert wurden. FarmbesitzerInnen müssen jetzt mit Produzenten in anderen Ländern konkurrieren. Und der Markt ist eine immer größer werdende Herausforderung, da man sich jetzt beispielsweise um Plätze in der internationalen Weinindustrie streiten und mit Firmengiganten konkurrieren muss. Viele können nicht einmal ihren Preis selbst festlegen, weil Monopole die Märkte übernommen haben und sie dazu zwingen, ihre Produkte in Massen und zu von ihnen bestimmten Preisen zu verkaufen. Das trägt dazu bei, dass ArbeiterInnen keine Sozialleistungen wie Altervorsorge, Mutterschutz oder Zugang zu guter Gesundheitsvorsorge und Bildung mehr erhalten.


Arbeitsbedingungen von FarmarbeiterInnen

In Südafrika dürfen Frauen bis zu 45 Stunden pro Woche arbeiten. Viele Frauen in der Verpackungsindustrie arbeiten bis zu 12 Stunden am Tag, inklusive der Überstunden, an denen sie etwas mehr verdienen. Diese extra Stunden fallen aber nur in einem geringen Ausmaß ins Gewicht, sodass die Frauen gar nicht genau wissen, wie viel mehr sie durch die Überstunden überhaupt verdienen. In den Wein- und Obstgärten leisten Frauen und Männer die gleiche Arbeit, aber Frauen bekommen dafür weniger bezahlt. Frauen verdienen am Tag zwischen 50 und 71 Rand (ca. vier bis sechs Euro).

Viele der Frauen sind nicht gewerkschaftlich organisiert, und in diesem Fall kriegen sie nur 50 Rand pro Tag. Bei der Arbeit auf den Farmen gelangen sie oft mit Pestiziden in Berührung. Vor allem Saisonarbeiterinnen haben keine eigene Arbeits- und auch keine Schutzkleidung, sie tragen bei der Arbeit dasselbe wie zu Hause.

Auf vielen Farmen haben Frauen keinen Zugang zu WC-Anlagen, was bedeutet, dass sie im Busch ihre Notdurft verrichten müssen. Die meisten Saisonarbeiterinnen arbeiten auf Farmen und leben in der Nähe in einem Township in überfüllten Hütten, wo sich Tuberkulose, HIV/AIDS und Durchfallerkrankungen ausbreiten, die bei Kindern häufig zum Tod führen. FarmarbeiterInnen werden oft vertrieben. Sie müssen dann neben Bahnstationen, unter Brücken oder auf der Straße leben.


Was dagegen tun?

Sofern du kein eigenes Haus hast, keinen stabilen Job mit einem Lohn, der die Lebenshaltungskosten deckt, hast du noch keine sozialökonomische Freiheit erlebt. Gewerkschaften für FarmarbeiterInnen stehen noch immer vor großen Herausforderungen, trotz 20 Jahren Demokratie in Südafrika. Es wird uns fast unmöglich gemacht, Farmen zu betreten. Es existieren Einschüchterung und paternalistische Beziehungen zwischen FarmerInnen und deren ArbeitgeberInnen.

Wir versuchen, dem Präsidenten, den MinisterInnen und den Bossen zu vermitteln, was es heißt, wenn Menschen einen langsamen Tod aufgrund von Hunger, unsicherer Beschäftigung ohne Sozialhilfe und Vertreibung als "Pensionsabfertigung" erdulden müssen, ungeachtet der Jahre, die sie hart gearbeitet haben und in denen sie Profit und Wachstum der globalen Ökonomie sicherstellten. FarmarbeiterInnen arbeiten bei Sonne, Regen und Wind, und noch immer gehen 40% von ihnen ohne Essen ins Bett. Würde der Präsident sich damit zufriedengeben - so wie FarmarbeiterInnen dazu gezwungen sind -, von vier bis sechs Euro am Tag zu leben?

Beim nationalen FarmarbeiterInnen-Gipfel 2010 waren auch Präsident Jacob Zuma, Landwirtschaftsministerin Tina Joemat und andere MinisterInnen anwesend. Die Regierung versprach, sich gegen die Ausbeutung von FarmarbeiterInnen stark zu machen, aber bis heute ist nichts geschehen. Das Arbeitsministerium hat zwischen 2010 und 2011 Farminspektionen durchgeführt. Es gab aber keine Strafen für FarmerInnen, die das Gesetz nicht erfüllten. Bis heute herrschen bei 80% dieser Farmen noch immer miserable Zustände. FarmarbeiterInnen sind wegen dieser Misere frustriert. Seit 2006 wird ihre Forderung um existenzsichernde Löhne ignoriert. FarmarbeiterInnen, die zur Ernährung der ganzen Welt beitragen, aber noch immer Mühe haben, sich selbst und ihre Familien zu ernähren, wollen ebenfalls vom süßen Nektar kosten und erfahren, wie es sich anfühlt, ein menschenwürdiges Leben zu leben. Warum ist es für die Regierung und die Bosse so schwer anzuerkennen, dass FarmarbeiterInnen wie andere auch das Recht auf ein Leben in Würde haben?

Die neoliberale Gesetzgebung hat die Sklaverei wiederentdeckt. Ein Mechanismus, von dem nur eine kleine Gruppe von Leuten profitiert, während die Mehrheit in Armut, Krankheiten, Xenophobie und geschlechtsspezifischer Gewalt untergeht.


Die Forderungen

FarmarbeiterInnen sollen einen Lohn, der die Lebenshaltungskosten deckt, erhalten und ein sicheres Zuhause für sich und ihre Familien haben. Frauen, die auf Farmen arbeiten, sollen bezahlten Mutterschutz und eine Altersversicherung bekommen, nachdem sie viele Jahre zum Wohlstand von FarmerInnen und der Ökonomie allgemein beigetragen haben. Wir wollen, dass die Situation, in der Frauen leben, verstanden wird. Zusätzlich fordern wir, dass, sollte ein Abkommen verhandelt werden, Menschen, die auf den Feldern arbeiten, eingebunden werden, um sicherzustellen, dass strukturelle Entscheidungen zugunsten der ArbeiterInnen implementiert werden und nicht nur wenige sich bereichern, indem sie andere ausbeuten. Es soll sichergestellt sein, dass die am meisten verwundbaren Gruppen, wie ArbeiterInnen und Frauen, von Hilfeleistungen an die südafrikanische Regierung profitieren.


ZUR AUTORIN:
Patricia Dyata ist ehemalige Farmarbeiterin und derzeit Generalsekretärin bei Sikhula Sonke (auf Xhosa "Wir wachsen gemeinsam"), einer von Frauen geleiteten südafrikanischen Gewerkschaft, wo sie für die Rechte von Farmarbeiterinnen in Südafrika kämpft. Anfang Dezember war sie auf Einladung der Frauensolidarität zu Besuch in Wien. Sie lebt in Stellenbosch.

Übersetzung aus dem Englischen: Claudia Dal-Bianco

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 122, 4/2012, S. 20-21
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2013